Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

Es war die größte Zinssenkung seit 2008
und die erste, die seit der Finanzkrise zwi-
schen regulären Sitzungen beschlossen
wurde. Und ein Signal, das vor allem die
Aktienmärkte beruhigen sollte – was, zu-
mindest kurzfristig, gelang.
Aber welche Möglichkeiten haben Re-
gierungen und Notenbanker tatsächlich,
die Wirkung des Corona-Schocks auf die
Wirtschaft abzumildern?
Schon werden in der Wirtschaft Rufe
nach staatlicher Hilfe laut. Michael Fren-
zel, Präsident des Bundesverbands der
Deutschen Tourismuswirtschaft, forderte
diese Woche, seine Branche mit mehr als
drei Millionen Mitarbeitern und mehreren
Hunderttausend meist mittelständischen
Unternehmen müsse »zwingend Teil eines
Konjunkturprogramms der Bundesregie-
rung« werden.
Die Lufthansa hat ihr Flugprogramm
bereits kräftig zusammengestrichen und
150 Maschinen, 20 Prozent ihrer Flotte,
aus dem Verkehr gezogen. Als Folge könn-
ten allerdings Start- und Landerechte an
stark frequentierten Flughäfen verloren
gehen, weil die Lufthansa die sogenannten
Slots nicht mehr regelmäßig nutzt.
»Corona trifft die ganze Luftfahrt -
industrie«, sagt Lufthansa-Chef Carsten
Spohr. »Das sind außergewöhnliche Um-
stände, auf die wir unsere Flugpläne hin
anpassen müssen. Wir brauchen deshalb
eine gezielte Aussetzung der aktuellen
Slot-Regelung, damit Fluggesellschaften
nicht gezwungen werden, mit leeren Flug-
zeugen zu fliegen, nur um die Start- und
Landerechte zu erhalten«, fordert Spohr,
»das wäre ökologisch und ökonomisch
sinnlos.«
In Berlin diskutieren die Verantwortli-
chen nun, wie sie die Krise bekämpfen
sollen. Einerseits will sich die Regierung
nicht nachsagen lassen, untätig zu sein.
Andererseits will sie die Angst nicht wei-
ter schüren. »Die Psychologie ist ein viel
größeres Problem als das Virus selber«,
sagt ein Verantwortlicher im Wirtschafts-
ministerium.
Für den Fall, dass sich die Lage zuspitzt,
hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier ei-
nen dreistufigen Plan ausgearbeitet. In der
ersten Stufe sollen Unternehmen, die in fi-
nanzielle Schieflage geraten, mit Bürg-
schaften oder Krediten der staatseigenen
KfW gestützt werden.
Diese Gelder können, das ist Stufe zwei,
bei Bedarf aufgestockt werden. Zudem
könnten die Finanzämter anstehende Steu-
erzahlungen stunden, um Liquiditäts -
problemen der Unternehmen vorzubeu-
gen. Erst Stufe drei sieht Maßnahmen zur
Belebung der Nachfrage vor.
Geld für ein klassisches Konjunktur -
programm wäre vorhanden. Allein 50 Mil-
liarden liegen in der Rücklage, die eigent-
lich zur Bewältigung der Flüchtlingskrise


geschaffen, bisher aber nicht gebraucht
wurde. Auch die Schuldenregeln von Bund
und EU sind kein Hindernis, Geld auszu-
geben. Sie erlauben in Krisenzeiten aus-
drücklich höhere Kredite.
Die Frage ist allerdings, wofür das Geld
ausgegeben werden soll. Nach der Finanz-
krise 2008 bekamen unter anderem die
Kommunen mehr Geld, um Straßen oder
Schulen zu bauen. Derzeit aber ist die Bau-
branche so ausgelastet, dass zusätzliches
Geld vor allem die Preise in die Höhe trei-
ben würde.
Alternativ könnte der Staat versuchen,
den Konsum anzukurbeln, etwa durch
eine vorübergehende Senkung der Mehr-
wertsteuer. Doch auch das würde wenig
nützen, wenn die Menschen aus Angst vor
dem Virus nicht mehr in Läden oder Res-
taurants gehen.
Die Corona-Krise trifft die Angebots-
und die Nachfrageseite der Wirtschaft glei-
chermaßen, das macht es für Politik und
Notenbanken schwierig, angemessen zu
reagieren. Manchen Unternehmen bricht
der Umsatz weg, andere können nicht pro-
duzieren, weil ihre Belegschaft zu Hause
bleiben muss. Ifo-Chef Clemens Fuest hält
die Möglichkeiten der Politik, die Krise zu
bekämpfen, deshalb für begrenzt. »Das
kann man nicht im Griff haben«, sagt er.
»Man kann nur reagieren.«
Zum Beispiel mit Kurzarbeitergeld.
Wenn ein »unabwendbares Ereignis« zu
Produktions- und Arbeitsausfällen führt,
übernimmt die Arbeitsagentur maximal
zwölf Monate lang bis zu 67 Prozent der
Löhne. So sollen Entlassungen vermieden
werden, bis die Konjunktur anzieht.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
arbeitet zudem an einer Gesetzesnovelle,
die schnell umgesetzt und auch im Fall
einer Epidemie angewendet werden könn-
te. Das Kurzarbeitergeld würde dann bis
zu 24 Monaten bezahlt werden. Außer-
dem könnten den Unternehmen bei Kurz-
arbeit die Sozial beiträge bis zu hundert
Prozent erstattet werden. Das nähme Un-
ternehmen die Sorge, wegen des Virus in
die Pleite zu rutschen.
Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Lan-
desbank Baden-Württemberg (LBBW),
kann sich noch gut an die Finanz- und
Wirtschaftskrise 2008/2009 erinnern. Sei-
ne Bank musste damals vom Staat gestützt
werden, auch viele Firmen überstanden
die Krise nur dank vielfältiger Hilfen von
Bund und Ländern.
Burkert und sein Team haben keine
Zweifel, dass das Virus der deutschen Wirt-
schaft schwer zusetzen wird. »Das erste
Halbjahr haben wir abgeschrieben«, sagt
er, die Bank erwarte zwei Quartale mit
schrumpfender Wirtschaft.
Burkert fürchtet, dass ausgerechnet die
Regulierung, mit der die Staaten auf die
Finanzkrise reagiert hatten, die Lage jetzt
verschärfen könnte. Um die Banken siche-
rer zu machen, wurde damals verfügt, dass
diese ihre Risikovorsorge für Kreditausfäl-
le erhöhen und mehr Kapital vorhalten
müssen, wenn sich die Bonitätsbewertung
der Unternehmen verschlechtert.
Das schmälert die Gewinne der Banken.
Deshalb schränken sie die Kreditvergabe
lieber ein – was wiederum die Probleme
der Unternehmen verschärft. Die Rating-
agentur Standard & Poor’s warnt bereits,

DER SPIEGEL Nr. 11 / 7. 3. 2020

Wirtschaft

Gleiches Muster?
Entwicklung des Dax während
ökonomischer Krisen; Veränderung
in Prozent gegenüber Krisenbeginn

Quelle: Refinitiv Datastream


  1. Monat 3. Monat 6. Monat


–30%

–20%

–10%

0%

2008



  1. September: Zusammenbruch
    der Investmentbank Lehman Brothers


2011



  1. Juli: Griechenlands Kreditwürdigkeit
    wird ein weiteres Mal herabgestuft.


2020



  1. Februar: Unternehmen wie Apple
    kündigen Gewinnrückgänge aufgrund
    von Lieferengpässen an. Experten warnen
    vor den Folgen des Coronavirus für die
    Weltwirtschaft.

Free download pdf