FOTOS: GETTY IMAGES; HAZEL THOMPSON/STERN
Wenn Nigel Slater reist, dann um zu
verschwinden. Er tut das einmal im
Jahr für stets vier Wochen. „Es ist
schön, wenn mich die Leute ken-
nen.“ Er liebe das, sagt er. „Ist aber
auch schön, wenn sie mich mal nicht
kennen.“ Und in Japan sei das so.
Erkannt wird Nigel Slater in Lon-
don, auf den Britischen Inseln und
überhaupt in der englischsprachigen
Welt. Wenn Passanten ihn anspre-
chen, dann meist so: „Ich habe ihr
Soundso gekocht – war irre lecker!“
Nigel Slater schreibt Rezepte.
Wie in Fernost könnte Slater auch
in Deutschland abtauchen, da kennt
ihn ebenfalls kaum wer. Dass sich
das ändert, dafür diese Zeilen.
Im April wird Slater 64, und seit
mehr als 25 Jahren schreibt er in
„The Observer “, dem linksliberalen
Sonntagsblatt – der geistigen Leber
jener Briten, die noch kritisch wa-
chen Blickes über ihren Tellerrand
schauen. Die Zeitung filtert all jene
Bitterkeiten und Gifte aus der Nach-
richtenlage, die Populismus und
„Fake News“ einem zu schlucken ge-
ben. Nachschlag gibt es täglich.
Die aufrechte Haltung des „Ob-
server“ ist insofern von Belang, als
selbst die Kochrezepte dort ethisch
korrekt sind. „Sein müssen!“, sagt
Slater. „Sonst steigen mir die Leser
aufs Dach.“
Slater schreibt Rezepte, wie die
Welt sie braucht. Mit verhältnismä-
ßig wenigen Zutaten und mit der
Haltung eines Menschen, der die
klassische Restaurantküche zwar
noch gelernt, wohl aber hinter sich
gelassen hat. Er konzentriert sich
auf das, was man zu Hause kochen
und essen kann. Immer köstlich,
immer umsetzbar – und nie teuer.
Die Rezepte spiegeln das Interesse
für sämtliche Aromen, welche die
fremden Küchen Londons so ver-
strömen – und sie sind ähnlich
unterschiedlich wie in New York.
London ist die kulinarische Welt-
hauptstadt, nicht Paris.
„Ich habe nie sehr britisch ge-
kocht“, sagt Slater, „sondern das, was
mir schmeckt. Woher es stammt, ist
mir gleich.“
Viele seiner Bücher sind schon auf
dem deutschen Markt, aber weniger
verbreitet als etwa die von Jamie
Oliver – der ist ein Popstar, Oliver
begeistert die Massen. Slater ist eher
der Typ Wanderprediger, dem die
Jünger folgen, und wenn er sich mit
einer Eingebung unter einer Tere-
binthe niederlässt, so lagern sie sich
um ihn.
Slaters neues Buch heißt „Green-
feast: Frühling/Sommer“. Wie es
der Titel schon sagt, feiert es jedwe-
des Grünzeug – ohne dass es gleich
ein vegetarisches oder veganes Buch
wäre; wo etwa Parmesan, Sahne
und Speck sinnvoll sind, baut Slater
sie ein.
Seine gemüsige Küche sei, sagt er,
eigentlich privat und Ausdruck
seiner Altersreife. Er habe an sich
bemerkt, dass er in der Menge we-
niger esse als früher und in der
Substanz zunehmend pflanzlich.
Das sei keine Anbiederung an
den Zeitgeist, das sei schlicht so
gekommen. „Im Übrigen ist es
tatsächlich so, dass wir unser Ess-
verhalten ändern müssen“, sagt er.
„Ich muss es auch, und meine Leser
verlangen es.“
„Greenfeast“ beruht auf den über
Jahre hinweg abendlich notierten
Eintragungen dessen, was er sich
selbst so köchelt, wenn er den Tag
beschlossen hat. Er ist dann phy-
sisch im Grunde platt und würde
gern nur noch abhängen, muss aber
irgendetwas essen und schnippelt
sich Schlichtes.
Ist das nicht auch unsere Lage?
Die von jedermann und jederfrau,
die müde heimkehren und die Bei-
ne hochlegen wollen? So ist es, mit
dem Unterschied, dass Hans und
Franzi, wenn sie sich noch schnell
„was schnippeln“, in ihrer Verloren-
heit zur Tiefkühlpizza greifen.
Slater dagegen ist begabt, und so
sind aus seinem Privatansatz über
300 Seiten Lebenshilfe entstanden.
„Greenfeast“ ist ein Vademecum der
Kochideen für Niedrigenergiepha-
sen, es ist ein Buch voll köstlicher
Rescue-Tropfen. Ein Beispiel: Er
dämpft sich ein paar Süßkartoffeln,
zerdrückt und batscht sie sich zu
Küchlein, paniert sie mit zitronig-
estragonig gewürzten Bröseln, brät
und serviert sie in einen Basilikum-
Tomaten-Sauce.
Wie arbeitet nun der Mann? Das
Wichtigste ist das Schreiben, nur
klar formulierte Rezepte machen
die Leser glücklich. Morgens sitzt er
ab sechs am Tisch und schreibt kon-
zentriert so bis um zehn. Dann
durchatmen. Mittags steht er in der
Versuchsküche seines Hauses, er
W
Slater schreibt
Rezepte, wie die
Welt sie braucht
Treffen sich zwei
Genuss-Kolumnisten:
stern-Autor Gamer-
schlag (r.) am
Tisch von Slater
50 13.2.2020
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