32 SPORT Montag, 2. März 2020
Der FC-Thun-Präsident Markus Lüthi fordert di e Liga
auf, inder Corona-Krise an die Grenzen zu gehenSEITE 30
Die ZSC Lions mit dem Topskorer Pi us Suter spielen sich
wie aus einem Guss an die SpitzeSEITE 31
IM SCHAUFENSTER
Dem Schweizer Eishockey droht wegen des Coronavirus eine Saison ohne Meister
Daniel Germann· Die Qualifikation der Eishockey-
Meisterschaft endete am Samstag mit dem Sieg der
ZSC Lions und dem Fall des SC Bern in die Klas-
sierungsrunde. Im Prinzip hätten amkommenden
Samstag die Play-offs und der Kampf gegen den
Abstieg beginnen sollen. Doch damitrechnet nie-
mand mehr. Nach demVeranstaltungsverbot, das
der Bundesrat amFreitag wegen des Coronavirus
erlassen hat, werden die Play-offs wohl frühestens
am 17. März anfangen.Wenn überhaupt.
Die Vertreter der zwölfA- und B-Klubs treffen
sich am Montagin Ittigen bei Bern zueiner aus-
serordentlichenVersammlung, an der das weitere
Vorgehen besprochen wird. Klar ist einzig: Nie-
mand will wie in den letzten beiden Qualifikations-
runden ohne Publikum weiterspielen. Stellvertre-
tend für alle sagt der Zuger CEOPatrick Leng-
wiler , Zuschauer und Sponsoren seien einTeil des
Eishockey-Geschäfts. Ohne sie weiterzuspielen,er-
gebekeinen Sinn.
Noch gibt es eine leise Hoffnung, dass der Bun-
desrat dasVeranstaltungsverbot in zweiWochen
aufheben wird. In demFall wäre es möglich, die
Play-offs vor Beginn der Eishockey-Weltmeister-
schaft in der Schweiz (8. bis 24. Mai) im üblichen
Rahmen auszutragen. Peter Zahner, der CEO der
ZSC Lions, sagt, theoretischkönnten die Play-offs
bis zumWochenende vor demWM-Beginn gespielt
werden.«Wir befinden uns in einerAusnahmesitua-
tion, in der alleParteienKonzessionen machen
müssen.Wenn dieVorbereitungszeit der Natio-
nalmannschaft beschnitten wird, ist das zwar nicht
optimal, aber verkraftbar.»
Zahner und seine Ligakonkurrenten klären der-
zeit ab, wie weit ihre Spielstätten über den geplan-
ten Terminrahmen hinaus verfügbar wären.Das
Zürcher Hallenstadion und dieLausannerVau-
dois-Arena sind Schauplätze der WM.In d er Ber-
ner Postfinance-Arena findet ab dem 24.April die
Frühjahrsmesse BEA statt. Selbst wenn sich der
SCB nicht für die Play-offs qualifiziert hat,ist di e
Saison für ihn noch nicht zu Ende.
Es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahr-
scheinlich, dass all die Abklärungen sinnlos sind.
Das Coronavirus wird in denkommenden zwei
Wochen kaum verschwinden. Der Epidemio-
loge Richard Neher sagte der«NZZ am Sonn-
tag», seine Berechnungen deuteten darauf hin,
dass die Corona-Erkrankungen in Europa erst im
Frühsommer ihren Höhepunkt erreichten. Stimmt
seine Prognose nur ansatzweise, wird der Bundes-
rat dasVeranstaltungsverbot nicht aufheben, son-
dern eher ausweiten. Neben den Play-offs oder der
Fussball-Meisterschaft würde dann wohl auch die
Eishockey- WM abgesagt werden.Gemässdem Prä-
sidentenRené Fasel hat der internationaleVerband
eine Deadline bis Ende März gesetzt, um die WM
allenfalls abzusagen.
Bereits jetzt werden immer mehr Sport- und
auch andere Grossveranstaltungen in der Schweiz,
aber auch imAusland abgebrochen oder ganzstor-
niert. Betroffen sind bis jetzt unter anderem der
Engadin Skimarathon, dasFormel-1-Rennen in
Schanghai, die Leichtathletik-Hallen-Weltmeis-
terschaften oder dieRadrundfahrt in denVerei-
ni gten Arabischen Emiraten.Früher oder später
werden auch die beiden grössten Sportanlässe des
kommenden Sommers, die paneuropäischeFuss-
ball-Europameisterschaft und die Olympischen
Sommerspiele inTokio, unter Absagedruck gera-
ten.Der Kanadier RichardPound,das dienstälteste
Mitglied im IOK, hat vergangeneWoche in einem
Interview mit der Nachrichtenagentur AP offen
über eine Absage der Spiele nachgedacht.
Die Vertreter der Eishockey-Nationalliga müs-
sen am Montag in Bern dieFrage beantworten,
welcher Schaden für sie grösser ist: auf die Play-
offs zu verzichten oder sie notfalls ohne Zuschauer
auszutragen. Zumindest fürPeter Zahner ist die
Antwort klar. Er sagt: «Play-offs ohne Zuschauer
verursachen für jeden einzelnen beteiligten Klub
einen finanziellen Schaden in Millionenhöhe.»
Infrastruktur muss gemietet werden. Es entstehen
Reise- undVerpflegungskosten. Und nicht zuletzt
müssen die erfolgreichen Klubs ihren Spielern Prä-
mien entrichten, die meist aus den Zuschauerein-
nahmen finanziert werden.
Eine Absage der Eishockey-Meisterschaft wird
es am Montag nicht geben. Man wird den Play-off-
Startverschieben und auf einWunder hoffen.Doch
das ist ein Spiel auf Zeit. Denkbar ist,dass die Qua-
lifikationstabelle als Schlussrangliste gewertet wird.
Doch das, sagt Zahner, wäre eine Meisterschafts-
entscheidung, wie sie niemand wolle. Wahrschein-
licher ist deshalb, dass die Saison 2019/20 am Sams-
tag ohne Meister zu Ende gegangen ist.
Der Preis für die Erfolge der letzen Jahre
Der SC Be rn verpasst zum zweiten Mal nach 2014 die Play-offs – in der Kritik steht vor allem der Sportchef
DANIEL GERMANN
Natürlich ist es dem Zufall geschuldet,
und doch war es nicht frei vonSymbo-
lik, dass der definitive Sturz des SC Bern
in die Klassierungsrunde mit demrapi-
den Kurszerfall der Aktien an den Bör-
sen zusammenfiel. In derFinanzsprache
nennt sich dies dannBärenmarkt.
Der SC Bern trägt denBären in sei-
nem Wappen. Und jetzt, nach demVer-
passen der Play-offs , haben es alle ge-
wusst.Dieselben Leute, die sich noch vor
wenigenWochen, jaTagen, ganz sicher
waren, dass den Bernern die Schmach
erspart bleibt,hatten unmittelbar nach
der Schlusssirene bereits schlüssige Er-
klärungen parat,weshalb es nun doch
nicht gereicht habe. All ihnen lieh Ueli
Schwarz die Stimme, als er auf dem Sen-
der My Sports sagte: «Zuerst warJalo-
nen der Richtige für den Umbruch,zwei
Monate später nicht mehr. Die oberste
Führung sagte im Kluborgan,dieJungen
seiennicht gutgenug. Das ist eine Ohr-
feige für alleJuniorentrainer, eine Ohr-
feige für alle jungen Spieler. Nun hat
man die Quittung: Es willkein junger
Spieler mehr nach Bern. BeimJagen von
Titeln und Punkten hat man vergessen,
dass es auch noch eine Zukunft gibt.»
Schwarz hat immerhin eine gewisse
Legitimation,um über den SC Bern und
sein Innenleben zu urteilen. Er war ab
Herbst1997 ein gutesJahr langTrainer
im Klub gewesen, ehe er sich freiwillig
zurückzog. Sein Engagement fiel in die
turbulenteste Phase, als der SCB haar-
scharf amKonkurs vorbeischrammte.
Kein Defizit mehr seit 2001
Damals war Marc Lüthi eben als CEO
eingestiegen. Er trimmte den Klub zu-
erst wirtschaftlich, dann auch sportlich
auf Erfolgskurs. Seit 2001 hat der SCB
kein Defizit mehr geschrieben. Er ge-
wann 2004, 2010, 2013, 2016, 2017 und
2019 sechs Meistertitel.Die Nachwuchs-
abteilung SCBFuture gewann in die-
sem Frühjahr in den beiden wichtigsten
Nachwuchskategorien, bei den U-20-
und U-17-Elite-Junioren, dieRegular
Season.RomanJosi, der beste Schwei-
zer Spieler der Gegenwart, stammt aus
dem Nachwuchs des SCB. Nico Hischier
reifte dort zum ersten Schweizer Num-
mer-1-Draftpick in der NHL. Macht ein
Klub, der so viele Erfolge gefeiert hat,
der so viele aussergewöhnliche Spieler
hervorbringt, wirklich so viel falsch?
Der Sport lebt vom Moment, des-
halb ist die Kritik am SCB und an sei-
ner Führung berechtigt.Möglicherweise
machte sich in Bern tatsächlich Selbst-
zufriedenheit breit. Es war einFehler,
den Meistergoalie Leonardo Genoni
durch denrelativ unerfahrenen Niklas
Schlegel zu ersetzen. Es war einFehler,
dem 36-jährigen Andrew Ebbett noch
einmal einenVertrag zu geben. Es war
ein Fehler, trotz schlechtem Saisonstart
den Vertrag mit demTrainer KariJalo-
nen zu verlängern.Jalonens Ablösung
EndeJanuar kam zu spät, der Nachfol-
ger HansKossmann hattekeine echte
Chance. Wir wissen es, heute.
Doch als der SCB SchlegelsVer-
pflichtung bekanntgab, wurde er für
den Mut gelobt, auf eine Schweizer
Lösung zu setzen. Man hätte nicht ver-
standen,wenn Ebbett trotz seinenFüh-
rungsqualitäten auf und neben dem Eis
keinen neuenVertrag erhalten hätte.
Und der SCB wurde kritisiert,als er im
August dem Druck vonJalonensAgent
nicht sofort nachgab, als dieser auf eine
Vertragsverlängerung für seinen Man-
danten zu drängen begann. Die freiwil-
lige Trennung von jenemTrainer, der
den SCB in dreiJahren dreimal zum
Sieg in der Qualifikation und zwei-
mal zumTitel geführt hatte, war keine
Option.
Doch weil der Misserfolg ein Gesicht
braucht, steht nun der Sportchef Alex
Chatelain in der Kritik.DieWahrschein-
lichkeitist gross , dass er seinenJob ver-
lieren wird.Chatelain holte den falschen
Torhüter, Chatelain holte die falschen
Ausländer. Doch Schlegel erreichte mit
Lugano aufKosten des SCB die Play-
offs. Mark Arcobello war erneut der
zweitbeste Skorer der Liga,Tomi Kar-
hunen statistisch sogar der besteTor-
hüter. Beide hat er verpflichtet.
Eine Blutauffrischungreicht
Der SCB ist am Ende einer sportlich
erfolgreichen Phase angelangt. Doch er
brauchtkeinen Neuanfang; eine Blutauf-
frischungreicht. Mit Simon Moser hat
er weiterhin den wohl führungsstärksten
Captain, mitRamon Untersander und
CalleAndersson zwei der besten Offen-
sivverteidiger der Liga imTeam.Tristan
Scherwey ist ein Energiespieler, der sei-
nen Zenit noch nicht überschritten hat.
Inti Pestoni spielte in Bern trotz einer
langenVerletzungspause besser, als er es
zuvor bei den ZSC Lions und inDavos
getan hatte. Mit Yanik Burren, André
Heim, Colin undJeremi Gerber haben
vier eigeneJunioren imTeam Fuss ge-
fasst. Der junge Mika Henauer gilt als
Talent mitPotenzial. Mit PhilipWüth-
rich kehrt auf nächste Saison einTor-
hütertalent aus dem eigenen Nachwuchs
aus Langenthal zumTeam zurück.
Will tatsächlichkein junger Spieler
mehr in Bern spielen?
Sven Helfensteinsagte in derselben
Sendung auf My Sports:«Wenn du ein-
mal Probleme hast, dann nehmen die
eine Eigendynamikan. Die Spiele sind
so eng. Das haben wir letzte Saison ge-
sehen. Die ZSC Lions haben die Play-
offs verpasst. Und was haben sie per-
sonell auf diese Saison verändert? Sehr
wenig. DiesesJahr sind sie mit praktisch
derselben Mannschaft durch die Quali-
fikation gelaufen.Wir müssen uns lang-
sam eingestehen, dass die Meisterschaft
extrem ausgeglichen ist und es jedes
Jahr einen der Grossen treffen wird.»
Das war zwar nicht ganz so pointiert
wie dieAnalyse von Ueli Schwarz. Doch
wahrscheinlich liegen Helfensteins
Worte näher bei derWahrheit.
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Der Meister ist tief gefallen – Ramon Untersander (links) und AlainBerger nach der 2:3-Niederlagein Lausanne. GILLIERON/KEYSTONE