Literatur
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
54
Schriftsteller Suter: Im
Management hätten
sich die Accessoires
verändert, sagt er,
nicht aber das Wesen
der Manager.
Contour by Getty Images
W
ohl niemand hat dem Trei-
ben im Topmanagement,
den großen Machtkämpfen
und kleinen Eitelkeiten in
Vorständen und Aufsichtsrä-
ten ein so facettenreiches literarisches Denkmal
gesetzt wie der Schweizer Bestsellerautor Martin
Suter. Bis 2007 erschienen rund 750 Kolumnen
seiner „Business Class“. Dann war erst einmal
Schluss. Suter kümmerte sich um Romanprojek-
te („Der Koch“, „Montecristo“, „Elefant“) und
seine Krimireihe rund um den abgerissenen Pri-
vatier Johann Friedrich Allmen. Doch nun wid-
met er sich auch wieder der „Business Class“.
Die neuen Kolumnen erscheinen auf Suters Web-
site martin-suter.com und exklusiv im Handelsblatt
Magazin (die nächste Ausgabe erscheint am 3.
April). Zeit für ein Gespräch über das Geschäft mit
Literatur und die Frage, was die Digitalisierung für
Schriftsteller, aber auch uns Leser bedeutet.
Herr Suter, willkommen in der Unternehmer-
welt! Statt einfach nur als Schriftsteller Manu-
skripte zu verfassen und an Ihren Verlag weiter-
zureichen, sind Sie neuerdings ein voll
digitalisierter Start-up-Gründer. Ihre neue
Homepage liefert Paid Content. Sie müssen sich
um Dinge kümmern wie Awareness, Churn-Rate
und Customer Journey und gehen mit eigenem
Geld ins Risiko. Wie läuftπs?
Plötzlich habe und bin ich eine Firma, auch
wenn mir das nicht ganz unbekannt ist. In einem
früheren Leben durfte ich in den Achtzigerjahren
ja schon mal eine eigene Werbeagentur steuern.
Aber jetzt und in meinem Alter ist es doch etwas
anderes: Einerseits respektiere ich die tollen Ide-
en meines kleinen und sehr jungen Teams, ande-
rerseits freue ich mich, wenn die mich nicht als
hoffnungsloses Alteisen betrachten. Die Arbeit an
der Website ist stressig, aber auf gewisse Weise
auch eine Art Jungbrunnen. Man lernt ja nicht
nur, dass die Programmierer heute eigentlich
wichtiger sind als die Gestalter.
Die Idee zur Website und zu neuem Inhalt wur-
de auch aus der Erkenntnis geboren, dass der
klassische Buchmarkt erodiert. Merkten Sie die-
se Art der Disruption selbst so drastisch?
Natürlich. Die Auflagenzahlen gehen auf breiter
Front zurück. Um heute auf Platz eins der „Spie-
gel“-Beststellerliste zu kommen, braucht es eine
viel kleinere verkaufte Auflage. Zugleich verliert
man die Spitzenposition auch schneller wieder.
Das alles schlägt sich in Umsatzzahlen nieder.
Literaturagenten sagen gern: Serien verkaufen
sich besser. Haben Sie deshalb den Privatdetek-
tiv Johann Friedrich Allmen erfunden, der nun
schon sechs Fälle und Bücher lang ermitteln
darf?
Meine Romane sind ja immer thematische Ein-
zelstücke, quasi Verneigungen vor bestimmten
Gattungen. Und auch Allmen habe ich nicht aus
Marketinggründen ersonnen.
Warum dann?
Erstens, weil ich auch da tatsächlich mal das
Genre „Krimiserie“ probieren wollte ... und für
eine Serie reicht halt ein Buch nicht aus. Zum an-
deren muss man dann nicht in jedem Band das
Ensemble neu erklären.
Verkauft Allmen sich gut?
Ich habe keine aktuellen Zahlen. Aber der jüngs-
te Band, „Allmen und der Koi“, war in den Best-
sellerlisten sehr schnell sehr weit oben. Ich kann
also noch ganz gut von meinen Büchern leben,
fand es aber doch an der Zeit, mich mal auf die
Suche nach den verlorenen Lesern zu machen ...
... die Sie dann in Bussen und S-Bahnen entdeck-
ten, meist über ihre Handys gebeugt.
Und so fing ich an, zunächst Social Media zu ent-
decken. Ich wollte Erfahrungen sammeln. Einer-
seits gibt es dort ja unglaublich primitive und
hasserfüllte User. Andererseits lernte ich eben
auch sehr kluge kennen. Für mich als Autor war
Twitter schnell die beste Plattform als Einstieg.
Dort begann ich, jeden Tag kleine Gedichte zu
veröffentlichen ...
... mit dem Ergebnis, dass Ihr Hausverlag, Dioge-
nes, den Account sperren ließ, weil man ihn an-
fangs für einen Fake hielt ...
... was sich erfreulicherweise schnell auflösen
ließ. Dass mir einige gute Freunde wie Moritz
Bleibtreu zu Hilfe kamen, brachte durchaus brei-
te und positive Publicity. Am Ende hat’s mir wohl
eher genutzt.
Mittlerweile haben Sie bei Twitter gut 6 000
Follower. Viel für einen Schriftsteller, wenig für
Twitter, wo eine Selena Gomez mittlerweile
weltweit 60 Millionen Fans hat.
Und natürlich möchte ich die Selena Gomez der
Literatur werden (lacht). Oder anders: Ich will ge-
lesen werden und war nie einer jener Autoren,
die vorgeben, dass ihnen ihre Leser egal sind. So
begannen parallel zu meinen Twitter-Aktivitäten
die Arbeiten an der Website.
Die digitale Welt hat einen Nachteil: Vieles lässt
sich nicht immer gleich monetarisieren. Oder
wollen Sie damit gar kein Geld verdienen?
Doch, natürlich, auch wenn es mir am Anfang si-
cher eher darum geht, Traffic und Aufmerksam-
keit zu erzeugen. Das Geldverdienen ist digital
tatsächlich nicht so leicht.
Sie verlangen an Ihrer Paywall nun fünf Euro
Monats-Flatrate oder 50 Euro pro Jahr. Das dürf-
te für Ihr Publikum bezahlbar sein.
Aber die Leute scheuen sich doch, einem ihre Da-
ten anzuvertrauen. Gerade das deutsche Publi-
kum ist ... nun ja: sparsam. Es gibt Leute, die ver-
langen für ein Monats-Abo sogar noch eine Rech-
nung. Mit der Bürokratie dahinter sind die fünf
Euro dann schon wieder pulverisiert. Und dabei
ist Deutschland mit Abstand mein größter Markt.
Andererseits kann ich nicht darauf vertrauen,
dass sich meine alten „Business Class“-Kolumnen
immer weiter verkaufen. Ich muss also neue Ko-
lumnen für neue Leser schreiben.
Wie viele Bücher mit den Kolumnen haben Sie
bislang verkauft?
Rund eine Million. Verglichen damit ist der bishe-
rige Abonnentenkreis der Homepage doch sehr
überschaubar.
Wie viele Abonnenten haben Sie bislang?
Sagen wir so: Damit sich die Seite tragen könnte,
bräuchten wir 5 000. Davon sind wir noch weit
entfernt.
Und das, obwohl Sie dort digital noch viel mehr
bieten als die „Business Class“: etwa alte Repor-
tagen, die Sie einst für „Geo“ schrieben, Buch-
passagen, bislang Ungedrucktes oder auch einen
regelmäßigen Austausch mit Ihrem Autorenkol-
legen Benjamin von Stuckrad-Barre. Verfolgen
Sie denn auch, was die meisten Klicks bekommt,
und richten danach Ihr Angebot aus?
Das würde ich vielleicht sogar. Aber ich hatte bei
der Analyse bisher keine Unterstützung. Und ich
selbst verstehe die Auswertungs-Tools einfach zu
wenig. Jetzt mache ich das mit neuen Partnern.
Sind Sie, was die Digitalisierung angeht, schon
weiter als Diogenes?
Ob ich weiter bin, kann ich nicht beurteilen. Ich
würde aber schon annehmen, dass ich schneller,
wendiger und experimentierfreudiger bin. Aber
ich bin ja auch ein Ein-Mann-Unternehmen und
muss auf niemanden sonst Rücksicht nehmen.
Da geht vieles leichter.
Was bringt einem Schriftsteller heute das meiste
Geld? Die Bücher, Lesungen, Filmrechte?
Weiterhin die Bücher. Die Filmrechte sind finan-
ziell gesehen überschaubar und wirken sich al-
lenfalls dann wieder positiv auf den Buchverkauf
aus, wenn der Film tatsächlich mal ein Erfolg
wird. Und Lesungen sind eher gut, wenn man
sein Publikum etwas näher kennen lernen möch-
te. Nur private Auftritte – etwa für Firmen – sind
finanziell interessanter, aber das mache ich sel-
ten. Ich will da nicht in irgendwelche Mühlen ge-
raten. Und es ist ja auch so: Der Beruf des Schrift-
„Ich möchte die Selena Gomez
der Literatur werden“
Der Schweizer Bestsellerautor über die Schriftstellerei in digitalen Zeiten,
erodierende Umsätze, seine Start-up-Ambitionen und die Neuauflage seiner
„Business Class“-Kolumnen.
Martin Suter
Der Autor Der Durch-
bruch als Schriftsteller
gelang Suter 1997 mit
seinem ersten Roman
„Small World“.
Seitdem schafft der
Schweizer Autor es
mit thematisch unter-
schiedlichen Büchern
regelmäßig in die
Bestsellerlisten.
Der Unternehmer
Bevor er als Autor
erfolgreich wurde,
arbeitete Suter als
Werbetexter in seiner
eigenen Agentur. Die
verkaufte er, machte
sich anschließend als
Journalist selbststän-
dig. Erst danach
folgte eine Karriere
als Autor und Start-
up-Unternehmer.
Vita
Martin Suter
Literatur
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
55
Die Arbeit an
meiner
Website ist
stressig, aber
auf gewisse
Weise auch
eine Art
Jungbrunnen.
Martin Suter
Schriftsteller
Kapital und Ideologie
Piketty enttäuscht: zu naiv,
zu wenig konkret
In seinem neuen Buch entwickelt der französische Ökonom seine Thesen
zur Ungleichheit weiter. Seine Politikvorschläge profitieren davon nicht.
N
ach seinem Welter-
folg „Das Kapital im
- Jahrhundert“ hat
der französische Ökonom
Thomas Piketty mit „Kapital
und Ideologie“ kräftig nach-
gelegt. Das Buch, das diese
Woche auf Deutsch erschie-
nen ist, kommt auf 1 300 Sei-
ten. Wer erhofft hatte, Piket-
ty würde diese vielen Seiten
nutzen, um diesmal klar zu
definieren, was er unter Ka-
pital und Kapitalismus ver-
steht, wird enttäuscht. Es
scheint sich für ihn immer
noch um jegliche Art von
werthaltigem Besitz zu han-
deln.
In Anbetracht der Tatsa-
chen, dass die Schwammig-
keit seines Kapitalbegriffs in
„Das Kapital im 21. Jahrhun-
dert“ von einigen Rezensen-
ten aufgespießt wurde und
dass die vorherrschende öko-
nomische Theorie beträcht-
liche Schwierigkeiten mit
einer schlüssigen Definition
hat, ist das kein kleiner
Mangel.
Wenn man so grundsätz-
lich an die Produktions- und
Verteilungsbeziehungen he-
rangeht wie Piketty und
wenn man den Kapitalismus
überwinden will, wäre eine
klare Definition hilfreich.
Aber immerhin löst sich
Piketty nun von der mecha-
nistischen Argumentation
des Vorgängerbuchs. In ihm
hatte er die Ungleichheit von
Einkommen und Vermögen
darauf zurückgeführt, dass
der Zins notorisch oder gar
zwangsläufig oberhalb der
Rate des Wirtschaftswachs-
tums liegt.
Triebfeder der Un-
gleichheit
In „Kapital und Ideologie“
führt er die Ungleichheit auf
Ideologie zurück, auf die zu
Institutionen geronnenen
Normen einer Gesellschaft.
Zu Recht stellt er dabei den
Eigentumsbegriff in den Vor-
dergrund. Die Schaffung, Fes-
tigung und zunehmende Ver-
absolutierung des Konzepts
des Privateigentums, die er
historisch nachzeichnet,
sieht er als wichtige Triebfe-
der der Ungleichheit an.
Damit bewegt er sich in be-
merkenswerter Nähe zur
Rechtswissenschaftlerin Ka-
tharina Pistor, die im Buch
„The Code of Capital“ Kapital
als gesellschaftliches und vor
allem rechtliches Konstrukt
definiert.
Und auch „Capital as
Power“ der Ökonomen Jona-
than Nitzan und Shimshon
Bichler behandelt ähnliche
Aspekte. Darüber hinaus the-
matisiert es, wie das Kapital-
interesse dafür sorgt, dass
weniger und weniger effizient
produziert wird, als produkti-
onstechnisch möglich wäre.
Angesichts der erheblichen
Weiterentwicklung und Radi-
kalisierung seiner Analyse –
der Weg zu Marx ist nicht
weit – ist es umso bemerkens-
werter, dass Pikettys Vor-
schläge zum Abbau der Ver-
mögenskonzentration im
Kern die gleichen geblieben
sind wie in seinem Vorgänger-
werk.
Sie wirken noch ebenso na-
iv wie vor sechs Jahren.
Er schlägt weiterhin eine bei-
nahe konfiskatorisch hohe
Besteuerung besonders
hoher Einkommen und Ver-
mögen vor. Das ergänzt er da-
mit, dass das Steueraufkom-
men genutzt werden sollte,
jedem 25-Jährigen eine „uni-
verselle Erbschaft“ von
120 000 Euro als Startkapital
auszuzahlen.
Dabei hat Frankreich mit
einem Einkommensteuer-
höchstsatz von 90 Prozent
unter dem ehemaligen Präsi-
denten Hollande die Erfah-
rung gemacht, dass die damit
Belasteten sich dem durch
Wegzug entziehen können.
Diese Fluchtbewegungen wä-
ren noch stärker, wenn noch
mehr Vermögen steuerlich
konfisziert werden sollte.
Eine global erhobene Ver-
mögensteuer wie in Pikettys
Wunschvorstellungen ist
eben nur das: eine Wunsch-
vorstellung. Dass die Megarei-
chen als Gruppe auch mega-
mächtig sind und sich nicht
so ohne Weiteres enteignen
lassen werden, blendet der
Ökonom dagegen einfach
aus. Es bräuchte schon eine
echte Revolution, um umzu-
setzen, was er vorschlägt.
Und selbst wenn man die
Reichen so hart besteuern
könnte wie nötig, um das
Geld dafür einzutreiben: Wer
in bildungsferner Familie im
sozialen Brennpunkt auf-
wächst, wo die eigenen El-
tern ihr Startkapital längst
verbraucht haben, wird mit
120 000 Euro weit weniger
anfangen können als etwa
der Spross eines Unterneh-
mers.
Unvollendet – Fäden
bleiben liegen
Dabei hätte es sich angebo-
ten, die Analysestränge der
beiden Bücher zusammenzu-
führen und daraus realisti-
sche Reformstrategien zu
entwickeln: Wie sind die Ei-
gentumsrechte, auch die in
den letzten Jahrzehnten
stark ausgebauten Rechte am
geistigen Eigentum, so abzu-
wandeln, dass die Kapital-
rendite unter statt über der
Rate des Wirtschaftswachs-
tums liegt – und deshalb gro-
ße Reichtümer gar nicht erst
entstehen? Mit einer Umver-
teilung von Stimmrechten in
Unternehmen bleibt Piketty
hier sehr bescheiden – und
ineffektiv.
Schon jetzt sind es Kapital-
anlagegesellschaften wie
Blackrock, nicht große Mehr-
heitseigner, die bestimmen,
wo es im Kapitalismus lang-
geht. Was muss im Finanzsek-
tor geändert werden, damit
die Logik der maximalen Ka-
pitalrendite nicht mehr alle
Lebensbereiche durchdrin-
gen kann? Da kommt kaum
etwas.
Piketty lässt die Fäden ein-
fach liegen, deren Enden er
im Vorfeld so mühsam freige-
legt hat. Norbert Häring
Thomas Piketty:
Kapital und
Ideologie
C. H. Beck Verlag
1 312 Seiten
39,95 Euro
Martin Suter:
Allmen und der Koi.
Diogenes Verlag,
Zürich 2019,
224 Seiten,
18,99 Euro
stellers war und ist für mich nicht in erster Linie
eine Geldmaschine.
Andererseits haben Sie einen gewissen Lebens-
stil kultiviert, haben eine Wohnung in Zürich,
ein Haus in Marrakesch, eines in Guatemala ...
... und die Fähigkeit, manches größer aussehen
zu lassen, als es ist.
Dank Ihrer Maßanzüge dürften Sie der bestge-
kleidete Schriftsteller im deutschsprachigen
Raum sein.
Ach, ich fühle mich in den Anzügen einfach woh-
ler als in Jeans. Dass daraus eine Art Marke wur-
de, ist mir eher zugestoßen.
In der realen „Business Class“ haben sich nicht
nur die Outfitregeln verändert in den vergange-
nen Jahren. Mussten Sie da erst mal wieder Witte-
rung aufnehmen, als Sie nun neu anfingen, Ko-
lumnen über die Führungsebenen zu schreiben?
Die Accessoires haben sich sicher verändert –
vom E-Scooter bis zu den Sneakers in der Vor-
standssitzung. Aber das Wesen der Manager ist
immer noch das gleiche, denke ich: ihr Ehrgeiz,
die Machtkämpfe, die Eitelkeiten und Status -
ängste.
Die Methoden sind Moden unterworfen, der
Mensch bleibt der gleiche?
Ich denke schon, ja, auch wenn ich gelegentlich
die Vielzahl von Managementratgebern konsul-
tiere, um zu sehen, welche Themen gerade be-
sonders diskutiert werden. Das ist zwar selten er-
hellend, liefert aber Stoff.
„Purpose“ ist zum Beispiel sehr wichtig gewor-
den, „Sustainability“, „Coworking“ ...
Das meiste sind ja immer nur neue Etiketten für
alte Fragen, nur noch absurder formuliert. Man
steht zehn Minuten daneben und versteht kein
Wort. Es ist wie eine Geheimsprache, die sich ja
auch abgrenzen will. Es gibt auch da viele Moden.
Selbst große Unternehmen kommen einem heu-
te innenarchitektonisch oft vor wie eine Mi-
schung aus Tischkicker-Meisterschaft, Bällebad
und bonbonfarbener Chill-out-Zone.
Ach, Tischkicker gab’s zur Zeit meiner Werbe-
agentur auch schon. Wir hatten damals einen gu-
ten Grafiker, der kaum mehr etwas produzierte,
aber Tischfußball spielte er perfekt, wobei ich
immer den Standpunkt vertrat: Eine gute Firma
muss es sich immer leisten können, zwei, drei
„Nonperformer“ mitzuschleppen, die eben
nichts mehr leisten. Auch weil die oft wenigstens
gut sind für die Stimmung, das interne Klima.
Dieser Kollege war eben ein Genie am Tischki-
cker und hochbegabter Künstler, wurde dann
aber leider psychisch krank und starb kürzlich
völlig verwahrlost.
Hätte Ihnen das auch jemals passieren können in
Ihrem Leben, dass Sie irgendwo falsch abbiegen
und tragisch enden?
Mein Bruder sagte mal zu mir, ich sei in meinem
Leben ja öfter mal in einen Sumpf gerutscht, hät-
te aber immer eine Hand oben behalten und je-
manden gefunden, der mich wieder herauszieht.
Lebenskrisen hatte ich einige, das stimmt schon.
Vielleicht habe ich etwas von einem Sanguiniker
in mir.
Half Ihnen die Literatur?
Wahrscheinlich schon, auch wenn ich mich im-
mer dagegen gewehrt habe, sie als Form der The-
rapie zu missbrauchen. Aber sie lenkt ab. Nicht
nur den Leser.
Herr Suter, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Thomas Tuma.
Martin Suter:
Elefant.
Diogenes Verlag,
Zürich 2017,
352 Seiten,
24,00 Euro
Eigentum: Piketty führt Ungleichheit auf Ideologien zurück.
Stone/Getty Images