BLINDBLIND
FOCUS 9/2020
Restaurator Christoph
Schölzel legte in Vermeers
Briefleserin ein neues
Detail frei: einen Engel
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D
er Schock sitzt noch
tief. Nach dem ruch-
losen Juwelenraub im
Dresdner Grünen Ge-
wölbe Ende Novem-
ber hält die Debatte
in Dresden an. Sind
die Kunstschätze der sächsischen Lan-
deshauptstadt sicher? Die weltberühmte
Sammlung alter Meister, das einmalige
Kabinett von Antikenfiguren? Raffaels
„Sixtina“, Vermeers „Briefleserin“, Lio-
tards „Schokoladenmädchen“ haben vie-
les überstanden: den Zweiten Weltkrieg,
feindlichen Bombenhagel, das russische
Exil, die Flutkatastrophe, Staub, Ruß und
Dreck der Jahrhunderte. Jetzt endlich gibt
es für sie gute Nachrichten.
Nach siebenjähriger Restaurierung und
langer Übergangszeit im Depot kommen
sie zurück ans Licht. Der Semperbau mit
Gemäldegalerie und Skulpturensamm-
lung öffnet am 29. Februar endlich wieder
seine Tore. Die rund 750 Gemälde und
etwa 400 Skulpturen strahlen jetzt tag-
hell vor farbigen Wänden. Jeder Raum
hat ein eigenes Thema und einen eigenen
Farbton: Blau steht für die Franzosen und
Spanier, Grün für die Niederländer und
Deutschen, Rot für die Italiener. Am sat-
testen leuchtet die rote Stofftapete hinter
der „Sixtinischen Madonna“, dem Prunk-
stück des Museums, im Raum der „gro-
ßen Altarbilder“.
Fast 50 Millionen Euro hat sich Sachsen
die Aufpolierung des Kunstpalasts kosten
Dresden hat endlich wieder Grund zu feiern: Nach sieben Jahren Umbau eröffnen
der Semperbau und seine weltberühmte Gemäldegalerie wieder
Wachgeküsst
Mit Kunst leben: Für die Dresdner wurde der Traum in der Werbung wahr –
auf Plakaten für die Wiedereröffnung des Semperbaus montierten
Werber Canalettos Dresden vom rechten Elbufer unterhalb
der Augustusbrücke, 1748, in eine Plattenbauwohnung
Auch Raffaels Die Sixti-
nische Madonna,
1512/13, wurde umgehängt
Kolossales Entree:
Balthasar Permosers
Christus an der
Geißelsäule, 1728,
im Skulpturengang
Jean-Étienne Liotards
Schokoladenmäd-
chen, um 1744–45,
jetzt im blauen Saal