Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

DIE ZEIT: Herr Koboljew, die Amerikaner ha-
ben Sanktionen gegen Nord Stream 2 verhängt.
Sind Sie glücklich?
Andrij Koboljew: Diese Sanktionen sind jeden-
falls sehr nützlich für die Energiesicherheit Eu-
ropas und der Ukraine.
ZEIT: Warum? Sie verzögern die Fertigstellung
der Pipeline doch nur.
Koboljew: Diese Sanktionen werden Nord
Stream 2 stoppen. Die russische Seite verfügt
nicht über die nötige Technologie, um das Projekt
fertigzustellen.
ZEIT: Die russische Seite hat wiederholt betont,
dass sie sehr wohl in der Lage sei, Nord Stream 2
fertigzustellen, nur eben mit Verzögerungen.
Koboljew: Sie sollten sich als Journalisten bewusst
sein, mit wie viel Desinformation gearbeitet
wird, Russland ist da führend. Wenige Tage bevor
die Sanktionen in Kraft traten, versuchten Deut-
sche und Russen, die Amerikaner davon zu über-
zeugen, dass die Sanktionen keinerlei Einfluss
auf Nord Stream 2 haben würden. Sie haben
vorsätzlich gelogen.
ZEIT: Wann fing Naftogaz seinerseits an, in den
USA für Sanktionen zu lobbyieren?
Koboljew: Wir haben 2014 begonnen und nie ein
Geheimnis daraus gemacht, dass Nord Stream 2
schädlich ist für Europa, für den Gasmarkt und
auch für die Ukraine. Wir mussten den Senatoren
und Kongressabgeordneten erklären, dass ihre
Sanktionen das Projekt erst mal stoppen und
wahrscheinlich ganz verhindern könnten.
ZEIT: Hat die deutsche Regierung zu wenig So-
lidarität gezeigt mit der Ukraine?
Koboljew: Nicht nur die Ukraine ist über dieses
Vorhaben unglücklich, sondern auch Polen, Est-
land, Lettland, Litauen. Die EU versagt in vielen
Bereichen, in denen sie Solidarität zeigen müsste.
Aber es geht nicht nur darum. So wie die deut-
sche Regierung Nord Stream 2 gefördert hat,
handelt sie den Interessen europäischer und vor
allem der deutschen Verbraucher zuwider.
ZEIT: Warum?
Koboljew: Die Gegner von Nord Stream 2 sind
nicht gegen das Projekt an sich, sondern gegen die
Art und Weise, wie dabei alle europäischen Regeln
umgangen werden. Darum geht es uns: Diese
Pipeline verstößt gegen europäische Wettbewerbs-
gesetze! Gazprom sollte nicht der einzige Lieferant
sein. Die große Frage ist, warum die deutsche Re-
gierung ihre Unterstützung für Nord Stream 2
nicht dazu benutzt, Gazproms Gasmonopol auf-
zubrechen. Das kann ich nicht fassen. Wenn die
Pipeline so gebaut werden sollte wie geplant, dann
wird das weder die Wettbewerbsfähigkeit vergrö-
ßern, noch werden die Preise fallen.
ZEIT: Eines der Hauptargumente gegen Nord
Stream 2 ist, dass die Ukraine sehr viel Transit-
geld verlieren würde.
Koboljew: Ich sehe den Verweis auf die Ukraine
als Ablenkungsversuch von dem eigentlichen
Problem, das die Europäer viel mehr angeht:
Wettbewerbsfähigkeit.
ZEIT: Warum sind Sie dann eher still, wenn es
um TurkStream geht, die neue Pipeline von
Russland in die Türkei?
Koboljew: Natürlich besorgt uns das auch. Aber
der Unterschied ist offenkundig: Die Türkei ist
kein Mitglied der EU, hat kein Assoziierungs-


abkommen mit uns unterzeichnet und uns keine
Solidarität versprochen. Aber die Türkei verhält
sich auch anders als die EU. Die Türken haben
keine Angst davor, die Russen, die Iraner und
andere herauszufordern, um ihren Gasmarkt zu
diversifizieren. Das erstaunt umso mehr, als die
Verhandlungsmacht der Türkei im Vergleich zur
EU viel kleiner ist.
ZEIT: Sie haben sich gerade in letzter Minute mit
Russland auf ein Abkommen über den Gastran-
sit durch die Ukraine bis 2024 geeinigt. Sind Sie
damit zufrieden?
Koboljew: Es ist ein akzeptabler Kompromiss:
Wir erhalten 2,9 Milliarden Dollar, die uns das
Schiedsgericht in Stockholm an Kompensation
zugesprochen hat. Im Gegenzug verzichten wir
auf Forderungen von zwölf Milliarden Dollar in
einem neuen Schiedsverfahren. Und wir haben
eine Transit-Laufzeit bis 2024.
ZEIT: Und was passiert danach?
Koboljew: Das hängt davon ab, ob Russland zu-
sätzliche Röhren wie Nord Stream 2 fertig bauen
kann. Wenn das nicht gelingt, werden wir das
Transitabkommen für weitere 10 oder 20 Jahre
verlängern können. Wenn es den Russen gelingt,
dann werden sie versuchen, unser System zu
umgehen.
ZEIT: Sie kaufen ihr Gas nicht direkt bei den
Russen ein, sind aber ein wichtiges Transitland
für Russland. Wie haltbar ist langfristig so eine
geteilte Geschäftsbeziehung?
Koboljew: Wir sehen hier keinen Widerspruch.
Transport und Handel sind komplett getrennte
Geschäftszweige. Für uns stellt es sich so dar:
Die Russen haben uns nie einen angemessenen
Marktpreis angeboten.
ZEIT: Also würden Sie gern russisches Gas kau-
fen, wenn der Preis stimmt?
Koboljew: Wir würden erwägen, jedes Gas zu
kaufen, wenn der Preis stimmt. So läuft das Ge-
schäft. Allein politische Entscheidungen könnten
das am Ende verhindern, aus Sicherheitsgründen
zum Beispiel. Es gibt bei uns politische Diskussio-
nen, ob es eine gute Sache ist, von Russland zu
kaufen – aber das ist nicht unsere Entscheidung.
ZEIT: Die Bundesregierung hat ein Konsortium
vorgeschlagen: Internationale Unternehmen soll-
ten das ukrainische Röhrensystem modernisie-
ren. Was halten Sie davon?
Koboljew: Das könnte eine positive Entwicklung
für den europäischen und den ukrainischen Gas-
markt sein. Mit dem neuen Deal zwischen Russland
und der Ukraine einerseits und den Sanktionen der
Amerikaner andererseits erhöht sich die Attraktivi-
tät unseres Gastransportsystems. Es steht nun viel
besser da als noch 2019. Wir hoffen also, dass es ein
solches Konsortium irgendwann geben wird.
ZEIT: Überlegen Sie, Flüssiggas aus den USA zu
importieren?
Koboljew: Die Ukraine hat keine Flüssiggastermi-
nals. Wir profitieren aber davon, dass US-Flüssig-
gas auf dem europäischen Markt verkauft wird.
Die Preise fallen wegen des Überangebots. Wir
kaufen deshalb Gas billiger ein. Was wir nicht kön-
nen, ist, zusätzliche Sicherheit durch Flüssiggas-
terminals zu garantieren. Wir arbeiten aber daran.
ZEIT: Dafür müssten die Flüssiggasschiffe durch
den Bosporus ins Schwarze Meer fahren. Wie
weit sind die Verhandlungen mit der Türkei?

Der Chef des ukrainischen Energieversorgers Naftogaz über


den Streit mit Russen und Deutschen um Nord Stream 2,


die Macht der Oligarchen in seinem Land und den Klimaschutz Fotos: Paul Langrock/laif; Bloomberg/Getty (r.)


Pipelines von Russland nach Westeuropa


POLEN

DEUTSCH
LAND

RUSSL A ND

Schwarzes
Meer
Mittelmeer

Ostsee

Nordsee

Kiew

Moskau

Berlin

St.Petersburg

Warschau

ITA LIEN

UKRAINE

Jamal

Rus-Ukr-Slo

TÜRKEI

RUM Ä
NIEN

bestehende Gasleitungen
geplante Gasleitungen

Nord Nord Stream 2

Nord Stream 1

250 km

Z E I T-GRAFIK

Atlantik

Koboljew: Nicht weit. Die türkische Seite will die
Tankschiffe nicht durchlassen. Das hat nichts mit
Umweltfragen zu tun, denn die Türkei lässt Ammo-
niakschiffe durch den Bosporus, die wesentlich
gefährlicher sind, als Flüssiggasschiffe es je sein
könnten. Das ist reine Geopolitik.
ZEIT: Sie haben den verschuldeten Energiekonzern
Naftogaz zum Erfolg geführt, doch viele Menschen
greifen Sie für Ihre Arbeit an. Warum?
Koboljew: Naftogaz galt vielen als Hort der Kor-
ruption. Heute sind wir der größte Steuerzahler
für den ukrainischen Haushalt und bezahlen
16 Prozent des gesamten Aufkommens. Wir ar-
beiten mit vielen internationalen Unternehmen
zusammen. Wir kämpfen gegen jeden, der Nafto-
gaz Geld stehlen will, und wir setzen uns dafür
ein, die Unternehmensführung nach internationa-
len Standards zu reformieren. Aber viele würden
gern unser Management ersetzen in der Hoffnung,
dass dann korrupte Geschäftspraktiken wie vor
2014 wiederkehren.
ZEIT: Hat der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj den Einfluss dieser Leute eingedämmt?
Koboljew: Selenskyj steht vor der sehr komplexen
Aufgabe, einerseits die Oligarchen von der Macht
fernzuhalten, andererseits die ukrainischen Ge-
schäftsleute nicht zu verschrecken.
ZEIT: Viel ist da ja noch nicht geschehen ...
Koboljew: Das geht auch nicht in einem Jahr. Man
muss erst mal definieren, was eigentlich ein Oli-
garch ist. Dann muss man schauen, ob Oligarchen
zu fairen Geschäftsleuten werden können oder ob
es eine härtere Gangart braucht. In diesem Kampf

geht es um Regeln und um den Rechtsstaat, damit
sich die ukrainische Wirtschaft entwickeln kann.
ZEIT: Beunruhigt es Sie nicht, dass der Präsident
mit einem Oligarchen verbunden ist, der ebenfalls
Naftogaz angegriffen hat?
Koboljew: Er ist nicht mit ihm verbunden. Ich sehe
in Selenskyj einen Präsidenten, der für die Interes-
sen der Ukraine arbeitet.
ZEIT: Fühlen Sie sich manchmal allein?
Koboljew: Als CEO oder als Ukrainer?
ZEIT: Als Ukrainer.
Koboljew: Als Ukrainer bin ich beunruhigt. Ich
glaube, die Welt hat sich sehr von den Prinzipien
der Solidarität entfernt. Das zeigt sich auch beim
Kampf gegen die Erderwärmung.
ZEIT: Die Sorge teilen Sie mit Greta Thunberg.
Wie stehen Sie zu ihr?
Koboljew: Ich stimme Greta in vielem zu. Wir tun
nicht genug und werden das in Zukunft sehr bereu-
en. Ich glaube, die Welt wird sich bald mit ihrem
schieren Überleben beschäftigen müssen.
ZEIT: Das sagt der CEO eines Konzerns, der fossile
Brennstoffe verkauft!
Koboljew: Wir haben den Gasverbrauch in der
Ukraine erheblich gesenkt ...
ZEIT: ... ist das die vornehmste Aufgabe des CEOs
von Naftogaz?
Koboljew: Es ist nicht unbedingt meine Aufgabe,
aber Naftogaz bleibt sehr profitabel. Jede Firma
sollte nachhaltig Geschäfte machen. Wenn man vor
der Alternative »Profit oder Vermeidung von Emis-
sionen« steht, dann sollte man Letzteres wählen.
ZEIT: Und da verkaufen Sie dann Gas?

Koboljew: Gas ist von allen fossilen Brennstoffen
derjenige, der am wenigsten CO₂-Emissionen ver-
ursacht. Es ist deshalb am besten geeignet, um die
Grundlast für grüne Energie zu bieten.
ZEIT: Die Ukraine hat im Osten sehr viel Kohle.
Was soll damit geschehen?
Koboljew: Kohle sollte aus dem Energiemix heraus-
genommen werden. Und obwohl die Ukraine in der
Vergangenheit eine sehr schlechte Erfahrung mit
Kernkraftwerken gemacht hat, sollten wir Atomkraft
sehr vorsichtig als Ressource entwickeln, weil sie kli-
maneutral ist. Wir sollten auf jeden Fall erneuerbare
Energien ausbauen. Die Ukraine hat ein großes Po-
tenzial, Biogas zu produzieren. Als Getreideland
haben wir viel organisches Material dafür.
ZEIT: Wie lange wird Gas noch gebraucht werden?
Koboljew: Das hängt von unseren Hauptkonkur-
renten ab, Sonne und Wind. Der Fortschritt ist er-
staunlich ...
ZEIT: ... womit Ihr kommerzieller Tod unaufhalt-
sam näher rückt.
Koboljew: Naftogaz wird nicht sterben. Energie wird
immer gebraucht. Wer Energie in nachhaltiger Weise
liefert, wird Erfolg haben. Deshalb investieren wir
jetzt in Energieeffizienz und erneuerbare Energien.

Die Fragen stellten Alice Bota und Michael Thumann

»Sie haben


vorsätzlich


gelogen«^


Andrij Koboljew, 41, steht seit
sechs Jahren als CEO an der Spitze
des ukrainischen Energieversorgers
Naftogaz

Die Pipeline Nord Stream 2 soll russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland leiten – seit Jahren ist das Projekt umstritten.
Die Ukraine wäre der große Verlierer. Auch die USA fürchten ums Geschäft und warnen vor einem Machtgewinn Putins

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  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 WIRTSCHAFT 29


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