Handelsblatt - 13.03.2020

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Corona und die Finanzmärkte


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WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
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Ansprache klang es so, als sei auch die Container-
Schifffahrt von der Grenzschließung betroffen. Ob
das aber wirklich gemeint war, ist fraglich. In der
Verwaltungsanordnung, die Trump in Kraft ge-
setzt hat, richtet sich der Einreisestopp nur gegen
Personen.
Irgendwann werde Trump mit einer Krise kon-
frontiert, die er nicht selbst heraufbeschworen
hat, haben Politikexperten in Washington in den
vergangenen Jahren immer wieder gewarnt. Die-
ser Moment ist nun eingetreten – und der Präsi-
dent scheint der Lage nicht gewachsen zu sein.
Der Spitzenökonom Olivier Blanchard twitterte:
Der Einreisestopp für Europäer ist „ein Versuch,
die Stalltüren zu schließen, nachdem die Pferde
schon davongestürmt sind“.






Keine Panik an


Kreditmärkten


Alle Fans von Warren Buffett kennen seinen Aus-
spruch: „Nur wenn die Ebbe kommt, sieht man,
wer nackt schwimmt.“ Was die Investorenlegende
damit meint: Wer zu viele Schulden hat und Risi-
ken aufgenommen hat, steht in einer Krise beson-
ders schlecht da. Buffett sagte das 1992, als der
Hurrikan Andrew durch die USA fegte und einige
Versicherungsunternehmen bilanziell hart er-
wischte, auch und vor allem weil sie nicht genü-
gend abgesichert waren.
Diesmal ist es kein Hurrikan, sondern das Coro-
navirus. Es gibt allerorten Stornierungen und Ab-
sagen, Einnahmen brechen weg. Selbstständige
ringen um die Existenz, Menschen werden arbeits-
los, Staaten geraten in Schwierigkeiten. Wie groß
die Gefahr ist, zeigt die Bankenvereinigung Institut
of International Finance. Derzeit belaufen sich die
Schulden von Regierungen, Unternehmen oder
Haushalten weltweit auf 253 Billionen Dollar, gut
doppelt so viel wie 2006.
Neben den USA macht China die meisten Schul-
den. Nach Berechnungen der Bank für Internatio-
nalen Zahlungsausgleich (BIZ) lag die Verschul-
dung der Unternehmen im Jahr 2018 bei etwa 152
Prozent von Chinas Wirtschaftsleistung. Im zwei-
ten Quartal 2019 lag die Bruttoverschuldung Chi-
nas – also die Schulden von Staat, privaten Haus-
halten und Unternehmen zusammen – im Verhält-
nis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 261
Prozent. Die Ratingagentur DBRS Morningstar
schätzt, dass allein Chinas Staatsschuldenquote bis


2024 auf 76,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
steigen wird.
Auch die US-Regierung gibt das Geld relativ frei-
händig aus. In diesem Jahr erreicht das Haushalts-
defizit in den USA die Billionengrenze. Die öffentli-
chen Schulden nähern sich laut Prognose von
Rechnungsprüfern 81 Prozent des Bruttoinlands-
produktes (BIP), dem Doppelten des Durchschnitts
der vergangenen fünfzig Jahre.
US-Firmen sitzen auf insgesamt fast zehn Billio-
nen Dollar Schulden, mehr als doppelt so viel wie
vor 20 Jahren. Ein Viertel davon entfällt laut Stan-
dard & Poor’s auf bonitätsschwache Firmen. Bei-
spiel Fracking: Die amerikanische Ölindustrie
nahm hohe Schulden auf, um Erdöl und Erdgas
aus Schieferstein zu pressen. Derzeit gibt es US-
Energieanleihen im Wert von 936 Milliarden Dollar,
davon gelten 110 Milliarden Dollar als „distressed“,
als notleidend, weil die Firmen nicht genügend
Cashflow oder Barreserven haben, um sie zurück-
zuzahlen.
Grund ist der stark gefallende Ölpreis. Die meis-
ten amerikanischen Energieproduzenten können
mit einem Preis von rund 31 Dollar das Barrel nicht
mehr schwarze Zahlen schreiben. „Der Verfall der
Ölpreise könnte zu einem Ausverkauf bei Hoch-
zinsanleihen aus dem Energiesektor führen“, be-

fürchtet Lydia Boussour, Volkswirtin beim Analyse-
haus Oxford Economics. „Eine Welle von Herabstu-
fungen und Pleiten könnte sich auch auf andere
Segmente des Unternehmensanleihemarktes aus-
breiten“, warnt sie.
Eine Befürchtung, die auch die Ratingagentur
Moody’s teilt. Die Agentur hat ihre Prognose der
globalen Ausfallrate für Anleihen Mitte der Woche
leicht angehoben. Bereits heute ist die Ausfallrate
von Hochzinsanleihen Moody’s zufolge in den USA
doppelt so hoch wie in Europa. Die hohe Verschul-
dung, die angesichts fallender Ölpreise einigen US-
Unternehmen zum Verhängnis werden könnte,
beunruhigt auch Dekabank-Volkswirt Kater. „Das
ist für mich die Sollbruchstelle der US-Wirtschaft.“
Eine Welle von Unternehmenspleiten könnte noch
nachwirken, selbst wenn das Virus längst abgeklun-
gen ist.
„Wenn sich nach dem Gesundheitssystem nun
das Finanzsystem ansteckt, wäre das der Sargnagel
für die Weltkonjunktur.“ Was in der Finanzkrise die
Hypotheken von bonitätsschwachen Gläubigern
waren, könnten heute „Collateralized Loan Obliga-
tions“ oder CLO sein. Das sind Verbriefungen, die
durch besicherte Kredite gedeckt sind – zumeist an
hochverschuldete Unternehmen – und hohe Zin-
sen einbringen. In den vergangenen Jahren waren
sie sehr begehrt bei den Anlegern, auf CLO entfällt
der größte Anteil der gehebelten Kredite (leveraged
loans) in den USA im Gesamtwert von 1,2 Billionen
Dollar.
Bislang gab es noch keinen größeren Grund zur
Sorge. Die Kreditmärkte stehen zwar unter Druck,
die Verkaufsorders schnellen nach oben, die
„Spreads “ von Anleihen steigen, und der Handel
wird schwieriger. Es gibt aber noch keine ernsthaf-
ten Risse. Die Kreditausfälle steigen zwar, kommen
aber von einem sehr niedrigen Niveau, lagen vor
der Krise ungefähr bei einem Prozent. Investment-
bank UBS baut drei Szenarien auf: Wenn nur stark
vom Coronavirus betroffene Branchen wie Touris-
mus oder Fluggesellschaften in eine Rezession rut-
schen, steigt die Ausfallrate auf sieben Prozent.
Kommt es zu einer „vollständigen Rezession“, liegt
sie bei elf Prozent, in einer „ernsthaften Rezession“
bei 14 Prozent – ein Ausfall von rund 240 Milliar-
den Dollar. „Einige Kredite werden es nicht schaf-
fen“, sagt Richard Farley, Experte für Leveraged
Loans bei der Kanzlei Kramer Levin Naftalis &
Frankel, „aber keine systemischen Auswirkungen
haben.“ Sicherlich, so Farley, seien Banken be-
troffen, aber: „Nicht in einem Maße wie 2008.“
Viele Schuldner seien sogenannte Nichtbanken
wie Hedgefonds oder Versicherungen.

Mohammed bin Salman: Saudi-Arabiens Kronprinz löste einen
Preiskrieg im Ölmarkt aus.


Ölpreisentwicklung
WTI-Öl je Barrel in US-Dollar

HANDELSBLATT Quellen: Federal Reserve Bank of St. Louis, Bloomberg

30,70 US$

Jan. 1946 März 2020

150

120

90

60

30

0

Ölförderung in den USA: Überschuldete Fracking-
Firmen stellen Risiko für Finanzmärkte da.

via REUTERS

Corona und die Finanzmärkte


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Rezession ist


unvermeidbar


Nur ein paar Blocks vom Weißen Haus entfernt
spielen die Experten des Internationalen Wäh-
rungsfonds Katastrophenpläne durch. Von der Er-
wartung, das Virus werde nur eine kurzzeitige Dis-
ruption der Weltwirtschaft bedeuten, ist der IWF
abgerückt. Mit einem V-förmigen Krisenverlauf, bei
dem die Konjunktur nach einem schnellen Ein-
bruch ebenso schnell wieder zu Kräften kommt,
rechnet kaum noch jemand. „Die gute Nachricht
ist, dass das Finanzsystem widerstandsfähiger ist
als vor der globalen Finanzkrise“, versucht IWF-
Chefin Kristalina Georgieva zu beruhigen. „Früh-
zeitiges und effektives Handeln“ sei nun gefragt.
Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel ist in seiner
jüngsten Prognose etwas zuversichtlicher. Zwar wür-
de das Wirtschaftswachstum Deutschlands im zwei-
ten Quartal um ein Prozent einbrechen, um dann
aber im dritten und vierten Quartal wieder nach
oben zu schnellen. Das wäre „eine Rezession im Zeit-
raffer“, wie es IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths aus-
drückt. Seine Hauptannahme: Die Pandemie flaut
Mitte des Jahres ab. Aber er selbst schränkt ein: „Die
Prognose unterliegt einer erheblichen Unsicherheit.“
Ein Pluspunkt für die Wirtschaft ist der schwa-
che Ölpreis. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-
bank, schätzt, dass ein Fall der Ölpreise in diesem
Umfang das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt-
wirtschaft um 0,4 Prozent anhebt. Allerdings ver-
teilt sich der Zuwachs der Wirtschaftsleistung auf
rund zwei Jahre, schränkt Kater ein. Und: „Diese
Effekte stellen sich nur ein, wenn die Ölpreisreduk-
tion dauerhaft ist.“ Kater zufolge muss die Preis-
schwäche mindestens drei Monate anhalten, um
seine volle Wirkung zu entfalten. „Allerdings kann
der Effekt vom zeitlichen Profil und von der Grö-
ßenordnung das konjunkturelle Corona-Desaster in
keiner Weise ausgleichen“, sagt Kater.
Klar ist: Eine Rezession ist unvermeidlich. Die
Zeiten sind finster, aber es gibt gute Gründe zu hof-
fen, dass Wirtschaft und Finanzmärkte die Krise
mithilfe der Regierungen und Notenbanken meis-
tern. Wie sagte Schriftsteller Max Frisch: „Krise ist
ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den
Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Alles an-
dere ist auch schlicht undenkbar.
Jakob Blume, Andrea Cünnen, Martin Greive, Dana
Heide, Jan Hildebrand, Thomas Jahn, Silke Kersting,
Moritz Koch, Michael Maisch, Jan Mallien, Yasmin
Osman, Thomas Sigmund, Frank Wiebe

Andreas Dombret

„Die Banken sind solide


kapitalisiert“


E


x-Bundesbanker Andreas Dombret
kennt die Finanzbranche von allen
Seiten. Lange Jahre war er im Vor-
stand der Bundesbank für die Bankenauf-
sicht zuständig, heute arbeitet er als Glo-
bal Senior Advisor für die Unterneh-
mensberatung Oliver Wyman. In Zeiten
von Corona sei nun vor allem die Fiskal-
politik gefragt, urteilt er.

Herr Dombret, wie gefährlich ist das Co-
ronavirus für die Märkte und für das Fi-
nanzsystem?
Um diese Frage beantworten zu können,
müsste man die langfristigen Wirkungen
der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft
abschätzen können. Das ist im Moment
unmöglich. Klar scheint mir aber, dass
die Märkte die Risiken zunächst unter-
schätzt haben – und erst spät begonnen
haben, diese Gefahren zu erkennen. Die
Märkte preisen jetzt eine schwere Rezes-
sion und ein geopolitisches Risiko von
besonderem Ausmaß ein.

Ist das übertrieben, oder droht tatsäch-
lich eine globale Rezession?
Das Coronavirus sorgt erst einmal für ei-
nen klassischen Angebotsschock, dessen
Potenzial nicht einzuschätzen ist, aber
wir sehen bereits Störungen in den glo-
balen Liefer- und Wertschöpfungsketten.
Wie stark diese Störungen ausfallen wer-
den, hängt davon ab, wie lange der
Schock anhält. Sollte die Pandemie län-
ger andauern und sich ausdehnen, droht
in Europa und Deutschland zusätzlich
ein Nachfrageschock, weil China nicht
nur Produkte exportiert, sondern auch
ein wichtiger Abnehmer unserer Produk-
te ist. Grundsätzlich gilt: Wenn sich das
Wachstum in der zweitgrößten Wirt-
schaftsnation der Welt stark verlangsamt,
bedeutet dies automatisch enorme Anste-
ckungsgefahr für die Weltwirtschaft.

Die US-Notenbank hat bereits gehandelt
und die Zinsen überraschend schnell
und deutlich gesenkt – die EZB jedoch
nicht. War das richtig?
Die EZB hat mit ihrem Notfallpaket be-
sonnen und nicht alarmistisch reagiert –
und das ist gut so. Einerseits wurden die
Zinsen nicht weiter gesenkt, und ande-
rerseits wurden den Banken Kredite zu
sehr günstigen Konditionen zur Verfü-
gung gestellt. Notenbanken sind nicht all-
mächtig; Geldpolitik kann und darf kein
Allheilmittel sein. Jetzt ist sehr viel stär-
ker die Fiskalpolitik gefragt.

Was könnte der deutsche Staat Ihrer
Meinung nach tun, um zu verhindern,
dass Firmen durch Corona in Finanznot
geraten?
Man kann sich eine ganze Reihe von sinn-
vollen Maßnahmen vorstellen, von Bürg-
schaftsprogrammen für Kredite über
Steuerstundungen bis hin zu Finanzhil-
fen für Kurzarbeit.

Für die Banken ging es an der Börse
noch schneller abwärts als für andere
Branchen. Droht eine neue Finanzkrise?
Anders als 2008 liegen die Gründe für
die Krise nicht im Finanzsystem. Damals
entstanden die Risiken innerhalb des
Bankensystems. Dieses Mal sind die Insti-
tute nicht die Ursache der Krise, sondern
gehören zu den Betroffenen der durch
das Coronavirus ausgelösten Verwerfun-
gen.

Dennoch scheinen die Märkte an der So-
lidität der Banken zu zweifeln.
Die deutschen Banken mögen unter einer
schwachen Börsenbewertung und einer
schwachen Ertragslage leiden, aber sie
sind solide kapitalisiert, und darauf
kommt es im Moment an.

Was könnte der Staat konkret tun, um
das Vertrauen in die Banken zu stärken?
Für die Aufsicht ist es in solchen Momen-
ten sinnvoll, die Banken eng zu beglei-
ten. Zum Beispiel durch Umfragen, in de-
nen die Banken melden können, was der-
zeit für sie wichtig ist, was sie brauchen
und wo sie sich Unterstützung wün-
schen.

Sollte man auch darüber nachdenken,
die Belastungen durch die Regulierung
für die Institute zu senken?
In solchen Phasen ist Fantasie gefragt,
Denkverbote wären meiner Meinung
nach völlig falsch.

An was denken Sie?
Wir nähern uns einer Sondersituation
an. Wenn man den Banken jetzt nach-
weislich damit helfen könnte, dann könn-
te man die Einführung des großen, unter
dem Kürzel „Basel III“ bekannten Regu-
lierungspakets zum Beispiel um ein Jahr
verschieben.

Herr Dombret, vielen Dank für das Inter-
view.

Die Fragen stellte Michael Maisch.

Der ehemalige Bundesbankvorstand über das Misstrauen
gegenüber der Finanzbranche und die Gefahr einer
globalen Rezession.

imago images/imagebroker

Ex-Bundesbanker
Andreas Dombret:
Lob für die EZB.
Sie habe mit ihrem
Notfallpaket
besonnen und
nicht alarmistisch
reagiert.

Marc-Steffen Unger für Handelsblatt
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