Die Zeit - 12.03.2020

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GLAUBEN & ZWEIFELN 66



  1. MÄRZ 2020 DIE ZEIT No 12


Beten verboten!


Heilige Orte in aller Welt sind derzeit fast menschenleer, und in ganz Italien herrscht bis zum Gründonnerstag ein Gottesdienstverbot VON EVELYN FINGER


A


m Dienstag hat Vatican News zum
ersten Mal die Morgenmesse mit
dem Heiligen Vater aus der Casa
Santa Marta übertragen, auf
Deutsch. Was sonst Privatissimum
im Kreise seiner Mitarbeiter war, geht jetzt täglich
um 6.55 Uhr ins Netz – und wem das als un-
christliche Zeit erscheint, der kann es ja später
schauen. Er sieht: den Papst live und in Farbe, also
im lila Gewand der Buße, fastenzeitgemäß über
Vergebung predigend. Aber zuerst betet Franzis-
kus, noch heiser von einer Erkältung, für alle
Corona-Patienten und »für unsere Priester, dass sie
den Mut haben, zu den Kranken zu gehen«.


Das ist fast schon ein Aufruf zum frommen
Ungehorsam. Denn zu diesem Zeitpunkt sind in
Italien die Gottesdienste untersagt bis vor Ostern.
Es soll auch keine Trauerfeiern, Tauffeste, Hoch-
zeiten geben. Und am Dienstagmittag sperrt die
Polizei endgültig die Piazza San Pietro, sodass im
Petersdom nicht mal mehr öffentliche Andachten
an den kleinen Seitenaltären möglich sind.
Das ist in der Kirchengeschichte einmalig: dass
gemeinsames Beten als Gefahr gilt. Man kann es
einen Sieg der Vernunft nennen, aber vielleicht ist
es auch bloß das Symptom einer sehr säkularen
Welt unter gangs angst. Heilige Stätten sind jedenfalls
nicht nur in Italien verwaist: In Mekka dürfen die

Muslime nicht mehr um die Kaaba pilgern; in Te-
heran fallen Freitagsgebete aus; in Jerusalem dürfen
die Juden zwar noch zur Klagemauer, aber allmäh-
lich machen Betende sich rar ... Was Rom anbelangt,
so ist dort die Angst schneller angekommen als das
Virus. Schon vorige Woche, als die Fotografin
Annette Schreyer für die ZEIT am Petersdom war,
gab es dort keine Warteschlange mehr (Bild oben),
auch in die Vatikanischen Museen konnte man ein-
fach hineinspazieren. Da sagte Monsignore Oliver
Lahl, der geistliche Berater der Deutschen Botschaft
beim Heiligen Stuhl, noch hoffnungsfroh: »Jetzt
kann ich meine Freunde mal zu einer Führung
durch die Stanzen des Raffael einladen.«

Doch am Dienstag ist es mit der neuen Freiheit
wieder vorbei. In der Vatikanstadt schließen Kan-
tine, Kaufhaus, Buchshop und der Fotodienst des
Osservatore Romano. Während im verregneten
Deutschland die Virologen Spaziergänge im Freien
empfehlen (Vitamin D stärkt das Immunsystem!),
wird im sonnigen Rom das grundlose Herumspa-
zieren untersagt. Wer trotzdem rauswill, muss ein
Formular der Regierung aus dem Internet herunter-
laden, auf dem er »Notwendigkeiten« wie Arbeit
oder Arztbesuch ankreuzt, um das ausgedruckte
Papier bei etwaigen Polizeikontrollen vorzuweisen.
Monsignore Lahl ist einer der wenigen, der
diesen Schrieb nicht braucht, weil er einen Diplo-

matenpass besitzt. Und der Rektor der deutschen
Gemeinde in Rom, Franz Xaver Brandmayr, hat
angekündigt, sich dem Gottesdienstverbot zu wi-
dersetzen. In der Kirche Santa Maria dell‘Anima
feiert er nun täglich 18 Uhr eine »private« Messe –
jedoch mit Predigt. Die Leute am Kirchgang hin-
dern? »Da hört für mich der Gehorsam auf.«
Kann sein, dass Franziskus insgeheim zustimmt.
Denn als er am vergangenen Sonntag das Angelus-
Gebet nicht mehr aus dem fernsehberühmten
Fenster des Apostolischen Palastes sprechen durfte,
sondern, um keine Massen anzulocken, nur noch
in der Bibliothek in die Kamera, da befand er iro-
nisch: Es sei schon seltsam, so ein Papst im Käfig.

Der Himmelstempel in Peking, China


Die Klagemauer in Jerusalem, Israel


Die Große Moschee in Mekka, Saudi-Arabien


Der Petersdom in Rom, Italien


Der Bulguksa-Tempel in der Provinz Gyeongbuk, Südkorea


Die Imamsadeh-Saleh-Moschee in Teheran, Iran


Fotos: Ian Trower/AWL Images; Annette Schreyer für DIE ZEIT; ZUMA Press/mauritius images; dpa; Amir Levy/Getty Images; Ganoo Essa/Reuters
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