Viehdorf Nachrichten

(Maria Seisenbacherolp33m) #1

Ausgabe 98 | Dezember 2023 Seite 47


Kommentar von GGR Markus Burgstaller, MA


Demokratie beruht auf dem „Mitmach-


Prinzip“


In den liberal, westlich geprägten Demokratien braucht es neben dem Einstehen für demokratische Werte viel
mehr noch den Willen, diese Werte auch mit Leben zu erfüllen. Die Aufgabe der Zukunft heißt: Wie bekommen wir
möglichst viele Menschen von der Zuschauertribüne auf das demokratische Spielfeld?


Es sind geflügelte Phrasen, die wohl jeder aus zahlreichen
Unterhaltungen im Freundes- und Verwandtenkreis kennt,
wenn es da heißt „Das sollte man ändern.“, „Na, so kann
das nicht funktionieren.“, „Was sie sich da wieder überlegt
haben.“ etc. pp.
Vieles ist in kleiner Runde augenscheinlich leicht mit einem
Pinselstrich zu lösen. Beschäftigt man sich näher damit,
wird plötzlich deutlich, dass die Suche nach einer Lösung
möglicherweise mehr Einsatz erfordert, weil mehrere Inte-
ressen betroffen und möglichst viele auf einen Nenner zu
bringen sind. Das ist am Ende die Crux an der Demokra-
tie. Tatsächlich ist nicht jede Verordnung oder jedes Gesetz
einhundert Prozent zufriedenstellend, das kann es auch
nicht sein, weil es immer ein Abwägen von tragfähigen
Mehrheiten ist.
Zudem ist die Welt näher zueinander gerückt und neue
Regeln wurden notwendig, um ein faires und vor allem
rechtssicheres Miteinander zu gewährleisten. Der Umfang
gibt allerdings schon zu denken. Beispiel: Waren es in
Österreich „1970 noch rund 8.400 Paragrafen [...] stieg
diese Zahl im Jahr 2021 auf knapp 56.000“, schreibt die
Agenda Austria. Die Legislative leistet auch 2023 ihren
Beitrag dazu, so hat das Parlament von 1. Jänner bis 30.
September 2023 weitere 107 Gesetze beschlossen (ohne das
letzte Quartal). Das Argument, wonach „die nichts arbei-
ten“, hält angesichts der Zahlen nicht. Das Argument, dass
man vieles nicht durchschaut und alles zu komplex wird,
kann man durchaus gelten lassen. Freilich sind die Gesetze
aber nicht das Ergebnis besonders eifriger Beamter, sie sind
das Resultat von ungeklärten Rechtsgeschäften (Beispiel:
OGH-Urteile) und von beharrlichen Interessensgruppen,
die sich Regelungen erbeten. Vielfach bündeln die politi-
schen Parteien diese Interessen und verhandeln sie unterei-
nander. Dadurch legitimieren sich nach Hans Kelsen (u.a.
Mitverfasser der österreichischen Verfassung) die Parteien,
der darin eine ihrer Hauptaufgaben sieht.


Je intensiver dieser Verhandlungsprozess – von der Idee
des Einzelnen zum Gemeinschaftsziel von Vielen – gelebt
wird, desto lebendiger ist eine Demokratie. Das setzt aller-
dings voraus, dass sich möglichst viele aktiv daran betei-
ligen, also in irgendeiner Form konstruktiv mitmachen.
Dabei ist gerade diese Chance, selbst politische Entschei-
dungsprozesse mitgestalten zu können, ein Privileg, das
wir in Österreich im Grunde genommen erst seit dem
allgemeinen und gleichen Wahlrecht, also seit 1919 kennen.
Und selbst das Datum ist unpräzise, wenn man sich in der
gegenwärtigen Demokratieforschung mit der Frage ausei-
nandersetzt, was denn nun echte Partizipation ausmacht.
Eine unbestritten richtige Antwort gibt es tatsächlich: In
einer liberalen Demokratie heißt Partizipation mehr als nur
wählen zu gehen. Mittlerweile stehen zudem viele (Partei)
Türen offen. Durchgehen und sich engagieren muss sich
jeder selbst, das kann man niemandem abnehmen. Bislang
war das jedenfalls die effektivste Beteiligungsform, weil es
die Erarbeitung von gemeinsamen Ideen, die Zusammen-
führung von Interessen und den Zugang zu Wissensres-
sourcen ermöglicht.
Tatsächlich ist der Weg mühsam und nicht von heute auf
morgen mit Erfolg gekrönt, aber es lohnt sich, weil Betei-
ligung Teil der Lösung und nicht Teil des Problems ist.
Gleichsam bedingt die Mitarbeit aber auch einen respekt-
vollen Umgang miteinander, woran es leider zu oft schei-
tert. Die Ellbogen-Methode oder militante Proteste am
Beispiel der sogenannten „Letzten Generation“ sind
sicherlich nicht das probate Mittel oder nur für kurzfristige
und eigensinnige Erfolge gut.
Wenn es um nachhaltige Lösungen geht, braucht es mehr.
Vor allem braucht es Menschen, die guten Willens sind!
Free download pdf