Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

38 SPIEGEL BESTSELLER / FRÜHJAHR 2020


KLASSIK II

Intrigen und Gelüste


G. F.: Händel: Agrippina.
Warner Classics.


Ganz vergessen war das Werk nie,
mit dem der 24-jährige Georg Fried-
rich Händel 1709 Europas Vergnü-
gungshochburg Venedig bezauberte.
Der Dreiakter bietet Attraktionen
noch und noch: Liebesintrigen,
Machtgelüste, eine Titelheldin, die ih-
ren Sohn zum Kaiser Roms machen
will und dafür alle betrügt und gegen-
einander aufhetzt, samt versöhnli-
chem Finale, in dem schließlich sogar
Göttin Juno anschwebt und den neuen
Herrscher Nero segnet.
Inzwischen gibt es etliche gute Auf-
nahmen des Werks, darunter eine
wie üblich historisch präzis recher-
chierte, dramaturgisch durchgestaltete
vom Barockfachmann René Jacobs.


Doch der Zauber großer Stimmen
kommt erst im Livemitschnitt voll
zur Geltung. Genau das bietet diese
neue Auf nahme. 310 Jahre nach
der Uraufführung präsentierte das
Orchester Il pomo d’oro im vergange-
nen Jahr unter Leitung von Maxim
Emelyanychev auf einer Europatour-
nee Händels Hit in einer Besetzung,
die kaum Wünsche offen ließ: Joyce
DiDonato als fiese und doch feinfüh -
lige Agrip pina, Countertenor-Weltstar
Franco Fagioli als ihr Sohn Nerone,
sein Kollege Jakub Józef Orlinski in
der Rolle des Ottone, dazu Elsa
Benoit als Poppea – Publikum wie
Kritiker jubelten.
Jetzt können auch alle übrigen Ba-
rockfreunde Händels erstaun liches
Klangfeuerwerk aus schmelzenden
Lyrismen und manchmal geradezu
aberwitziger Koloraturartistik in aller
Pracht genießen. Johannes Saltzwedel

Sängerin DiDonato bei »Agrippina«-Probe in New York im Januar
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