Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Dr.


70 %
sagen, dass die Promotion eine hohe
persönliche Bedeutung für sie hat

73 %
sagen, ihre Forschung
macht Spaß

20 %
Jeder fünfte Doktorand kann nicht
mal zehn Stunden pro Woche für
das Promotionsvorhaben aufwenden

70 %
sagen, dass sie sich
finanziell ausreichend
abgesichert fühlen

60 %
rechnen sich durch den
Doktortitel später bessere
Berufschancen aus

40 %
der Geisteswissenschaftler sagen,
dass sie nach der Promotion gerne
an der Uni bleiben würden


  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 WISSEN 39


Akademisches Sprungbrett


Doktoranden in Deutschland forschen mit wenig Zeit, kleinen Gehältern und großer Leidenschaft.
Eine große Studie zeigt jetzt, wie es ihnen geht – und was sie sich von ihrer Arbeit versprechen VON ASTRID HERBOLD

Das ergab


die Befragung


Unterbezahlt und unzufrieden?
Keineswegs! Doktorandinnen
und Doktoranden in
Deutschland fühlen sich finanziell
ausreichend abgesichert, forschen
mit großer Leidenschaft. Dies
zeigt jetzt eine neue Studie des
Deutschen Zentrums für
Hochschul- und Wissenschaftsfor-
schung (DZHW), die der ZEIT
vorliegt. Mit mehr als 20.000
Teilnehmern ist sie die bislang
umfangreichste Befragung unter
Promovierenden in Deutschland.
Sie zeichnet das Bild einer
optimistischen Generation, die sich
trotz hoher Arbeits belastung mit
ihrem Forschungsprojekt identifi-
ziert. Beim Promovieren spielen
wissenschaftlicher Idealismus genau
wie pragmatische Gründe eine
Rolle. Die Hälfte der Befragten hält
den Doktortitel für die eigenen
Karrierepläne für notwendig. Die
Promovierenden sind im Schnitt
31 Jahre alt.
Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie
überwiegend mit befristeten
Teilzeitstellen. 60 Prozent sind an
einer Hochschule oder Forschungs-
einrichtung angestellt, 17 Prozent
arbeiten außerhalb der Wissenschaft.
16 Prozent der Doktoranden erhalten
ein Stipendium; 13 Prozent werden
von Eltern oder Partnern unterstützt.
Das klingt nach prekären Umständen,
scheint für die meisten aber in
Ordnung zu sein: Über 70 Prozent
sagen, dass sie sich finanziell
ausreichend abgesichert fühlen.
Auffällige Unterschiede gibt es
zwischen den Fächergruppen:
Während 77 Prozent der Doktoranden
in den Ingenieurswissenschaften an den
Hochschulen eine Vollzeitstelle
haben, müssen sich 84 Prozent der
Geisteswissenschaftler mit Teilzeit-
stellen begnügen. Die Ergebnisse zeigen
aber auch, wie schwer es manchen
Doktoranden fällt, angesichts paralleler
beruflicher Verpflichtungen genug Zeit
für die eigene Forschung freizuschaufeln.
Und für viele bleibt auch die Familien-
gründung auf der Strecke:
83 Prozent der Promovierenden sind
noch kinderlos.

Die Ergebnisse der Befragung
können nachgelesen werden unter:
https://nacaps-datenportal.de

PROMOTION


»Zum Leben


eher wenig Geld«


»Ich habe eine 50-Prozent-Stelle in einem For-
schungsprojekt. Das ist eigentlich zum Leben
eher wenig Geld, aber diese Einschränkungen
nehme ich für den eigenen Forschungstraum
in Kauf. Anders als meine ehemaligen Kollegen
in New York, mit denen ich nach einem Aus-
landsjahr noch eng in Kontakt bin, muss ich
mich wenigstens nicht verschulden. Nebenher
arbeite ich für andere Projekte, führe statisti-
sche Auswertungen durch und gebe Seminare.
Lehraufträge an der Uni sind extrem prekär
bezahlt, da kriegt man fürs ganze Semester
rund tausend Euro. Wenn ich das auf einen
Stundensatz umrechne, liege ich deutlich unter
Mindestlohn. Aber man macht das ja ohnehin
mehr aus intrinsischer Motivation. Die Dis-
sertation bleibt wegen der vielen weiteren Ver-
pflichtungen leider manchmal auf der Strecke.
Mich nicht zu verzetteln, das ist für mich die
größte Herausforderung.
Ich forsche über Segregation an Berliner
Grundschulen – darüber, wie Eltern teilweise
massiv die Einzugsgebiete umgehen und welche
Auswirkungen das auf die soziale Ungleichheit
haben kann. Ich würde mich als politisch sehr
interessierten und aktiven Menschen bezeich-
nen, daher ärgert mich fehlende Chancengerech-
tigkeit auch auf einer persönlichen Ebene.
Meine wissenschaftliche Objektivität darf das
aber nicht beeinflussen.
Ich hätte nach dem Master-Abschluss auch
in die Wirtschaft gehen können, finanziell stün-
de ich dann besser da. Die Berufschancen für
Soziologen sind, anders als viele denken, sehr gut.
Ich kenne mich mit quantitativen Methoden,
mit statistischen Analyseverfahren, mit Geoinfor-
mationsdaten gut aus – da hätte es auf jeden Fall
Jobs gegeben. Ich wollte aber lieber ohne Zwän-
ge forschen, statt mir von Vorgesetzten oder Auf-
traggebern Themen vorgeben zu lassen. So bin
ich bei der Promotion gelandet und intellektuell
damit sehr zufrieden. Ich würde gerne auch nach
der Dissertation weiterforschen. Auch wenn ich
weiß, dass sich im Wissenschaftssystem die Stel-
len nach oben hin verknappen und damit künst-
lich Konkurrenz erzeugt wird. Eine Professur
erreichen nur ganz wenige.«

Robert Vief, 27, promoviert im Fach
Sozial wissenschaften im Bereich Stadt- und
Regionalsoziologie an der HU Berlin

»Es klingt einsamer,


als es ist«


»Mein Arbeitsalltag ist zweigeteilt: Im
Semes ter arbeite ich am Institut, gebe Semi-
nare, betreue Studierende, nehme Prüfun-
gen ab oder sitze in Kommissionen. Da ist
es schwierig, sich gleichzeitig mit der Pro-
motion zu beschäftigen. Forschen kann ich
hauptsächlich in der vorlesungsfreien Zeit,
dann fahre ich wochenlang nach Weimar
oder Marbach in die Literaturarchive. Das
klingt einsamer, als es ist. Ich treffe immer
wieder die gleichen Kolleginnen und Kol-
legen, viele junge Leute. Wir verbringen
viel Zeit mit den Archivbeständen und
forschen teilweise an ähnlichen Themen,
das schweißt zusammen.
Ich beschäftige mich mit Texten aus
dem 18. und 19. Jahrhundert, die ur-
sprünglich anonym oder unter Pseudo-
nym erschienen sind, darunter so bekann-
te Werke wie Schillers Die Räuber oder
Goethes Werther. Ich untersuche, wel-
chen Einfluss die Anonymität auf die
Wahrnehmung und Verbreitung der Tex-
te damals hatte. Dabei beziehe ich
Archiv material ein: Briefe zwischen Au-
toren und Verlegern, zeitgenössische
Aufsätze, historische Bücherverzeichnis-
se und Bibliothekskataloge.
Ich kann mir vorstellen, beruflich
später in den Bibliotheks- oder Archiv-
dienst zu gehen, da ist ein Doktortitel
die Voraussetzung. Das war aber nicht
der einzige Grund für die Promotion.
Ausschlaggebend war eher, dass ich mich
nach dem Studium noch mal über einen
längeren Zeitraum mit einem Thema
beschäftigen wollte. Schwierigkeiten,
durchzuhalten oder mich zu motivieren,
hatte ich in den letzten Jahren kaum.
Im Gegenteil, ich kann mich immer
wieder aufs Neue begeistern. Außerdem
habe ich mein Ziel vor Augen, das lang-
sam Konturen annimmt: mein Buch!
Das beflügelt mich zusätzlich.«

Helene Kraus, 29, hat in Jena
Germanistik, Geschichte, Philosophie
und Kommunikations wissenschaft
studiert und promoviert nun an der
Universität Bielefeld

»Der Doktor hilft auf


dem Weg nach oben«


»Direkt nach dem Bachelor habe ich bei einem
Start-up angefangen, später meinen Master in
Computerlinguistik gemacht. Man muss sicher-
lich nicht promovieren, um in der IT-Branche
einen Job zu bekommen. Ich dachte jedoch: Be-
stimmt macht es Spaß, sich einige Jahre mit dem
eigenen Lieblingsthema zu beschäftigen. Bewusst
habe ich mich für die Stuttgarter Graduierten-
schule GSaME entschieden, weil hier eng in
Kooperation mit der Wirtschaft geforscht wird.
Mein Fachgebiet ist Textanalyse: Wenn zum
Beispiel im Internet Kommentare zu einem
Produkt abgegeben werden, kann man diese
mithilfe Künstlicher Intelligenz auswerten. Oft
sind die Meinungsäußerungen aber voller Tipp-
fehler und Abkürzungen. Satzzeichen werden
dabei auch selten benutzt. Das macht die auto-
matisierte Sortierung in positive und negative
Beiträge schwierig. Ich forsche daran, wie das
Textmaterial besser gedeutet werden kann, so-
dass Unternehmen daraus sinnvolle Schlüsse
ziehen können.
Als ich mit der Doktorarbeit anfing, hatte ich
schon ein Kind; während der Promotion habe
ich das zweite bekommen. Viele denken, das lässt
sich nicht vereinbaren. Aber in der Informatik,
wo man nicht im Labor steht, sondern nur am
Laptop sitzt, kann das gut funktionieren. Der
Vorteil ist: Ich habe mir meine private Basis schon
aufgebaut und nicht, wie viele Doktoranden, mit
der Familiengründung gewartet.
Nach der Promotion werde ich wahr-
scheinlich in die freie Wirtschaft gehen, am
liebsten zu einem großen Konzern. Dass mir
der Doktortitel beim Berufseinstieg einen
Vorteil verschafft, glaube ich nicht. Aber lang-
fristig hilft er auf dem Weg nach oben – nicht
nur, weil man eine besondere fachliche Tiefe
mitbringt. Ich habe in den letzten Jahren viel
mehr gelernt: Ich habe Prototypen implemen-
tiert, Präsentationen vorbereitet, studentische
Mitarbeiter angeleitet, Vorlesungen gehalten,
ein großes, eigenes Projekt gemeistert. Das
alles bringe ich jetzt mit in den Beruf.«

Cornelia Kiefer, 35, beendet gerade ihre
Doktorarbeit in Informatik an der
Graduiertenschule GSaME der Universität
Stuttgart

»Ich habe das Gefühl,


Sinnvolles zu tun«


»Etwa 700 Menschen arbeiten in Garching am
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, wo ein
Kernfusionsreaktor betrieben wird. Einer der
Menschen bin ich. Eigentlich habe ich einen
normalen Bürojob, mit dem Unterschied, dass
da kein Chef ist, der Druck macht. Den Stress
mache ich mir selbst. Besonders frustrierend ist
es, wenn bei einem Experiment nicht das pas-
siert, was man sich vorgestellt hat. Dann muss
man seine Hypothesen wieder über den Haufen
werfen. Man dreht sich viel im Kreis, bis am
Ende ein Fünkchen Wahrheit herauskommt.
Was mich bei der Stange hält, ist das Gefühl,
etwas Sinnvolles zu tun. Unsere Arbeit kann dazu
beitragen, das Energieproblem der Menschheit
zu lösen. Bei der Kernfusionsforschung geht es
nicht darum, schwere Elemente zu spalten, son-
dern leichte zusammenzukleben. Als Energie-
quelle auf der Erde ist die Kernfusion praktisch
unerschöpflich und bei Weitem nicht so gefähr-
lich wie die Kernspaltung. Noch gibt es keinen
Reaktor, der mehr Energie produziert, als er ver-
braucht. Wir kämpfen mit vielen Schwierig-
keiten. Aber in einigen Jahrzehnten könnten die
überwunden sein. Diese Zukunftsaussichten
motivieren viele der Doktoranden, auch mich.
Die wissenschaftliche Szene ist klein, auf in-
ternationalen Konferenzen trifft man immer
wieder die gleichen Leute. Alle sind miteinander
vernetzt. Wenn man in der Forschung bleiben
will, ist es empfehlenswert, mal im Ausland ge-
wesen zu sein. Ich werde im Sommer für zwei,
drei Jahre als Postdoktorand in die USA gehen.
In San Diego wird einer der bekanntesten Kern-
fusionsreaktoren betrieben. Das Projekt gehört
zu einem privaten Technologiekonzern – es erhält
Gelder vom US-Energieministerium – und ist
sehr gut ausgestattet. Als Nachwuchswissen-
schaftler hat man dort, anders als in Deutschland,
viel größere Chancen auf eine dauerhafte Stelle.
Ob ich zurückkomme, weiß ich also nicht. Es
könnte auch passieren, dass ich in Südfrankreich
lande. Dort wird gerade der Forschungsreaktor
ITER gebaut, an dem die Europäer ebenso betei-
ligt sind wie China, Südkorea, Japan, Russland,
Indien und die USA. Es dauert noch, bis er fertig
wird. Aber ich habe vorsorglich schon ein paar
Französischkurse belegt.«

Nils Leuthold, 28, promoviert seit knapp vier
Jahren am Max-Planck-Institut für
Plasmaphysik (IPP) in Garching

Illustration: Anne Gerdes für DIE ZEIT

Free download pdf