Süddeutsche Zeitung - 21.02.2020

(Barré) #1
interview: lea hampel
und stephan radomsky

S


alomé Balthus, 34, hat in ein Café in
Kreuzberg gebeten. Ums Eck wohnt
die Autorin, die zugleich Deutsch-
lands bekannteste Sexarbeiterin ist. Über
Geld zu reden passt ihr gerade besonders
gut: Balthus, die sich als „linke Hure“ be-
zeichnet und auch über eine eigene Websei-
te Escortservices vermittelt, hat kürzlich
ein Crowdfunding initiiert. Sie will das
Schweizer MagazinWeltwocheverklagen,
inzwischen hat sie dafür 14 000 Euro be-
kommen – genug für den Prozess. Ge-
winnt sie, will sie das Geld spenden. Und ge-
rade hat sie den Vertrag für ihr erstes Buch
unterschrieben, es soll später in diesem
Jahr erscheinen.


SZ: Frau Balthus, reden wir über Geld. Sie
habenmal gesagt, es sei ein starkes Neben-
argument für Ihren Job. Was istdas Haupt-
argument für Prostitution, wie Sie sie be-
treiben?
Salomé Balthus: Die Befriedigung eines ge-
wissen Narzissmus. So umschmeichelt und
hofiert wird man in keinem anderen Beruf.
Das Geld ist nur Ausdruck der Wertschät-
zung. Es würde mir sehr schwerfallen,
wenn ich das eines Tages nicht mehr erle-
ben könnte. Und wenn man einmal für Geld
Sex hatte, macht es ohne keinen Spaß mehr.
Das müssen Sie erklären.
Weil man dasselbe Vergnügen haben kann,
aber ein besseres Ambiente. Bei normalen
Dates teilt man sich die Rechnung und
geht in die Studentenwohnung mit „Star-
Wars“-Bettwäsche. Da muss der junge
Mann sehr gut sein, um das zu kompensie-
ren. War man mal mit einem älteren Mann
zusammen, der sich besser beherrscht und
den Körper einer jungen Frau mehr zu
schätzen weiß, in einem ultraschallgerei-
nigten Hotelbett und hat dafür 1000 Euro
bekommen...
...macht das Geld einen Unterschied?
Ich glaube, das hat auch auf den Mann eine
magische Wirkung. Ich bin nicht besser im
Bett als andere Frauen, aber dass ich teuer
bin, macht mich attraktiv. Wenn Sie einen
Maserati leasen, zerkratzen Sie nicht als
Erstes den Lack.


Haben Sie sich gerade mit einem Maserati
verglichen?
Vielleicht sollte ich mich lieber mit einem
kleineren Auto vergleichen, das wäre net-
ter(lacht). Dabei weiß ich nicht mal, ob der
Maserati ein besseres Auto ist. Gleichzeitig
kann man nicht dauerhaft viel Geld für
etwas verlangen, was nicht gut ist. Aber
das viele Geld macht auch Druck.
Inwiefern?
Manche Kolleginnen fühlen sich freier bei
kleineren Preisen. Dabei ist das eh ein sym-
bolischer Preis.
Derzeit liegt der bei 1000 Euro für zwei
Stunden. Wie entsteht der?
Wir entscheiden gemeinsam, wie viel wir
verlangen und nehmen alle gleich viel. Wir
wollen uns nicht ausbooten gegenseitig.
Und ja, das ist viel Geld. Aber: Es gibt kein
Recht auf Sex. Es gibt ja auch kein Recht
auf ein Penthouse. Es gelten Angebot und
Nachfrage.
Ganz schön kapitalistisch für eine Marxis-
tin.
Wir leben eben im Kapitalismus. Ich kann
nicht aus Wohltätigkeit mit meinen Prei-
sen runtergehen, damit sich das mehr Män-
ner leisten können. Abgesehen davon kann
man auch Sex haben, ohne zu bezahlen. Ich
habe gehört, dass Menschen im Privatle-
ben miteinander schlafen. Aber hätten Sie
das auch einem Sternekoch vorgeworfen?
Darüber gibt es aber auch keine politische
Debatte.
Ich setze mich dafür ein, dass Frauen frei
sind und ihre Preise selbst bestimmen kön-
nen. Nicht dafür, dass jeder meine Sex-
dienstleistung konsumieren kann. Und ich
richte mich nach Marktpreisen: Ich versu-
che, so teuer wie möglich zu sein, aber rea-
listisch. Das funktioniert, nicht nur bei
Kunden. Ich bekomme jede Woche fünf Be-
werbungen.
Von was für Frauen?
Aus der bürgerlichen Mittelschicht, An-
fang 20 bis Ende 50. Gebildete Frauen, die
in urbanen Zentren leben und das nicht ma-
chen, weil sie Luxus wollen, sondern Parti-
zipation: eine Wohnung in realistischer
Entfernung zur Arbeitsstelle, zwei Zei-
tungsabos oder eine Theaterkarte. Sie kom-
men mit ihren selbstausbeuterischen, kre-


ativen Jobs nicht über die Runden – vor al-
lem, wenn sie studieren oder Kinder ha-
ben. Es ist schwerer geworden, zurechtzu-
kommen, vor allem als Frau und seit den
Hartz-Gesetzen.
Wenn jemand zu Ihnen kommt und über
Ihre Webseite als Escort vermittelt wer-
den will, wie gehen Sie damit um?
Das ist ein langer Prozess. Ich habe einen
Fragebogen, um herauszufinden, ob eine
Frau zu uns passt. Ich nehme gern Frauen
mit ungewöhnlichem Lebenslauf, die den
Kunden auf Augenhöhe begegnen und sich
nicht einschüchtern lassen von einer luxu-
riösen Umgebung. Anfangs kommunizie-
ren wir viel. Wir haben einen Stammtisch
und eine Chatgruppe, damit ich nicht die
einzige Ansprechpartnerin bin. Ich mag es
nicht, wenn sie sich verhalten, als wäre ich
die Chefin. Ich muss doch einer Frau, die
den Mut für so was hat, nicht erzählen, wie
sie sich zu verhalten hat. Ich sage: Mach
das so, wie du das immer machst bei Dates.
Wen würden Sie nicht nehmen?
Eine Steuerberaterin, Anwältin oder Zahn-
arzthelferin. Und keine Frauen unter
25Jahren. Der Job bedeutet ein Outing.
Wir haben unsere Gesichter auf der Web-
site. Dafür sollte man ein paar Weichen im
Leben gestellt haben. Manche Jobs darf
man nicht mehr machen, wenn man mal
Prostituierte war.
Nehmen Sie für die Vermittlung Provision
von den Frauen?
Nein.
Warum nicht?
Jede Frau hat das Recht, mit Sex Geld zu
verdienen. Aber eben nur diese Frau. Wir
teilen uns die Kosten für Website, für Da-
tenschutz und IHK-Beiträge. Aber was sie
mit ihren Kunden machen, muss ich nicht
wissen.
Sie berechnen nur die Zeit – nicht das, was
währenddessen passiert.
Das ist bei allen seriösen Agenturen so,
weil Prostitution in Deutschland weisungs-
frei ist. Theoretisch ist das sogar im Bor-
dell so. Die Frauen nehmen oft Extras für
die Sachen. Aber sobald ein Betreiber in-
haltliche Anweisungen gibt, ist das nicht er-
laubt.
Wie oft arbeiten Sie?
Ich habe ungefähr ein Date in der Woche,
manchmal keins im Monat. Wenn keine
Lobbyisten oder Parlamentarier in der
Stadt sind, mache ich Ferien.
Was ist, wenn Sie einen Monat kein Date
haben?
Tja, ich bin selbständig, da gibt es keine Si-
cherheit. Ich verdiene nicht so viel, wie
man denkt, ein mittelständisches Einkom-
men. Weniger, als die Leute glauben. Dafür
ist man viel freier, als die Leute glauben.
Unsere Kunden sind reich, die zahlen das

Essen, die Geschenke. Das ist das Gefälle
zwischen deren Welt und der Studenten-
wohnung, in die wir abends zurückkehren.
Ich mag diesen Kontrast.
Früher waren Sie bei Escort-Agenturen.
2016 sind Sie da weg. Warum?
Da ist mehr Kontrolle. Die wollen immer
wissen, wie lang man beim Kunden ist, ha-
ben panische Angst, dass man ohne deren
Wissen länger bleibt oder die Kunden
trifft. Ich fand die Höhe der Provision unan-
gemessen, dafür, dass die höchstens mal
eine E-Mail weiterleiten. Die benehmen
sich, als hätten sie Rechte wie Literatur-
agenten.
EinenLiteraturagenten haben Sie als Auto-
rin auch nicht. Sind Sie lieber Ihre eigene
Chefin?
Zumindest in der Prostitution, wo ich mich
auskenne. Bei den Agenturen fanden die
mich immer nörgelig, zum Beispiel weil
ich den anderen geraten habe, in die Ge-
werkschaft einzutreten.
Jetzt sind Sie nicht nur Selbständige, son-
dern durch Ihre Webseite auch Unterneh-
merin. Schaut das Finanzamt bei Ihnen
genauer hin?
Das Finanzamt hat uns auf dem Kieker, ich
darf keinen Fehler machen. 2010 gab es ei-
ne Großrazzia in Berlin. Plötzlich standen
fünf Beamte in meiner Einzimmerwoh-
nung, nahmen meinen Rechner und mein
Bargeld mit – „vorsichtshalber“. Die unter-
stellen uns – wie Kellnern oder Barkeepern


  • pauschal, dass wir schwarz arbeiten.


Der Nachweis dürfte schwierig sein. Ihre
Kunden wollen wohl eher keine Rechnun-
gen, oder?
Nein. Natürlich könnte man aufs Geschäfts-
konto überweisen, aber die meisten bevor-
zugen Cash, aus Diskretionsgründen. Ich
führe ein Haushaltsbuch, in dem man das
nachvollziehen kann.
Und wie funktioniert der Umgang mit
Krankenkasse, Rentenversicherung und
so weiter?
Da hatte ich bisher keine Probleme. Von
mir wollten die nur wissen, wie viel ich ver-
diene. Für die Rente bin ich privat versi-
chert. Aber ob das reicht? Ich glaube sowie-
so nicht, dass sich Menschen meiner Gene-
ration auf eine sichere Zukunft verlassen
können. Berufswahl, Fähigkeiten, Kinder
oder nicht, männlich oder weiblich – das
spielt bald keine große Rolle mehr. Unter-
scheiden wird uns, wer etwas erbt.

Erkennen Sie, ob ein Kunde sein Geld
geerbt oder erarbeitet hat?
Ja.
Woran?
An der Sprache. Wenn mir jemand erklärt:
„Die Insel erreichst du leicht: Da mietest
du dir einfach einen Helikopter und fliegst
rüber.“ Oder wenn sich jemand über die
Erbschaftsteuer beschwert, weil das sei,
als ob einen der Staat für die Eltern bestra-
fe. Da muss ich mich zusammenreißen.
Was macht das mit der Libido?
Viel. Meistens breche ich das Date nicht ab,
dadurch mache ich den Menschen nicht
besser. Aber es kann sein, dass ich passiv
werde, nach dem Motto: Sieh zu, wie du
klarkommst. Manchmal werde ich neugie-
rig und will wissen, wie der jetzt so im Bett
ist. Manchmal versuche ich hinterher, ihn
zu erden.
Möchten Sie von unangenehmen Kunden
nicht manchmal 200 Euro extra nehmen?
Das geht wegen meiner AGBs nicht. Aber
vielleicht sollte ich das aufnehmen: Zu-
schlag wegen ätzend. Gute Idee.

Ihr Beruf ist sehr unmittelbar: Für Geld
stellen Sie Ihren Körper und einen Teil Ih-
rer Seele zur Verfügung. Mögen Sie das?
Das ist doch in jedem Beruf so: Man gibt
etwas, um etwas zu bekommen.
Auch, sagen wir, ein Börsenmakler, der
nur Geld mit Geld macht?
Ich bezweifle, dass ich mehr von meiner
Seele hergebe als ein Börsenmakler. Aber
wenn ich was gelernt habe, dann, dass Men-
schen sehr verschieden sind. Deshalb sind
das eigene Befinden und subjektive Kriteri-
en für gut und schlecht keine vernünftige
Basis für eine Gesetzgebung. Das ist der
Fehler, den Prostitutionsgegner machen.
Die sagen: Ich könnte mir das nicht vorstel-
len. Also wollen sie es anderen verbieten.
Die Gegner wollen auch verhindern, dass
Frauen ausgebeutet werden.
Aber das ist doch verboten. Ein Bordellbe-
treiber darf, laut Gesetz, nur Termine für
die Zimmer vergeben und Mieten einneh-
men. Er darf nicht mal sagen, dass die Frau-
en pünktlich erscheinen sollen. Was zu
Recht kritisiert wird, ist längst illegal.
Aber wie frei ist eine Entscheidung aus
materieller Not?
Natürlich, wir reden immer nur von relati-
ver Freiheit. In unserer Gesellschaft haben
wir nicht die Freiheit zu entscheiden, ob
wir Geld verdienen wollen. Man kann sich
nur entscheiden, wie. Je mehr Wahlmög-
lichkeiten es in der Gesellschaft und der
Prostitution gibt, desto freier.
Im „Nordischen Modell“ geht es nicht dar-
um, die Prostitution zu verbieten.
Doch, faktisch schon. Nur sollen nicht die
Prostituierten bestraft werden, sondern

die Freier. Und zwar für jegliche sexuelle
Dienstleistung. Das heißt, es wäre die glei-
che Straftat, wenn mich ein Kunde verge-
waltigen würde, oder wenn er höflich wäre
und wir guten Sex hätten. Deshalb steckt
keineswegs die Sorge um missbrauchte
Frauen dahinter. Es geht um ein religiös ge-
prägtes, sexualfeindliches Gesellschafts-
bild. Und Fremdenfeindlichkeit. Es wird
ständig darauf verwiesen, dass die meis-
ten Frauen Ausländerinnen seien, die nach
Hause wollten. Man könnte es ein „Auslän-
derinnen-raus-Gesetz“ nennen.
Wenn die bestehenden Gesetze nicht das
Problem sind, was dann?
Die Polizeiarbeit geht in die falsche Rich-
tung. Natürlich gibt es Frauen, die diese Ar-
beit machen, obwohl sie es nicht wollen.
Angesichts der Möglichkeiten, die sie ha-
ben – vielleicht bei einem Mann zu blei-
ben, der sie schlägt, oder in einem Land,
wo Krieg herrscht – entscheiden sie sich da-
für. Wenn man diesen Menschen helfen
will, muss man die Arbeitsbedingungen
verbessern, faire Prostitution unterstüt-
zen und Beratungseinrichtungen und Aus-
steigerprogramme fördern, die diesen Na-
men verdienen.
Warum erreichen Sie damit Frauen wie
Alice Schwarzer nicht?
Das frage ich mich auch. Ich versuche,
schon so lange zu erklären, dass ich kein
Interesse daran habe, dass Frauen ausge-
beutet werden. Schlechter Sex zu Dum-
pingpreisen nutzt mir als Unternehmerin
nichts. Es verdirbt die Preise, die Kunden
und mein Image.

Wären Sie gern reiche Unternehmerin?
Nein.
Warum nicht?
Wenn man wirklich reich sein will, darf
einen nichts außer Geld interessieren. Ich
interessiere mich einfach für zu viele Din-
ge. Ich möchte behalten, was ich habe. Ich
kann jeden Tag so viel essen, wie ich möch-
te, ich kann – meistens – meine Miete
pünktlich zahlen und habe Zugang zu ge-
sellschaftlichen Ressourcen. Im globalen
Maßstab bin ich reich.
Sie sprechen sehr routiniert über Ihren Be-
ruf. Wollten Sie denn jemals etwas ande-
res werden?
Ich wollte immer Schriftstellerin werden
und habe geschrieben. Zwar bin ich zur
Prostitution gekommen, weil ich das den
besten Nebenjob im Studium fand. Aber
ich bin auch Prostituierte, weil ich darüber
schreiben kann. Als Kind habe ich mich als
Schriftstellerin nicht als das gesehen, was
Schriftsteller tun: am Schreibtisch sitzen.
Ich wollte die Abenteuer erleben, die ich
beschreibe. Ich schreibe also nicht autofik-
tional, sondern ich lebe autofiktional.

„Ich verdiene nicht so viel,
wie man denkt, ein
mittelständisches Einkommen.“

„Wenn man wirklich reich sein
will, darf einen nichts
außer Geld interessieren.“

München– Wenn es nach Apple ginge, wä-
re das Buch von Tom Sadowski am 18. Fe-
bruar nicht veröffentlicht worden. Sadow-
ski, 46, war bis vor kurzem verantwortlich
für das App-Geschäft des Konzerns in
Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Im November 2019 entschied er sich nach
zehn Jahren die Firma zu verlassen. Er ha-
be einen inneren Drang gespürt weiterzu-
gehen, schreibt der Ex-Manager in der Ein-
leitung seines Buchs „App Store Confiden-
tial“. Auf rund 180 Seiten schildert er dort
seinen persönlichen Blick „hinter die Kulis-
sen von Apples wichtigstem Business“, so
der Untertitel. Der Autor berichtet von sei-
nem ersten Treffen mit Konzernchef Tim


Cook in einem Mehrfamilienhaus in Berlin-
Kreuzberg und gibt Tipps für App-Ent-
wickler. Wer auf Insiderinfos aus Cuperti-
no hofft, wird enttäuscht.
Sadowskis Ex-Arbeitgeber gefällt das
Buch offenbar trotzdem nicht: Apple hat
kurz vor der Veröffentlichung durch zwei
Großkanzleien Unterlassungserklärungen
an den Autor und den Hamburger Mur-
mann Verlag verschickt. „Dem sind wir
nicht gefolgt“, sagt Programmgeschäfts-
führer Peter Felixberger. „Seitdem ruht
der See.“ Auch wenn sich der Konflikt mit
Apple angebahnt hat, hat die Vehemenz
den mittelständischen Verlag überrascht.
Zunächst habe der Konzern Einsicht in das

Manuskript Sadowskis gefordert. Das lehn-
te der Verlag ab, stimmte unter Druck letzt-
lich doch zu. Apple rückte mit drei Anwäl-
ten an, die das Manuskript schließlich ei-
nen Tag lang prüften, so der Verleger.
Aufgrund der Aufmerksamkeit, die Sa-
dowskis Buch aktuell erhält, verkauft sich
der Titel besser als geplant. Die erste Aufla-
ge beträgt 4000 Exemplare. „In einigen Ta-
gen werden die alle verkauft sein“, sagt Fe-
lixberger, „wir müssen nachdrucken.“ Der
Verleger betont, dass kein Marketing-
Trick dahinterstecke, das Buch sei nicht
als Bestseller geplant gewesen. Und Apple?
Bis Donnerstagnachmittag lagen dem Mur-
mann Verlag keine weiteren rechtlichen

Schritte des Unternehmens vor. Auch Fra-
gen zu dem Thema beantwortet der Kon-
zern nicht. Auf Anfrage verschickt er ein
Statement: „Apple fördert seit langem eine
freie Presse und unterstützt Autoren aller
Art“, heißt es zu Beginn der Mitteilung und
weiter: „Während wir die Art und Weise, in
der dieser langjährige Mitarbeiter von
Apple unser Arbeitsverhältnis verletzt hat,
bedauern, ließ uns sein Handeln keine an-
dere Möglichkeit als sein Anstellungsver-
hältnis zu beenden – eine vom Betriebsrat
mitgetragene Entscheidung.“ Es gehe au-
ßerdem darum, dass die Beschäftigungs-
richtlinien für alle Mitarbeiter „gleich und
fair“ angewandt würden und dass diese die

Geschäftspraktiken von Unternehmen ver-
traulich behandelten.
Welche vertraulichen Geschäftsprakti-
ken Tom Sadowski in seinem Buch preisge-
ben soll, bleibt für alle Beteiligten unklar –
für Sadowski selbst, für Verleger Felixber-
ger und auch für Rechtsanwalt Ralph Gra-
ef, der Autor und Verlag vertritt. Als der Me-
dienrechtler bei Apple nachhakte, hieß es,
die Geschäftspraktiken seien so geheim,
dass man nicht sagen könne, was es ist.
„Wie soll das denn gehen? Erst recht vor Ge-
richt?“, fragt Graef. Bis zum 3. März hat das
Unternehmen noch Zeit, um eine einstwei-
lige Verfügung gegen das Buch einzurei-
chen. caspar von au

München– Der Bundesgerichtshof (BGH)
hat am Donnerstag die Klage des Verbands
Sozialer Wettbewerb gegen eine Firma ab-
gelehnt, die sogenannte „Kinesiologie
Tapes“ auf Amazon anbot. Die Firma hatte
ihr Produkt anfangs mit Slogans wie „Kle-
ben Sie den Schmerz einfach weg“ bewor-
ben, obwohl eine schmerzlindernde Wir-
kung wissenschaftlich nicht erwiesen war.
Später ließ sie die Werbung nach einer Be-
schwerde zwar weg, es tauchten aber über-
schwänglich gute Rezensionen von Kun-
den auf. War daran etwas faul? Der Ver-
band sah darin nicht nur die abgegebene

Unterlassungserklärung verletzt. Die Fir-
ma sollte auch Abmahnkosten und eine
Vertragsstrafe zahlen. Nach Ansicht des
Verbandes hätte der Händler die Löschung
der Bewertungen veranlassen oder das Pro-
dukt gleich ganz von der Website nehmen
müssen.
Der BGH urteilte nun, dass Händler
grundsätzlich nicht für Kundenbewertun-
gen auf Amazon haften, auch wenn diese ir-
reführend sind. Das Gericht lehnte auch
die Zahlung einer Vertragsstrafe ab. Kun-
denbewertungen seien erkennbar vom An-
gebot auf dem Online-Marktplatz Amazon
getrennt und Nutzer würden diese auch
nicht dem Verkäufer zurechnen, lautet die
Begründung. Zuvor hatten das Landge-
richt Essen und das Oberlandesgericht
Hamm die Klage des Verbandes abgewie-
sen. Diese Entscheidungen wurden jetzt
vom BGH in letzter Instanz bestätigt. Da-
bei spielte auch eine Rolle, dass von dem
Produkt keine Gesundheitsgefährdung
ausgehe. Daher musste der BGH nicht zwi-
schen dem Rechtsgut der öffentlichen Ge-
sundheit und der Informationsfreiheit von
Kunden abwägen. kläs

Aus dem Inneren des Apfels


Der US-Technikkonzern Apple geht gegen ein Buch vor, das Geschäftsgeheimnisse verraten soll. Geschrieben hat es ein ehemaliger Manager


Als Römerin erntete man in
Mailand früher ja neidvolle
Blicke. Ah, Sie wohnen in der
Stadt des Lichts. Che bellezza!
Sogar Giorgio Armani, der
Mailand seine Karriere verdankt und dem
die Stadt ihrerseits viel schuldet, ließ kein
gutes Haar an der Modemetropole. Abends
um zehn seien die Straßen leergefegt, über-
haupt fände er Mailand stinklangweilig,
ätzte der Modeschöpfer. Das war in einer
Zeit, als sieben von zehn Mailändern am
liebsten weggezogen wären. Nun wollen
alle hin.
Umgekehrt hat die Abstoßungskraft
Roms ein grausiges Niveau erreicht. Wie ge-
fällt Ihnen Rom? In Italiens heimlicher
Hauptstadt im florierenden Norden will
das keiner mehr wissen. Die Mailänder ver-
beißen sich taktvoll die Frage. Ein mitleidi-
ger Blick genügt. Und schon preisen sie ih-
re neuesten Milliardenprojekte. Im Small
Talk erfährt man, wie sich die Mailänder be-
gierig auf eine Herausforderung nach der
anderen stürzen. Schnell ist klar: In Mai-
land wachsen die Bäume in den Himmel.
Zwar kann die Stadt mit ihrem spärlichen
Grün wahrlich nicht glänzen. Doch dafür
entstand der Bosco Verticale, ein 120 Meter
hoher vertikaler Wald, der den Internatio-
nalen Hochhauspreis der Stadt Frankfurt
gewann. 21 000 Pflanzen begrünen die Fas-
sade. In der Start-up-Schmiede E-Novia
tüfteln Ingenieure an der Entwicklung von
Paneelen aus Algen, die 400-mal so viel
CO2 absorbieren wie ein zwei Meter hoher
Baum. 2015 habe die Weltausstellung in
Mailand den Wendepunkt markiert, sagen
sie. Jetzt blickt man voller Elan der Ausrich-
tung der Olympischen Winterspiele 2026
entgegen. Sie werde der Stadt den nächs-
ten Schub geben, glauben die Start-upper.
Genau das unterscheidet Rom von Mai-
land. Die Ewige Stadt gestaltet Zukunft
nicht. Es wird nicht mal über sie geredet.
Das mag daran liegen, dass man es sich seit
Cäsars Zeiten in der Geschichte bequem ge-
macht hat. Oder daran, dass Römer sich
darauf konzentrieren, mit heilen Knochen
ihren Slalom zwischen Schlaglöchern zu
absolvieren und die aufgeplatzten Müllsä-
cke auf dem Gehsteig zu umsteuern. Oder
darauf, eine geöffnete U-Bahn-Station zu
finden. Oder nicht in einen der berüchtig-
ten „Flambusse“ zu steigen, wie sie die
31(!) Busse nennen, die 2019 mangels War-
tung explodiert und abgebrannt sind.
Den Parks und Alleen, mit denen Rom
reich gesegnet ist, geht es nicht besser. Im
Viertel San Lorenzo will die Stadt 100 Pi-
nien, Ulmen und Platanen abholzen, um
die Straßenführung zu ändern. Dem Ver-
antwortlichen brachte das den Spottna-
men „Bolsonaro di Roma“ ein. 4541 Bäu-
me sind seit 2016 aus Rom verschwunden.
Alle Welt redet heute von der Achtsamkeit.
Wir Römer nicht. ulrike sauer

26 HF2 (^) WIRTSCHAFT Freitag, 21. Februar 2020, Nr. 43 DEFGH
Ehe sie bestellen, schauen viele auf die Be-
wertungen anderer Kunden. FOTO: DPA
FOTO: UWE HAUTH
BEI UNS IN ROM
Der Bolsonaro
vom Tiber
REDEN WIR ÜBER GELDMIT SALOMÉ BALTHUS
BGH: Das ist
Meinungsfreiheit
Onlinehändler haften nicht für
irreführende Kundenbewertungen
„Jede Frau hat das Recht, mit Sex Geld zu verdienen“
Salomé Balthus verkauft ihren Körper aus Überzeugung. Sie sei, sagt sie von sich selbst, Marxistin und Feministin – und im Bett nicht besser als andere.
Ein Gespräch über die Erotik des Geldes, die Seele von Börsenmaklern und das Verhältnis zum Finanzamt

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