überzeugt: »Ich kann mich überall raus-
quatschen.«
Anis Amri aber hatte gerade andere
Sorgen. Die Berliner Polizei hatte ihm sein
Handy abgenommen. Er bat Cem, ein
neues für ihn zu besorgen. Der V-Mann
half gern – und versorgte die Polizei gleich
mit den entsprechenden Daten, um Amri
weiter abhören zu können. Amri zeigte
kein Zeichen des Misstrauens, im Gegen-
teil: Die Freundschaft der beiden Män-
ner wuchs.
In der Nacht vom 23. auf den 24. Fe bru -
ar 2016 chauffierte Murat Cem seinen
»Bruder« Anis Amri nach Berlin. Sie bra-
chen am späten Abend auf, nach dem
Nacht gebet in der Dortmunder Moschee.
Cem setzte sich ans Steuer, Amri auf den
Beifahrersitz. Er hatte einen schwarzen
Rucksack dabei.
Nach einem Kaffee an einer Raststätte
schimpfte Amri über den Salafistenpredi-
ger Ibrahim Abou-Nagie und sein »Lies!«-
Projekt. Man dürfe die Ungläubigen nicht
bekehren, man dürfe niemals mit ihnen
sprechen. Sie töteten jeden Tag Muslime,
deswegen müsse er sie töten.
Amri zog ein schwarzes Tuch über den
Kopf und ließ nur die Augenpartie frei.
Er sah nun aus wie einer der IS-Kämpfer.
Cem schauderte, doch er schwieg. Am
frühen Morgen erreichten sie ihr Ziel, die
Fussilet-Moschee in Berlin-Moabit. Der
Gebetsraum an der Perleberger Straße
war ein berüchtigter Treff gewaltbereiter
Is lamisten in der Hauptstadt.
Die Tür war nicht verschlossen, beide
verschwanden in dem Gebäude und ver-
suchten, etwas zu schlafen. Später ging
Cem vor die Tür, um eine Zigarette zu rau-
chen. Als er zurückkam, hatte sich Amri
das traditionelle Gewand eines Imams an-
gezogen. Er gab nun den Vorbeter.
Welch skurrile Szene: Morgens um
sechs Uhr verrichteten der Mann, der noch
im selben Jahr den schlimmsten islamisti-
schen Anschlag in der deutschen Geschich-
te verüben würde, und der Undercover -
agent, der jeden islamistischen Anschlag
verhindern wollte, gemeinsam das Früh-
gebet. Dann frühstückten sie.
Es war inzwischen Frühjahr geworden
im Jahr 2016. Die Versuche des nordrhein-
westfälischen LKA, des Problems Anis
Amri Herr zu werden, waren gescheitert.
Weder eine Abschiebung nach Tunesien
war gelungen noch der Versuch, ihn we-
gen Sozialbetrugs in Untersuchungshaft
zu nehmen.
Als sich Amri immer öfter in Berlin
aufhielt, schlug Cem seinen Führungs -
beamten vor, auch in die Hauptstadt zu
ziehen. Er habe Amri nahebleiben wollen,
sagt er. Cem hielt den Tunesier für hoch-
gefährlich und zu allem entschlossen.
Amri habe ihn sogar darum gebeten, so
der V-Mann. Doch die Polizei war dage-
DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020 17
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