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or einigen Wochen bekam ich einen Anruf
von einem Modemagazin. Man plane gerade
ein Sonderheft über den Osten und suche »au-
thentische Typen« für eine Strecke mit Män-
nermode. Ob ich da helfen könne, bei der
Suche nach schönen Männern? Ein bisschen
durch die Clubs von Leipzig ziehen, Vernis-
sagen abklappern, Bars. Es gehe darum, den
echten Osten zu zeigen. In meinem Kopf er-
tönte ein Jackpot-Geräusch. »Ich denke, das
kann ich einrichten«, sagte ich betont beiläu-
fig. Auf diese Aufgabe war ich endlich mal
richtig gut vorbereitet: Mit schönen ostdeut-
schen Männern kenne ich mich nämlich aus.
In der Öffentlichkeit taucht der ostdeut-
sche Mann ja nicht unbedingt als Schönheit
auf. Ich erinnere mich an das erste Video, in
dem ich einen Ostmann durch BRD-Augen
gesehen habe. Es war eine Satire von extra 3,
in der ein Kfz-Meister seinen Lehrling als
»Arschkrampe« zusammenpfeift: »Isch mach
hier noch de Fregge! Isch hab’s doch extra auf-
geschrieben: Gibbe raus, keene Feddbemmen
fressn, Glozzn off! Un orbeidn!« Damals habe
ich zwar gelacht, mich aber auch gefragt:
Denken die Leute wirklich, dass alle Ostdeut-
schen sächseln und so derbe sind?
Mittlerweile ist der Ostmann in den Me-
dien nicht mehr nur eine Witz-, sondern eine
Hassfigur. Zeigt in vollgepinkelter Jogging-
hose den Hitlergruß. Brüllt in Form eines
Pegida-Demonstranten mit Deutschland-
Hut: »Sie begähn eine Stroftot!«, woraufhin
der Spiegel »So isser, der Ossi« titelt. Und Jan
Böhmermann ein Lied schreibt, in dem der
tumbe Hutbürger vom LKA als Beleg für den
Nazi-Osten dient.
Das Hutbürger-Konterfei gibt es als Meme
im Netz und als Graffito auf den Straßen. Wir
haben gelernt: In Ostdeutschland stehen Män-
ner mit blöder Kleidung in blöder Landschaft
und sprechen blöde Sätze in Mikrofone. Die
vergangene Bundestagswahl, bei der jeder vierte
ostdeutsche Mann die AfD wählte, machte den
Ostmann endgültig zur Persona non grata.
»Darum sind die Ostmänner so wütend«, titelte
die Bild-Zeitung. Warum in Thüringen jetzt die
Demokratie freckt, ist dann ja eigentlich klar
(das Wort »frecken« kommt übrigens aus Köln,
Höcke aus Lünen und Kemmerich aus Aachen
- also Glozzn off!).
Interessant ist, dass die Ostfrau dagegen als
»selbstbewusst, unabhängig, erfolgreich« gilt - um mal den Untertitel einer MDR-Doku
zu zitieren. Ostfrauen stehen an der Spitze
von Parteien (Katja Kipping, Die Linke),
Dax-Konzernen (Hiltrud Werner, Vorstand
VW) und führen das Land mit rationaler
Unerschütterlichkeit (Angela Merkel, Sibylle
Berg). Sie sind weggegangen, vorgeprescht,
aufgestiegen. Und Ostmänner? Sind die Arsch-
krampen der Nation.
Mich macht es richtig wütend, dass sich
Bilder von abgehängten und aggressiven Ver-
sagern, von stiernackigen Nationalen auf Hetz-
jagd seit Jahrzehnten im kulturellen Gedächt-
nis für »Ostmann« festgesetzt haben. Denn sie
stimmen nicht mit meinen Erfahrungen über-
ein. Im Gegenteil: Ich finde Ostmänner näm-
lich irgendwie, nun ja, schnuffig. Alle Männer,
die ich liebe und jemals geliebt habe, sind Ost-
deutsche: Opa, Vater, Bruder, Partner, Ex-
Freunde. Dazu kommt ein weiter Kreis von
ostdeutschen Freunden, Nachbarn, Bekannten.
Seit mehr als 30 Jahren lebe ich unter ihnen
und habe sie eingehend studiert.
Ich bin zugegebenermaßen partei-
isch, Team Ossi-Boy.
Dass Ihnen meine Ostmänner
noch nicht aufgefallen sind, liegt
wahrscheinlich daran, dass sie nicht
so gern auffallen. Die Zurückhal-
tung ist eine ihrer wesentlichen
Eigenschaften. Wenn Sie im Bus
einen Mann mit rosa Polohemd
und grünen Karo-Socken sehen:
bestimmt kein Ossi-Boy. Wenn in
einer Konferenz jemand ungefragt
die Weltlage erklärt: bestimmt kein
Ossi-Boy. Wenn jemand nur noch
San Pellegrino trinkt, weil alle an-
deren Wässer ja untrinkbar sind:
bestimmt kein Ossi-Boy. Denn der
fühlt sich in seiner Funk tions jacke,
im Rudel, mit einem Glas Leitungs-
wasser ganz wohl. Müsste ich der
Schnuffigkeit ein prominentes
Gesicht geben, würde ich Clueso
wählen. Der sieht immer so nor-
malo-sonnig aus, als käme er gera-
de von der bestandenen Führer-
scheinprüfung zurück und nicht
von einer Musikpreisverleihung.
Ähnlich charmante Unspektakularität finden Sie
auch bei: Henry Maske, Matthias Platzeck, Kai
Pflaume, Matthias Schweighöfer, Tom Schilling.
Aber sind das nur meine regionalistischen
Fan-Girl-Augen, die sich ein paar Lieblinge
herausgesucht haben – oder gibt es tatsächlich
den übersehenen Ostmann? Um das heraus-
zufinden, habe ich mich im vergangenen Som-
mer einmal quer durch Deutschland bewegt
und mich mit Ostmännern verabredet. Mit
Muskelarbeitern und Kreativarbeitern, mit
Armen und Reichen, mit Dagebliebenen und
Fortgezogenen. Es gab keine Regel und keinen
Algorithmus, außer: dass der Gesprächspartner
ein in der DDR geborener Mann ist.
Vorher fragte ich alle meine Freundinnen,
was sie an Ostmännern mögen. »Ihre Unver-
stelltheit«, sagte eine Schauspielerin. Mit ih-
nen fühlten sich Begegnungen sofort vertraut
und echt an. »Ihre Uneitelkeit«, sagte eine
Model-Casterin. Die Gesichter der Ostmänner
in ihrer Kartei seien oft etwas unspektakulär,
bodenständig. Aber der wirkliche Unter-
schied sei nicht auf den Fotos zu sehen, son-
dern beim Shooting: Da nähmen sich die
Ostmänner selbst weniger wichtig.
»Dieses selbstverständliche Mithelfen im
Haushalt und mit den Kindern«, sagte meine
Studienfreundin Linda. Wir saßen in ihrem
Wohnzimmer in Halle an der Saale und
tranken Kaffee. »Wenn du nach schönen
Ostmännern suchst, musst du unbedingt mit
Matthias sprechen.« Dieser stand in der Kü-
che und schnitt Obst für die Kinder. Wenn
eine der Töchter weint, ist es meistens Mat-
thias, der als Erster hingeht, um zu trösten.
Und wenn die Waschmaschine piept, steht er
auf, um sie auszuräumen. Matthias redet we-
nig und schon gar nicht über sich selbst. Er ist
Polizist beim Zoll, in der Freizeit trainiert er
für den Marathon. »Warum ich im Haushalt
helfe?«, fragte mich Matthias ungläubig. »Für
mich ist das selbstverständlich. Es ist undenk-
bar, dass Linda drei Jahre allein zu Hause
bleibt und sich um alles kümmert. Das ist
genauso mein Ding.«
Matthias ist keine Ausnahme. Eine Studie
des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozial-
forschung zeigte bereits 2014, dass sich in
Ostdeutschland fast die Hälfte aller Paare die
Hausarbeit und Kinderbetreuung gleichmä-
ßig aufteilen. Dazu passt, dass Väter im Osten
häufiger und länger Elternzeit nehmen – und
auch häufiger als Väter im Westen zu Hause
bleiben, wenn das Kind krank ist. Aber: Wa-
rum wird dieser emanzipatorische Vorsprung
so selten in der Öffentlichkeit wahrgenom-
men? Die Soziologin Sylka Scholz, die sich
seit Jahren mit dem Wandel von Männlich-
keit beschäftigt, schreibt in einem noch un-
veröffentlichten Essay, dass der Diskurs um
»die neue Männlichkeit« von westdeutschen,
bürgerlichen Mittelstandsmännern geführt
werde, die emanzipierte Praxis dagegen im
Osten stattfinde – und zwar quer
durch alle sozialen Schichten.
Tatsächlich kenne ich viele tolle
Typen um die 30, die mit Feuer-
eifer feministische Bekenntnisse
twittern, die aber mit großem
Ernst fragen: Fifty-fifty, wie geht
das? Keiner davon ist im Osten ge-
boren. Weil Ossi-Boys sich das
nicht mühsam aneignen müssen:
Sie sind die Söhne von einst in
Vollzeit arbeitenden sozialistischen
Muttis. Gleichberechtigung ist für
sie keine normative Idee von und
für geisteswissenschaftliche Weich-
würste, sondern natürliche Erb-
masse des Arbeiterstaates.
Ich machte mich auf den Weg
nach Mecklenburg-Vorpommern,
zu einem Kfz-Schlosser, der noch
nie im Leben seinen Heimatort
verlassen hatte. Wir saßen in seiner
Datsche zwischen Blumenbeeten,
rauchten eine Zigarette. Seine Ju-
gend verbrachte Micha mit Moped-
touren durchs flache Land und
Wacheschieben beim Grasver-
ticken. »Man hat gespürt, dass nach
der Wende plötzlich mehr Raum da war. Das
Interesse der Eltern an dem, was man tat, ging
zurück, weil sie stark mit sich selbst beschäf-
tigt waren. Die waren wie im Blindflug.« Die
Anarchie von Michas Jugendjahren fiel mit der
Anarchie der Nachwendezeit zusammen.
Als ich diesen Schrauber mit seinem Kind
zwischen den Beeten spielen sah, wurde mir
etwas klar: Wer 1989 bereits einen Funken
Bewusstsein hatte, musste er leben, wie die
alten Autoritäten von heute auf morgen im-
plodierten. Vor allem die männlichen Auto-
ritäten. Väter, Lehrer, Politiker – sie alle
hatten im eigenen Land plötzlich nichts
mehr zu melden. Während die Frauen er-
staunlich resilient durch die Transformation
gingen, saß der Cut bei den Männern tiefer.
Selbst dem Durchschnittsmann wurde alles
genommen, was ihn irgendwann mal zum
Macker gemacht hatte: Sein selbst zusam-
mengeschraubter Trabi war nun ein Witz-
objekt, sein Stil galt als grausam, seine Musik
als krampfig. Es fand gewissermaßen eine
flächendeckende strukturelle Enteierung
statt. Die Söhne aber bemerkten: ist gar
nicht so schlimm.
Viele der Männer, die ich traf, erzählten,
dass sie ihre beruflichen Ambitionen zurück-
geschraubt hätten. Nicht nur, weil ihnen das
Familienleben wertvoll war, sondern auch,
weil ihnen das Streben nach Geld und Status
so sinnlos vorkam. Ein Filmproduzent sagte
lieber häufiger mal ein Projekt ab, als in Arbeit
unterzugehen. Er möchte ein »schönes Le-
ben« und mit seiner Frau nachmittags einen
Spaziergang machen können, um auch mal
über gesellschaftlich Relevantes zu reden. Ein
Lastwagenfahrer kündigte seinen Job, um in
der Nähe seiner Mutter einen Bauernhof
übernehmen und mit seiner Freundin frei
leben zu können. Ein Aktivist für bedingungs-
loses Grundeinkommen baute seinen Verein
hierarchiefrei um, um selbst nicht mehr der
Chef sein zu müssen. »Ich kann in diesen
neuen Strukturen gar nicht rummackern oder
wie so viele Männer ewig labern, selbst wenn
ich das wollte«, erzählte er mir.
Je mehr Männer ich traf, umso mehr ver-
festigte sich ein Gedanke: Der Ossi-Boy
könnte uns bei einigen drängenden Fragen
der Zukunft helfen. Denn auch jetzt ist die
Welt ja im Umbruch. Das Patriarchat wa-
ckelt, die alten weißen Männer haben die
Welt lange genug mit ihrem Höher-schneller-
weiter-Dogma malträtiert. Überall verschaf-
fen sich Frauen den Platz, den sie verdienen.
Und ich glaube, die Ostmänner der dritten
Generation sind auf eine pragmatische Art
emanzipiert, die ein neues Mit ein an der der
Geschlechter erst möglich macht. Sie sind
dem theoretischen Diskurs einfach mal prak-
tisch vorausgeeilt.
Nachdem mich der Fashion-Director
vom Modemagazin gefragt hatte, ob ich
Ostmänner für ihn finden könne, stellte ich
ihm ein Portfolio meiner besten Ossi-Boys
zusammen. Er antwortete: »Zu soft!« Und
schickte mir ein paar Beispielbilder, wonach
ich suchen solle: Es war eine Sammlung von
hart gescheitelten, ausrasierten Hitlerjugend-
Reinkarnationen.
Ich lehnte den Auftrag ab.
Greta Taubert lebt in Leipzig.
Ihr neues Buch »Guten Morgen, du Schöner«
(Auf bau-Verlag) dokumentiert ihre
Gespräche mit ostdeutschen Männern
ENTDECKEN
»Mittlerweile ist der Ostmann in den Medien
eine Hassfigur. Er brüllt als Pegida-Demonstrant herum.
Der tumbe Hutbürger dient als Beleg für den Nazi-Osten«
Ist er nicht schnuffig?
VON GRETA TAUBERT
Foto (Ausschnitt): Stefan Klüter
Geboren in Ost-Berlin:
Schauspieler Tom Schilling
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