Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.03.2020

(sharon) #1

SEITE 2·FREITAG,6.MÄRZ2020·NR.56 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG


V


on die Verrohung der Sprache
waramDonnerstag im Bundes-
tagdie Rede. Wahnsinnstaten
wie dierassi stischmotivier ten
MordevonHanau fänden in einemvergif-
tete ngesells chaftli chen Klimastatt.Inihm
könnten Ressentimentsgegenüber dem
Fremdenund abwegigeVersc hwörungs-
theorienwach sen, sagteWolfgang Schäub-
le (CDU) zu Beginn der Debatte über den
Rechtsterrorismus. Deshalbmüsse etwas
gegendie Hetzjagdeninsozialen Medien
getanwerden,gegendie „unerträgliche
Verrohung“. Der Bundestagspräsident
warb aberdafür, zu di fferenzieren.Fremd-
heitsgefühle, die viele Bürgerine iner sich
raschwandelndenUmwelt hät ten, sollten
erns tgenommenwerden,gerademit Bli ck
auf den gesellschaftlichen „Resonanz-
raum “, in dem sichsolche Gefühleradikali-
sierten. „Wer sic hangesichts eines als über-
fordernd empfundenengesellschaftlichen
Wandels auf derVerliererseitewähnt, ist
deshalb noch kein Rassist.“Die Zukunft
der offenen Gesellschaftwerde sichdaran
entscheiden, ob esgelinge,Verschieden-
heit zu akzeptieren und „dieVielfalt an Le-
bensstilen anzuerkennen“. Schäublerief
am Endeseiner Ansprache zu einer
Schweigeminutefür di eOpfer vonHanau
auf, für dieToten wie diekörperlichund
psychischVerletzten.AuchBundespräsi-
dent Frank-Walter Steinmeierzeigtedurch
seineAnwesenheit auf derZuschauertribü-
ne, wie wichtigihmdas Thema ist.
Die Debatte im Bundestag wurde
Schäubles Anspruch, sprachlichzudiffe-
renzieren, überweiteStreckenwenig ge-
recht. Daslag nicht zuletzt an der AfD.
Überlegungeninder Partei,man müsse
verbal abrüsten, fanden in de nReden kei-
nen Ausdruck.Vielmehrwarendie Auftr it-
te voneinem trotzigen Gestusgeprägt, in
demsichdie Rechtspopulisteneinmal
mehr alsungerecht behandeltdarstellten.
Die Partei hatteRoland Hartwig, einen
der Parl amentarischen Geschäftsführer
und Leiterder Arbeitsgruppe Verfassungs-
schutz,vorgeschickt;die Fraktionsvorsit-
zenden AliceWeidel und Alexander Gau-
land schwiegen in der Debatte.Deutsch-
land sei tief gespalten, sagte Hartwig.
Dochdie Regierung habe dieSpaltung in
Guteund Böseselbst geschaffen, indem

sie de npolitischen Diskursauf di emorali-
sche Ebeneverla gerthabe und denLeuten
den Mundverbietenwolle. Das habe „ein
Klima der Angst“erzeugt, so dereinstige
Chefjuristdes Ba yer-Konzerns. Als Bei-
spiel nannte Hartwig denBrandanschlag
auf dasAuto desAfD-VorsitzendenTino
ChrupallavorwenigenTagen. Während
der Rede kameszuRufen und heftigen An-
würfenimPlenarsaal, so dassSchäuble
mahnte, „sichentsprechend dem Ernstder
Lagezuverhalten“.
MehrereRednermachten die AfD mit-
verantwortlichfür dieMordevon Hanau.
Rolf Mützenich,der SPD-Fraktionschef, zi-
tier te einschlägigbekannteZitat eaus den
Reden vonGauland,Weidel undHöcke,
um der AfDdie Verbreitungrass istischer
Inhaltevorzuwerfen. „Sie habenden Bo-
den bereit et,Sie haben sich schuldigge-
macht“ ,rieferden AfD-Abgeordne tenzu.
DereninnenpolitischerSprecher, Gott-

fried Curio,warfdenanderen Parteien hin-
gegenvor,die Tateines Wahnsinnigen für
die Polemikgegendie Af Dzumissbrau-
chen. DerTäterhabe„offensichtlichkeine
politische Agenda“gehabt, sagteCurio
und zitierte ausdesse n„Manifest“, daser
dabei in die Höhe hielt.„Er warverrückt,
undder AfDsoll’s in die Schuhegeschoben
werden.“ Man hätteCurio dieWortesei-
nes eigenenParteivorsitzendenChrupalla
vorhalten können, derdie Tatals „rassisti-
sches Verbrechen“mit dem Motiv„Ausl än-
derhass“beschriebenhatte.Dochaufdiese
Ideekam kein Redner. Curiowies darauf
hin,dassdie AfDvonUnionspolitikern als
„Gesindel“ und „Abschaum“ bezeichnet
worden sei undihreMitglieder zudemvon
vielen als „Nazis“ und„Faschis ten“ be-
zeichnetwürden .„Dereigentliche Brand-
stifterbeschuldigtdenFeuermelder“, sagte
er.Der FDP-AbgeordneteStephan Tho-
mae ließCurio sEinwand,die Tateines

Wahnsinnigenkönne nichtrassistisc hund
somitpolitischsein,nicht gelten. „DerRas-
sismu sist die Krankheitdes Geistes“, sagte
er.Die Af Dbespiele aberRassismus„in al-
lenOktaven“und sei deswegen nicht frei
vonpolitischer Mitverantwortung.
ZurAufrichtigkeit in der Debattegehö-
re es, dassder Staatsicheingestehen müs-
se, „dierechtsextremistische Gefahrzu lan-
ge unterschätztzuhaben“, hatteSchäuble
schon zu Beginngesagt.Und er ließkei-
nen Zweifel daran, dasserden Begriff Ter-
rorismus als zutreffend ansieht.Die lange
Spur mörderischer Übergriffe,die von
Rechtsextremisten in Deutschlandverübt
worden seien, zeige: „Das istTerroris-
mus.“Die größte Bedrohung im Land
gehe heutevon Rechtsterroris tenaus, sag-
te auchInnenministerHorst Seehofer
(CSU). Sie sei sehr hochund könne „durch
nichtsrelativiertwerden“. Gleichwohl er-
wähnteSeehofer,als er für Mäßigung in
der gesellschaftlichenund politischenAus-
einandersetzungwarb,aberauchjene Ul-
tras in denFußballstadien, dieden Milliar-
där DietmarHopp in einemFadenkreuzge-
zeigthatten.Undauchden Satzvom„Er-
schießenreiche rLeute“ nannte Seehofer
in Anspielung auf eineÄußerung auf einer
Linken-Konferenz am vergangenenWo-
chenende.

L

inken-Fraktionschef Dietmar
Bartschgriff hingegen Seehofer
direkt an. Der Ministerhabe
nochvor kurzem vonder Migra-
tion als der „Mutter aller Probleme“ge-
sprochen.Nunzeigesichaber,dassRassis-
mus undRechtsterrorismus „derVatervie-
ler Probleme“ seien. Bartschwarfdem In-
nenministervor,dass der frühereLeiter
des Verfassungsschutzes, Hans-Georg
Maaßen, der sichheuteinder Werteuni-
on engagiert, sein Amt jahrelang habe
ausüben dürfen, waszueiner unzurei-
chenden Beobachtung desRechtsextre-
mismusgeführthabe.
Einen neuen Aspekt bekam die Debat-
te,als einigeder wenigenAbgeordneten
zu Wort kamen, die selbsteine Herkunft
aus anderen Ländernhaben. Der FDP-Po-
liti kerBijan Djir-Sarai, der als Kind aus
Iran nachDeutschland kam, sa gte, diewe-
nigstenAbgeordnetendes obersten Parla-
ments hätten eineVorstellung davon, was
es heiße, als Bürgermit Migrationshinter-
grund zu leben, Beleidigungen bis hin zu
direkten Angriff en ausgesetzt zu sein. Er
erzähltedie Geschichtevon seinen El-
tern,die ihm nachdem Abitur geraten
hatten, Arzt zuwerden. Die Begründung:
„Wenn sichdie politischenVerhältnisse
in Deutschland einmal ändern,kannstdu
als Arzt überall arbeiten.“ Er sei auf seine
Elter nböse gewesen, weil er es sichnicht
habe vorstellenkönnen, dasssoetwas pas-
siereineinem Land, das er bisvorzehn
Jahren uneingeschränkt alsweltof fenund
tolerant erlebt und in dem eskeinen Platz
für Hassgegeben habe.Auchheutewolle
er Deutschland nichtverlassen. „Dazu
bin ic hzusehr Rheinländer,das is tmeine
Heimat“, sagteDjir-Sarai. Dochzum ers-
tenMal spüreer, dassLeuteinDeutsch-
land Angsthätten.

„Es isteine besondersbitter eErkennt-
nis“, dassunter den zwölf Männern, die
der Generalbundesanwalt (GBA) Mitte
Februarfestnehmen ließ, auchein Verwal-
tungsbeamter des Polizeipräsidiums
Hamm sei, sagteder nordrhein-westfäli-
sche InnenministerHerbertReul (CDU)
am Donnerstag in einer Sondersitzung
des Innenausschusses in Düsseldorf. „In
unserer Gesellschaftist verdammtwas
aus denFugengeraten“, sagteReul. „Ge-
walttatenwerden geplant undteilweise
auchumgesetzt,vonEinzeltäternoder
Gruppen. Immer häufigergetragen und
angefeuertvon einer rechtsext remisti-
schen Grundstimmung.“
Die Vorbereitungen der „Gruppe S.“ je-
denfallswarennachErkenntnissen der
Sicherheitsbehörden schonweit fortge-
schritten. Die mutmaßlichenRechts terro-
ristenwolltenPolitiker und Migranten tö-
tenund auf mehrereMoscheen Anschlä-
ge ve rüben, um „dieStaats- und Gesell-
schaftsordnung“ in Deutschland durch
bürgerkriegsähnliche Zustände „zu er-
schütternund letztlichzu übe rwinden“,
wie der GBAmitteilte, als er die mutmaß-
liche Terrorzelle am 14.Februar mitRaz-
zien in mehreren Bundesländernzerschla-
genließ. Vier voninsgesamt zwölf in Haft
genommenen Männernwirdvorgewor-
fen, Mitglied in der nachdem mutmaßli-
chen RädelsführerWerner S. aus Mick-
hausen beiAugsburgbenannten „Gruppe
S.“ gewesen zu sein.Acht werden alsUn-
terstützer angesehen. DieTatverdächti-
genstammen aus demgesamtenrechtsex-
tremen Milieu–sowohl aus derrechten
Rocker -als auchaus derrechtsextremen
Germanenkult-, der Prepper-und der
Reichsbürger-Szene und aus „freienKa-
meradschaften“.
Besonders brisant ist, dasssichunter
den mutmaßlichen Unterstützernder Zel-
le „Gruppe S.“ auchein Mitarbeiter der
nordrhein-westfälischen Polizei befun-
denhat.Reul wies im Innenausschussdar-
auf hin, dassdie Hoheit über dasVerfah-
renbeim GBAliege. Informationen zu
den strafrechtlichen Ermittlungen dürfe
er nichtgeben. Dochauchdas, wasder In-
nenministerunter demRubrum Dienst-
recht mitzuteilen hat, istschon überaus

beunruhigend. SchonvoreinigenTagen
räumtedas Polizeipräsidium Hamm ein,
„die einzelnen Mosaiksteine“ desAgie-
rens vonThorsten W. nicht ausreichend
geprüftzuhaben. Tatsächlichgab es
schon langealarmierende Signale.Und
sie wurden „langeZeit nicht ernsthaftge-
nug gewürdigt“,waserweder verstehen
könne nochwolle, sagtReul. Es sei schon
vorrund zehn Jahren losgegangen, als der
Beschuldigtedem Polizeipräsidenten auf-
fiel, weil er im Dienstdie Zeitung „Junge
Freiheit“ las. 2015 seigegenW.dann ein
Verfahrenwegendes Verdachts derUr-
kundenfälschung eingeleitet worden, das
aber gegenZahlung einer Geldbuße ein-
gestellt wurde. Disziplinarmaßnahmen
oder einen Eintrag in diePersonalakte
habe es nichtgegeben. Im April 2018 er-
reicht edas Polizeipräsidium Hamm dann
eine PresseanfragezuW.Inihr ging es
nicht nur um eineReichskriegsflagge, die
der Beamtegut sichtbar auf seinem Bal-
konaufgehängt hatte, sondernauchum
weiter eeinschlägigeHinweise. Unteran-
derem hatteW.einen Aufkleber mit dem
Schriftzug „KeineLügenpressebzw.Lü-

genberichterstattung“ an seinem Briefkas-
tenangebracht. Die Direktion Kriminali-
tätdes Präsidiums ermittelte, sah aberkei-
ne strafrechtlicheRelevanz –und wieder
keinen Anlassfür ein Disziplinarverfah-
ren. Das blieb auchso, als der Beamteei-
nen Pullovereiner beiRechtsextremen be-
liebten Marke trug, das Europa-Symbol
auf demKennzeichen seines Privatwa-
gens mit einemrotenXüberklebteund
hinter dieWindschutzscheibe ein Flug-
blatt legte, auf dem Kanzlerin Merkel
„verbrecherisches Handeln“vorgeworfen
wurde. EinVorgesetzter beließ es dabei,
W. zu ermahnen,das Kennzeichen in Ord-
nung zu bringen, das Flugblatt zu entfer-
nen. Zudem wurdeW. darauf hingewie-
sen, dassBeamtezur politischen Mäßi-
gung verpflicht et sind.
Reul erzürnt das. „Dasgeht so nicht!“,
sagt er im Innenausschuss. „Es istfür
micheinfac hnicht nachvollziehbar,dass
über sehr,sehr viele JahrehinwegAnzei-
chen für dierechtsextreme Gesinnung ei-
nes Verwaltungsangestellten unsererPoli-
zei vorhandenwarenund diese auchden
diversenVorgesetzten undKollegen be-

kanntware n. Trotzdem wurde nichtkonse-
quent eingeschritten.“
Ob W. durch seine Tätigkeit an Informa-
tionengelangte, die er seinen mutmaßli-
chen Komplizen zukommen ließ, isteinst-
weilen ungeklärt. Bis zu seiner Suspendie-
rung nachseiner Festnahme warThorsten
W. seit April 2017 imVerkehrskommissari-
at als Sachbearbeitertätig. Dochdavor
warW.über viele JahreimPolizeipräsidi-
um mit äußerst sensiblenFragen befasst.
So hatteerals Mitarbeiter des Sachgebiets
„Rechtsangelegenheiten/Datenschutz“
auchZugang zu denWaffenverwaltungs-
prog rammen; 2013verfügteerüber Lese-
rechte im nationalen Waffenregister.
Mehr als 8200 waffenrechtliche Akten
würden derzeitvonFachleuten aufUnre-
gelmäßigkeiten überprüft, sagteReul. Zu-
griffauf Polizeiwaffenhabe derVerwal-
tungsmitarbeiter aber nichtgehabt.
Am Mittwoch ha tReul alle nordrhein-
westfälischenPolizeipräsidien und Kreis-
polizeibehörden angewiesen, Extremis-
musbeauftragtezuernennen. DiePolizei-
präsidenten und Landräteals Behörden-
chefsseien in der Pflicht, auchjedennoch
so kleinen Hinweis aufextremistische Ge-
sinnung ernstzunehmen, sagteReul.So-
dannteilet er mit, dassinzwischen vier
weitere–nachbisherigen Erkenntnissen
allerdingsnicht sogravierende–Hinweise
auf rech textremistische Einstellungen bei
Polizeibeamten bekanntgeworden seien.
Drei in Hamm, einer inAachen. Dortsei
sofor teingeschrittenworden, sagteReul.
„Betr etungsverbot,Waffeund Dienstaus-
weis weg, Staatsanwalt, Disziplinarrecht.“
In solchenFällen werdejetzt jedes Mobil-
telefon untersucht, sagteder Innenminis-
ter. Unddabei gelteesauch, maletwastie-
ferin Chatverläufen nachzusehen.
Wäredas bei Thorsten W. passiert,
wäre den ErmittlerninHamm nicht nur
aufgefallen, dasssichder Kollegeinsei-
ner Freizeit häufig wie eingermanischer
Kriegerverkleidete –Fotos aufFacebook
zeigenihn mit Schwertund Schild. Im Ok-
tober 2019teilteW.zudemfolgenden un-
zweideutigenKommentar:„Wirmüssen
vonZeit zuZeit Terroranschlägeverüben,
bei denen unbeteiligteMenschensterben.
Dadurch lässt sichder gesamteStaat und
die gesamteBevölkerung lenken.“

Anlass zur Selbstkritik:BundestagspräsidentWolfgang Schäuble Fotodpa

Lt.BERLIN. In der FDP-Bundestags-
fraktion hat eine Arbeitsgruppe aus elf
Abgeordneten ihreTätigkeit aufgenom-
men, die erstens Empfehlungenfür den
Umgang mit der AfD im parlamentari-
schenRaum formulieren und zweitens
langfristigeStrategienentwickeln soll,
wie der AfDgenerell politischzubegeg-
nen sei. Die Gründung derRunde ist
eine direkteReaktion auf die Ereignisse
in Thüringen, bei denenvoreinem Mo-
nat der dortige FDP-Fraktionschef Tho-
mas Kemmerichmit denStimmender
AfD zum Ministerpräsidentengewählt
worden war. Der FDP-Bundestagsabge-
ordne te BenjaminStrasser stelltedarauf-
hin in derAussprache über denVorgang
während einer FDP-Fraktionsklausur
die Frage, ob das „Frühwarnsystem“ der
Partei versagt habe, dakeine Überlegun-
genanges tellt worden seien,wasgesche-
he, wenn die AfD überraschend einen
Kandidaten der FDP unterstütze. Im
Nachhinein habe manfeststellenkön-
nen, dassHinweise auf eine solcheÄn-
derung dertaktischenAusrichtung der
AfD in denvorangegangenen Monaten
vorgelegen hätten:Statt die anderenPar-
teien im politischen Spektrum pauschal
als „Systemparteien“ abzulehnen,sei in
der AfD mit einem Mal der orchestrier-
te Versuchunternommenworden,die ei-
gene Partei gemeinsam mit FDP und
Unionsparteien als einen bürgerlichen
Parteienblockzubeschreiben, der in
den ostdeutschen Länderngemeinsame
Mehrheiten bildenkönne.

SolcheTaktiken soll die Arbeitsgrup-
pe der FDP-Fraktion beschreiben, ana-
lysieren undReaktionen darauf entwer-
fen. DerRunde unter LeitungStrassers
gehörenetwa der inFragen derParla-
mentarischen Geschäftsordnungkundi-
ge OttoFricke, die InnenpolitikerKon-
stantinKuhle undStefan Thomae, aber
auchdie aus Brandenburgstammende
FDP-Generalsekretärin Linda Teute-
berg, die sächsischen Abgeordneten
Thorsten Herbstund JürgenMartens
und der Thüringer Gerald Ullrichan.
Es hieß nachder Konstituierung der
Gruppe, bislang habe sichimBundestag
nochkeine probateTaktik zumUmgang
mit der AfD im parlamentarischen All-
tag er geben. Seit zwei Jahren bemühten
sichdie Rechtspopulisten ständig,rote
Linien des politischen Anstands zuver-
schieben,etwa durch gezielt provozieren-
de Äußerungen in Plenardebatten.
Wenn darauf andereParteien nichtrea-
gierten, billigten sie damit in derKonse-
quenz solche Provokationsversuche.
Wenn es aber zu heftigenReaktionen
komme, dannwerdedie Aufmerksam-
keit weggelenktvomjeweiligen sachli-
chen Inhalt der Debatteund die Ausein-
andersetzung mit der AfD rücke in den
Mittelpunkt.
Die parlamentarische Arbeitsgruppe
der FDP will ersteHandlungsempfehlun-
genfür denUmgang mit der AfD imPar-
lament schon nachOsternvorlegen, die
generellen Erwägungen zum Umgang
mit der AfD sollen im Herbstfolgen.

Zwischen verhärtete nFronten

Dein Freund und Hetzer


Ein Mitarbeiter der NRW-Polizei sollUnterstützer einerTerrorzellegew esen sein /VonReinerBurger, Düsseldorf


EinOffizier alsRechtster rorist,Netz-
werkevon Preppe rn und Extremisten
mitVerbindungen zumKommando Spe-
zialkräfte?Reservis tenauf Abwegenin
den braunen Sumpf, ungeklärte Waf-
fen- und Munitionsverluste–die Bun-
deswehr schaut spätestens seit demFall
des OberleutnantsFrancoA. genauer
hin, ohne dabei dieTruppe als Ganzes
in Verruf zu bringen. Bislangwardeswe-
genstets vonEinzelfällen dieRede. Und
solche sind es auchnochimmer,wie die
jüngstenZahlen eines internen Berichts
des Verteidigungsministeriums zeigen.
Allerdings: Eswerden mehr.
Insgesamtgabesinder Bundeswehr
im vergangenen Jahr 743Verdachtsfälle
vonpolitischem Extremismus, wobei
363 neu hinzugekommenwaren. Neben
den 592Fällen im BereichRechtsextre-
mismusgabesauch69Fälle, wo Solda-
tinnen oder Soldaten in denVerdacht ge-
rieten, dem islamistischen Extremismus
nahezustehen. In elfFällen gingder Mili-
tärische Abschirmdienst(MAD) dem
Verdacht nach, die Betreffenden seien
linksextrem eingestellt. Insgesamt wur-
den 49 Bundeswehrangehörigeaus dem
Dienstentlassen, mehr als neunzig Pro-
zentdavonwegenRechts extremismus.
Ausder internenUntersuchung, die die-
ser Zeitungvorliegt,geht hervor, dassdie
überwiegende Mehrheit der Entlassenen
vonniedrigem Dienst- und Bildungsgrad
war. Allerdings sindauch14Unteroffizie-
re und sechs Offiziere„aufgrund rechts-
extremistischerVerfehlungen“ entlassen
worden. Das isteine Steigerunggegen-
über demVorjahr.Bei 184000 Soldaten
und rund 80 000 Zivilbeschäftigtenkann
allerdings auchfestgehalten werden,
dassnur eine winzigeMinderheit in der
Truppe alsrechtsextrem auffällt.
Für Verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer (CDU)gab es
gleichwohlgenug Anlässe, die Sachege-
nauer in den Blickzunehmen. Seit Sep-
tembervorigenJahres istimMinisteri-
um eineKoordinierungsstelle eingerich-
tet, die ein Lagebild erarbeitet und den
einheitlichenUmgang mitVerdachtsfäl-
len überwacht.

MAD hat Instrumenteangepasst
Aufeinem anderen Blattsteht, dassin-
nerhalbder Bundeswehr dasrechtspopu-
listische und zumindestinTeilenvöl-
kisch-rassistische Gedankengut der
AfD Anhängerfindet, mehrerefrühere
Obristen und ein hoher Ex-General en-
gagieren sichfür diePartei, teils in Parla-
menten. DerenVorstellungenvon der
Bundeswehr haben sichvon denen der
Parlamentsarmee in der Demokratie
entfernt.Der MAD hat allerdings auch
in dieser Hinsicht seine Instrumente
durchaus geschärft.Neben derKatego-
rie„Rot“ für die Einstufungeiner Per-
son als Extremistgibt es dieKategorie
„Orange“ für „fehlende Verfassungs-
treue“. Personen, die darunterfallen,
„sind Gegenstand weiterer Ermittlun-
gen“. Zuletztwarenes27.
Allerdings gibt es in der Bundeswehr
einenTruppenteil, der offenbar verstä rk-
terAufmerksamkeit bedarf: dasKom-
mando Spezialkräfte. Die kleine, selbst-
bewussteSpezialtruppe der Bundes-
wehr,deren Kernauftrag darin besteht,
deutscheStaatsbürgeraus prekären Si-
tuationen imAusland zu retten, istin
den vergangenen Jahren insZentrum
der Beobachtunggerückt.
Inzwischen ermittelt der Militärische
Abschi rmdien st in einerSchwerpunktak-
tiongegen diese Spezialkräfte.Das al-
lein istschon einepolitischeKatastro-

phe für denVerband, dessen Angehörige
sich meistinSchweigen hüllen. Der Chef
derAbwehr,Chris tofGramm, sagtekürz-
lich ,die Zahl de rVerdachtsfälle sei bei
denKSK-Elitesoldaten fünfmal höher
alsbeim Rest der Truppe.Zuletzt wurde
gegenrund 20 Männer ermittelt.Und
das, obgleichdie Auswahl der Bewerber
dortangeblichgründlicher ist, die Anfor-
derungen an physische und psychische
Eignunghöher als bei jedem anderen
Teil der Bundeswehr.Das Verteidigungs-
minis terium hatteimDezember einge-
standen, dassder MADwegender Ver-
dachtsfälle einen KSK-Arbeitsschwer-
punktgebildethatteund seit „einigen
Monateneine nachrichtendienstliche
Operationdurchgeführt“habe. Diese, so
das MinisteriumvoreinigenWochen,
„hattezum Ziel,weiter egerichtsverwert-
bare Beweise zu sammeln und Erkennt-
nisseüberweiter eVerbindungenzuer-
langen“. Gegen mehrereUnteroffiziere
derCalw-Truppe wurde demnachermit-
telt, einzelnebereitsvomDienstentbun-
den. Nach einem aktuellen Bericht der
Zeitschrift„Der Spiegel“ haben sich
neun derrund 20Verdachtsfälle inzwi-
sche nbestätigt, es seienentsprechende
Sanktionenveranlasst worden.

Kein Fall wegenLinksextremismus

DasKommando mit Sitz im baden-würt-
tembergischen Calw istinzwischen der-
artunter nachrichtendienstlichen und
öffentlichen Druckgeraten, dasssich
der aktuelleKommandeur derTruppe,
BrigadegeneralMarkusKreitmayr,kürz-
lichzuöffentlichen Worten bei einem
Neujahrsempfangveranlasst sah. Darin
distanzierte er sichvom Extremismus
und sagtelaut Zeitungsberichten, erwol-
le „klar zumAusdruck bringen, dassder-
artig eVerfehlungen imKommando Spe-
zialkräft einkeinem einzigenFall tole-
riertwerden“.
Etwas anderslesen sichÄußerungen
des früherenKommandeursdes Kom-
mandos General a.D. Hans-Heinrich
Dieter.Ineinem inzwischen nicht mehr
auffindbaren Eintrag auf der Homepage
der GemeinschaftDeutscherKomman-
dosoldaten (GDK) beschwerte er sich
kürzlichüber ein angeblich „blindes lin-
kesAuge“. Linksextremismus mag
durchaus ein Problem sein,dochdie
Zahl derrelevanten Fälle in diesem Be-
reichliegt laut dem Bericht bei null. In
einemeinzigenFall wurdefehlendeVer-
fassungstreue bemängelt.
Der Rechtsextremismusinder Trup-
pe steigt, dasKSKist eher mehr alsweni-
gerdavon betroffen. Dafürliefer tder
Ex-Kommandeur eine Erklärung, die
auchinKreisen extremistischer Prepper
und bei Rechtspopulistengängig ist:
„Seit des –von Merkelinitiierten–
Staatsversagens imRahmen der Flücht-
lingskrise ab 2015 haben sichrechts-
radikale/-extreme und antisemitische
Vorfälle in Deutschland verstärkt.“Soll-
te Dieter eine politischeStimme vieler
KSK-Angehöriger sein,wäre das einwei-
teresAlarmzeichen. DerWehrbeauftrag-
te des Bundestages, Hans-Peter Bartels,
sagtezuden Verdachtsfällen imKSK:
„Das sind nicht die vielen da.Aber es
sind zu viele! Es sind zu viele Einzelne,
die falschinterpretieren,wasman von
ihnen erwartet.“ Genau hingesehen
wirdnunmehr auchbei denReservis ten.
Nach Auskunf tdes Berichts wurden 773
Reservisten der Bundeswehr „dauerhaft
vonder Dienstleistungspflicht zurückge-
stellt“,weil es Zweifel an derVerfas-
sungstreue oder auchBezüg ezum Extre-
mismusgegeben habe.

„Dasgeht so nicht!“:InnenministerReul auf demWegzum Innenausschuss Fotodpa

Strategiengegen die AfD


Arbeitsgruppe der FDPnimmtihreArbeit auf


Der Bundestag


debattiertüber


Rechtsterrorismus.Viele


Vorwürfe richtensich


gegendie AfD, diesieht


sich alsOpfer einer


Kampagne.


VonMarkusWehner,


Berlin


Mehr als Einzelfälle?


BeimKommando Spezialkräfte gibt es auffallend


viele Rechtsextreme /VonPeter Carstens, Berlin

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