Handelsblatt - 13.03.2020

(backadmin) #1

M


it jedem Tag steigt die Zahl der
Menschen, die sich mit dem
Coronavirus infiziert haben.
Großveranstaltungen werden
abgesagt, Schulen und Ge-
schäfte geschlossen. Wir erleben, wie in ganzen
Regionen das öffentliche Leben zum Erliegen
kommt. Das Coronavirus bedeutet für jeden
Einzelnen, für die Staatengemeinschaft und
nicht zuletzt für die Wirtschaft eine der größten
Herausforderungen der vergangenen Jahr -
zehnte.
Je mehr nun die Verunsicherung steigt, desto
klarer müssen wir die Lage analysieren und Ge-
genmaßnahmen vorantreiben, die der jeweili-
gen Entwicklung angemessen und verhältnis-
mäßig sind. Denn schon jetzt ist absehbar, dass
der Schaden durch Corona für die Unterneh-
men, die Automobilindustrie, die deutsche
Wirtschaft im Ganzen immens sein kann. Mehr
als die Hälfte der Unternehmen spürt bereits
negative Auswirkungen durch das Virus. Wir
müssen uns auf einen Rückgang der Wirt-
schaftsleistung, auf eine Konjunkturdelle durch
Corona einstellen.
Nötig ist daher nun vor allem ein staatenüber-
greifendes Vorgehen der Regierungen zur Ein-
dämmung und Schadensbegrenzung. Corona ist
eine globale Herausforderung, Corona macht
nicht an Ländergrenzen halt. Deshalb muss es
zumindest auf EU-Ebene eine koordinierte Stra-
tegie mit den entsprechenden Maßnahmen ge-
ben. Pauschale Grenzschließungen zwischen
EU-Staaten können keine sinnvolle Maßnahme
sein, denn sie bergen die Gefahr, dass die Wirt-
schaft zum Stillstand kommt. Die Transitwege
zum Warentransport müssen, solange es geht,
offen gehalten werden. Der Güterverkehr muss
Vorrang vor anderen Verkehren haben, sonst


bricht die Logistik zusammen und damit die Versor-
gung der Menschen. Aktuell 80 Kilometer Stau am
Brenner zeigen, wie angespannt die Lage bereits ist.
Und was für Europa gilt, muss auch Leitlinie in
den Mitgliedstaaten sein: Wir brauchen in Deutsch-
land eine Koordinierung der kommunalen und regio-
nalen Gesundheitsbehörden durch die Länder, mög-
lichst in enger Abstimmung mit dem Bund, und auf
Grundlage der Empfehlungen des Robert-Koch-Insti-
tuts. Der Föderalismus verbietet schließlich keine Ko-
operation. Im Gegenteil: Wir brauchen gemeinsame
Entscheidungskriterien für die Schließung von Schu-
len und Betrieben und die Absage von Veranstaltun-
gen über alle Bundesländer hinweg.
Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung gehen
immer vor, ohne Abstriche. Gerade deshalb sind die
Behörden gut beraten, vor jeder Maßnahme zu ana-
lysieren, ob sie wirklich wirksam und angemessen
ist. Ob der Zeitpunkt dafür der richtige ist. Ob es in
einem Verhältnis steht, eine Schule zu schließen und
es den Familien zu überlassen, wie sie in dieser Si-
tuation ihren Alltag bewältigen.
Die Bundesregierung hat bereits Reaktionsfähig-
keit bewiesen, indem sie schnell und unbürokratisch
die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass Un-
ternehmen Kurzarbeitergeld für ihre Beschäftigten
beantragen können, wenn sie von anhaltenden Pro-
duktionsausfällen durch Lieferengpässe oder Liefer-
ausfälle betroffen sind oder Betriebe aus Gründen
des Infektionsschutzes geschlossen werden müssen.
Damit unterstützt die Politik die Anstrengungen in
der Automobilindustrie, Auswirkungen auf die Be-
schäftigungssituation infolge von Corona so gering
wie möglich zu halten. Die Unternehmen tun alles,
um auch dann die Belegschaften zu halten, wenn es
zu Produktionsstopps und weiteren Nachfrageausfäl-
len kommt. Die Mitarbeiter zählen zum wertvollsten
Gut der Unternehmen. Ihre Sicherheit und Unver-
sehrtheit genießen absolute Priorität.

Doch diese Bemühungen greifen ins Leere, wenn
bei betroffenen Unternehmen die Kapitaldecke
schmilzt. Was die Industrie nun braucht, sind ziel-
gerichtete, auf diese Krise angelegte Unterstüt-
zungsmaßnahmen wie die Sicherung der Liquidi-
tät. Die Bundesregierung hat Bürgschaften, Rückga-
rantien und Steuerstundungen in Aussicht gestellt.
Nun sind konkrete, schnell umsetzbare Vorschläge
und einfache Antragsverfahren gefragt – denn die
Herausforderungen durch Corona sind konkret.
Zum Beispiel Maßnahmen, durch die die Zah-
lungsfähigkeit der Unternehmen kurzfristig positiv
beeinflusst werden kann. Eine Verschiebung der
Zahlungszeitpunkte insbesondere für die Lohn-
steuer, aber auch die Umsatzsteuervorauszahlun-
gen um 60 Tage unmittelbar und für alle Unter-
nehmen würde sich positiv auf die Liquidität aus-
wirken. Und die Aufrechterhaltung der
Geschäftsfähigkeit muss Vorrang vor allen anderen
Maßnahmen haben.
Aber natürlich müssen die Unternehmen auch
von sich aus handeln, um die Folgen von Corona
nach Möglichkeit einzudämmen. Und das tun sie,
jeden Tag. Betroffene Unternehmen reagieren
schnell, umfassend und verantwortungsvoll zum
Schutz von Kunden, Geschäftspartnern und ganz
besonders der Mitarbeiter. Sie haben Taskforces
eingerichtet, Notfallpläne erstellt, sie arbeiten da-
ran, dass die Produktion weiterlaufen kann und
Lieferketten nicht reißen. Noch gelingt das über-
wiegend. Aber wir wissen nicht, wie lange. Wir
müssen uns auf eine längere Phase im Zeichen des
Virus einstellen. Deshalb sollten Politik und Wirt-
schaft gemeinsam handeln – und wir als Men-
schen, Kollegen, Nachbarn gemeinsam füreinan-
der einstehen.

Die größte Krise


seit Jahrzehnten


Der wirtschaftliche Schaden, der durch Corona


entsteht, ist immens, meint Hildegard Müller.


Pauschale


Grenz -


schließungen


sind keine


Lösung. Nötig


ist vor allem


ein staaten -


übergreifendes


Vorgehen der


Regierungen


zur Ein -


dämmung der


Krise.


Die Autorin ist Präsidentin des Verbands der
Automobilindustrie (VDA).

Roland Horn [M]

Gastkommentar
WOCHENENDE 13./14./15. MÄRZ 2020, NR. 52
64







 






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