Handelsblatt - 13.03.2020

(backadmin) #1

V


or einer Woche hat sich Carsten
Spohr per Videobotschaft an die Mit-
arbeiter von Lufthansa gewandt. In-
nerhalb weniger Tage habe sich die Si-
tuation wegen des Coronavirus dra-
matisch verschlechtert, erklärte er der Belegschaft.
Nun, knapp eine Woche später, hat sich die Lage
noch einmal verschärft. Das in der Nacht zu Don-
nerstag von US-Präsident Donald Trump verhängte
Einreiseverbot für Europäer trifft die Luftfahrtin-
dustrie massiv.
Daniel Röska von Bernstein Research schätzt,
dass von dem Verbot rund 3 500 Flüge und bis zu
800 000 Passagiere pro Woche betroffen sein wer-
den: „Wir gehen davon aus, dass der Bann den
Luftverkehr zwischen dem Schengenraum und
den USA quasi zum Erliegen bringen wird.“
Fast schon panikartig trennten sich die Anleger
von Aktien der Airlines, Flughäfen und auch Flug-
zeughersteller. Im Euro-Stoxx brach der Branchen-
index für Reise- und Freizeitwerte vorübergehend
um fast zehn Prozent ein. Auch die Papiere von US-
Airlines gerieten kräftig unter Druck.
Die Lufthansa musste besonders starke Verluste
hinnehmen. Die Aktie verlor fast 13 Prozent. Die
deutsche Fluggesellschaft ist stark von den US-Ver-
bindungen abhängig. Der Konzern hat schon vor
einiger Zeit mit dem US-Anbieter United Airlines
und Air Canada das Joint Venture Atlantic Plus-Plus
gegründet. Das Ziel: Man will die eigene Präsenz
auf den Verbindungen zwischen Europa und Nord-
amerika stärken und ausbauen. Viele Strecken, et-
wa in die Metropolen der USA, sind sogenannte
Rennstrecken. Sie sind gut gebucht und lukrativ.
Die Rechnung ging auf. Lufthansa hat mit seinen
Partnern auf den Verbindungen nach Nordamerika
einen Marktanteil von 36 Prozent. Das rivalisieren-
de Bündnis von Air France-KLM und Delta kommt
auf 29 Prozent, das der britisch-spanischen Hol-
ding IAG schafft rund elf Prozent. „Der Nordatlan-
tik repräsentiert für alle europäischen Airlines den
größten Teil des Gewinns im Langstreckenge-
schäft“, sagt Röska von Bernstein.
Lufthansa selbst hielt sich am Donnerstag be-
deckt. Man sondiere die Lage. Es sei aber absehbar,
dass sich die Situation mit den Ankündigungen von
US-Präsident Donald Trump weiter verschlechtert
habe. Zusätzliche Flugstreichungen seien unver-
meidbar. Auch die Reisebranche wurde von dem
US-Beschluss kalt erwischt und war am Donnerstag
zunächst damit beschäftigt, die Folgen zu eruieren.

Hilfe von der Politik
Immerhin darf die Branche auf Unterstützung der
Politik hoffen. „Die Airlines sind von den Auswir-
kungen des Coronavirus stark betroffen. Das Ein-
reiseverbot in die USA trifft die Lufthansa beson-
ders hart“, sagte der Koordinator für Luft- und
Raumfahrt Thomas Jarzombek. Die Bundesregie-
rung stelle Instrumente bereit, um bei kurzfristigen
Liquiditätsengpässen zu helfen. Diese stünden na-
türlich auch der Luftfahrtbranche offen.
Das Problem ist: Keiner weiß, wie lange das Ein-
reiseverbot gelten wird. Offiziell hat US-Präsident
Trump von einer Frist von 30 Tagen gesprochen.
Aber in der Anweisung selbst ist dieser Zeitraum
nicht genannt.
Schon vor dem Trump-Beschluss hatte die Luft-
hansa deutliche Einbußen im Verkehr aus den und
in die Vereinigten Staaten hinnehmen müssen. Vie-
le Unternehmen haben ihre generelle Reisetätigkeit
wegen des Virus zurückgefahren. Das bestätigen
Umfragen bei den Firmen. Deshalb beurteilen die
meisten die direkten Folgen des „US-Banns“ als
eher überschaubar. Intern setze man schon länger
stark auf Videokonferenzen, um Kosten und Auf-
wand zu verringern, heißt es etwa beim deutsch-
amerikanischen Gasekonzern Linde. Auf das Ein-
reiseverbot werde man sich einstellen müssen wie
alle anderen auch.
Bei der Deutschen Bank würden für Mitarbeiter
bereits seit einiger Zeit ohnehin restriktive Reise-
richtlinien gelten, heißt es bei dem Finanzinstitut.
Geschäftsreisen seien auf das Notwendigste be-
schränkt und sollen wo immer möglich durch Vi-
deokonferenzen oder Telefonate ersetzt werden.
Ähnlich stellt sich die Situation bei Fresenius,

Merck, Bosch, BASF oder beim Autozulieferer ZF
Friedrichshafen dar. „Daher beeinflusst das nun er-
lassene Einreiseverbot in die USA die bestehenden
Reisebeschränkungen nicht nennenswert“, erklär-
te ein ZF-Sprecher.
Gelassen reagiert auch RWE-Finanzvorstand
Markus Krebber: „Wir erwarten keine direkten Aus-
wirkungen.“ Das Geschäft werde von lokalen
Teams betrieben. Natürlich gebe es auch Teams,
die international arbeiteten. Die Aufgaben würden
derzeit aber von den Kollegen in den USA erledigt.
Bayer wiederum hatte Geschäftsreisen bereits in
den vergangenen Wochen stark eingeschränkt,
nicht nur die transatlantischen. „Diese Entwick-
lung wird sich durch das Einreiseverbot in die USA
weiter verstärken“, sagte ein Sprecher. Externe
Termine wie auch interne Meetings werden entwe-
der durch Telefon- bzw. Videokonferenzen ersetzt
oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Der Chemie- und Pharmakonzern hat seit der
Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto im
Jahr 2018 ein sehr ausgeprägtes US-Geschäft, rund
34 Prozent des Umsatzes machen die Leverkusener
in Nordamerika. Normalerweise gibt es einen re-

gen Flugverkehr zwischen der ehemalige Monsan-
to-Zentrale in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri
und dem Pflanzenschutzzentrum von Bayer im
Rheinland. Dasselbe gilt für die auf die USA und
Deutschland verteilte Pharmaforschung.
Gleichwohl gibt es auch Firmen, die durch die
Entscheidung von US-Präsident Trump vor Heraus-
forderungen stehen. Bei der Deutschen Telekom
kommt das Einreiseverbot mitten in der Endphase
der Fusion der US-Tochter T-Mobile mit dem Riva-
len Sprint. Seit Monaten reisen Unterhändler aus
Deutschland immer wieder in die USA, um bei US-
Behörden für den Deal zu werben. Die Telekom
will nun stärker auf Telefon- und Videokonferen-
zen setzen, heißt es in Konzernkreisen.
Für das operative Geschäft – auch das in den
USA – würden durch die neuen Beschränkungen
dagegen keine Probleme entstehen, sagte Telekom-
Deutschlandchef Dirk Wössner: „Glücklicherweise
hängt die Funktion der US-Operation nicht davon
ab, dass wir aus Deutschland mithelfen.“ Geschäfts-
reisen seien aufgrund der Vorsorgemaßnahmen
ohnehin auf ein Minimum reduziert worden.
Der kalifornische Elektroautobauer Tesla wieder-

Nächster Schlag

für die Luftfahrt

Viele Unternehmen reagieren gelassen auf das US-Einreiseverbot. Sie


haben Geschäftsreisen bereits auf ein Minimum begrenzt. Airlines


dagegen bricht ein Kerngeschäft weg.


Flughafen Frankfurt (rechts) und
JFK in New York: Lufthansa hat
mit seinen Partnern auf den Ver-
bindungen nach Nordamerika ei-
nen Marktanteil von 36 Prozent.

US-Präsident
Donald Trump:
30 Tage dürfen
Europäer nicht in die
USA einreisen.

Murat Tueremis/laif

Unternehmen

& Märkte

WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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um hat nach Informationen der „Automobilwo-
che“ sein deutsches Team in die USA zurückbeor-
dert. Betroffen seien rund 30 Amerikaner. Ob das
Folgen für den geplanten Spatenstich der neuen Gi-
gafabrik im brandenburgischen Grünheide hat, ist
derzeit nicht klar.
Generell gilt aber: Das Einreiseverbot für Euro-
päer in die USA trifft auf „vorbereitete“ Unterneh-
men. Nach der rasanten Ausbreitung des Virus in
Europa hatten auch die deutschen Behörden dazu
aufgefordert, entsprechende Vorsicht walten zu las-
sen. Viele Firmen sind diesem Rat gefolgt – und das
nicht nur beim Thema Dienstreisen.

Firmen verschärfen ihre Maßnahmen
So hat Volkswagen seine konzerneigenen Sicher-
heitsvorkehrungen verschärft. Besucher auf dem
Werksgelände in Wolfsburg werden genauer kon-
trolliert. Dienstreisen sollen auf ein wirtschaftlich
zwingend erforderliches Mindestmaß reduziert
werden (business essential), heißt es in einer
schriftlichen Anweisung, die dem Handelsblatt vor-
liegt. Seit Mittwoch sind zudem Veranstaltungen
mit mehr als 100 Personen untersagt.
Wer das Werk in Wolfsburg besuchen will, muss
jetzt vor dem Betreten einen Fragebogen ausfüllen.
Darin wird konkret nach Vorerkrankungen und
dem Besuch von Risikoregionen gefragt, die beson-
ders stark von der Corona-Epidemie betroffen
sind. Auf dem Fragebogen müssen Besucher auch
ihre private Adresse hinterlassen – um im Zweifels-
fall nach dem Auftreten einer Infektion erreichbar
zu sein. „Der Prozess wird durch die Werkssicher-
heiten koordiniert“, heißt es dazu bei Volkswagen.
Auch externe Besuche von Gästen und Lieferanten
aus Ländern mit erhöhten Fallzahlen sollen auf ein
„wirtschaftlich zwingend erforderliches Mindest-
maß“ reduziert werden.
Der Autobauer Opel verzichtet im März auf eine
geplante Arbeitnehmerkundgebung. „In Anbe-
tracht der anhaltenden Verunsicherung der Kolle-
ginnen und Kollegen aufgrund des Coronavirus
und der Empfehlung von Behörden, Großveran-
staltungen abzusagen, plant der Betriebsrat, die für
den 27. März geplante Betriebsversammlung auf ei-

nen späteren Zeitpunkt zu verschieben“, heißt es
in einem Rundschreiben des Betriebsrats an die
Belegschaft, das dem Handelsblatt vorliegt. Wann
die Betriebsversammlung nachgeholt werden soll,
steht noch nicht fest.
Der Softwarekonzern SAP hat mittlerweile das
Virus im eigenen Unternehmen. Drei Mitarbeiter
am Standort St. Ingbert im Saarland haben sich mit
dem Erreger infiziert, der Standort ist deswegen
vorübergehend geschlossen. Die rund 800 Ange-
stellten sollen von zu Hause arbeiten. Ein Problem
sei das aber nicht, heißt es beim Konzern. Bei Be-
darf könnten die Kollegen „virtuell im Homeoffice
zusammenarbeiten – auch mit Kunden“. Daher sei-
en gegenwärtig „keine signifikanten Auswirkungen
auf unsere Geschäftsabläufe“ zu erwarten.
Für den Fall, dass die Epidemie mehr Mitarbei-
ter und Standorte betrifft, sieht sich SAP gerüstet:
Das Unternehmen hat Hintergrundinformationen
und Ratschläge verbreitet und „Notfallmaßnah-
men“ vorbereitet. Besonderes Augenmerk gilt den
Rechenzentren, in denen die Cloud-Anwendungen
laufen: Wenn sie ausfallen, macht sich das für die
Kunden direkt bemerkbar.
Desinfektionsteams stehen bereit, um die Anla-
gen zu reinigen, es gibt Schutzausrüstung, mit der
sich die Teams einkleiden können. „Parallel haben
wir den Zugang zu den Rechenzentren weiter ein-
geschränkt und setzen auf strikt getrennte Teams,
um das Risiko der Verbreitung von Viren weiter zu
minimieren“, so ein Sprecher.
Zumindest eine gute Nachricht gibt es aber:
Fracht ist von der Entscheidung von US-Präsident
Trump ausgenommen. „Der Warenverkehr mit den
Vereinigten Staaten ist von diesem Erlass nicht be-
troffen, das weltweite Produktionsnetzwerk inso-
fern stabil“, heißt es bei ZF Friedrichshafen. Doch
die Manager in den Unternehmen beobachten die
Situation auch hier mit Argwohn. RWE-Finanzchef
Krebber beispielsweise sorgt sich um die interna-
tionalen Lieferketten – auch mit Blick auf die Bau-
projekte in den USA: „Wenn es da bei einzelnen
Komponenten zu Problemen kommt, würden wir
das auch spüren.“
ax, bef, chk, fhu, jkn, jojo, juf, mm, mwb, scc, zel

Unsplash, Getty Images News/Getty Images

Markus Orth

„Die Lage ändert


sich stündlich“


S


eit einem Jahr führt Markus Orth, 55, Deutsch-
lands größten Vermittler von Geschäftsreisen,
die hierzulande mit 300 Büros vertretene Fran-
chisekette Lufthansa City Center (LCC). Die Reisebe-
schränkungen hält er für ein „Megadrama“.

Herr Orth, ab Freitag um Mitternacht verwehren die
USA Festland-Europäern die Einreise. Sitzen Ge-
schäftsreisende danach in Amerika fest, wenn Flüge
in die USA wohl deutlich eingeschränkt werden?
Es geht zunächst um die Einreise. Somit besteht nach
aktuellem Stand die Möglichkeit der Ausreise. Aller-
dings werden die Frequenzen der Airlines sicher re-
duziert. Daher sind unsere Büros als auch die Airlines
bestrebt, sich um alle betroffenen Kunden sehr kurz-
fristig zu kümmern. Wir sehen gerade Flexibilität auf
allen Seiten, doch es bleibt abzuwarten, wie der Flug-
plan in der nächsten Woche aussieht.

Was empfehlen Sie europäischen Geschäftsreisen-
den, die sich derzeit in den USA aufhalten?
Sofort Kontakt mit dem Reisebüro aufzunehmen. Bei
uns stehen die Kollegen den Kunden 24/7 zur Verfü-
gung. Seit drei Wochen arbeiten wir mit Hochdruck
daran, die Kunden aktiv zu informieren, umzubuchen
und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Offen bleibt der Luftverkehr zwischen den USA und
Großbritannien. Ist dies angesichts der zu erwarten-
den Engpässe eine Alternative?
Ja, auf jeden Fall. Zusätzlich können alle Nicht-Schen-
gen-Länder oder sonstige Drittländer, die von dieser
Restriktion betroffen sind, als Ausweichroute ge-
nutzt werden. Die persönliche Rückfrage
beim Travelmanager oder im Büro hilft. Die
Lage ändert sich stündlich. Ich persönlich
würde immer die Route über London
nehmen. Gute Infrastruktur, stabile Flug-
verbindung und zur Not dann doch alter-
native Transportmittel.

Können Reisende nun Schadensersatz von
den Airlines einfordern, falls sie nicht mehr
befördert werden?
Derzeit sieht es schwer nach Force Majeure, also hö-
herer Gewalt aus, wenn der US-Präsident die Grenzen
dicht macht. Hier bleibt abzuwarten, wie sich die
rechtliche Situation darstellen wird. Da ist noch vieles
ungeklärt und im Einzelfall zu beurteilen.

Kommen die Airlines auch für Kosten auf, die bei
den nun absehbaren mehrtägigen Hotelaufenthalten
in den USA entstehen?
Das ist im Einzelfall zu prüfen. Einige Airlines neh-
men direkten Kontakt zu Kunden auf, die betroffen
sind, um sicherzustellen, dass sie gut untergebracht
sind.

Gibt es aus Ihrer Sicht grundsätzlich noch eine ande-
re Empfehlung?
Ruhe bewahren, Geschäftstermine verschieben und
ehrlich kommunizieren. Die Dienstreise wird nachge-
holt, wenn die Gates wieder offen sind. Da ich über-
zeugt bin, dass die Notwendigkeit des persönlichen
Kontakts in der globalen Welt nicht an Bedeutung ver-
liert, bleibt jetzt nur die Option, Augmented-Reality-
Meetings – etwa Videokonferenzen – für den Über-
gang zu nutzen.

Die Fragen stellte Christoph Schlautmann.

Was der Chef der Geschäftsreisekette
Lufthansa City Center den
USA-Businessreisenden jetzt empfiehlt.

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Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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