Diana Fröhlich, Hans-Jürgen
Jakobs Düsseldorf, München
I
n der „Zwickauer Mulde“ ist
Helge Leonhardt ein mächti-
ger Mann. Zusammen mit sei-
ner Familie verkauft er Autos,
hält Firmenbeteiligungen und
besitzt ein Hotel sowie Maschinen-
baufirmen. Ins öffentliche Leben
bringt sich der Multimillionär vor al-
lem als Präsident des Fußball-Zweitli-
gisten FC Erzge birge Aue ein.
Die Coronavirus-Krise macht ihn
nun überregional bekannt. Weil zwei
infizierte Fans womöglich Mitarbeiter
des Klubs angesteckt haben, bean-
tragt sein Verein, das Heimspiel ge-
gen den SV Sandhausen abzusagen.
Aber der Unternehmer will noch ri-
goroser durchgreifen: Er fordert ge-
nerell einen Abbruch der Saison im
deutschen Profifußball – so wie es die
Eishockey-Liga vorexerziert hat.
„Man sollte einheitlich präventiv
handeln“, sagt Leonhardt, „sowohl
aus sportlicher als auch aus wirt-
schaftlicher und vor allem aus ge-
sundheitlicher Sicht.“ Sein Radikal-
vorschlag kommt kurz vor der außer-
ordentlichen Mitgliederversammlung
der 36 Profiklubs am kommenden
Montag. Die Ober-Organisation Deut-
sche Fußball-Liga (DFL) sucht in der
Covid-19-Not nach strategischen Lö-
sungen – und wird von immer neuen
dramatischen Ereignissen überrollt.
So sickerte durch, dass der Euro-
päische Fußballverband Uefa plane,
die Champions League und die
Europa League der besten Klubs vor-
erst auszusetzen. Auch der spanische
Profiwettbewerb La Liga erklärt, die
nächsten Spieltage zu pausieren,
nach einem Virusfall steht Altmeister
Real Madrid unter Quarantäne. Hier-
zulande hat der Deutsche Fußball-
Bund (DFB) am Dienstag verkündet,
die Spieltage 28 und 29 der Dritten
Liga zu verlegen. DFB-Generalsekre-
tär Friedrich Curtius will vorbereitet
sein, „wenn der Fall eintreten sollte,
dass der Spielbetrieb unterbrochen
oder die Saison sogar vorzeitig been-
det werden müsste“.
Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende
des Sportausschusses im Bundestag,
wird deutlicher: „Ich kann jeden
Sportfan verstehen, der enttäuscht
ist, dass Derbys ausfallen oder Spiel-
zeiten vorzeitig beendet werden –
aber vermutlich ist das der Beitrag,
den auch der Sport in dieser Ausnah-
mesituation leisten muss.“
Damit ist das Geschäftsmodell Spit-
zenfußball bedroht. Immerhin 4,02
Milliarden Euro haben die 18 Erstli-
gisten in der Saison 2018/19 erlöst,
fast 1,5 Milliarden in der medialen
Verwertung, vor allem im Pay-TV. Ei-
nen „historischen Höchstwert“ preist
DFL-Geschäftsführer Christian Seifert
- und muss erleben, wie ein Virus die
Geschäftsgrundlage ändert. Und das
in einer Phase, in der die lukrativen
TV-Verträge neu verhandelt werden.
Für das Medienhaus Sky ist Fuß-
ball allem Anschein nach ein Verlust-
geschäft. Genaue Ziffern sind Ge-
heimsache, aber die Zahl echter
Abonnenten, die Pakete kaufen, soll
unter vier Millionen gesunken sein.
Etliche von ihnen dürften genervt
sein, da Sky für zwei Spieltage die
Bundesliga in ihrer Konferenzschal-
tung allen zeigt. Ein eigener Free-TV-
Kanal übernimmt das Signal für die
„Geisterspiele“, die nach behördli-
chen Anordnungen ohne Zuschauer
stattfinden. Devesh Raj, Chef von Sky
Deutschland, lobt seinen Beitrag,
„dass möglichst viele Fußballfans die
Bundesliga live erleben können“.
In allen deutschen Fußball-Top-
klubs löst eine Krisensitzung die
nächste ab. Überall drohen finanziel-
le Einbußen. Zweitligist VfL Bochum
vertreibt „Geisterspiel- Tickets“ (ima-
ginäre Eintrittskarten für 18,48 Euro),
um so über Spenden die Lasten ge-
ring zu halten. Pro Geisterspiel, bei
dem die Mannschaft vor leeren Rän-
gen spielt, mache der Klub 500 000
Euro Verlust, heißt es aus Bochum.
Es geht auch um nicht verkaufte Sta-
dionwürste oder Fan-Schals. Bei vier
noch ausstehenden Heimspielen ent-
steht ein Minus von zwei Millionen,
und das bei nur 30 Millionen Euro
Jahresumsatz. Ex-DFL-Mann Andreas
Rettig fordert einen Ausgleichfonds
für wirtschaftlich schwächere Klubs.
Auch Borussia Dortmund rechnet
mit Einbußen bis zu drei Millionen.
Doch aufgrund höherer TV-Erlöse ist
man hier weniger abhängig von
Spieltageseinnahmen; Dortmund
setzt 490 Millionen Euro um. Fortu-
na Düsseldorf aus der unteren Regi-
on der Erstliga würde dagegen eben-
falls unter fehlenden Millionen im
„Ticketing“ leiden. Alles ist kompli-
ziert: Es gibt Verträge mit Sponsoren
für die Leinwand im Stadion, und
wenn viele Spiele ausfallen, müssten
auch Dauerkartenbesitzer entschä-
digt werden. „Jetzt stehen erst ein-
mal Gesundheitsaspekte im Vorder-
grund, später werden wir über wirt-
schaftliche Fragen reden müssen“,
sagt CEO Thomas Röttgermann.
Von einer „Ausnahmesituation“
spricht Liga-Chef Seifert – und hat
doch eine Spielpause der Ersten Bun-
desliga als „illusorisch“ abgelehnt.
„Wir brauchen Mitte Mai eine Tabel-
le, damit die Klubs planen können“,
aufzuhören sei keine Option.
Die Planungen für das wertvolle
Gut Fußball sind extrem eng. Schon
am 12. Juni beginnt die Europameis-
terschaft. Niemand könne die Lage in
zwei, drei Monaten vorhersagen, sagt
SPD-Politikerin Freitag, aber man
müsse nach Ansicht von Experten zu-
mindest mit einem langwierigen Pro-
zess rechnen. „Das sollte dann der
Uefa ein paar zusätzliche Gedanken
und Diskussionen wert sein.“ Die
„Euro 2020“ steht auf der Kippe.
Der Stopp der Champions League
verändert die Lage genauso wie der
positive Test des ersten deutschen
Profis, Timo Hübers von Hannover
- Aufgrund des öffentlichen Drucks
wird ein Abbruch der Bundesliga im-
mer wahrscheinlicher. Da in diesem
Fall Sky aber eine Tranche für die TV-
Lizenzen wohl nicht mehr zahlt und
Sponsoren Gelder zurückverlangen,
ergeben sich gravierende Folgepro-
bleme. Patron Leonhardt aus dem
Erzgebirge bleibt bei seinem Votum
für einen Stopp: Wie wolle man sonst
eine „einheitliche Lösung“ finden?
Fußball-Bundesliga
Am Rande
des Abbruchs
Die ersten Profiklubs haben in der Coronakrise
radikale Pläne.
Geisterspiel im
Fußballstadion:
Sky wechselt vom
Pay-TV zum Free TV.
AFP/Getty Images
dpa
Das ist
vermutlich
der Beitrag,
den auch der
Sport in dieser
Ausnahmelage
leisten muss.
Dagmar Freitag
SPD-Sportpolitikerin
4,02
MILLIARDEN
Euro haben die 18 Klubs der
Fußball-Bundesliga in der Saison
2018/19 erlöst. Es war ein
historischer Höchstwert.
Quelle: Deutsche Fußball-Liga
Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
22
Autoindustrie
BMW tauscht Chefentwickler aus
Klaus Fröhlich scheidet aus
dem Vorstand aus. Sein
Nachfolger Frank Weber muss
die Elektrostrategie auf die
Straße bringen.
Markus Fasse München
B
MW bekommt einen neuen
Entwicklungsvorstand. Klaus
Fröhlich, seit 2014 oberster
Chefentwickler in München, hört
zum Juli auf. Nachfolger wird Frank
Weber, bislang Leiter der großen 7er-
und 8er-Baureihen. Der 53-jährige
Weber wird damit eine zentrale Figur
in der Führungsmannschaft von Kon-
zernchef Oliver Zipse, der erst im ver-
gangenen August Vorstandschef von
BMW geworden ist. Weber kam 2011
zu BMW und war zuvor bei General
Motors in den USA tätig. Dort hat er
unter anderem am Stromauto Volt
gearbeitet, das in Deutschland von
Opel als Ampera auf den Markt ge-
bracht wurde.
Mit Fröhlich geht eine der wichtigs-
ten Figuren der vergangenen Jahre
von Bord. Obwohl der Topentwickler
in diesem Sommer die Altersgrenze
von 60 Jahren erreicht, hatte Auf-
sichtsratschef Norbert Reithofer
seinem obersten Ingenieur eine Ver-
tragsverlängerung angeboten – ohne
Erfolg. Fröhlich hatte maßgeblich
den sogenannten Flexi-Ansatz entwi-
ckelt, mit dem BMW künftig Autos
mit Elektroantrieben und Verbren-
nungsmotoren von einem Band lau-
fen lassen will. Den Anfang wird der
i4 im kommenden Jahr machen, der
gegen das Model 3 von Tesla in den
Markt geschickt wird. Anschließend
sollen auch die großen Modelle der
7er- und 5er-Reihe elektrifiziert wer-
den. Als Baureihenleiter für die Ober-
klassenmodelle ist Webers Aufgabe
nun unter anderem, diesen Plan um-
zusetzen.
„Wir freuen uns, mit Frank Weber
einen kompetenten Nachfolger für
Klaus Fröhlich gefunden zu haben“,
sagte BMW-Aufsichtsratschef Norbert
Reithofer am Donnerstag. „Beson-
ders wichtig ist mir, Klaus Fröhlich
höchste Anerkennung für seine lang-
jährige und erfolgreiche Arbeit nicht
nur im Vorstand der BMW AG auszu-
sprechen.“ Fröhlich hat insgesamt 30
Jahre im Konzern gearbeitet.
Mehr Luxus verkauft
Im Gesamtjahr hat BMW erstmals
mehr als 100 Milliarden Euro umge-
setzt. Im vierten Quartal legte das
Unternehmen noch einmal zu, dank
gut laufender Verkäufe im Luxusseg-
ment. Der Quartalsüberschuss stieg
um 6,7 Prozent auf 1,4 Milliarden
Euro. Damit erreichte BMW im Ge-
samtjahr sein Renditeziel im Autoge-
schäft, obwohl der Jahresgewinn we-
gen eines schwachen ersten Halb-
jahrs um 28,9 Prozent auf fünf
Milliarden Euro einbrach. Im Autoge-
schäft erwirtschaftete BMW im Ge-
samtjahr eine Umsatzrendite (Ebit-
Marge) von 4,9 Prozent. Der Vor-
stand hatte eine Spanne von 4,5 bis
6,5 Prozent in Aussicht gestellt. Da-
mit liegt BMW deutlich unter dem
angepeilten mittelfristigen Ziel von
acht Prozent.
Ein Grund sind die massiv gestiege-
nen Ausgaben für Forschung und
Entwicklung. BMW muss massiv in
die Elektrifizierung investieren, um
die Klimaziele in der EU einhalten zu
können und nicht weiter an Boden
gegenüber dem Rivalen Tesla zu ver-
lieren. „Wir gehen die Transformati-
on unserer Branche mit Zuversicht
und Vertrauen in unsere Innovations-
kraft an“, sagte Zipse. „Jetzt entfaltet
sich unser volles Potenzial – genau im
richtigen Moment.“
Wie der Konzern seine Aussichten
für 2020 einschätzt, will Zipse kom-
mende Woche auf der Bilanzpresse-
konferenz erklären. Wegen der Coro-
nakrise standen bis Mitte Februar die
Fabriken in China still. Bislang kalku-
liert BMW für 2020 mit einer Absatz-
steigerung.
BMW Group legt Zahlen vor
2018
Umsatz Nettoergebnis* Fahrzeug-
auslieferungen
Automobile
96,9
2018
8,9
104,2
2019
2 483 290
2 538 370
-17,0 %
+2,2 %
7, 4
in Mrd. Euro in Mrd. Euro
HANDELSBLATT *Ergebnis vor Finanzergebnis (Ebit) • Quelle: Unternehmen
2019
Klaus Fröhlich:
Der Entwicklungs-
vorstand verlässt
nach dreißig
Jahren den
Konzern.
dpa
Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
23
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