Ich bekomme immer wieder gesagt, das Tolle an Kindern sei ja, dass
man als Vater immer topinformiert sei, was gerade musikmäßig so
das Allerneueste sei bei den Teens. Tatsächlich hört unser Teen Lotta
den ganzen Tag laut Musik. Lotta streamt sämtliche Titel mit der
Spotify-App auf ihrem Handy. Sie singt auch gern dazu. Neulich
hörte ich: In the darkness, in the middle of the night / In the silence,
when there’s no one by your side / Would you call in the name of love?
/ In the name of lo-ove, name of lo-ove / In the name of lo-ove, name
of lo-ove! Hey, das ist doch der alte Disco-Hit von Martin Garrix
& Bebe Rexha, sagte ich. Das sollte also der heiße Shit sein, auf
den die Jugend abfährt? Ich sang demonstrativ mit, um zu zeigen,
dass ich auch Ahnung von Musik habe. Lotta zog sofort die Stirn
kraus. Sie fand es nicht lustig, dass ihr Vater sich damit brüstete,
ihre Musik zu kennen. Dann suchte sie ein anderes Lied auf Spotify
raus: »Hör mal, Papa, das ist ganz cool.« I’m a Barbie girl in a Barbie
world / Life in plastic, it’s fantastic / You can brush my hair, undress
me every where / Imagination, life is your creation ... »Das gibt’s doch
nicht, das Lied kam raus, da war ich gerade 23 Jahre alt – und das
fand ich schon damals schrecklich!«, brach es aus mir heraus. Lotta
blieb ungerührt. Ich verstand die Welt nicht mehr. »Sag mal, hört
ihr denn keine neuen Sachen, so Dua Lipa oder so?« – »Och jo, die
kenn ich auch, ich stehe aber nicht so drauf ... hier, das hier ist auch
ein nettes Lied.« Sie tippte etwas in die Spotify-Suchleiste, dann er-
klang: Here’s a little song I wrote / You might want to sing it note for
note / Don’t worry, be happy / In every life we have some trouble / But
when you worry you make it double / Don’t worry, be happy / Don’t
worry, be happy now ... Ich musste laut auflachen. »Das ist Bobby
McFerrin, das haben wir hoch und runter gehört, als ich so alt war
wie du!« Das beeindruckte Lotta überhaupt nicht. Anschließend
spielte sie Dancing Queen von Abba. Ich grölte mit: »Däääänzing
Queen / young and sweet / only seventeen.« – »Woher kennst du denn
Abba?«, fragte Lotta verständnislos.
Als ich selbst ein Teenager war, gab es eben noch Singles. Man
kaufte einzelne Songs auf kleinen Vinyl-Schallplatten. Aus dem
Verkauf dieser Dinger errechneten sich dann die »Single-Charts«.
Zuerst wollte man als Jugendlicher unbedingt die Platten haben,
die in den Charts waren (gern auch als Maxi-Single), dann kam
irgendwann die Zeit, da man großen Wert darauf legte, dass man
Bands hörte, die nicht in den Charts waren. Dafür musste man
in die nächste Großstadt, um in den Spezialabteilungen großer
Plattenläden die besonderen »Pressungen« zu finden, wofür man
das gesamte Taschengeld loswurde. In jedem Fall war es eine iden-
titätsstiftende Frage, was man hörte und was man unbedingt nicht
hörte. Die Musikbibliothek war ein entscheidender Teil der Per-
sönlichkeit. Für Lotta sieht die Welt völlig anders aus. Für sie ist
der Streamingdienst Spotify einfach eine große Wühlkiste, aus der
sie aus jedem Jahrzehnt einfach mal das rausfischen kann, was ihr
gerade gefällt – und morgen hat sie es schon wieder vergessen. Sie
muss keiner Band die Treue halten. Schließlich trällerte meine
Tochter: I got to keep on moving. Ich nahm das Handy: »O wow, das
ist aus den Achtzigern, ich kenne da etwas, das wird dir dann auch
gefallen.« Ich suchte den Hit Take On Me von a-ha für sie heraus.
Lotta lauschte und schüttelte den Kopf: »Ach, in deinem Alter hat
man eben einfach keinen guten Musikgeschmack mehr.«
Prüfers Töchter MEINE 14-JÄHRIGE
Lotta ist 14 Jahre alt. Ihr Vater Tillmann Prüfer schreibt
hier im wöchentlichen Wechsel über sie und seine
anderen drei Töchter im Alter von 2 0, 12 und 6 Jahren
»Woher kennst
d u A b b a ?«
Illustration Aline Zalko
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