Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1
MOBILITÄT

FOCUS 9/2020 55


liebliches, hübsches Auto gebaut. Das
hat Renault gutgetan und war der erste
Schritt für den Erfolg, der danach kam.
Wo finden Sie die Ideen für Ihre Arbeit?
Mein Job ist es, die Werte der Firma
nach außen zu vermitteln. Ich bin also kein
Künstler, sondern ein Designer. Der Clio
beispielsweise ist ein menschliches Fahr-
zeug. Deswegen haben wir beim Design
die Betonung auf Sinnlichkeit gelegt.
Renault insgesamt ist eine romantische
Marke – nicht kalt wie die Deutschen,
nicht heiß wie die Italiener, sondern warm.
Unsere Produkte sollen vielen Menschen
gefallen. Wir wollen, dass sie schöne Far-
ben haben, hübsch und sexy sind. Sie
sollen verführen.
Ihr Berufsleben begann 1990 bei
einer italienischen Designfirma. Was
hat sich seit dieser Zeit in der Arbeit
eines Autodesigners verändert?
So gut wie alles. Unsere Arbeit war
früher viel einfacher. Mein Job war,
Autos zu entwerfen, die so schön wie
möglich waren. Ästhetik war damals
sehr wichtig. Als Kind hatte ich Ferra-
ris an der Wand meines Kinderzimmers
hängen. Solche Autos wollte ich bauen!
Und heute?
Heute ist Autodesign viel komplizier-
ter. Der Pkw spielt eine Schlüsselrolle
in der Gesellschaft, sowohl in techni-
scher als auch in sozialer Hinsicht. Und
er hat eine negative Seite – die Aus-
wirkungen des Individualverkehrs auf
die Umwelt. Das alles müssen wir beim
Design berücksichtigen.
Ich habe manchmal das Gefühl, die Autos
sehen irgendwie alle gleich aus.
Das Gegenteil ist der Fall. Sie hatten
noch nie so viel Auswahl wie heute.
Früher sahen sich die Autos viel ähnli-
cher. Heute können Sie sich ein Luxus-
Mini-Auto kaufen, einen geräumigen
Espace, ein SUV, einen Truck. Den
Kunden stehen viele Formen von
Mobilität zur Verfügung, die für alle
erschwinglich sind. Wenn Sie den
Eindruck haben, dass frühere Autos
besser aussahen, liegt das wahrschein-
lich an Ihrer selektiven Erinnerung.
Die hässlichen Autos vergisst
man leicht. Was in Erinnerung
bleibt, sind die schönsten Mo-
delle jeder Ära. Man erinnert
sich an den Citroën GS oder
die Giulietta von Alfa Romeo, die der
Großvater fuhr. Aber die große Mas-
se an Autos, die es außerdem gab,
verschwindet aus dem Gedächtnis.


Warum sehen wir heute hauptsäch-
lich geschwungene oder runde Formen,
während die geraden Linien – mal ab-
gesehen vom Tesla Cybertruck – komplett
aus der Mode gekommen sind?
Das liegt an der Aerodynamik. Die
Form des Autos muss geschmeidig und
flüssig sein, um den Luftwiderstand zu
minimieren. Wenn Sie eine Oberfläche
wölben, werten Sie sie außerdem auf.
Neun von zehn Menschen, denen ein
flaches und ein gewölbtes Stück Blech
gezeigt wird, bezeichnen das modellierte
Blech als höherwertig. Deswegen belas-
sen wir es nicht bei geraden Oberflächen,
sondern lassen das Material ausgeklü-
gelt, raffiniert oder spielerisch aussehen.
Mit dieser Praxis scheint Elon Musk
mit seinem geplanten Elektro-Pick-up,
dem Cybertruck, zu brechen.
Technisch wird der Cybertruck wahr-
scheinlich viel bieten. Aber er wirkt schon
martialisch. Meiner Meinung nach soll-
ten wir das Leben gefälliger, ökologi-
scher, weniger aggressiv und intelligen-
ter machen. In den fünfziger Jahren in
Amerika wurden Autos als Symbol des
Fortschritts wahrgenommen. Ihr Design
war von Raketen inspiriert – eine naive,
aber schöne Idee. Indem man sich so ein
Auto kaufte, wurde man Teil des Traums

von einer besseren Zukunft. Da möchte
ich wieder hin.
Autos, die Fortschritt symbolisieren, sind
in meiner Vorstellung tendenziell flach
und signalisieren dadurch Geschwindig-
keit. Die aktuellen SUVs und Cross-over
vermitteln dagegen, dass man im Alltag gut
mit ihnen zurechtkommt. Sie bieten aus-
reichend Platz und dem Fahrer einen guten
Überblick, sind praktisch und natürlich
bequem zum Ein- und Aussteigen.
Einverstanden, SUVs sind möglicher-
weise kein Fort-, sondern eher ein Seiten-
schritt. Ein optischer Gegenentwurf zum
SUV wäre der Hochgeschwindigkeitszug
TGV: Wenn man ihn vorbeifahren sieht,
fühlt man sich in einem Land, in dem die
Technik voranschreitet, die Regierung für
ihre Bürger sorgt und vorausschaut.
Wohin wird sich das Design entwickeln?
Unser Design wird sich in diese Rich-
tung entwickeln. Denn der schwierigste
Punkt bei Elektroautos ist ihre Reich-
weite. Sie spielt nicht so sehr in der Stadt
eine Rolle, wo das Auto durch häufiges
Bremsen viel Energie zurückgewinnt,
die für das Beschleunigen aufgewendet
wurde. Aber auf der Autobahn müssen
Elektroautos super geschmeidig sein.
Deswegen werden sie niedriger als ein
SUV, aber – wegen der Batterien – höher
als eine Limousine sein. Ab 2021/22 wer-
den diese Designs kommen. Sie sehen Sie
ja jetzt schon am VW ID.3. Das wird ein
großer Trend.
Ist es theoretisch denkbar, dass
japanische Kei-Cars auch bei uns
in Europa Fuß fassen könnten?
Diese winzigen Autos sind in Japan
aufgrund der Steuergesetzgebung popu-
lär. Gut ein Drittel der japanischen Autos
sind Kei-Cars. Super praktisch, aber in
Bezug auf die Sicherheit keine 5-Sterne-
Produkte.
Funktioniert Ironie – und Japaner nähern
sich ihren Kei-Cars möglicherweise
ironisch – überhaupt als Design-State-
ment in der automobilen Welt?
Wenn Sie Toyota sind und 100 verschie-
dene Modelle bauen, können Sie wahr-
scheinlich fünf davon in dieser Klasse
laufen lassen. Für uns ist das schwieriger:
Wir haben einen Clio, einen Captur, einen
Talisman und so weiter. Unsere Autos
müssen sich in einem hart umkämpften
Markt behaupten. Wenn es einen großen
Markt für ironische Autos gäbe, wären
wir die Ersten, die dabei sind.n

INTERVIEW: SUSANNE STEPHAN

„SUVs sind möglicher-
weise kein Fortschritt,
sondern eher
ein Seitenschritt“
Laurens van der Acker

Twingo
Als Stromer ge-
plant, als Ver-
brenner gebaut

Clio
Freundlicher
Kleinwagen für
die Familie

DeZir
Elektro-Sport-
wagenstudie
(2010)
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