B. Fröndhoff, K. Knitterscheidt
Düsseldorf
N
och Ende Januar keimte
in den deutschen Che-
mieunternehmen ein
wenig Hoffnung auf,
dass die Industrie mal
wieder etwas positiver nach vorn bli-
cken könnte. Das vierte Quartal war
besser als erwartet verlaufen. Die
Hängepartie um den Brexit war be-
endet. Der Handelskrieg zwischen
den USA und China legte eine Pause
ein, selbst im USA-Iran-Konflikt stan-
den die Zeichen auf Deeskalation.
Nur wenige Wochen später ist die-
ser Hoffnungsschimmer verflogen –
und schuld daran ist natürlich die
Covid-19-Pandemie. Die damit ver-
bundenen Unsicherheiten und die
schon jetzt erkennbaren wirtschaftli-
chen Konsequenzen werden die
Branche nach Erwartung des Ver-
bands der Chemischen Industrie
(VCI) hart treffen.
Ähnliches verkündete am Donners-
tag der Verband Deutscher Maschi-
nen- und Anlagenbau (VDMA): „Die
Ausbreitung des Coronavirus wirft
uns spürbar zurück“, sagte Carl Mar-
tin Welcker, Präsident des Branchen-
verbands und Chef des Kölner Ma-
schinenbauers Alfred Schütte. „Selbst
unter der Annahme, dass sich die La-
ge im zweiten Halbjahr entspannt
und die Geschäfte wieder besser lau-
fen, werden wir die zusätzlichen
Rückgänge in diesem Jahr nicht mehr
wettmachen können“, lautet seine
bittere Prophezeiung.
Damit sind die bisherigen Schät-
zungen in den beiden nach der Auto-
industrie größten deutschen Indus-
triezweigen schon jetzt obsolet. Che-
mie und Maschinenbau senkten am
Donnerstag ihre Prognosen für 2020
kräftig. Der VCI erwartet für das lau-
fende Jahr für die Chemieproduktion
nun einen Rückgang von 1,5 Prozent.
Der Umsatz bleibt voraussichtlich mit
196 Milliarden Euro unverändert,
heißt es in der neuen Schätzung.
Der Maschinenbau ging bisher
schon wegen der schlechten Kon-
junkturaussichten von einem enttäu-
schenden Produktionsminus von
zwei Prozent aus. Doch angesichts
der Verwerfungen durch die Corona-
Pandemie werde sich der Rückgang
noch einmal mehr als verdoppeln –
auf minus fünf Prozent.
IfW erwartet Rezession
Für die gesamte deutsche Wirtschaft
sind die Prognosesenkungen ein
schlechtes Signal. Gerade die Chemie
gilt als Seismograf, sie beliefert alle
großen Bereiche der verarbeitenden
Industrie und spürt konjunkturelle
Bewegungen früh. „Die Auswirkun-
gen der Corona-Epidemie werden die
exportorientierte Industrie und da-
mit auch die Chemie zu spüren be-
kommen“, sagte VCI-Hauptgeschäfts-
führer Wolfgang Große Entrup.
Das Kieler Institut für Weltwirt-
schaft (IfW) geht schon jetzt davon
aus, dass 2020 das erste Rezessions-
jahr seit der Finanzkrise 2009 wer-
den wird. Das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) dürfte in diesem Jahr um 0,1
Prozent schrumpfen, sagte das IfW
am Donnerstag voraus. Bislang war
das Institut von einem Wachstum
von 1,1 Prozent ausgegangen – eine
drastische Rückstufung.
Gut die Hälfte der deutschen Un-
ternehmen spüren bereits negative
Folgen durch Corona, wie eine eben-
falls am Donnerstag vorgelegte Unter-
suchung des Münchener Ifo-Instituts
ergab. Besonders betroffen sind na-
türlich Touristik und Luftfahrt sowie
das Gastgewerbe. Aber auch die Che-
mie und der Maschinenbau sind un-
ter den Leidtragenden.
Dramatisch sind die Konjunktur-
meldungen auch, weil die neuen
Prognosen noch unter erheblichem
Vorbehalt stehen. Die Konjunkturbe-
trachtung des VCI etwa ist auf die
Produktion an heimischen Standor-
ten fokussiert. Die negativen Effekte
der Coronavirus-Epidemie in China
könnten für die Unternehmen
schwerwiegender sein, als es die Ver-
bandszahlen widerspiegeln.
Das gilt vor allem für die Gewinn-
entwicklung der Chemieunterneh-
men, für die die Konjunkturindikato-
ren nur bedingt Signale geben.
Zusätzliche Kosten durch Lagerhal-
tung, unausgelastete Anlagen, nicht
einsatzbereites Personal, Logistikpro-
bleme oder zeitliche Verzögerungen
durch Quarantäne finden sich darin
nicht wieder. Alle großen deutschen
Chemieunternehmen haben bereits
über erhebliche Gewinneinbußen
durch die Corona-bedingten Proble-
me in China berichtet.
Die Kölner Lanxess AG geht derzeit
von einer Belastung des Jahresge-
winns zwischen 50 Millionen und
100 Millionen Euro aus. Der Kunst-
stoffhersteller Covestro nennt Belas-
tungen in Höhe von 60 Millionen
Euro, bei der Evonik AG sind es 30
Millionen Euro. Der Jahresgewinn
von Branchenprimus BASF könnte
nach Analystenschätzungen um 400
Millionen Euro niedriger ausfallen.
Der Bielefelder Werkzeugmaschi-
nenhersteller DMG Mori rechnet
nach mehreren Rekordjahren für
2020 mit einem herben Gewinnein-
bruch von fast 50 Prozent (Ebit).
„Das Ausmaß der Krise ist derzeit
noch nicht absehbar“, sagte Vor-
standschef Christian Thönes dem
Handelsblatt.
In dieser schwierigen Lage wün-
schen sich beide Industrien Hilfen
vom Staat. Die Maschinenbauer for-
dern einen vereinfachten Zugang
zum Kurzarbeitergeld. „Die neuen
Kurzarbeitsregelungen müssen für al-
le Betriebe gelten. Der Maschinenbau
wurde hier bisher vergessen“, kriti-
siert VDMA-Chef Welcker. Weitere
Möglichkeiten wären eine zinslose
Stundung fälliger Zahlungen bei der
Einkommen-, Körperschaft- und Um-
satzsteuer sowie „nennenswerte Ab-
schreibungserleichterungen“.
Der Chemieverband schlägt neben
Steuerstundungen zusätzliche Bürg-
schaften für Unternehmenskredite
vor. Der Staat werde sich zudem
wohl an den durch die Epidemie ver-
ursachten Kosten der Wirtschaft be-
teiligen müssen, heißt es. Neben ei-
ner Steuersenkung böte sich auch die
Schaffung eines Sondervermögens
an, um besonders betroffene Unter-
nehmen rasch und unbürokratisch
zu unterstützen, schlägt der Verband
vor.
Corona-Folgen
Industrie sendet Alarmsignale
Chemie und Maschinenbau senken ihre Prognosen deutlich und fordern Hilfen.
Geschäftstätigkeit der Wirtschaft leidet
Reisebüros, Reiseveranstalter u. ä.
Gastgewerbe
Herstellung elektrischer Ausrüstungen
Herst. v. DV-Geräten, elektr. u. optischen Erzeugn.
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
Möbelproduktion
Maschinenbau
Chemieproduktion
Fahrzeughandel und -reparatur
Reparatur, Install. von Maschinen, Ausrüstungen
95,9
79,8
73,2
71,1
68,4
65,5
64,8
63,6
61,9
60,0
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HANDELSBLATT Quelle: ifo Konjunkturumfragen, März 2020
Coronavirus: Anteil befragter deutscher Unternehmen,
die negative Auswirkungen spüren (Auswahl)
Chemielabor:
Die Branche rechnet
für 2020 mit einem
Produktionsrückgang
von 1,5 Prozent.
Getty Images/Westend61
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Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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Energiekonzern
RWE enttäuscht die Analysten
Der Stromproduzent steigert
die Ergebnisse deutlich,
Investoren hatten bei
Ausblick und Dividende
allerdings mehr erwartet.
Jürgen Flauger Düsseldorf
E
s sollte eine Feierstunde für
RWE-Chef Rolf Martin
Schmitz werden. Nachdem
der Energiekonzern jahrelang im Kri-
senmodus verharrt hatte, wollte der
Vorstandschef am Donnerstag den
Investoren stolz die neue RWE prä-
sentieren: einen Stromproduzenten,
der sich nach dem Tauschgeschäft
mit Eon vollkommen den erneuerba-
ren Energien verschrieben hat.
Schon vor Monaten hatte Schmitz die
Investoren nach London geladen, um
ihnen auf dem Capital Market Day
die neuen Ziele zu schildern.
Aber die Coronakrise machte die
Feierstunde zunichte. Schmitz muss-
te nicht nur die Präsentation in Lon-
don absagen und ins Internet verle-
gen. Die Aktie brach mit dem gesam-
ten Markt ein. Zum Handelsstart gab
die Aktie mehr als elf Prozent nach –
und gehörte damit sogar zu den
größten Verlierern im Dax.
Dabei hatte RWE am Morgen über
ein deutliches Gewinnplus berichtet,
ein kräftiges Wachstum versprochen
und sogar eine steigende Dividende
angekündigt – für 2019 und für 2020.
Das reichte vielen Analysten aber
nicht: Das Ergebnis vor Zinsen, Steu-
ern und Abschreibungen (Ebitda) ha-
be zwar die Erwartungen übertrof-
fen, schrieb Analyst Ahmed Farman
vom Analysehaus Jeffries, der Aus-
blick sei aber enttäuschend, und
auch bei der Dividende für 2020 ha-
be man sich mehr erhofft. Goldman
Sachs zeigte sich in einer Analyse ent-
täuscht von den Investitionsplänen.
Konzernchef Schmitz kann die Re-
aktionen nicht verstehen: „Die Aufga-
ben sind – nahezu – gemeistert. Das
Feld der neuen RWE ist bereitet“,
sagte er während der Telefonkonfe-
renz mit Journalisten. Das operative
Geschäft habe ein „ausgezeichnetes
Jahresergebnis aufs Parkett gelegt“.
RWE habe seine Ziele übererfüllt.
Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen,
Steuern und Abschreibungen (Ebit-
da) stieg auf 2,1 Milliarden Euro (Vor-
jahr: 1,5 Milliarden Euro). Das um
Sondereffekte bereinigte Nettoergeb-
nis konnte der Konzern sogar auf 1,2
Milliarden Euro von 591 Millionen
Euro mehr als verdoppeln. Für das
abgelaufene Jahr bekommen die Ak-
tionäre eine Dividende von 80 Cent
je Aktie und damit zehn Cent mehr
als ein Jahr zuvor. Für 2020 strebt
RWE 85 Cent an.
Zudem verspricht RWE weiteres
Wachstum – sowohl bei Ergebnis als
auch Dividende. Von 2020 bis 2022
peilt RWE, gemessen am Ergebnis,
ein jährliches Wachstum von sieben
bis zehn Prozent an.
Auswirkungen durch die Corona-
krise sieht Vorstandschef Schmitz
derzeit nicht: „Wir sehen uns selbst
gut eingestellt und voll arbeitsfähig“,
sagte er: „Wir können auch nicht er-
kennen, dass die Strom- und Gas-
nachfrage nennenswert zurückgeht.“
Dividende
80
CENT
je Aktie erhalten die
RWE-Aktionäre und
damit zehn Cent mehr
als ein Jahr zuvor.
Quelle: RWE
Patentanmeldungen
Huawei liegt in
Europa vorn
H
uawei liegt bei den Patent -
anmeldungen in Europa an
der Spitze – mit Abstand.
Der Netzwerkausrüster aus China hat
sich im vergangenen Jahr den Spit-
zenplatz zurückerobert. Das geht aus
der europäischen Patentstatistik her-
vor, die am Donnerstag veröffentlicht
wurde.
Das Unternehmen meldete 3 524
Erfindungen beim Europäischen Pa-
tentamt (EPA) an. Damit führte Hua-
wei klar vor Samsung, das 2 858 Pa-
tente anmeldete. Siemens, im Jahr
2018 noch auf Platz eins, steigerte die
Zahl der Anmeldungen zwar auf
2 619, landete damit als bestes deut-
sches Unternehmen aber nur auf
dem fünften Platz.
Huawei hatte 2017 erstmals den
ersten Platz der Patentanmeldungen
in Europa erreicht. Dies zeigte, dass
chinesische Unternehmen mit tech-
nologischen Innovationen immer
stärker auf die Weltmärkte drängen.
Im vergangenen Jahr setzte sich die-
ser Trend fort. Die Zahl der Patentan-
meldungen aus China stieg nochmals
um mehr als 29 Prozent. Besonders
viele Patente entfielen auf die The-
men Künstliche Intelligenz und 5G.
Huawei gilt weltweit als führender
Anbieter für 5G-Ausrüstung. Der
neue Mobilfunkstandard ist beson-
ders für die Industrie interessant, die
damit ihre Produktion vernetzen will.
Schon heute steckt Technik von Hua-
wei in allen drei deutschen Mobil-
funknetzen. Sowohl die Deutsche Te-
lekom als auch Vodafone und Telefó-
nica Deutschland (Marke O2) setzen
stark auf Huawei.
Siemens nimmt das Abrutschen
auf den fünften Platz sportlich. „Wir
konnten unsere Patentanmeldungen
erneut um fünf Prozent steigern und
sind wieder mit Abstand größter eu-
ropäischer Patentanmelder“, sagte
Siemens-Patentchef Beat Weibel. Da-
mit sei Siemens „eines der innovati-
onsstärksten Unternehmen bei digi-
talen Technologien und Künstlicher
Intelligenz“. Zudem achte Siemens
bei seinen Patentanmeldungen „we-
niger auf Quantität, sondern mehr
auf Qualität und die breite regionale
Aufstellung unserer Schutzrechte“.
Axel Höpner, Stephan Scheuer
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