Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

WISSEN


HOCHSCHULE • PROMOTION


Runtergefahren


E-Mails, Zensuren, Forschungsdaten – alles weg. Für zwei Monate hatten Hacker die Universität Gießen lahmgelegt.
Mit den Folgen der Attacke kämpft sie bis heute. Eine Rekonstruktion VON CARLA BAUM (TEXT) UND MARIAN LENHARD (FOTOS)

Sonntag, 8. Dezember 2019
Am zweiten Advent bekommt Joybrato Mukherjee
den Anruf, vor dem sich jeder Chef fürchtet. Man
beobachte Auffälligkeiten im Computer-Netz-
werk, heißt es aus dem Rechenzentrum. Vermut-
lich ein schwerer Befall von Schadsoftware. Joy-
brato Mukherjee, der Präsident der Justus-Liebig-
Universität Gießen, weiß, was auf dem Spiel steht.
Forschungsdaten, Noten, Adressen von 28.000
Studierenden und 5500 Mitarbeitern. Mukherjee
bleiben nur wenige Minuten Zeit, um sich mit
den Mitarbeitern des Hochschulrechenzentrums
und seinem Vizepräsidenten zu beraten. Dann
entscheiden sie zusammen: Alle Server der Univer-
sität sollen kontrolliert heruntergefahren werden.
Die Uni ist Opfer eines Hackerangriffs gewor-
den. Die Folgen sind schon an diesem Sonntag-
abend spürbar: Die Website ist down. Studierende
kommen nicht mehr in die Lernplattform. Wis-
senschaftler können nicht mehr auf ihre Daten
zugreifen. Der Katalog der Bibliothek ist unbe-
nutzbar. Kurzum: Alle Prozesse, die in den ver-
gangenen Jahren digitalisiert wurden, liegen plötz-


lich auf Eis. Und irgendwann an diesem Sonntag
wird Mukherjee klar: Es dauert Wochen, vielleicht
Monate, bis die Universität sich von dem Angriff
erholen wird. In Gießen hat sich der bisher folgen-
schwerste Angriff auf das IT-Netz einer deutschen
Bildungseinrichtung ereignet.

Montag, 9. Dezember
Das Präsidium und die Pressestelle informieren die
Studierenden, die Mitarbeiter und die Öffentlichkeit
über den Hackerangriff. Der Präsident, die Kanzlerin,
die Pressestelle und der Leiter des Hochschulrechen-
zentrums bilden einen Krisenstab. Eine Ersatz-
Website wird eingerichtet, auf Twitter kursiert der
Hashtag #jluoffline. Mitarbeiter der Uni-Verwaltung
betreuen eine Telefonhotline. Studierende rufen an:
Woher kriege ich jetzt das Zeugnis, das ich für meine
Bewerbung brauche? Wie komme ich an die Daten
für meine Bachelorarbeit? Die häufige Antwort lau-
tet: Das geht gerade leider nicht.
Uni-Präsident Mukherjee spricht jetzt von
einem »schwerwiegenden IT-Sicherheitsvorfall«.
Am Nachmittag erstattet die Universität Straf-

anzei ge, das Landeskriminalamt übernimmt die
Ermittlungen. Die Beamten sollen herausfinden,
wer hinter dem Angriff steckt: eine Einzelperson?
Eine kriminelle Vereinigung aus dem Ausland? Bis
zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe werden die
Ermittlungen nicht abgeschlossen sein.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Hacker eine
Hochschule als Ziel suchen. In Großbritannien
verdoppelte sich die Zahl der Cyberattacken auf
Universitäten in den Jahren 2016 und 2017 auf
insgesamt 1152 Vorfälle. Für Deutschland gibt es
nur bekannte Einzelfälle. Vergangenen November
etwa meldete die Universität Kiel einen Angriff
auf ihr IT-System.
Wenn sie sich das Netz einer Uni als Opfer su-
chen, zielen Hacker meist auf das wichtigste Kapi-
tal einer Forschungseinrichtung ab – ihre wissen-
schaftlichen Daten. Das Geschäftsmodell ist ein-
fach: Ihr wollt eure Daten wiederhaben, die Ergeb-
nisse jahrelanger Forschungsprojekte, die euch
Exzellenzcluster sichern und zu internationalem
Ansehen verhelfen? Dann zahlt uns Summe X. In
England ergab eine Umfrage, dass an mehr als der

Hälfte der britischen Universitäten bereits For-
schungsdaten von Hackern gestohlen wurden.
An Tag eins nach dem Vorfall sagt der Gießener
Uni-Präsident in einem Pressestatement, dass es
kein Erpresserschreiben und keine Lösegeldforde-
rung gebe. Einige Tage später wird er gegenüber
der ZEIT und anderen Medien mutmaßen, dass
dies der schnellen Reaktion der Uni auf den An-
griff zu verdanken sei: Die Server seien wohl so
schnell heruntergefahren worden, dass die Hacker
keine Daten abgreifen konnten. Die Recherche
wird daran später Zweifel aufkommen lassen.

Dienstag, 10. Dezember
Eine Mitarbeiterin stellt einen Korb voller Süßig-
keiten auf den Schreibtisch des Präsidenten. »Off-
line-Support« steht auf der dazugehörigen Karte.
Unterstützung kommt auch von IT-Spezialisten des
Forschungszentrums Athene aus Darmstadt. Die
hessische Landesregierung hat schnell gemerkt, dass
der Angriff eine Nummer zu groß ist für das Rechen-

Fortsetzung auf S. 38

»Seit zwei Monaten
warten wir, dass
grundlegende Elemente
unseres Studiums
wieder funktionieren.
Inzwischen nervt
es einfach nur.«

Sophie Nagel studiert
Förderschullehramt

»Wie schnell eine Uni
zum Stillstand gebracht
werden kann, bereitet
mir große Sorgen. Was
uns da in Zukunft wohl
noch bevorstehen wird?«

Adi Aricoz
studiert Medizin

Am 8. 12. 2019
wurden die Uni
Gießen, ihre
28.500 Studie-
renden und 5500
Mitarbeiter
Opfer eines
Hacker-Angriffs

Können die Haare


ausfallen, wenn


man ständig einen


Pferdeschwanz


trägt?


Es gibt sogar einen Namen für das
Phänomen: Traktionsalopezie. »Alo-
pezie« ist das medizinische Wort für
Haarausfall, und »Traktion« hat et-
was mit Ziehen zu tun.
Die Haare mögen es nicht, wenn
ständig an ihnen gezerrt wird. Das
führt nicht nur dazu, dass mehr
Haare ausfallen als gewöhnlich. Durch
die Dauerbeanspruchung können
die Haarwurzeln auch verkümmern.
Dann wachsen zunächst immer dün-
nere Härchen nach, und irgendwann
sprießt gar nichts mehr – es entsteht
eine kahle Stelle.
So berichteten amerikanische Ärzte
2010 in der Zeitschrift Archives of
Dermatology von einer jungen Frau, die
im Alter von 17 Jahren mit kahlen
Stellen über den Ohren in ihre Praxis
kam. Sie tanzte seit ihrem vierten Le-
bensjahr Ballett, und ihr Vater band ihr
mehrmals pro Woche das Haar zu
einem straffen Dutt. Dieser Haarausfall
lässt sich nicht rückgängig machen. Bei
der jungen Frau verschlimmerte sich
die Sache noch, als sie ein schweres
Haarteil trug, um die kahle Stelle zu
kaschieren – nach sieben Jahren war sie
doppelt so groß.
Die Traktionsalopezie ist keine
Krankheit, ihr einziger Grund ist
die mechanische Beanspruchung des
Haars durch bestimmte Frisuren.
Zöpfe, Pferdeschwänze, Extensions –
alles, was zieht, kann die Ursache
sein. Es gibt Schätzungen, dass ein
Drittel aller afroamerikanischen Frau-
en, bei denen kunstvoll geflochtene
Frisuren aus vielen kleinen Zöpfchen
populär sind, darunter leidet. Sehr
lange Haare können allein durch ihr
Gewicht an der Wurzel zerren, eben-
so wie Lockenwickler und häufiges
Bürsten. Männer, die ihre Haare zu
einem Dutt binden, sind genauso
betroffen, etwa Anhänger der Sikh-
Religion.
Niemand muss nun ganz auf
Zöpfe und Dutts verzichten. Man
sollte darauf achten, die Frisuren
nicht zu straff zu binden. Sobald es
schmerzt, fühlt sich auch die Haar-
wurzel nicht wohl. Und in regelmä-
ßigen Abständen sollte man dem
Haar eine Verschnaufpause gönnen –
und es frei flattern lassen.
CHRISTOPH DRÖSSER

Stimmt’s?


... fragt Anne Stöß aus
Karlsruhe

Die Adressen für
»Stimmt’s«-Fragen:

DIE ZEIT, Stimmt’s?,
20079 Hamburg,
oder [email protected].
Das »Stimmt’s?«-Archiv:
http://www.zeit.de/stimmts

A http://www.zeit.de/audio

Illustration: Armando Veve für DIE ZEIT


  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 37

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