Der Stern - 13.02.2020

(singke) #1
FOTOS: ROBERT HARDING/MAURITIUS IMAGES; KIKE CALVO/UIG / FOTOFINDER; JUERGEN RITTERBACH / VARIO IMAGES

W


er nach Cartagena kommt, der
vielleicht schönsten Stadt der
Karibik, diesem Schauplatz
zahlreicher Seeschlachten,
Schönheitswettbewerbe, Gar-
cía-Márquez-Romane, erhält
schnell zwei Tipps: Erforsche die kolonia-
le Altstadt. Und mach eine Exkursion zu
den vorgelagerten tropischen Inseln.
„Man kann das natürlich so machen“,
sagt Rodrigo Arcila, 38, Surfer, Taucher,
Koch, Leseratte und Naturschützer in einer
Person. „Aber das machen alle. Beides ist
sehr überlaufen. Ich zeige lieber Geheim-
tipps.“ Arcila kam vor zwei Jahren zurück
nach Cartagena im Norden Kolumbiens. Er
war vor der allgegenwärtigen Gewalt im
Land geflohen und hatte mehrere Jahre in
Spanien gelebt. Mit dem Frieden in Kolum-
bien kehrte er in seine Heimat zurück und
warf einen neuen Blick auf seine Stadt.
Das historische Zentrum Cartagenas ist
tatsächlich eine Art Märchenkulisse aus
prachtvollen Palästen, engen Gassen und
dicken Festungsmauern der frühen Kolo-
nialzeit, die perfekte Szenerie für „Pirates
of the Caribbean“. Aber es ist auch sehr
überlaufen, ausgerichtet auf Touristen, das
Essen überteuert, die Schönheit fast zu
makellos. Hier lebt bis heute die Aristokra-
tie der Stadt, wie schon zu Kolonialzeiten.
Man sollte sich in der Altstadt die Perlen
herauspicken, empfiehlt Arcila, etwa den
urigen Buchladen Ábaco mit der großen
Sektion von Gabriel-García-Márquez-Ro-
manen. Das Gefängnisrestaurant Interno,
in dem die Insassinnen die Gäste bekochen,
bedienen und manchen Plausch führen,
unter ihnen Mörderinnen, Terroristinnen
und Diebinnen. Das Kochstudio am Markt-
platz, wo man die Rezepte der karibischen
Küche lernen kann. Die schummrigen Bars

am Rand des Zentrums mit viel frischem
Fisch und wenig Firlefanz.
Oder man geht, wie Rodrigo Arcila rät,
gleich ins benachbarte Viertel Getsemani,
wo einst die Fischer lebten und heute noch
viele Hafenarbeiter. Dort, in den schmale-
ren Gassen und Kaschemmen, ist das
echte Leben Cartagenas anzutreffen. Die
Häuser sind kleiner, aber ähnlich bunt und
charmant. Die Wände nicht nett verputzt,
sondern mit Graffiti besprüht, darunter
viele fantasievolle Wandgemälde. Das Le-
ben ist ruhiger, aber es riecht nach Zimt
und Mangos und Schweiß und den salzi-
gen Winden der Meere, wie es García Már-
quez in seinen Romanen beschreibt. Mit
etwas Einbildung begleitet einen sein
magischer Realismus auf jedem Meter.
Wie jede Stadt in Lateinamerika ist auch
Cartagena eine mit zwei Gesichtern: der
hübsche, sichere Kern für die Reichen. Und
drum herum der große Rest für den gro-
ßen Rest.

Schatzsuche im Archipel


Typisch für Cartagena: überall Wasser –
Meer. Buchten. Hafenbecken. Von der Mole
zwischen Altstadt und Getsemani gehen
schon in aller Frühe die Bootsfahrten hi-
naus auf die Isla Grande und die Islas del
Rosario, zu einem Archipel aus feinen
Sandstränden, Kokospalmen und man-
chem Fort, wo sich die Spanier und Eng-
länder im 18. Jahrhundert große See-
schlachten lieferten. Noch immer werden
hier viele Schätze in mehr als 1000 Schiffs-
wracks vermutet. Erst vor vier Jahren wur-
de das Wrack der legendären spanischen
Galeone „San José“ entdeckt, die das ge-
plünderte Gold und Silber der Anden
transportierte – im heutigen Wert von
mehr als 20 Milliarden Dollar.
Rodrigo Arcila bringt seine Gäste im
Morgengrauen in einem Schnellboot auf
seine eigene kleine Insel aus einigen Pal-
men und feinem weißem Strand. Es ist
einer jener karibischen Tage mit 35 Grad
Hitze und schwüler Luft, an denen selbst
der Fahrtwind kaum Abkühlung bringt.
Arcila hat die Insel nicht entdeckt, aber sie
lag vor der Küste wie unbenutzt, also pach-
tete er sie mit einigen anderen und führt
nun seine Gäste von hier auf Schnorchelex-
kursionen der etwas anderen Art ins Koral-
lenriff. „Die Leute sollen bei mir etwas ler-
nen“, sagt er. „Über die Rettung der Natur.“
Arcila springt mit Badehose ins 28 Grad
warme Wasser und führt die Schnorchler
in ein Reich aus bunt gestreiften Fischen,
„mit Glück sind Hammerhaie darunter
und Rochen, die es sonst kaum noch zu
sehen gibt“. Aber wichtiger sind ihm die

Gesichter einer Stadt: Eisladen im
kolonialen Zentrum von Cartagena (o.).
Im Club „Donde Fidel“ tanzen die
Gäste Salsa (M.). Vor Jahrhunderten
fand auf der Plaza de los Coches
ein Sklavenmarkt statt, heute ist der
Platz ein beliebter Treffpunkt (u.)

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REISE


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