Montag, 2. März 2020 WIRTSCHAFT 17
Die Libra-Pläne von Facebook zwingen die Notenbanken,
sich ernsthaft dem Thema E-Geld zuzu wendenSEITE 18
Die Bewertungen von Geldanlagen sind der zeit so hoch,
dass ein weiteres Rall y unwahrscheinlich erscheintSEITE 19
WIRTSCHAFT IM GESPRÄCH
Ein ehemaliger ABB-Manager leitet Italiens wertvollsten Konzern
Francesco Starace hat Enel seit 2014 gründlich umgebaut – heute ist der Stromerzeuger der weltweit grösste Produzent erneu erbarer Energien
GERHARD BLÄSKE,ROM
Francesco Starace ist ein leidenschaft-
licherVelofahrer. Am liebsten fährt der
CEO des italienischen Stromerzeugers
Enel durch das Umland vonRom.Auf
seinem Smartphone hat er eine App
installiert, auf der er ständig abrufen
kann, wie viele Kilometer er zurück-
gelegt hat. 30 00 Kilometer waren es
20 19. «Zu wenig», findet der gebürtige
Römer, der seit Mai 2 01 4 Enel-Chef ist.
Dass der teilstaatliche Konzern
heute mit einer Marktkapitalisierung
von 85 Mrd. € das teuerste Unterneh-
men desLandes ist, erfüllt ihn mit «ein
wenig Stolz». Doch er fügt hinzu: «Es
bedeutet auchVerantwortung. Wir müs-
sen sehr aufpassen, keinenFehler zu
machen.Wir achten darauf, vor allem
organisch zu wachsen,keine Abenteuer
einzugehen und vorsichtig zu sein.»
Ausserhalb Italiens ist kaum bekannt,
dass Enel mit 73 Mio. Endkunden und
einer installierten Kapazität aus er-
neuerbaren Energien von 46 Gigawatt
der weltweit grösste Produzent von er-
neuerbaren Energien ist.
Staracehat nach seinem Amtsantritt
dasRuder herumgerissen. Seither gibt
eskeine Projekte mehr, derenReali-
sierung länger als zwei bis dreiJahre
dauert.Darüber hinaus fehle ein ver-
lässlicher Planungshorizont, und das
Risiko sei zu gross. Atom-undKohle-
kraftwerke, grosseWasserkraftprojekte
und auch gasbetriebene Anlagen sind
out. So sei Enel flexibelundkönne sehr
schnell aufVeränderungenreagieren.
Turbinenverkauf in Baden
Sein Urteil zur Atomenergie ist klar.
«Neue Projekte sind ökonomisch nicht
rentabel und drohen wegen der lan-
genBauzeit neuer Anlagen obsolet zu
werden.»Das ist eine Anspielung auf
den sogenannten European Pressuri-
zedReactor. Die Atomkraftwerke der
neuen Generation sind teilweise seit
mehr als fünfzehnJa hren imBau und
verschlingen gigantische Summen.In
derVergangenheit halfenRegierungen
mit Garantien oder investierten selbst.
Das sei heute nicht mehr denkbar, und
für Privatunternehmen lohne es sich
wirtschaftlich nicht mehr, in diesen Sek-
tor zu investieren.
Starace, Jahrgang1955, weiss, wovon
er spricht. Er hat am MailänderPolytech-
nikum Nukleartechnik studiert. Und er
ist seit vielenJahren in der Branche. Er
hat für General Electric, ABBund Als-
tomgearbeitet – in Ägypten, den USA,
Saudiarabien und der Schweiz.Für ABB
war Starace von Ende der1980erJahre
bis 20 00 tätig, zuletzt bei ABB Alstom
Power inBaden. Dort verantwortete
er den weltweitenVerkauf der Gastur-
binen. Auch beiAuftritten in der Hei-
mat spricht er meist nur Englisch und
beantwortetFragen gern auf Spanisch.
Zu Enel kam Starace imJahr 20 00. Dort
stieg er schnellauf, wurde 2008 Chef der
Tochter Enel GreenPower und brachte
sie 2010 an die Börse.
DieVerlängerung seines Mandats
als Enel-Chef durch dieRegierung gilt
als sicher. Das Unternehmen ist erfolg-
reich.Das spiegelt sich auch in attrakti-
ven Dividenden wider, von denen auch
der Staat profitiert.
Starace will die Produktion bei Enel,
das heute noch die Hälfte der Ener-
gie in traditionellen Kraftwerken er-
zeugt, bis 2050komplett CO 2 -frei ma-
chen. Die Investitionen für denZeit-
raum 2020 bis 2022 wurden eben um
11% auf 28,7 Mrd. € erhöht. Der Netto-
gewinn soll von 4,8 auf 6,1 Mrd. € wach-
sen. Starace will dasLadenetz für Elek-
troautos in Italien, Spanien undRumä-
nien ausbauen, das Glasfasernetz nicht
nur in Italien, sondern auch in Südame-
rika vergrössern und den internationa-
lenFussabdruck des Unternehmens,
dessen Schwerpunkt in Italien und Spa-
nien, Osteuropa sowie in Südamerika
und in den USA liegt,verstärken. Und
erstellt dieFinanzierungkonsequent
auf Bonds um, derenKonditionen an
das Erreichen bestimmter Klimaschutz-
ziele geknüpft sind.
Starace istkein Mann der lauten
Worte. Er formuliert ruhig, argumentiert
strengökonomisch, auch wenn es um das
Erreichen ökologischer Ziele geht. Sein
Büro liegt in einem Nebengebäude des
Firmensitzes an derVialeRegina Mar-
gherita in der Nähe des Hauptbahnhofs
vonRom. Die Zentrale, die den Charme
der1960erJahre ausstrahlt, wird gerade
umgebaut.
Problemelösenstatt Routine
Starace will den früheren Monopolis-
ten fit machen für das 21. Jahrhundert
und investiert kräftig in die Digitalisie-
rung. Bei derRekrutierung vonPer-
sonal sieht er Enel im globalenWett-
bewerb. Der verheirateteVater von
zwei Kindern hält es für zentral, jun-
gen Menschen deutlich zu machen, was
dieFirma will und welche Probleme es
zu lösen gäbe, um sie zu gewinnen. Sie
interessierten sich mehr für zu lösende
Probleme als fürRoutinearbeiten.
Starace hat noch viel Arbeit vor
sich – ob im Unternehmen oder auf
demFahrrad. Und auch bei «seinem»
Verein, derASRom, dessen App er
selbstverständlich auf dem Smartphone
hat, gibt es noch viel zu tun. Er liegt
weit hinter dem LokalrivalenLazio auf
Platz 5 in der Serie A. Eine andere Art
der Entspannung findet der Enel-Chef
bei einem weiteren Hobby, dem Schrei-
ben von Gedichten.
Francesco Starace
BLOOMBERG Chefvon Enel
Die HNA Group bittet den Staat um Hilfe
Das hoch verschuldete chinesische Konglomerat, dem auch Schweizer Firmen gehören, befindet sich in arger finanzieller Schieflage
MATTHIAS MÜLLER, PEKING
DerAufstieg und der tiefeFall der HNA
Group, eines vom chinesischen Unter-
nehmer ChengFeng gegründetenKon-
glomerats, weckt Erinnerungen an Ika-
rus aus der griechischen Mythologie.
2016 und 20 17 ist derKonzern weltweit
auf Einkaufstour gegangen und hat sich
dabeiübernommen. Seit Monaten steckt
die einst erfolgreiche HNA Group trotz
demVerkauf diverserVermögenswerte
in erheblichen finanziellen Schwierig-
keiten. Am Samstag teilte das auf der
südchinesischen Ferieninsel Hainan
beheimatete Unternehmen über den
NachrichtendienstWechat mit, dass es
die Provinzregierung um Hilfe gebeten
habe. Eine von derRegierung in Hai-
nan geleitete Arbeitsgruppe, in der auch
derRegulator der Luftfahrtbranche so-
wie die China DevelopmentBank ver-
treten sind, soll nun die Geschicke der
HNA Group lenken.
Die Liquiditätsprobleme des be-
reits hochverschuldetenKonglomerats
sind nach demAusbruch der Lungen-
krankheit Covid-19 und dem Einbruch
desTourismus sowie des Luftverkehrs
immens geworden. Es besteht die Ge-
fahr, dass das Unternehmen seineVer-
pflichtungen nicht mehr begleichen
kann und damit zu einer Bedrohung für
das gesamte chinesischeFinanzsystem
wird. In der Mitteilung desKonglome-
rats heisst es, mankönne die Probleme
nicht mehr alleine lösen.
GeorgeSoros als Investor
1989 hatte der1953 geborene ChenFeng
vonderProvinzregierung in Hainan
eine Bewilligung für die Gründung der
Hainan Provincial Airlines erhalten. Er
fing mit seiner Fluggesellschaft klein an.
Im Mai1993 feierte er denJungfernflug
zwischen Haikou, Hauptstadt der Pro-
vinz Hainan, undPeking. Das Engage-
ment von Chen überzeugte auch den
amerikanischen Investor George Soros,
der1995 erstmals 25 Mio. $ in Hainan
Provincial Airlines investierte. Zwei
Jahre später wurde die Fluggesellschaft
in Hainan Airlines umbenannt.
Dem Gründer Cheng war die Flug-
gesellschaft jedoch nicht genug.Er
expandierte 20 16 und 20 17 insAusland,
wo er umgerechnet 40 Mrd. $ inves-
tierte. Tr otz aller Kritik an derVor-
gehensweise hat die HNA Group bei
einigen Investitionen zunächst noch
eine Strategie erkennen lassen. Der
Fokus lag ausser auf dem Flugverkehr
und demTourismussektor auf dem Be-
trieb von Flughäfen, weshalb Käufe wie
jene von Gategroup, Swissport oder SR
Technics zumKonzern passten. Andere
Investitionen wie der Einstieg bei der
DeutschenBank haben dagegen für
Kopfschütteln gesorgt. Cheng und seine
Mannschaft verzettelten sich immer
mehr und häuften Schulden an. Diese
sollen in der Spitze bis zu 600 Mrd.Yuan
(Y) betragen haben, was annähernd 83
Mrd.Fr. entspricht. 20 18 begann die
Hainan Group damit,Vermögenswerte
zu verkaufen, um den Schuldenberg ab-
zubauen. So trennte sie sich vor rund
zweiJahren wieder von den Anteilen
an der DeutschenBank.Dadie Käu-
fer über die Not desVerkäufers infor-
miert waren, musste die HNA Group
dieVermögenswerte jedoch unter dem
Einkaufspreis veräussern.
Mitte vergangenen Jahres belie-
fen sich dieVerbindlichkeiten laut der
Nachrichtenagentur Bloomberg noch auf
525,6 Mrd.Y;allerdings ging der Bestand
an liquiden Mitteln noch schneller zu-
rück als die Schulden. Und mit dem Ein-
bruch des Flugbetriebs in China alsFolge
der Covid-19-Epidemie geriet schliess-
lich mit Hainan Airlines auch noch die
Geldmaschine der Gruppe ins Stottern.
Das Gebaren der HNA Group und
derenAuslandsinvestitionen missfielen
den Machthabern inPeking seit mehr
als zweiJahren. Neben demKonglome-
rat gerieten deshalb auch der Mischkon-
zernWanda, die grösste private Invest-
mentgesellschaft, Fosun, sowie derVer-
sicherungskonzern Anbang insVisier der
Zentralregierung. Sie wurden vor zwei-
einhalbJahren vom Sprachrohr derKom-
munistischenPartei, der Zeitung «Peo-
ple’s Daily», als Nashörner bezeichnet.
Pekings Angst vor Nashörnern
Mit der Analogie aus der Tierwelt
wurde auf die Gefahren für das chinesi-
scheFinanzwesen durch die vier hoch-
verschuldetenFirmen hingewiesen. Es
handle sich um eine offensichtliche Ge-
fahr, die man jedochso lange ignoriere,
bis man vor ihr irgendwann nicht mehr
davonlaufenkönne und die grauen Nas-
hörner – einmal inFahrt gekommen –
einen aufspiessen würden, war damals in
der «People’s Daily» zu lesen. Statt auf-
gespiesst zu werden, hatPeking sich nun
selbst der HNA Group angenommen, um
wenigstens dieses Nashorn zu stoppen.
An der Spitze der Arbeitsgruppe,
welche die Geschicke der HNA Group
lenken wird,steht Gu Gang. Er ist auch
Chef von Hainan Development Hol-
dings, einerInvestmentgesellschaft der
südchinesischen Provinz.Dass in dem
neu geschaffenen Führungsgremium
mit Cheng Gong auch einVertreter
der China DevelopmentBank sitzt, ist
nicht überraschend, da dasStaatsinsti-
tut einer der wichtigsten Gläubiger des
Konglomerats ist.
Die Hainan Airlines bildete den Grundstein für die spätere HNA Group. R. DUVIGNAU /REUTERS
Mit dem Einbruch des
Flugbetriebs in China
als Folge der Covid-19-
Epidemie geriet
auch Hainan Airlines,
die Geldmaschine der
Gruppe, ins Stottern.