Focus - 22.02.2020

(Sean Pound) #1
WIRTSCHAFT IMMOBILIEN

Foto: imago images

58 FOCUS 9/2020

In Berlin gilt ab Sonntag der Mietendeckel.


Schon jetzt zeigt sich, wie Vermieter


versuchen, das Gesetz zu umgehen


Mein Haus, euer Deckel


D


as Ziel war schon
erreicht: „Ich habe
Sie dem Vermieter
empfohlen“, sagte
der Makler Ende
Januar am Telefon.
Die neue Wohnung in Berlin-
Mitte schien dem Interessen-
ten sicher. Doch einen Tag
später hieß es: „Die Eigentü-
mer sind meinem Vorschlag
nicht gefolgt.“ Die, so der zer-
knirschte Makler weiter, hätten
nämlich lieber ein Pärchen aus
dem Ausland. Leute also, die es
gewohnt seien, hohe Mieten in
einer Metropole zu zahlen, und
sich mit dem deutschen Recht
nicht besonders gut auskennen.
Ab diesem Wochenende gilt
in Berlin nicht mehr nur Bun-
desrecht, sondern noch ein Lan-
desgesetz: der sogenannte Mie-
tendeckel. Rot-Rot-Grün ver-
steht sein Werk als Wohltat für
die von vergleichsweise hohen
Mietsteigerungen geplagte Ber-
liner Bevölkerung – dort haben
sich die Angebotsmieten in den
vergangenen zehn Jahren nahe-
zu verdoppelt. Nach den neuen
Regeln sind Mieterhöhungen
für fünf Jahre verboten. Es gel-
ten die Mieten aus dem Juni


  1. Ab November werden die
    Mieten zahlreicher Wohnungen
    sogar zwangsweise abgesenkt auf ma-
    ximal 9,80 Euro pro Quadratmeter zu-
    züglich geringer Zuschläge. Und selbst
    wenn Mieter sich freiwillig an die ge-
    schlossenen Verträge halten, müssen
    Vermieter die Differenz zu den politisch
    festgelegten Mieten erstatten – andern-
    falls droht ihnen ein Bußgeld von bis zu
    500 000 Euro.
    Jüngst kam aus der SPD-Bundestags-
    fraktion sogar die Idee für
    einen bundesweiten Mieten-
    deckel. Doch in Berlin erweist
    sich die angeblich soziale
    Wohltat bereits vor Inkraft-
    treten als ein Programm zur
    Wohnungsverknappung zu-
    lasten von Wohnungssuchen-
    den. Makler berichten, dass
    sie spürbar weniger Aufträ-
    ge bekommen, Wohnungen
    zu vermieten. Kein Wunder:
    Die Vermietung rechnet sich
    unter den Bedingungen des


Schön hier!
In diesem Kreuzberger
Idyll sind Mieterhöhungen
bis 2025 verboten

Angebotsmieten für
Wohnungen in Berlin
in Euro/m^210
8
6
4
2
0
2009

bis 2017
jew. 4. Quartal
12

9,57

5,51

14 16 1. Q./19

recht mit Eintrag im Grund-
buch“, für das statt Miete ein
„Nutzungsentgelt“ zu zahlen
sei. Dieses Vorgehen könnte
sich noch rächen. Juristen hal-
ten es für schwierig, Mieter spä-
ter wieder aus dem Grundbuch
zu streichen – wenn Vermieter
zum Beispiel Eigenbedarf für die
Immobilie anmelden.
Der Berliner Jurist Tobias
Scheidacker schult Verwalter
und Eigentümer im Umgang
mit dem Deckel. Scheidacker,
der auch Kreuzberger Kreis-
vorsitzender des Eigentümer-
vereins Haus & Grund ist, geht
davon aus, dass das Bundesver-
fassungsgericht das Gesetz kas-
sieren wird. In sechs Wochen
wollen die Bundestagsfraktionen
von Union und FDP eine Nor-
menkontrollklage einreichen.
Bis dahin jedoch kennt die
Kreativität unter den Wohnungs-
anbietern kaum Grenzen. „Was
wäre“, so fragt ein Teilnehmer
an einem von Scheidackers
Seminaren, „wenn wir ’ne Haus-
verwaltung in Bulgarien grün-
den?“ Klingt skurril, ist aber
nur halb scherzhaft gemeint.
So fragt sich Jurist Scheidacker,
ob der Mietendeckel auch gilt,
wenn die Miete nicht in Berlin
entgegengenommen würde –
sondern beispielsweise im brandenburgi-
schen Umland.
„Jeder Vermieter, der nicht verkaufen
kann oder will, wird jetzt versuchen, so
wenig Geld wie möglich zu verbrennen“,
sagt Michael Voigtländer. Der Ökonom ist
Professor am Institut der deutschen Wirt-
schaft (IW) und verfolgt die Einführung
des Mietendeckels mit Grusel und wissen-
schaftlicher Faszination: „Wir werden viele
Versuche sehen, den Deckel zu unterlau-
fen – etwa indem man nur noch möblierte
Wohnungen anbietet oder untervermie-
tet.“ Und Verlierer wären die Berliner:
„Die Qualität der Häuser wird sinken und
keine neue Wohnung entstehen.“
Das bestätigt schon jetzt die Fachge-
meinschaft Bau. Aufträge seien einge-
brochen, sagt ein Sprecher. Ab Sommer
rechnet man sogar mit einem Rückgang
von einem Viertel. Schlechte Zeiten für
Wohnungssuchende.n

JAN-PHILIPP HEIN

Deckels für viele Eigentümer nicht mehr.
Die Folge: Die Immobilien werden ver-
kauft – am liebsten an Selbstnutzer.
Das ist jedoch nicht überall möglich.
In sogenannten Milieuschutzgebieten
dürfen Mietwohnungen nur mit behörd-
licher Genehmigung in Eigentumswoh-
nungen umgewandelt werden. Da diese
Areale zu den begehrtesten der Stadt
gehören – Altbauviertel mit viel Kultur
und Gastronomie –, müssen
Eigentümer nun besonders
erfinderisch sein.
In einer der schönsten Ecken
Kreuzbergs kam ein Eigentü-
mer vor wenigen Tagen auf die
Idee, einen juristischen Stunt
aufzuführen. Die frisch sanier-
te Altbauwohnung, so hieß es
im Anzeigenportal Immobi-
lienscout24, würde nicht ver-
mietet. Stattdessen erhielten
die künftigen Bewohner ein
„dingliches gesichertes Wohn-

Aufwärts In Berlin haben
sich die Mieten bei Neuver-
mietungen fast verdoppelt

Quelle: empirica

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