weiße Schirmmütze der Eigenmarke des
Sportartikeldiscounters Decathlon. Dazu
eine rote Windjacke über einem gemuster-
ten Sweatshirt, eine weiße Hose und graue
Sportschuhe. Nicht Sneaker, sondern tat-
sächlich Sportschuhe. Er setzt sich an den
Tisch unter einer kitschigen Manhattan-
Fotografie, Abziehbild des globalen Groß-
stadtgefühls, derselbe Platz, an dem auch
Tanja Arnheim sitzt. »Allegro Pastell«
spielt nicht nur in der Gegenwart, sondern
auch in einer realen Stadt. Und nicht nur
das: Es wird auch noch ständig verwiesen
auf das Hier und das Jetzt. Ganz genaue
Zeitangaben werden gemacht, die mit
gesellschaftlichen Entwicklungen gekop-
pelt werden, dem Brexit zum Beispiel.
Straßennamen, Klubs und Restaurants
werden benannt.
Ein Versuch der totalen Gegenwart. Nur
dass diese Gegenwart nie als Gegenwart
begriffen, sondern immer schon als Rück-
blende empfunden wird – »vorauseilende
Wehmut« nennt Tanja das in ihrem Ro-
man und findet damit einen Begriff, der
wie kein anderer den Seinszustand einer
Generation benennt, die ihr Leben als Film
und sich selbst als Regisseur begreift.
Seinen Durchbruch hatte Randt 2012
mit »Schimmernder Dunst über Coby-
County«, einem Roman, der in einer fik -
tiven Stadt spielt, von der man nicht genau
sagen kann, wann und wo sie existieren
soll. Danach folgte 2015 »Planet Magnon«,
eine Dystopie in einer fernen Zeit, in
einem fernen Sonnensystem. Randt erar-
beitete sich in den Büchern eine eigene
Sprache, ein Konzept, das er selbst als
»Post Pragmatic Joy« bezeichnete. Das
Prinzip: »Dinge im Ausgleich halten, Wi-
dersprüche vereinen und einen Zustand
generieren, der eine Art Glückszustand
ist«, sagt er. Die Figuren sind glücklich,
aber nicht überschwänglich. Es gibt große
Gefühle, aber keine Gefühlsausbrüche.
Nichts ist extrem. Daher hieß es bei seinen
letzten Büchern, ihr beherrschendes Merk-
mal sei die Oberfläche.
In beiden Büchern war Liebe schon un-
terschwellig ein Leitfaden, der die Men-
schen durch ihr dumpfes Gefühlsleben ge-
leitet hat. In »CobyCounty« scheint Liebe
nur noch als Schablone vorhanden, die der
Icherzähler versucht auszumalen: »Es sind
eher gute Erinnerungen, muss ich sagen,
ich bereue sie nicht, aber es sind keine Er-
innerungen an Liebe, denke ich. Ich ver-
liebe mich, wenn ich ehrlich bin, nur in
einen bestimmten Typ von Frauen: in die
mädchenhaften, schmalen, hellhäutigen,
die gut angezogen sind und irgendwie
wohlhabend aussehen.« In »Planet Mag-
non« ist es das »Kollektiv der gebrochenen
Herzen«, das anfängt, gegen die herrschen-
de Gesellschaftsordnung und die regieren-
de künstliche Intelligenz zu rebellieren.
Jetzt also, mit »Allegro Pastell«, schreibt
sich Leif Randt, mittlerweile 36 Jahre alt,
wieder auf die Erde hinunter, und im Ver-
gleich zum Kollektiv der gebrochenen Her-
zen scheint die Liebe hier seltsam unpoli-
tisch geworden zu sein. Genau darin liegt
aber natürlich die politische Dimension
des Buches.
Als Tanja Arnheim an Weihnachten zu
Hause bei ihren Eltern ist, reden sie am
Heiligabend über Angela Merkel, weil das
das einzige Thema ist, bei dem man sich
ganz sicher nicht streiten wird: »Alle vier
Arnheims hatten Angela Merkel ins Herz
geschlossen, auf einer affektiv-menschli-
chen Ebene, ohne sie je gewählt zu haben.«
Hat sich das Phlegma Merkels auch über
Tanja und Jerome gelegt? Ist »Allegro Pas-
tell« letztlich auch eine Abrechnung mit
der Generation, die unter Merkel groß ge-
worden ist? »Da ist eine gewisse Ohn-
macht«, sagt Leif Randt dazu. »Man weiß
nicht so richtig, was zu tun wäre. Was
könnte man tun? Man hätte gerne klarere
Anweisungen, wie man sich einbringen
könnte als Bürger oder als Person, um ir-
gendwas besser zu machen. Die haben halt
beide ihren Job und geben darin das Beste.
Und sonst verwalten sie ihre Privilegien.
Man kriegt ein Kind als sinnstiftende Auf-
gabe, altert langsam, und irgendwann kann
man altersmilde zurückblicken und sich
sagen, dass alles in Ordnung war.« Viel-
leicht muss eine Liebesgeschichte in Zeiten
von Angela Merkel eine Geschichte von
verwalteter Liebe sein. Von einer Liebe,
die kuratiert wird wie der eigene Insta -
gram-Kanal.
Phase drei: TV-Bar, 23.10 Uhr
Ein Absacker-Pils in einer Bar, nur einige
Gehminuten vom Kaplan-Döner entfernt,
Leif Randt erzählt vom rebellischsten Mo-
ment seines Lebens: Bei der Musterung
zum Zivildienst habe er gelogen und ge-
sagt, er würde oft kiffen, dabei kiffte er
nur selten. Ausgemustert. Frage an Leif
Randt: Jerome und Tanja sind so hyper -
reflektiert, dass nie etwas unklar bleibt, je-
der noch so kleine Raum wird gefüllt mit
Analysen, es bleibt kein Platz für Unge-
reimtheiten. Ist da überhaupt noch Raum
für Liebe? Leif Randt schaut verdutzt. Es
sei doch genau das Gegenteil: Alles bleibe
unklar, unscharf, verschwommen. Stimmt
auch wieder. Wo alles analysiert wird, wo
so ein Überangebot an Informationen und
Interpretationen da ist, bahnt sich auf ein-
mal auch wieder das Unvorhergesehene
einen Weg. Vielleicht ist die Erzählung von
der Liebe als Blitzeinschlag und unerklär-
lichem Wohlsein im Herzen auch immer
schon eine Erfindung gewesen.
Das wahrscheinlich klügste und zu-
gleich berührendste Buch über die Liebe
hat 1977 der französische Philosoph Ro-
land Barthes geschrieben, »Fragmente
einer Sprache der Liebe«. Er beschreibt
darin die Mechanismen, mit denen wir uns
Liebe erzählen. Barthes wusste, dass Lie-
be, gerade weil sie so unmittelbar ist, das
größte Potenzial zur Selbstinszenierung
bietet. Ja, dass sie gar nicht anders wahr-
genommen werden kann als vermittelt
durch all die Vorstellungen und Erwartun-
gen und Projektionen, denen man Tag für
Tag ausgesetzt ist.
Insofern wäre die Zeit von Social Media,
die Jetztzeit, eine, in der wir die Liebe so
gut wie noch nie inszenieren können.
Und Leif Randts Oberflächen genau der
richtige Untergrund, um moderne Lieben-
de darauf wandeln zu lassen. Das wäre zu-
mindest eine Möglichkeit, dem Gegen-
wartsfatalismus entgegenzutreten, der in
jungen Menschen heute allzu schnell nur
mehr gefühlstote Zombies erkennen will.
Sicher ist das nicht, nur eine Spekulation.
Aber immerhin.
Sicher hingegen ist: Leif Randt hatte
unrecht. Seine Form ist auf Rekord-High.
Xaver von Cranach
127
Kultur
Gegenwartsbeobachter Randt
Ständiger Verweis auf das Hier und Jetzt