Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

Fotos: Claire Folger / Warner Bros.; Jürgen Olczyk / Sony Pictures 31


LITERATURADAPTION
Gott oder Sex?
Narziss und Goldmund.
Regie: Stefan Ruzowitzky. Mit Henriette
Confurius, Jannis Niewöhner, Sabin
Tambrea, Emilia Schüle. Kinostart: 12. März.

Der eine zieht in die Welt hinaus
und sucht nach Abenteuern, der ande-
re hält in einer Klosterzelle innere
Einkehr. Die beiden Titelhelden von
Hermann Hesses 1930 erschienener
Erzählung »Narziß und Goldmund«
verkörpern gegensätzliche Modelle,
im Leben Glück und Erfüllung zu fin-
den. Vermutlich ist das Buch deshalb
bei vielen jungen Leuten noch immer
beliebt. Der österreichische Regisseur
Stefan Ruzowitzky, 2008 für »Die
Fälscher« mit einem Oscar ausge-
zeichnet, hat den Klassiker nun mit
viel Mut zu Kitsch und Pathos auf die
Leinwand gewuchtet, nicht immer
geschmackssicher, aber kraftstrotzend.
Mal fühlt sich der Zuschauer wie auf
einem Mittelalter-Themenfest, dann
wie in einem Sexklub, es wird gehurt
und gebetet, gesoffen und geprügelt.
Jannis Niewöhner macht aus Gold-
mund einen sonnigen Springinsbett,
eine Mischung aus Siegfried und Brad
Pitt; Sabin Tambrea verleiht dem
entsagungsvollen Narziss eine vibrie-
rende Intensität. Der Film ist immer
dann stark, wenn er sich seinen zwei
Hauptdarstellern anvertraut. Leider
zettelt er auf der Suche nach Konflik-
ten und Wendungen überflüssige Ne-
benhandlungen an, reiht Gastauftritte
von bekannten Schauspielern wie
Uwe Ochsenknecht und Jessica
Schwarz aneinander und verliert sein
Zentrum dabei einige Male aus dem
Blick. Lars-Olav Beier

SOZIALDRAMA


Der Flüchtling, der


Dealer und die Hure


Berlin Alexanderplatz.
Regie: Burhan Qurbani. Mit Welket Bungué,
Jella Haase, Albrecht Schuch, Joachim Król.
Kinostart: 16. April.


Fast anderthalb Jahre verbrachte
der Regisseur Burhan Qurbani im
Schneideraum, um seiner Neuver -
filmung von Alfred Döblins 1929
erschienenem Großstadtroman eine
Form zu geben. Qurbani kam 1980
als Sohn afghanischer Flüchtlinge in
Deutschland zur Welt, genau in dem
Jahr, als Rainer Werner Fassbinders
14-teilige TV-Adaption des Buches
Fernsehgeschichte schrieb. Der Regis-
seur, der sich in seinem Film »Wir sind
jung. Wir sind stark« (2014) mit den
Ausschreitungen in Rostock-Lichten-
hagen beschäftigt hatte und damit für
Aufsehen sorgte, kam auf eine so ein-
fache wie schlagende Idee: Er verlegte
die Handlung ins Berlin von heute, in
die neuen Zwanzigerjahre. Aus Franz
Biberkopf, dem Helden des Romans,
wurde der westafrikanische Flüchtling
Francis (Welket Bungué), aus dem Ga-
noven Reinhold ein Dealer (Albrecht
Schuch) und aus der Hure Mieze ein
Callgirl mit Smartphone, gespielt von
Jella Haase. Mit großer erzählerischer
Kraft und grandiosen Bildern zieht
Qurbani den Zuschauer in seinen Film
hinein und stilisiert die Baustelle eines
U-Bahn-Tunnels zum Hades einer
modernen Metropole. Die Aktualisie-
rung des Stoffes funktioniert zunächst
erstaunlich gut, die drei Hauptdarstel-
ler sind großartig, vor allem Schuch,
der in der Rolle des Bösewichts den
Film mehr und mehr an sich zieht.
Dies ist zugleich das Problem. Die
Dämonie der Figur überschattet alles,
auch die sozialen Verhältnisse, von
denen Qurbani erzählen möchte. Am
Ende des mit drei Stunden deutlich zu
lang geratenen Films versteht der
Zuschauer kaum noch, warum so viele
Menschen von einem Mann abhängig
werden können, der alles um sich
herum zerstört. Auch wirken die Off-
Texte, die den Zuschauer immer
wieder daran erinnern, dass der arme
Francis doch gern ein guter Mensch
wäre, eher störend. Lars-Olav Beier


Schauspieler Confurius, Niewöhner
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