Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1
Es gibt Posen, die vermeintlich zu einem
Popstar gehören. Das plumpe Zeigen
aufs Publikum: Ich singe nur für dich,
und für dich, und für dich und dich
und dich! Der Griff an den Knopf im
Ohr: Ich bin ein Vollblutmusiker, ab­
solut konzentriert. Und dann der Kö­
ni gin nen­ Move – Kopf nach hinten
und volle Power in die Stimme legen,
dabei das Mikro langsam vom Mund
ent fernen, es könnte ja zerspringen: Ich
bin Cé line Dion.
Man kann in jeder Castingshow sehen,
dass viele Kinderzimmerspiegel das
Üben dieser Moves jahrelang ertragen
mussten. In Verbindung mit dünnen
Stimmchen wirken sie jedenfalls noch
grotesker, als wenn Stars wie Ariana
Grande mit zurückgelegtem Kopf sug­
gerieren: So geht Singen, wenn man es
wirklich, wirklich kann.
Vielleicht hat auch Billie Eilish diesen
Kö ni gin nen­ Move in dem Kinderzim­
mer, aus dem heraus sie berühmt wurde,
geübt. Jedenfalls packte sie ihn neulich
auf der Bühne der Brit Awards vollkom­
men überraschend aus. Sie performte
den neuen Bond­Song, der, typisch für
sie, zart und gefühlvoll gesungen ist, an
dessen Ende sie aber den Kopf zurück­
lehnte und ein gewaltiges Crescendo in
ihre Stimme packte, dass man dachte:
Was war das denn jetzt?
Billie Eilish hat fünf Emmys abge­
räumt und einen Brit Award, sie singt
(mit gerade mal 18 Jahren) den Bond­

Song und wird von Fans und Feuille­
tons gefeiert. Trotzdem sagte sie bei der
Verleihung der Brit Awards in London,
sie habe sich in letzter Zeit sehr gehasst
gefühlt. Der Hass kam aus dem Inter­
net, und bekanntlich braucht es dafür
so gut wie keinen Anlass. Es reicht,
wenn man Lady Gagas Fleischkleid ek­
lig findet, Van Halen nicht kennt oder
der Meinung ist, Rapper würden nur
posen – all das hat Eilish kürzlich ge­
sagt, all das zog Shit storms nach sich.
Und dann gibt es die, die grundsätz­
lich nicht verstehen, wie sie so erfolg­
reich werden konnte – sie könne doch
überhaupt nicht »richtig« singen, sie
flüstere nur (die Verwechslung von
»laut singen« mit »gut singen« erklärt
übrigens ganze Karrieren, zum Beispiel
die von Anastacia). Billie Eilish jeden­
falls sagte vor der Verleihung der Brit
Awards, dass sie aufgehört habe, die
Kommentare über sich zu lesen, weil
das ihr Leben kaputt mache.
Echte Popstars zeichnet aus, dass sie Mo­
mente schaffen, die bleiben. Billie Eilish
wird gewusst haben, was sie tat, als sie
für einen Moment den Kopf zurück­
legte. Klar könnte sie öfter ihre innere
Cé line rauslassen. Aber wahrscheinlich
hat sie darauf genauso wenig Bock, wie,
sagen wir, Jackson Pollock Lust hatte,
naturalistische Landschaften zu pinseln.
Eine Pose sagt mehr als tausend Worte:
Ja, ich kann auch laut sein. Und jetzt
haltet einfach alle mal die Klappe.

Von Anna Kemper

Gesellschaftskritik ÜBER POPSTAR-POSEN

Kopf nach hinten,
echt jetzt?
Billie Eilish bei den
Brit Awards

Foto


Matt Crossick / ddp / INTERTOPICS


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