Der Spiegel - 07.03.2020

(Ben Green) #1

An diesem Super Tuesday hat Biden
einen furiosen Sieg eingefahren: Er ge-
wann mit Virginia und Texas zwei Staaten,
die ethnisch durchmischt sind und die
eigentlich Sanders mit seiner Graswurzel-
bewegung erobern wollte. Biden siegte
auch in Massachusetts, dem Heimatstaat
von Elizabeth Warren, die am Donnerstag
aufgab. Und er zeigte in Alabama, Tennes-
see und Arkansas, dass er wie kein anderer
im Rennen das Vertrauen der schwarzen
Wähler genießt.
Und doch war der Sieg ein geliehener.
Biden hat sich nicht aus eigener Kraft er-
hoben, sondern mithilfe der beiden mode-
raten Mitbewerber Pete Buttigieg und Amy
Klobuchar, die direkt vor dem Super Tues-
day aus dem Rennen ausstiegen und Biden
so in die Höhe lupften. Ihre Sorge, dass der
Kandidat Bernie Sanders heißen könnte,
war am Ende größer als ihr Eigennutz.
Biden, der ehemalige Senator aus Dela-
ware und Vizepräsident, hat jetzt gute


Chancen, im Juli auf dem Parteitag der De-
mokraten als Präsidentschaftskandidat no-
miniert zu werden. Er hat derzeit mehr De-
legiertenstimmen als Sanders, auch wenn
die Auszählung in Kalifornien noch andau-
ert. Und er kann auf die Hilfe der Verlierer
zählen, auf Buttigieg, Klobuchar und
Bloomberg. Sie haben angekündigt, für ihn
zu kämpfen. Und Biden wird vermutlich
auf Bloombergs gigantische Wahlkampf-
maschine zugreifen, besonders auf die Da-
ten von Millionen von Wählern, die der
Milliardär bislang gesammelt hat.
Als Kandidat des moderaten Lagers hat
Biden außerdem besseren Zugang zu den
Großspendern, die er sich bislang mit sei-
nen Mitbewerbern teilen musste. Dazu
kommt, dass der frühere Vizepräsident in
vielen Bundesstaaten, in denen die Demo-
kraten noch Vorwahlen abhalten, beliebter
ist als sein linker Konkurrent, darunter
Michigan, Florida, New Jersey und Con-
necticut.
Und doch bleibt der frühere Vizepräsi-
dent ein Mängelkandidat. Er ließ es zu,
dass sich sein Sohn Hunter von einem win-
digen ukrainischen Geschäftsmann enga-
gieren ließ, während er selbst versuchte,
die Korruption in dem Land zu bekämp-
fen. Die Republikaner haben schon ange-
kündigt, die Affäre nicht ruhen zu lassen.
Biden wirkt immer noch häufig wie ein
tattriger Opa, der sich um den Vorsitz des
örtlichen Seniorenklubs bewirbt und nicht
um das mächtigste Amt der Welt. Bei den
Vorwahlen in Iowa und New Hampshire
hat er auch deshalb so schlecht abgeschnit-
ten, weil die Wähler über Monate seine
langatmigen Reden erdulden mussten. Vor
zwei Wochen erzählte Biden stolz, er habe
mit dem chinesischen Präsidenten Deng
Xiaoping das Pariser Klimaschutzabkom-
men von 2016 verhandelt. Deng ist seit
1997 tot. Dann behauptete er, 150 Millio-
nen Amerikaner seien seit 2007 durch
Schusswaffen gestorben. Das wäre knapp
die Hälfte der Bevölkerung.
Bidens Tölpeleien kontrastieren stark
mit der Energie von Sanders, 78, dessen
linker Populismus ein ungeheures Feuer
entfacht. Sanders Versprechen ist es, neue
Wähler für die Demokraten zu gewinnen.
Allerdings offenbarte der Super Tuesday,
wie unsicher diese Wette ist: Sanders holte
zwar Kalifornien, was ihm einen großen
Schwung Delegiertenstimmen für den de-
mokratischen Parteitag im Juli einbringen
wird. Über seine Chancen gegen Trump
aber sagt dieser Erfolg so gut wie nichts
aus: Kalifornien ist so fest in demokrati-
scher Hand, dass die Partei dort vermut-
lich auch einen Besen aufstellen könnte.
Innerhalb weniger Tage ist das Be -
werberfeld der Demokraten de facto auf
zwei Herren zusammengeschnurrt. Sie eint
einzig ihr biblisches Alter, beide wären mit
Abstand die ältesten Präsidenten, die je ins

Weiße Haus einzogen. Aber während Biden
das gespaltene Land versöhnen will, setzt
der Sozialist Sanders darauf, die Trump-
Revolte mit einem populistischen Aufstand
von links niederzuschlagen.
»Wir werden nicht nur die Macht der
Unternehmen angreifen, sondern auch die
des politischen Establishments«, sagte San-
ders am Dienstagabend auf seiner Wahl-
party in Vermont.
Der Feind sitzt für Sanders nicht nur im
Weißen Haus, sondern auch in der eigenen
Partei. Biden beschreibt er als einen Poli-
tiker, der mit den Republikanern kungelt
und im Zweifel die eigenen Leute verrät.
»Dies wird ein Zweikampf der Ideen«, so
Sanders. »Der eine Kandidat führte die
Opposition gegen den Krieg im Irak. Ihr
schaut gerade auf ihn. Der andere stimmte
für den Krieg. Der eine hat sich immer für
die Ausweitung von Sozialprogrammen
ausgesprochen. Der andere votierte im Se-
nat wieder und wieder für Kürzungen.«
Es ist zweifelhaft, dass das Verlangen
der Amerikaner nach einer Sanders-
Revolution allzu stark ist. Zwar liegt er in
jüngsten nationalen Umfragen vor Trump
und gleichauf mit Biden. »Aber glaubt
irgendjemand, dass die Zahlen so bleiben
werden, wenn Trump erst einmal für
200 Mil lionen Dollar Scheiße auf Sanders
herabregnen lässt?«, fragt ein führender
Demokrat.
Tatsächlich bietet kein demokratischer
Bewerber so viel Angriffsfläche wie San-
ders. Erst vor zwei Wochen lobte er vor
laufender Kamera die Bemühungen Fidel
Castros um die Bildung der Arbeiter und
Bauern, was zu wütenden Protesten bei
den Exilkubanern in Florida führte.
Dazu kommt, dass die USA in den ver-
gangenen zehn Jahren einen rasanten
Boom erlebt haben. Die Wirtschaftsleis-
tung des Landes ist um mehr als 20 Pro-
zent gestiegen, die Arbeitslosigkeit liegt
so niedrig wie zuletzt 1970 – was auch da-
für sorgt, dass die durchschnittlichen Löh-
ne steigen. 74 Prozent der Amerikaner
sagen, dass ihre wirtschaftliche Lage im
kommenden Jahr besser wird. Nicht nur
moderate Demokraten wie Biden halten
es deshalb für Wahnsinn, jetzt mit der For-
derung nach einer sozialistischen Radikal-
kur anzutreten.
Wer das Drama der Demokraten ermes-
sen will, muss im Büro von John Fetterman
vorbeischauen, dem Vizegouverneur von
Pennsylvania. Fetterman ist einer jener rau-
en und erdverbundenen Politiker, die auch
bei den Demokraten immer seltener wer-
den. Auf seinen linken Unterarm hat er
sich die Postleitzahl von Braddock tätowie-
ren lassen, einer kleinen Gemeinde im Wes-
ten Pennsylvanias, deren Bürgermeister er
14 Jahre lang war. Auf dem rechten Unter-
arm stehen als Mahnung die Daten von je-
nen fünf Tagen, an denen in Braddock wäh-

Ausland

GABRIELLE LURIE / POLARIS / LAIF

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