Montag, 2. März 2020 GELD & FINANZEN 19
In Zukunft gibt’s weniger
Die hohen Erträge von Aktien und Renditen au s den vergangenen Jahren lassen sich nicht fortschreiben
MICHAEL SCHÄFER
Die Finanzmärkte richten sich zwar
nicht nachJahren oder Dekaden, son-
dern eher nachKonjunkturzyklen, der
Entwicklung von Unternehmensgewin-
nen und geopolitischen Ereignissen. Um
die Renditen von Anlageklassen, An-
lagestrategien oder Investmentfonds zu
vergleichen,kommt man nicht umhin,
solche Zeitspannen heranzuziehen.Das
Gleiche gilt, wenn es um die Prognose
von künftigenRenditen geht.Wie die
Arbeiten des Nobelpreisträgers Eugene
Fama zeigen, ist dasallerdings eine
heikle Angelegenheit, zumindest, wenn
es umrelativ kurze Zeiträume geht.
Handicaphohe Bewertungen
Diese Erfahrung dürfen zahlreiche An-
lagechefs vonBanken immer wieder
aufs Neue machen. Zu den fest etablier-
ten Ritualen der Zunft zählt nämlich,
dass ihnen zuJahresbeginn immer wie-
der Punktprognosen für die Entwick-
lung derFinanzmärkte in denkommen-
den zwölf Monaten abverlangt werden.
Allerdings streuen solche Jahresr en-
ditenrecht breit, etwa beim Schweizer
Aktienmarkt zwischen –34 und +61%.
Kein Wunder, liegen die Experten mit
ihren Prognosen oft weit daneben.
Treffsicherer sind dagegenRendite-
prognosen für längere Zeitspannen.Dies
schon allein, weil dieBandbreite der
durchschnittlichenRenditen hier deut-
lich geringer ist. Für Schweizer Aktien
bewegten sich die durchschnittlichen
Jahresrenditen laut Zahlenvon Pictet
Asset Management in den vergangenen
neun Dekaden zwischen –1,3 und16,3%.
Zwarkönnen dieAnlageergebnisse nach
zehnJahren immer noch stark divergie-
ren. Zumindest ist es aber über einen
solchen Zeitraum selbst mit Aktien un-
wahrscheinlich, Geld zu verlieren. Bei
SchweizerTiteln war das nur einmal der
Fall,nämlich in den von der Grossen De-
pression geprägten1930er Jahren.
Wie sehen nun aberkonkret die Pro-
gnosen für diekommenden zehnJahre
aus? Ein wichtiger Aspekt, den es hier
zu berücksichtigen gilt,sind die Be-
wertungender Anlageklasse zu Beginn
des Untersuchungszeitraums. Durch
das fulminanteRally haben sich glo-
bale Aktien 2019 spürbar verteuert.
ZumJahresbeginn waren sie etwa mit
dem18-Fachen der für 2020 erwarte-
ten Unternehmensgewinne bewertet.
Das ist zwar weit weg von historischen
Höchstwerten, liegt aber spürbar über
dem langfristigen Mittelwert von15 und
ist somitals Handicap bzw. tendenziell
bremsenderFaktor zu werten. In der
Tendenz ist das immer noch gültig, auch
wenn sich die Bewertungen durch den
Absturz der Börsen in der vergangenen
Woche etwasrelativiert haben. Zumin-
dest kurzfristig werden nämlich auch
die Unternehmensgewinne durch das
Coronavirus beeinträchtigt.
Ebenfalls wenigerRückenwind als
in der vergangenen Dekade dürften
die Aktienmärkte von der Entwick-
lung derWeltwirtschaft erwarten, mei-
nen etliche Anlagestrategen. Zwar sei
es den Zentralbanken lange Zeit gelun-
gen, eineRezession abzuwenden. Dass
die USA auch in denkommenden zehn
Jahren einenRückgang derWirtschafts-
aktivitäten vermeidenkönnen, halten
die Experten von NedDavis Research
(NDR) jedoch für unwahrscheinlich.
Rezession nichtabzuwenden
Für dieFondsgesellschaftRobeco ist
eineRezession sogar in den nächsten
fünf Jahren unvermeidlich.DieAuguren
gehen aber – wie auch jene bei NDR–
davon aus, dass dieserRücksetzer nicht
das gleicheAusmass annehmen wird wie
während der globalenFinanzkrise, son-
dern eher mild verlaufen und von kurzer
Dauer sein wird.Dennoch werde sich die
konjunkturelleDurststrecke belastend
auf die Unternehmensgewinne auswir-
ken. Innerhalb der Anlageklasse sehen
viele AnalytikerValoren aus Schwellen-
ländern vergleichsweise imVorteil, weil
sie günstiger bewertet sind als dieTitel
aus den Industrieländern.
Noch gehen die wenigsten Anlage-
strategen davon aus, dass dieWeltwirt-
schaft schon in diesemJahr wegen der
Ausbreitung des Coronavirus völlig aus
der Bahn geworfen wird. Bei Invesco
rechnet man damit, dass der Ver-
lauf jenem einer typischen saisonalen
Grippe gleichen wird, was eineDauer
von zwei bis drei Monaten bedeuten
würd e. Im Basisszenario der meisten
Experten wird sich dieWirtschaftrela-
tiv schnell erholen.
Alles in allem müssen sich Anleger
jedoch auf deutlich tiefere Aktienrendi-
ten einstellen als in den vergangenen
zehnJahren.Treffen die Prognosen ein,
wird die Kluft zwischen denrealisier-
ten und den künftigen Erträgen bei US-
Aktien besonders hoch ausfallen. Dort
betrug die annualisierteRendite zwi-
schen 2009 und 2019 rund13%. In der
laufenden Dekade sollen es laut den
Experten vonDWS und Invesco nur
noch 5,5% sein. Noch leicht darunter
erwarten sie dieRenditen voneuropäi-
schenTiteln, allerdings waren hier die
historischen Erträge mit gut 7% nicht
annähernd so hoch wie in den USA.
In den letztenJahren haben sich die
Aktien grosser Unternehmen (Large-
Caps) besser entwickelt als jene von
kleinen.Daran werde sich erst einmal
nichts ändern, weil Investoren in Zeiten
konjunktureller Unsicherheit die liqui-
derenWerte favoris ierten,heisst es etwa
bei NDR. Erst imAufschwung werde es
zu einer Umschichtung in Richtung der
Small-Capskommen. Ebenfalls fort-
setzen werde sich die Überlegenheit von
Wachstumsaktien (Growth) gegenüber
günstig bewertetenTiteln (Value). So-
lange dasTiefzinsumfeld Bestand habe,
und das werde noch lange so sein, seien
Unternehmen besonders gefragt,die ein
solidesWachstum versprechen.
Die auf absehbare Zeit vermutlich
niedrig bleibenden Zinsen wirken sich
natürlich auch auf die zu erwartenden
Anleiherenditen aus. Kommt es nicht
zu einem markanten Zinsanstieg, muss
zumindest nicht mit ebensolchenKurs-
verlusten gerechnet werden. Allerdings
sind hier vor allem Staatsanleihen und
Papiere vonsoliden Unternehmen aus
Industrieländern so teuer, dass vieler-
orts mit mickrigen oder negativenRen-
diten zurechnen ist.
Kaum noch Renditenmit Bonds
Am ehesten lässt sich hier laut den An-
lagestrategen künftig etwas mit An-
leihen aus Schwellenländern verdie-
nen. Behalten die Experten vonDWS
recht, werden dieRenditen in diesem
Segment bei rund 6% proJahr liegen.
In d er Vergangenheit waren es knapp
7%. Etwas skeptischer sind die Analyti-
ker von Invesco, die hier von knapp 4%
ausgehen. Deutlich weniger für das ein-
gegangene Risikoentschädigt wird man
laut den Prognosen bei US-Hochzins-
anleihen.Historisch gab es dort mehr als
7% proJahr, künftig sollen es nur noch
3,5% sein.Trotz gedämpftenAussich-
ten dürfte unter dem Strich dierelative
Attraktivität von Aktien hoch bleiben.
Je weiter der Prognosehorizont, desto unsicherer dieVorhersagen. ILLUSTRATION JENS BONNKE
Märkte undMeinungen
«Grüne» ETF
im Kommen
MICHAEL FERBER
Nachhaltige Geldanlagen liegen mehr
denn je imTrend. Sparer und Anleger
wollen zunehmend Informationen dar-
über , wie ihreFinanzprodukte in Hin-
sicht auf ökologische, ethische und
soziale Aspekte abschneiden. Ange-
sichts der ultraniedrigen bis negativen
Zinsen ist aber auch der Blick auf deren
Kosten wichtig – liegen diese nicht in
einem gewissenRahmen, droht für den
Privatinvestor am Ende netto wenig
übrig zu bleiben.
Für Anleger, die mit ihren Investi-
tionen auch dasWohl des Planeten im
Auge haben,können folglich Engage-
mentsin nachhaltigen Exchange-Tra-
ded Funds (ETF) eine sinnvolleKom-
bination sein.ETF bildenFinanzmarkt-
indizes ab und haben denRuf eines
kostengünstigen Anlageprodukts. Laut
einer kürzlich publizierten Studie des
Finanzdienstleisters VZ Vermögens-
zentrum sind 134 der an der Schwei-
zer Börse SIXkotierten rund1500 ETF
explizit als nachhaltig klassifiziert. Dies
ergibt sich aus ihren Produktnamen, in
denenKürzel wie ESG oder SRI ent-
halten sind. ESG steht für «environ-
mental» (E), «social» (S) sowie «gover-
nance» (G), «SRI» für «sociallyrespon-
sible investment». In den vergangenen
zwei Jahren hat es einen deutlichen Zu-
wachs bei der Zahl nachhaltigerETF ge-
geben. Die meisten von ihnen bilden in-
dessen weiterhin Aktienindizes ab; der
Aufbau eines breit diversifiziertenPort-
folios über mehrere Anlageklassen hin-
weg ist jedoch kaum möglich.
Zwischen den nachhaltigenETF und
den ihnen zugrunde liegenden Indizes
gibt es deutliche Unterschiede. Anleger
sollten sich folglich vor dem Kauf dar-
über informieren, wie dieWertpapiere
ausgewählt werden und ob ihnen dies
zusagt. So gibt es beispielsweise den
Best-in-Class-Ansatz, bei dem Anbieter
die nachhaltigstenFirmen ausjedem
Wirtschaftssektor auswählen.Teilweise
kommen dabei auchAusschlusskriterien
zur Geltung, diesekönnen beispiels-
weise Unternehmen aus den Bereichen
Tabak, Alkohol oderWaffen betreff en.
Bei anderen Produkten handelt es sich
hingegen umFonds, die aufThemen wie
Wasser oder erneuerbare Energien set-
zen und in Aktien von Unternehmen
aus diesen Bereichen investieren.
Die Produkte etwas genauer zu ana-
lysieren, ist auch vor dem Hintergrund
zu empfehlen,dass nachhaltigeAnlagen
derzeit imFinanzsektor gross in Mode
sind. Anleger sollten sich derThematik
de s Greenwashing bewusst sein, heisst
es auch in der Studie. Darunter ist zu
verstehen, dass Produkte als nachhaltig
verkauft würden, obwohl der Anbieter
mit ihnenkeine wirkliche Nachhaltig-
keitsstrategie verfolgt.
Bei denKosten schneiden die Nach-
haltigkeits-Aktien-ETF indessenrecht
gut ab. Laut der Studie fallen die Ge-
bühren mit einemDurchschnitt von 0,
und 0,4% etwas höher aus als diejenigen
von «klassischen»ETF. Die Produkte
sind aber deutlich günstiger als ak-
tiv verwalteteFonds, bei denenFonds-
manager versuchen, besser abzuschnei-
den als der Markt.
Mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellen werdenauch
anden Börsenzueinem zukunftsträchtigenThema SEITE 20
Lange haben dieFinanzmärkte dieCorona-Epidemie
ignoriert –jetzt reagieren sie umso heftiger SEITE 21
ZumTeil werden
Produkte als nachhaltig
verkauft, hinter denen
keine Nachhaltigkeits-
strategie steckt.
Die Fondsgesellschaft
Robeco hält eine
Rezession in den
nächsten fünf Jahren
für unvermeidlich.
0,
1,
10,
100,
1929 39 49 59 69 79 89 99 09 19
Durchschnittliche Jahresrenditen in einzelnen Dekaden
In % –1,3 8,6 11,8 11,2 2,3 10,6 16,3 1,4 8,
QUELLEN: PICTET WEALTH MANAGEMENT, EIGENE BERECHNUNGEN NZZ Visuals/lea.
Entwicklung von Schweizer Aktien (in tausend Punkten)
NegativeRenditenüber eine Dekadesind selten