mit einem anderen Problem: der Spaltung
in der eigenen Partei.
Wie heikel das Thema für die CDU ist,
zeigte sich diese Woche beim Antrag der
Grünen, 5000 Hilfsbedürftige aufzuneh-
men. Wäre darin nicht der Ruf nach einem
deutschen Alleingang enthalten gewesen,
hätten möglicherweise zahlreiche CDU-
Abgeordnete dem Antrag zugestimmt.
Schon in der Unionsfraktionssitzung am
Dienstag gab es scharfe Wortmeldungen,
etwa von Kees de Vries, einem Landwirt:
Würde er seine Tiere so halten, wie die
Kinder in den griechischen Lagern lebten,
hätte er sofort die Tierschützer auf dem
Hof, sagte er. Ein anderer dagegen soll den
Befürwortern einer humaneren Politik vor-
gehalten haben, sie hätten ja nur Angst
vor den Bildern. Beidseitige Empörung.
Am Mittwochmorgen eskalierte der
Streit dann auf höchster Ebene. Die Unions -
seite hatte sich zum Frühstück vor der Ka-
binettssitzung getroffen. Fraktionschef
Ralph Brinkhaus soll sich schwer genervt
davon gezeigt haben, dass er sich im Wahl-
kreis seit Wochen mit dem Thema Flücht-
linge auseinandersetzen müsse. Auch die
Kanzlerin war offensichtlich schwer ge-
nervt – von Brinkhaus’ Monolog.
Als der Fraktionschef ausführte, die Leute
in seinem Wahlkreis trauten der Regierung
nicht zu, die Lage in den Griff zu bekommen,
soll ihm ausgerechnet Horst Seehofer in die
Parade gefahren sein, der einst der Antipode
Merkels war: was Brinkhaus damit sagen
wolle? Seehofer beschrieb daraufhin aus-
führlich, wie man mit der Türkei einen neu-
en Deal vereinbaren, die Außengrenze schüt-
zen, zugleich aber mehr Humanität zeigen
wolle. Er und Merkel warfen der Fraktion
vor, in Sachen Migration mit falschen Zahlen
zu operieren. Ein harscher Vorwurf.
Als es schließlich um den Antrag der
Grünen ging, soll sich Michael Grosse-
Brömer zu Wort gemeldet haben, der Frak-
tionsgeschäftsführer: Es gebe ja nur ver-
einzelte Abgeordnete, die für diese Lösung
seien. Daraufhin zogen empört diejenigen
los, die sich für einen flüchtlingsfreund -
licheren Kurs einsetzen, um Unterschriften
für eine persönliche Erklärung zum Antrag
der Grünen zu sammeln. Darin wird ein
»Alleingang« zwar abgelehnt, doch eine
schnelle europäische Lösung gefordert, um
Kinder aufnehmen zu können. Bereits am
Ende des Tages haben 48 Abgeordnete un-
terschrieben.
»Die Debatte in der Fraktionssitzung
fand ich sehr unbefriedigend«, so der par-
lamentarische Staatssekretär im Bildungs-
ministerium Thomas Rachel, Initiator der
Erklärung. »Ich hatte danach das Gefühl:
Wir müssen, gerade aus christlichen Moti-
ven, die humanitäre Sicht stark machen.«
Die Grünen wirken geschlossener. Ih-
nen ist klar, dass sie mit reiner Willkom-
menshaltung nicht durchkommen – jeden-
falls nicht ins Kanzleramt. Sie versuchen
deshalb, beide Lager zu bedienen.
Parteichefin Baerbock sprach Anfang
der Woche erst von einer »europäischen
Krise« und gab sich betroffen. Dann schlug
sie während desselben Auftritts plötzlich
Töne an, die aus der CDU kommen könn-
ten: »Die Verpflichtung einer europäi-
schen gemeinsamen Außengrenze ist, dass
sie nicht unkontrolliert geöffnet wird.«
Auch die Grünen haben ihre inneren
Widersprüche, doch die schaden ihnen bis-
lang kaum, sie bleiben im Umfragehoch.
Das lässt, je näher die Wahl rückt, die Ner-
vosität in der Union wachsen.
»Wenn die Grünen es schaffen, demo-
skopisch längerfristig stabil auf das Niveau
der Unionsparteien zu kommen, wird das
eine Welle auslösen, wie wir sie wahr-
scheinlich seit Gerhard Schröder nicht
mehr erlebt haben«, sagt CSU-Landes-
gruppenchef Dobrindt. »Die Leute, die
einfach mal eine Systemänderung wollen,
ohne das genauer definieren zu können,
werden sich auf deren Seite begeben.«
In der CDU fürchten zudem viele, dass
die neue Flüchtlingskrise den Kampf um
den Parteivorsitz belasten könnte. Nichts
unterscheidet die Rivalen Armin Laschet
und Friedrich Merz so sehr wie die Migra-
tionsfrage. Weil Laschet im Jahr 2015 einer
der klarsten Fürsprecher des Merkel-Kur-
ses war, gilt er bei seinen Gegnern bis heu-
te als Mann der offenen Grenzen. Merz
hingegen stellte sich einst gegen Merkels
Politik, weshalb seine Kritiker in ihm die
personifizierte Herzlosigkeit sehen.
Beide wandeln in diesen Tagen auf ei-
nem schmalen Grat, wobei die Lage für
Laschet heikler ist. Gibt er sich flüchtlings-
freundlich, verfestigt sich das Bild, das sei-
ne Gegner von ihm zeichnen. Setzt er sich
von Merkels Kurs 2015 ab, könnte er wie
jemand wirken, der seine Haltung aus tak-
tischen Gründen korrigiert. Deshalb hat
Laschet eine Formel gefunden, die beides
vereinen soll: Er verteidigt den damaligen
Kurs der Kanzlerin und betont, Ereignisse
wie 2015 dürften sich nicht wiederholen.
Auch für Merz ist die Lage nicht einfach.
Gibt er den Hardliner, handelt er sich den
Vorwurf ein, das Elend zu instrumenta -
lisieren. Schweigt er, enttäuscht er seine
Anhänger. Also hat auch Merz eine Formel
gefunden: Er warnt davor, den Flücht -
lingen zu große Hoffnungen zu machen.
Gleichzeitig spricht er von einer »großen
humanitären Katastrophe« und fordert,
»jede Unterstützung« zu ermöglichen.
Die Frage ist, ob er es sich leisten kann,
so ausgewogen zu bleiben. Die Parteitags-
delegierten dürften Ende April vor allem
danach entscheiden, wem sie als Kanzler-
kandidat die besten Chancen zutrauen.
Einer der Kandidaten scheint jedenfalls
keinerlei Scheu zu haben, sich in die De-
batte einzuschalten: Norbert Röttgen, der
Dritte im Bunde. Er meldete sich am Don-
nerstag bei T-online zu Wort und kritisier-
te die Bundesregierung offen. »Von einer
Strategie kann, befürchte ich, noch nicht
gesprochen werden«, sagte Röttgen.
Christoph Hickmann, Valerie Höhne,
Martin Knobbe, Veit Medick
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Deutschland
DOMINIK BUTZMANN / LAIF
Grünenvorsitzende Habeck, Baerbock: Kampf um die Mitte
Nichts unterscheidet
die Rivalen Laschet
und Merz so sehr wie
die Migrationsfrage.
‣Lesen Sie auch auf Seite 76
Wie die Europäische Union versucht, die
neue Flüchtlingskrise zu bewältigen