Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

mals Hamburger Innensenator, wurde
1962 in der Flutkatastrophe als unbürokra-
tischer Krisenmanager zur Legende. Ger-
hard Schröder verdankte seine Wieder-
wahl als Kanzler 2002 vor allem dem Elb-
hochwasser. Instinktsicher ließ er sich als
Helfer in Gummistiefeln ablichten.
Das Gegenbeispiel lieferte Anfang 2001
die BSE-Krise, die gleich zwei Minister
aus dem Amt kegelte. Die damalige Ge-
sundheitsministerin Andrea Fischer muss-
te sich vorwerfen lassen, dass die Behör-
den zu spät reagiert hätten. Und Land-
wirtschaftsminister Karl-Heinz Funke er-
kannte, dass er nicht der Richtige war, um
einen Neuanfang in der Agrarpolitik an-
zustoßen.
In der Krise ist der Grat schmal zwi-
schen besonnenen Reaktionen und verspä-


teten Taten, zwischen Durchgriff und Alar-
mismus. Es ist ein Grat, von dem man
leicht abstürzen kann.
Als Spahn neulich ein paar Schritte zu
Fuß ging, so erzählen Mitarbeiter, rief ein
Passant: »Hast du gerade nichts anderes
zu tun?« Jeder Anschein, er könnte falsche
Prioritäten setzen, wird in diesen Tagen
gegen ihn verwendet.
Bislang hat Spahn eher positiv über-
rascht. Als die Kanzlerin ihrem konserva-
tiven Kritiker nach den Koalitionsverhand-
lungen das ungeliebte Gesundheitsressort
anbot, ließ sich das als Akt subtiler Bos-
haftigkeit verstehen. In den Verästelungen
des Systems haben sich schon viele Vor-
gänger verheddert.
Spahn jedoch beschloss, die Zumutung
in eine Zukunftsstrategie umzudeuten. Im

Ministerium sammelte er politische Vor-
denker um sich und erfand mit ihnen eine
passende Erzählung: Vertrauen schaffe
man mit solider Regierungsarbeit. Und so-
lide Regierungsarbeit bedeute, den »Alltag
der Menschen spürbar besser zu machen«.
In diesem Sinne versprach Spahn mehr
Pflegekräfte, kürzere Wartezeiten auf Ter-
mine beim Arzt oder neue Gesundheits-
Apps auf Kassenkosten.
Allerdings stößt diese Strategie jetzt an
Grenzen. Denn nichts prägt den von
Spahn beschworenen Alltag mehr als die
Coronakrise. Wo das Virus auftaucht, sind
Supermärkte leer gekauft, Kindergärten
und Schulen geschlossen, und Hausärzte
kleben Schilder an ihre Praxistür: »Hier
kein Coronatest«. Die Schutzmaßnahmen
sollen dafür sorgen, dass das Virus sich

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020 27


THOMAS KOEHLER / PHOTOTHEK.DE

Gesundheitsressortleiter Spahn: »Hast du gerade nichts anderes zu tun?«

Free download pdf