Der Stern - 04.03.2020

(C. Jardin) #1

RB Leipzig herrscht, den DFB-Oberen als leuchtendes


Vorbild dient: friedlich, aseptisch und kompatibel für


jede Form des Kommerzes. Für die meisten Fanszenen


hingegen sind diese Unterhaltungstempel das warnen-


de Beispiel für die Deformationen des Fußballs, für den


Tod der Fußballkultur.


Dieser Konflikt ist nicht zu lösen, nur zu moderieren.

Die Vorstellungen der Ultras von selbstbestimmten


Tribünen, von einem Platz, an dem eine oft harte und


provokante Jugendkultur sich ausleben kann, wird nie


zusammenpassen mit den Begehrlichkeiten einer En-


tertainment-Industrie, die eine möglichst fusselfreie


Unterhaltung für die ganze Familie bieten will.


Bisher haben sich Klubs und Fans stets miteinander

arrangiert, und beide haben davon profitiert. Aber hat


die Liga, haben die Klubs nun die Strategie gewechselt?


Das würde bedeuten, dass der Konflikt mit den Kurven


in den nächsten Wochen durch die Funktionäre bewusst


auf die Spitze getrieben werden muss, um anschließend


möglichst viele Anhänger mit Strafverfahren und Sta-


dionverboten belegen zu können. Schalkes Vorstand


Jochen Schneider gab dafür die durchschaubare Vor lage,


als er ankündigte, die Mannschaft künftig direkt vom


Platz zu schicken und nicht erst den Drei-Stufen-Plan


der Fifa mit Vorwarnungen abzuwarten. Dann würden


zahlreiche Spiele abgebrochen – und das wäre eine tat-


sächlich nie zuvor dagewesene und bewusst herbeige-


führte Krise des deutschen Profifußballs.


Wahrscheinlicher ist, dass die Klubs in diesen Kon-
flikt eher unabsichtlich hineingestolpert sind und sich
in ihrem hektischen Aktionismus und der plötzlichen
Moralstrenge in eine strategische Lage gebracht haben,
in der sie sich vollkommen von den Kurven und deren
Wohlverhalten abhängig gemacht haben. Die Ratlosig-
keit ist dabei allumfassend. Wie alles weitergehen soll,
wenn nun reihenweise Spieler vom Platz gehen und
Spiele abgebrochen werden? „Ja, dann müssen wir mal
sehen“, sprach DFB-Präsident Fritz Keller bei seinem irr-
lichternden Auftritt im „Sportstudio“. Klar dürfte sein,
dass reihenweise vorzeitig beendete Spiele die Position
der Liga in den gerade anstehenden Verhandlungen um
die TV-Rechte auch nicht gerade stärken.
Es hat Klubs und Fankurven bisher ausgezeichnet,
dass sie auch nach größten Verwerfungen wieder zu-
einander gefunden haben. Doch derzeit wird nur über-
einander und nicht miteinander gesprochen. Und das
bisweilen in gewöhnungsbedürftigem Ton, wenn etwa
der Hopp-Anwalt Christoph Schickardt davon spricht,
man müsse nun „ein paar abgreifen“ und „auch mal
einen Tag in der Zelle lassen“. Dabei haben Scharfmacher
dem Fußball immer geschadet, auf allen Seiten. Ge-
spräche hingegen können ein Weg sein. Darüber,
wie alle einen Platz im Stadion finden. Und darüber,
dass sich die Anhänger demnächst auch mal wieder
auf das konzentrieren können, was wirklich wichtig ist:
auf den Fußball. 2

Philipp Köster
ist Chefredakteur
des Fußball-Maga-
zins „11 Freunde“.
Unter „Kabinen-
predigt“ schreibt
er regelmäßig für
die Onlineseite
des stern

Was ist denn hier
los? Die Bayern-
Profis verließen
am Samstag ratlos
das Spielfeld in
Hoffenheim. Die
Partie wurde zwei-
mal unterbrochen,
die letzten 13 Minu-
ten gerieten zum
freundschaftlichen
Ballgeschiebe.
Endstand: 6 : 0 für
München

5.3.2020 53
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