Die Welt - 21.02.2020

(Grace) #1

I


n der AfD ist Jan Nolte noch rechts
vom Mainstream seiner Partei zu
verorten. Doch ausgerechnet die-
ser hessische Bundestagsabgeord-
nete stellte sich am Donnerstag als
augenscheinlich einziger AfD-Politiker
einer Herausforderung, mit der die gan-
ze radikale Rechte nach den Morden
von Hanau konfrontiert ist: dass der
mutmaßliche Täter ein Rassist war. Nol-
te sprach dies auf Facebookan: „Dieser
Kerl, der wirre Vernichtungsfantasien
ganzen Völkern gegenüber hatte, war
ein tatsächlicher Rassist.“ Auch den Be-
griff „rechtsextrem“ verwandte Nolte
und durchbrach so ein Schweigekartell
seiner Partei.

VON MATTHIAS KAMANN

Denn ansonsten war in Mitteilungen
herausgehobener AfD-Politiker am
Donnerstag kein Zeichen einer Ausei-
nandersetzung mit der Tatsache zu fin-
den, dass sich im Bekennerschreiben
von Hanau nicht nur Hinweise auf
schwere psychische Störungen und ver-
schwörungstheoretisches Denken fin-
den, sondern auch Bekenntnisse zu ei-
nem eliminatorischen Rassismus, Anti-
Islamismus und Antisemitismus. Dem
wich etwa AfD-Chef Tino Chrupalla
aus, der auf Twitter von der „Tat eines
Geisteskranken“ sprach. Gänzlich un-
spezifisch beklagten die Bundestags-
fraktionschefs Alexander Gauland und
Alice Weidel in einer gemeinsamen Er-
klärung einfach „das abscheuliche Ver-
brechen“.
Hingegen gab Nolte zu erkennen,
dass er vor einem Problem steht: „Un-
fassbar wütend“ sei er auf „Wahnsinni-
ge, die kranken Verschwörungstheorien
anhängen und meinen, man wäre ihnen
auch nur eine Sekunde lang dankbar,
nur weil sie sich selbst für Verteidiger
des ‚Abendlandes‘, des ‚Volkes‘ oder der
‚Weißen‘ sehen“, schrieb Nolte. Man
könne sich „nur zutiefst schämen, dass
dieser Täter seiner kruden Weltsicht ge-
mäß seine Tat zumindest teilweise für
Deutschland und/oder sein Volk began-
gen hat“. Man müsse „alles tun, um sol-
chen Leuten in Zukunft frühzeitig das
Handwerk zu legen“.
Zwar gibt es bei Nolte auch Hinweise,
dass er abzulenken und das Rechtsex-
tremismus-Problem in Diskurse der üb-
rigen Gesellschaft zu verschieben ver-
sucht. Etwa wenn er schreibt, dass sich
nun zeige, „wie inflationär die Begriffe
‚Rassist‘ und ‚Rechtsextremer‘ heute be-
nutzt“ würden. Und dass eine hart rech-
te Partei wie die AfD nun Anlass zur kri-
tischen Selbstbetrachtung haben könn-
te, thematisiert Nolte gar nicht. Aber er-
kennen lässt er, dass er den ideologi-
schen Hintergrund jener Taten nicht
einfach von sich schieben will.
Ganz anders der AfD-Bundesvorsit-
zende Jörg Meuthen. Der twitterte:
„Das ist weder rechter noch linker Ter-
ror, das ist die wahnhafte Tat eines Ir-
ren.“ Als wolle er sich jede Thematisie-
rung politischer Motive verbitten, fügte
Meuthen hinzu: „Jede Form politischer
Instrumentalisierung dieser schreckli-
chen Tat ist ein zynischer Fehlgriff.“
Dabei verwahrt sich Meuthen sonst,
wenn es um Verbrechen von Migranten
geht, gegen jede „Einzelfall“-These.

Ähnlich AfD-Bundesvize Beatrix von
Storch. Sie zeigte sich 2018 auf Twitter
entschlossen, die Zunahme von Messer-
delikten politisch auf die Migrationspo-
litik zu beziehen, und schrieb in ironi-
scher Formulierung: „Das hat alles si-

cher nix mit nix zu tun.“ Aber nun nach
Hanau behauptetevon Storch ganz
ernsthaft, die dortigen Morde hätten
mit Politischem nichts zu tun: „Dieser
psychotische Amokläufer glaubte laut
Manifest, ‚Geheimorganisationen‘
könnten ‚Gedanken lesen‘ und im
Traum mit ihm sprechen.“ Daher sei es
einfach nur eine „Wahnsinnstat“.
Aber für Georg Pazderski scheint
Hanau dann doch etwas mit Politik zu
tun zu haben – allerdings nicht mit
Rechtsextremismus, sondern mit der
Politik von Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU). Pazderski, AfD-Frakti-
onschef im Berliner Abgeordnetenhaus,
posteteam Donnerstag einen Bericht
der „Bild“-Zeitung über die rechtsradi-
kalen Motive des mutmaßlichen Täters
und schrieb dazu: „Ist das wirklich noch
das 2017 von der Merkel-CDU beschwo-
rene ‚Deutschland in dem wir gut und
gerne leben’?“ So ließ Pazderski den
Eindruck entstehen, der mörderische
Anschlag müsse im Zusammenhang mit
der CDU-Politik zumal bei der Migrati-
on gesehen werden.
Eine solche Tendenz zur Abwälzung
der Verantwortung ließ sich auch in ei-
ner Pressemitteilung des Thüringer
AfD-Landtagsfraktionschefs Björn Hö-
cke erkennen. Der verschickte am Don-
nerstagvormittag, als die politischen
Motive des Täters schon bekannt wa-
ren, ein Statement, in dem sich Höcke
zunächst völlig ratlos gab: „Was sind das
für Menschen, die so etwas tun?“, fragte
er. Doch nach einigen Bekundungen der
Trauer und des Mitgefühls für die Hin-
terbliebenen ließ Höcke den Satz fol-
gen: „Der Wahnsinn scheint sich in die-
sem Land immer mehr auszubreiten.“
Damit baute Höcke die Hanauer Mor-
de, die er in seinem ersten Satz gar
nicht deuten zu können behauptete,
dann doch in ein Deutungsmuster ein,
nämlich in das eines grassierenden
Wahnsinns. Dies aber ist nicht irgend-
ein Deutungsmuster, sondern just das,
welches Höcke erst am vergangenen
Montag in seiner Rede bei einer Pegida-
Kundgebungin Dresden vorgetragen
hatte. Dort sagte Höcke, dass Deutsch-
land wegen der Politik der anderen Par-
teien ein „Irrenhaus“ sei. Indem er die-
sem Wahnsinn-Muster nun den Han-
auer Terror einfügte, nutzte Höcke ei-
nen zumindest zu einem erheblichen
Teil rechtsradikal motivierten Anschlag
für die Unterfütterung seiner eigenen
rechtsradikalen Weltsicht.
Eine solche Vereinnahmung des Ter-
rors aber meinte Gauland nicht, als die-
ser es dann am Donnerstagnachmittag
vor Journalisten „schäbig“ nannte,
„wenn so etwas instrumentalisiert
wird“. Vielmehr bezog sich Gauland
hierbei ausschließlich darauf, dass aus
anderen Parteien im Zusammenhang
mit dem Hanauer Anschlag auf migrati-
onspolitische Äußerungen aus der AfD
verwiesen worden war. Er könne, so
Gauland, überhaupt keine Verbindung
zwischen dem mutmaßlichen Täter von
Hanau und Reden von AfD-Politikern
erkennen. „Bei einem völlig geistig Ver-
wirrten sehe ich kein politisches Ziel“,
sagte Gauland und fügte mit Blick auf
die Ausdrucksformen seiner Partei und
ihrer Bundestagsfraktion hinzu: „Ich se-
he keinen Grund, was zu ändern.“

Im Zweifel soll


wieder Merkel


Schuld haben


In der AfD wird der Terror von Hanau


auf die Politik anderer Parteien


bezogen oder als unpolitische Tat


eines Irren abgetan.


Nur ein Bundestagsabgeordneter


spielt nicht mit


Georg Pazderski ist AfD-
FFFraktionschef im Berlinerraktionschef im Berliner
Abgeordnetenhaus

PICTURE ALLIANCE/DPA/ PAUL ZINKEN

4


21.02.20 Freitag, 21. Februar 2020DWBE-HP


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4 POLITIK DIE WELT FREITAG,21.FEBRUAR


D


ie Gewalttat von Hanau sei
ein „schreckliches Massaker“,
sagt Unionsfraktionsvize
Thorsten Frei (CDU).

VON RICARDA BREYTON

WELT:Herr Frei, nach der Gewalttat
von Hanau warnt der Bundeszu-
wanderungsratvor zunehmender
Verunsicherung bei Menschen aus
Einwandererfamilien. Können Sie
die Sorge verstehen?
THORSTEN FREI:Es gibt eine akute
Bedrohung durch den Rechtsextre-
mismus. Das ist leider keine neue Er-
kenntnis. Die Situation hat im vergan-
genen Jahr mit dem Mord an Walter
Lübcke (CDU) und dem versuchten
Massaker in Halleneue Brisanz erhal-
ten. Auch in Hanau scheint ein rechts-
extremistisches Motiv vorzuliegen.
Gleichwohl bin ich überzeugt davon,
dass wir ein sehr hohes Maß an Si-
cherheit in Deutschland haben, auch
für Mitbürgerinnen und Mitbürger
mit Migrationshintergrund oder Men-
schen aus dem Ausland. Wir unter-
nehmen weiterhin alles Menschen-
mögliche, um Rechtsextremismus in
Deutschland kraftvoll zu bekämpfen.

Es brauche nun eine „Generalrevisi-
on“ aller Maßnahmen gegen gewalt-
bereite Rechtsextremisten, sagt die
FDP. Stimmen Sie zu?
Wir haben erhebliche Anstrengungen
im Kampf gegen den Rechtsextremis-
mus unternommen. Allein mit dem
letzten Bundeshaushalt haben wir
600 zusätzliche Stellen beim Bundes-
kriminalamt und beim Bundesamt für
Verfassungsschutz geschaffen, die
ausschließlich der Bekämpfung des
Rechtsextremismus gewidmet sind.
Wir haben darüber hinaus auch eine
ganze Reihe von Gesetzen verschärft.
Erst am Mittwoch hat das Bundeska-
binett einen Gesetzentwurf auf den
Weg gebracht, in dem es um die Be-
kämpfung von Hasskriminalität und
Rechtsextremismusim Netz geht.

Der mutmaßliche Täter besaß legal
mehrere Waffen. Braucht es hier
rechtliche Verschärfungen?
Wir werden sehr genau prüfen, ob aus
dem schrecklichen Massaker in Hanau
waffenrechtliche Konsequenzen zu
ziehen sind. Grundsätzlich haben wir
in Deutschland bereits heute einen
der strengsten Rechtsrahmen in ganz
Europa. Mit der jüngsten Waffen-
rechtsnovelle haben wir beispielswei-
se die Regelanfrage beim Verfassungs-
schutz und eine Begrenzung der Ma-
gazingrößen beschlossen, damit nicht
schlimmste Unglücke angerichtet
werden können. Wir wollen im Be-
reich des Waffenrechts alles tun, was
mehr Sicherheit im Land schafft.
Gleichzeitig müssen wir verhindern,
dass für Sportschützen und Jäger zu-
sätzliche Bürokratie entsteht, die kein
Mehr an Sicherheit bringt.

Bislang ist offen, wie sich der Täter
radikalisierte. Das mutmaßliche Be-
kennerschreiben gibt Einblick in ei-
ne wahnhafte Gedankenwelt. Inwie-
weit stellt der Typus des wahnhaft
handelnden Einzeltäters die Sicher-
heitsbehörden vor neue Probleme?
In der Tat ist es sehr schwierig, wenn
nicht unmöglich, eine Radikalisierung
zu erkennen, die sich im Stillen und
außerhalb eines Gruppenzusammen-
hangs vollzieht. Hier stehen die Sicher-
heitsbehörden vor sehr großen He-
rausforderungen. Mit der anstehenden
Verfassungsschutznovelle wollen wir
dem Verfassungsschutz die Beobach-
tung von Einzelpersonen erleichtern,
um frühzeitig auf Personen aufmerk-
sam zu werden, von denen eine beson-
dere Gefahr ausgehen könnte.

Nach dem Willen der Union soll der
Verfassungsschutz Online-Chats
mitlesen können. Die SPD lehnte
dies ab. Wie geht es weiter?
Wir sind mitten in der Novellierung
einer ganzen Reihe von Gesetzen. Ne-
ben dem erwähnten Gesetz zur Be-
kämpfung von Hasskriminalität arbei-
ten wir parallel an der Verschärfung
des Bundesverfassungsschutzgeset-
zes und des Bundespolizeigesetzes.
Wichtig sind uns die Quellen-Tele-
kommunikationsüberwachung und
die Online-Durchsuchung, die den Si-
cherheitsbehörden insbesondere den
Zugriff auf verschlüsselte und zurück-
liegende Kommunikation ermöglicht.

„Im Waffenrecht


alles tun für


mehr Sicherheit“


CDU will weitere Gesetze


auf den Weg bringen


D


er Bundeszuwanderungs- und
Integrationsrat ist ein Zusam-
menschluss von rund 400
kommunalen Integrationsbeiräten. Er
vertritt die Interessen von Menschen
mit Einwanderungsgeschichte. Sein
Vorsitzender Memet Kilic saß von
2009 bis 2013 für die Grünen im Bun-
destag.

VON FREDERIK SCHINDLER

WELT:Herr Kilic, in Hanau hat ein
Mann offensichtlich zehn Men-
schen erschossen, darunter ersten
Erkenntnissen zufolge viele Men-
schen mit Migrationshintergrund.
Schreiben des mutmaßlichen Täters
sind unter anderem von rassisti-
schem Hass geprägt. Wie haben Sie
auf die Nachricht reagiert?
MEMET KILIC:Ich bin nachts kurz
wach geworden und habe die ersten
Meldungen gesehen. In einem gewis-
sen Maße habe ich mich hilflos ge-
fühlt. Es darf jetzt kein ratloses
Schweigen der Mehrheitsgesellschaft
geben. Dieses Schweigen gefährdet
die pluralistische Demokratie. Ich bin
sehr aufgewühlt und bestürzt.

Vor achteinhalb Monaten wurde
Walter Lübcke (CDU) ermordet, vor
viereinhalb Monaten gab es einen
rechtsextremen Anschlag in Halle,
und vor einer Woche wurden zwölf
Rechtsextreme festgenommen, de-
nen die Gründung und Unterstüt-
zung einer Terrorzellevorgeworfen
wird. Wie groß ist das Problem des
Rechtsterrorismus in Deutschland?
Rechtsterrorismus war auch in den
90er-Jahren schon ein großes Pro-
blem. Wir haben Mölln, Solingen,
Rostock-Lichtenhagen und Hoyers-
werda nicht vergessen. Doch die rech-
ten Republikaner haben es damals nur
in lokale Parlamente geschafft. Mit
der AfD haben wir jetzt einen parla-
mentarischen Arm des Rechtsradika-
lismus und Rechtsextremismus im
Bundestag und in allen Landesparla-
menten.

Der Berliner AfD-Fraktionsvorsit-
zende Georg Pazderski fragte in ei-
ner Twitter-Reaktion auf die Nach-
richten aus Hanau, ob das „wirklich
noch das 2017 von der Merkel-CDU
beschworene ‚Deutschland, in dem
wir gut und gerne leben‘“, sei.
Diese Reaktion ist nicht nur ge-
schmacklos, sondern auch gefährlich.
Pazderski gießt mit seinem Post Öl
ins Feuer. Immer wieder merke ich,
dass die AfD versucht, mit Worten zu
zündeln. Damit wird bei vielen ein Ge-
fühl ausgelöst, als ob Deutschland je-
de Sekunde untergehen könnte. Diese
Untergangsszenarien dienen dazu,
dass die Rechtsradikalen die Dinge
selbst in die Hand nehmen. Nur Ex-
tremisten profitieren von so einer At-
mosphäre des Chaos. Wir werden
nicht zulassen, dass die radikalen
Kräfte – egal welcher Couleur – die
Rechtsstaatlichkeit und die freiheit-
lich-demokratische Grundordnung
erodieren.

Sie waren als damaliger Grünen-Ab-
geordneter häufig im NSU-Untersu-
chungsausschuss und im NSU-Pro-
zess zu Gast. Hat Deutschland die
richtigen Lehren aus dem NSU-Ter-
ror gezogen?
Ich habe noch die Worte von Bundes-
kanzlerin Angela Merkelim Ohr. In ei-
ner Trauerrede hat sie im Jahr 2012 ei-
ne „vollständige Aufklärung“ der
Mordserie versprochen. Das hat nicht
stattgefunden. Der Verfassungsschutz
hat Akten vernichtet. Heute werden
auch in den Sicherheitsbehörden und
in der Bundeswehr immer wieder
Rechtsextreme enttarnt. Auch über
diese institutionellen Verstrickungen
müssen wir sprechen.

Viele Menschen mit Einwande-
rungsgeschichte fühlen sich in
Deutschland nicht ausreichend vor
rassistischer Gewalt geschützt.
Als Vorsitzender des Bundeszuwande-
rungsrats reise ich regelmäßig durch
die Republik. Viele Menschen aus Ein-
wandererfamilien haben das Gefühl,
dass auch ihnen etwas passieren
könnte. Natürlich sind wir dankbar, in
einer freiheitlichen Demokratie zu le-
ben. Doch rechtsradikale Kräfte sind
unberechenbar geworden. Das verun-
sichert die migrantische Bevölkerung
in Deutschland ungemein.

„Rechtsradikale


Kräfte sind


unberechenbar“


Integrationsrat über Ängste


von Zuwanderern im Land


D


er Politikwissenschaftler Peter
R. Neumann leitet das Interna-
tionale Zentrum für Radikali-
sierungsstudien am Londoner King’s
College.

VON FREDERIK SCHINDLER

WELT:Herr Neumann, der Todes-
schütze von Hanau hat ein 24-seitiges
Dokument hinterlassen. Darin wer-
den unter anderem rassistische Hetze
und Verschwörungsfantasien verbrei-
tet. Wie bewerten Sie das Pamphlet?
PETER R. NEUMANN:Das Pamphlet
passt zum Muster von sozial isolierten
Männern, die sich im Internet aus ver-
schiedenen Elementen selbst eine Ideo-
logie zusammenbasteln. Der Mann hing
eindeutig einer rechtsextremen Ideolo-
gie an. Der Text weist zudem darauf hin,
dass der Täter erheblich psychisch ge-
stört war. In der Vergangenheit gab es
häufig Fälle von politisch motivierten
Taten, bei denen die Täter psychische
Störungen hatten.

Tatsächlich spielen ein tief sitzender
Verfolgungswahn und die Angst vor
Überwachung eine große Rolle in dem

Verfolgungswahn und die Angst vor
Überwachung eine große Rolle in dem

Verfolgungswahn und die Angst vor


Schreiben. Das ist jedoch kein Gegen-
satz zu einer rechtsextremen Ideolo-
gie.
Selbstverständlich müssen Psychiater
beurteilen, wie schwer diese psychische

Störung tatsächlich war. Psychische
Störungen und rechtsextreme Motive
schließen sich jedoch tatsächlich nicht
zwangsläufig aus. Es kann sein, dass ei-
ne Persönlichkeitsstörung vorliegt und
der Täter dennoch weiß, was er tut.

Die rassistische Ideologie des Todes-
schützen wird in dem Schreiben sehr
deutlich. Da ist etwa die Rede davon,
dass die „Existenz gewisser Volks-
gruppen ein grundsätzlicher Fehler“
sei. Der Autor zählt vor allem mehr-
heitlich muslimische Länder sowie Is-
rael auf, die „komplett vernichtet“
werden müssten.
Wenn etwa der AfD-Bundessprecher
Jörg Meuthen behauptet, die Tat in
Hanau habe mit Rechtsextremismus
nichts zu tun, weil der Täter ein „Irrer“
sei, will er damit von einer politischen
Motivation ablenken. Es gab eindeutig
eine rechtsextreme Motivation. Der
Berliner AfD-Fraktionschef bringt die
Morde gar mit Bundeskanzlerin Merkel
in Verbindung. Diese Reaktionen sagen
uns mehr über die AfD, als sie uns über
die tatsächliche Tat sagen.

Wie kann gegen solche Täter, die of-
fenbar in einer irrationalen Wahnwelt
gefangen sind, überhaupt vorgegan-
gen werden?
Viele dieser Täter von vergangenen
Anschlägen waren in virtuellen Sub-

kulturen aktiv. Dort haben sie mit an-
deren Menschen kommuniziert. Die
Sicherheitsbehörden müssen in sol-
chen Subkulturen noch viel stärker un-
terwegs sein und diese Online-Foren
überwachen und infiltrieren. Was im
Bereich Dschihadismus bereits pas-
siert, muss auch im Bereich Rechtsex-
tremismus passieren. Das Internet
wird noch zu wenig als Ort verstanden,
in dem sich Extremisten vernetzen.
Und auch Menschen, die sich ver-
meintlich alleine radikalisiert haben,
kommunizieren in vielen Fällen ihre
Tatabsicht vorab. Diese Signale müs-
sen besser interpretiert werden. Ich
gehe davon aus, dass wir auch in Zu-
kunft mehr mit dieser Art von Tätern
zu tun haben werden.

Kann man bei einem solchen wissen-
den Umfeld tatsächlich von einer Ein-
zeltäterschaft sprechen? Die Rechts-
extremismusforschung kennt das
Phänomen der Einzelradikalisierung
kaum.
In den allermeisten Fällen, in denen von
„einsamen Wölfen“ gesprochen wird,
stellt sich später heraus, dass es ein so-
ziales Umfeld gab, mit dem kommuni-
ziert wurde. Die Tatsache, dass jemand
für sich allein gestellt handelt, bedeutet
nicht, dass sich jemand alleine radikali-
siert. Auch der Täter von Hanau sieht
sich nicht nur als Teil einer deutschen

Bewegung. Mindestens eines seiner Vi-
deos wurde in englischer Sprache veröf-
fentlicht. Er sieht sein Publikum in der
ganzen Welt. Sollte er seine Tatabsicht
allerdings nirgendwo kommuniziert ha-
ben, gibt es für die Sicherheitsbehörden
kaum einen Ansatzpunkt. Aus dem Ma-
nifest ist allerdings bekannt, dass er re-
gelmäßig bei der Polizei aufgetaucht ist
und über seine paranoiden Verschwö-
rungstheorien gesprochen hat.

Tobias R. schreibt, dass er in seinem
ganzen Leben keine Liebesbeziehung
geführt hat. Auch seine persönlichen
Misserfolge verknüpft er mit Ver-
schwörungsfantasien. Kann er der so-
genannten Incel-Bewegung zugerech-
net werden? Darin vernetzen sich
Männer, die nach eigener Aussage un-
freiwillig ohne Sex leben und dafür
Frauen verantwortlich machen.
Er sagt in seinem Manifest, dass er sich
in den letzten 18 Jahren selbst dazu ent-
schieden hat, keine Liebesbeziehungen
zu führen. Dennoch hat er offensicht-
lich viele Videos aus der Incel-Szenege-
sehen. Politisch rechtsextreme Ideolo-
gieelemente werden hier mit dieser
frauenfeindlichen Ideologie kombiniert.
Da gibt es tatsächlich große Über-
schneidungen. Ich bin fest davon über-
zeugt, dass er von den entsprechenden
Szenen als wichtiger Unterstützer an-
gesehen wird.

„„„Täter sieht sein Publikum in der ganzen Welt“Täter sieht sein Publikum in der ganzen Welt“


Der Terrorismusexperte Peter R. Neumann hält den Todesschützen für einen sozial isolierten Rechtsextremen


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