Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

die erstaunlich ernst genommen werden,
obwohl einige nachweislich nicht stimmen.
So variieren schon seine Angaben dazu,
wie viele Maler er nachgeahmt haben will,
mal sind es 50, mal 100.
SPIEGEL:Angeblich hängen in vielen Mu-
seen immer noch unerkannte Fälschungen
von ihm. Glauben Sie das?
Butin:Das allerdings glaube ich. Vor Ge-
richt bekannte er sich nur zu 14 Fälschun-
gen. Das Landeskriminalamt Berlin hat
jedoch mehr als hundert gefälschte Werke
gefunden. Aber diese Fälle sind verjährt.
Und es mögen tatsächlich noch mehr sol-
cher Bilder kursieren. Vor Fälschungen ist
man grundsätzlich nirgendwo sicher.
SPIEGEL:Sie haben das Werkverzeichnis
der Editionen von Gerhard Richter ver-
fasst und werden häufig um Expertisen ge-


beten. Was fällt Ihnen aus der Perspektive
des Gutachters auf?
Butin:Ich beobachte sehr genau, was an
Werken Richters gehandelt wird, in Gale-
rien, in Auktionshäusern, auch auf Platt -
formen im Internet. Ich sehe jede Woche
eine neue Fälschung. Sie zu erkennen ist oft
nicht einmal schwer. Die meisten Objekte
sind grottenschlecht gemacht, das Unechte
daran springt einen regelrecht an. Aber so-
gar die in London ansässigen Betreiber von
Richters Website erkennen das nicht immer
und bilden sie als Originale ab. Solche Feh-
ler werden, wenn sie erkannt werden, na-
türlich umgehend korrigiert. Nicht immer
werden aber nur Werke gefälscht.
SPIEGEL:Was noch?
Butin:Auch passende Dokumente. Ein
Mann, der wohl aus dem Rheinland

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020 123


LIECHTENSTEIN / THE PRINCELY COLLECTIONS, VADUZ-VIENNA ALEXEJ VON JAWLENSKY-ARCHIV
Vermeintliche Arbeiten von Lucas Cranach, Gerhard Richter (o.), Alexej von Jawlensky
Regelrechte Industrie, vergleichbar mit der für nachgemachte Louis-Vuitton-Handtaschen

stammt, hat im Stile von Richter gleich
mehrere Ölbilder auf Karton gemalt, was
jedoch aufflog. Richter bestätigte 2009
den ermittelnden Behörden schriftlich,
dass es sich um Fälschungen handle. Of-
fenbar durften der Verdächtige oder sein
Anwalt den Brief bei der Staatsanwalt-
schaft ein sehen. Das Schriftstück muss
kopiert worden sein – diese Kopie wurde
manipuliert und die Aussage ins Gegenteil
verdreht. Als der Fälscher weitere Imita-
tionen in den Handel einspeiste, legte er
das Dokument vor, das nun besagte, das
vorliegende Werk sei echt. Das war un-
glaublich dreist.
SPIEGEL:Gilt eigentlich die Faustregel: Je
anerkannter ein Künstler auf dem legalen
Markt ist, desto populärer ist er auch unter
Betrügern?
Free download pdf