2 POLITIK
Alan Dershowitz ist einer von acht Juristen,
die US-Präsident Donald Trump im Amtsent-
hebungsverfahren verteidigen. Bis zu seiner
Emeritierung 2013 war Dershowitz Jura-
Professor in Harvard. Öffentlich bekannt
geworden ist er durch die Verteidigung promi-
nenter Angeklagter wie O. J. Simpson und
zuletzt des Milliardärs Jeffrey Epstein, der im
Verdacht steht, ungezählte Sexualstraftaten
begangen zu haben. Dershowitz hat 1998 auch
Bill Clinton in dessen Amtsenthebungsverfahren
beraten. Der liberale Professor galt lange als
Ikone der Bürgerrechtsbewegung. Dershowitz
hat sich zeitlebens gegen die Todesstrafe
engagiert. Nach den Terroranschlägen vom
- September plädierte er aber auch für den
Einsatz von Folter unter bestimmten Voraus-
setzungen in Fällen des Staatsnotstands. Dass er
sich für Donald Trump einsetzte, kam für viele
überraschend. Auf eine Anfrage der ZEIT per
SMS hin, ob er für ein Interview zur
Ver fügung stehe, rief Dershowitz umgehend
zurück – aus Florida, wo er gerade sein Plädoyer
für Trump vorbereitete.
DIE ZEIT: Herr Dershowitz, zusammen mit Ken
neth Starr, der die Ermittlungen im Amtsent
hebungsverfahren gegen Bill Clinton geleitet hat,
gehören Sie seit Kurzem zu Donald Trumps
Verteidigungsteam im Amtsenthebungsverfahren.
Wie kamen Sie zu diesem Job?
Alan Dershowitz: Das war ein längerer Prozess, der
sich über die letzten Wochen hingezogen hat. Mei
ne Frau wollte nicht, dass ich das mache. Sie
glaubt, es sei besser für mich, wenn ich neutral
bleibe. Dann aber haben wir Trump bei einem
Abendessen getroffen, und meine Frau hat sich
lange mit ihm unterhalten. Danach haben wir uns
darauf geeinigt, dass ich nur das die Verfassung be
treffende Argument mache und mich aus dem
Streit um die Fakten heraushalte.
ZEIT: Warum halten Sie das Verfahren für nicht
verfassungsgemäß?
Dershowitz: Ich bin zu der Überzeugung gelangt,
dass Amtsmissbrauch und Behinderung des Kon
gresses, die beiden Anklagepunkte der Demokra
ten, laut Verfassung nicht als Gründe für ein
Amtsenthebungsverfahren ausreichen. Nahezu je
der amerikanische Präsident wurde von seinen
politischen Gegnern des Amtsmissbrauchs be
schuldigt. Die Gründungsväter wollten sehr strikte
Kriterien für ein Amtsenthebungsverfahren. Als
Gründe haben sie daher »Landesverrat, Beste
chung und andere hohe Verbrechen und Verge
hen« in der Verfassung benannt. Die hier aufge
führten »anderen Verbrechen und Vergehen« müs
sen also Landesverrat und Bestechung gleichwertig
sein. Das ist in aller Kürze mein Argument.
ZEIT: In der Verfassung ist nicht klar definiert,
was mit »andere hohe Verbrechen und Vergehen«
gemeint ist. Alexander Hamilton, einer der Grün
derväter, hat allerdings in den für die Verfassung
grundlegenden Federalist Papers geschrieben, dass
hohe Verbrechen und Vergehen »durch das Fehl
verhalten von Männern in öffentlichen Positionen
verursacht werden, mit anderen Worten durch den
Missbrauch und die Verletzung des öffentlichen
Vertrauens«. Das sei im Kern ein politisches Ver
gehen, schreibt Hamilton, denn es beziehe sich
auf Schäden, die der Gesellschaft zugefügt werden.
Dershowitz: Ich gehe auf diesen Punkt in meiner
Aussage ein. Ich arbeite noch daran, aber ich lese
sie Ihnen einfach schon mal vor: (zitiert) »Das ist
eine falsche Interpretation des Geschriebenen.
Diese Worte beschreiben nicht die Kriterien für
ein Impeachment, sie beschreiben vielmehr die in
der Verfassung genannten Gründe näher, also Lan
desverrat, Bestechung und andere hohe Verbre
chen und Vergehen. Hamilton erweitert die Krite
rien für ein Amtsenthebungsverfahren nicht, son
dern er verengt sie.«
ZEIT: Aber da beißt sich ja die Katze in den
Schwanz. Landesverrat und Bestechung von
Staatsdienern sind von Natur aus politisch, das er
fordert keine weitere erläuternde Einschränkung.
Erläuterungsbedürftig ist jedoch die Formel »an
dere hohe Verbrechen und Vergehen«.
Dershowitz: Die Gründungsväter hätten leicht
»Machtmissbrauch« als Grund in die Verfassung
hineinschreiben können. Das haben sie aber nicht.
Die Frage, die vor dem Senat daher verhandelt
werden muss, lautet nicht, ob Präsident Trump
mit seinem Telefongespräch (mit dem ukraini
schen Präsidenten, Anm. d. Red.) Amtsmissbrauch
begangen hat, sondern ob Amtsmissbrauch ein
Grund für Impeachment ist.
ZEIT: Das heißt also, Sie gehen davon aus, dass er
sein Amt missbraucht hat? Dass er seine Interessen
vor die des Landes gestellt hat? Dass er dafür aber
nach Ihrem Verständnis der Verfassung nicht sei
nes Amtes enthoben werden kann?
Dershowitz: Jeder Präsident stellt seine Interessen
vor die des Volkes, wirklich jeder Politiker tut das.
Deshalb sind sie Politiker. Und manche Präsiden
ten haben durchaus Schlimmeres gemacht. Man
kann zum Beispiel einen Krieg beginnen, um seine
Chancen auf eine Wiederwahl zu erhöhen. Politi
ker, die das Interesse ihres Landes vor das eigene
stellen, nennt man ehemalige Politiker oder Versa
ger. Es gibt ein Buch von John F. Kennedy mit dem
Titel Zivilcourage. Darin geht es um Menschen, die
das Interesse der Allgemeinheit über ihr persönli
ches gestellt haben. Es ist ein sehr dünnes Buch.
ZEIT: Das ist eine reichlich zynische Sicht auf
Politik. Sie stimmen also Donald Trumps Stabs
chef Mick Mulvaney zu, der bei einer Pressekon
ferenz im Oktober gesagt hatte, dass die Instru
mentalisierung der Außenpolitik für den persönli
chen politischen Vorteil Alltag ist? »Get over it«
(gewöhnt euch dran), hatte Mulvaney den Journa
listen zugerufen, die ihm Nachfragen dazu stellten.
Dershowitz: Ich kenne Mick Mulvaney nicht. Ich
formuliere hier nicht seine Argumentation aus,
sondern meine eigene. Und die läuft auf das
Gleiche hinaus, was ein Senator bereits im Im
peachmentVerfahren von Präsident Andrew
Johnson 1867 geäußert hat: Wenn man das Im
peachment für solche alltäglichen Zwecke be
nutzt, dann wird es zum normalen Mechanismus
der Politik.
ZEIT: Dafür müsste es aber mehr Erfolg verspre
chen. Es war doch gar nicht so, dass die Demokra
ten Trump um jeden Preis seines Amtes entheben
wollten. Sie wussten, welche Gefahr das Verfahren
angesichts der republikanischen Mehrheit im Se
nat für sie birgt, standen aber unter enormem
moralischem Druck ihrer Wähler, sich zu Trumps
Amtsmissbrauch zu verhalten.
Dershowitz: Ja, das sehe ich auch so.
ZEIT: Glauben Sie, dass es in diesen extrem pola
risierten Zeiten überhaupt noch möglich ist, dass
Politiker einen Präsidenten ihrer eigenen Partei für
massives Fehlverhalten im Amt zur Rechenschaft
ziehen?
Dershowitz: Ich glaube, wenn zum Beispiel he
rauskäme, dass Trump Mitarbeiter mit Geld be
stochen hätte, wenn es Beweise für Erpressung
oder Meineid gäbe, ja, dann kann ich mir das
durchaus vorstellen.
ZEIT: Wer bezahlt Sie eigentlich? Donald Trump
oder der Steuerzahler?
Dershowitz: Keiner. Ich mache das umsonst. So
wie ich es auch schon für Bill Clinton umsonst
gemacht habe.
ZEIT: Und warum machen Sie es?
Dershowitz: Mir geht es ums Prinzip.
ZEIT: Sie behaupten, Machtmissbrauch sei ein
leidiger, aber alltäglicher Teil von Politik. Aber ist
der Missbrauch von Macht, in diesem Fall des
mächtigsten Amtes der Welt, nicht eine der größ
ten Gefahren der Demokratie?
Dershowitz: Das zu beantworten ist nicht mein
Job. Ich muss beurteilen, ob Trump eine Sünde
oder ein Verbrechen begangen hat. Ich habe
Trump nicht gewählt, ich habe Hillary Clinton
gewählt. Ich mache daher kein Argument für oder
gegen Trump. Ich argumentiere nur, dass er nicht
des Amtes enthoben werden kann. Lassen Sie mich
Ihnen ein Beispiel nennen. Sagen wir, ein amerika
nischer Präsident signalisiert Kuba, wir werden
euch diplomatisch akzeptieren, aber nur wenn ihr
freie und faire Wahlen zulasst.
ZEIT: Das wäre konform mit amerikanischer Au
ßenpolitik. Und insofern kein Problem.
Dershowitz: Aber was, wenn EMails des Präsiden
ten auftauchten, in denen stünde, ich glaube nicht,
dass das eine gute Idee ist, aber ich glaube, es hilft mir
bei den kubanischstämmigen Wählern in Florida.
ZEIT: Das wäre extrem peinlich, aber immer noch
konform mit amerikanischer Außenpolitik. Es
würde die nationale Sicherheit nicht bedrohen.
Der Ukraine Militärhilfe vorzuenthalten, die der
Kongress bewilligt hat, tut dies aber in den Augen
der Kritiker. Die Ukraine steht in einem verlustrei
chen Krieg gegen Russland.
Dershowitz: Ich kenne die Ukraine. Der ehemalige
Präsident Leonid Kutschma war mein Klient. Ich
weiß, dass das Land von Korruption durchzogen ist.
Mein Punkt ist, dass der Präsident oft eine andere
Außenpolitik betreibt, als es der Kongress wünscht.
Obama war für den IranDeal, der Kongress dagegen.
Er hat den Deal dennoch durchgezogen.
ZEIT: Obama und der Kongress waren sich über
die Wirksamkeit des Mittels uneins, aber das poli
tische Ziel, den Iran am Bau einer Atombombe zu
hindern, war das gleiche.
Dershowitz: Und Trump wollte, so sieht er es, dass
die Ukraine ihr Korruptionsproblem bekämpft.
ZEIT: Indem die Ukraine ganz gezielt gegen einen
politischen Rivalen von ihm vorgeht?
Dershowitz: Seine Sicht ist, dass schon früher ge
gen Biden ermittelt worden war, die Ermittlung
aber aus unzulässigen Gründen gestoppt worden
ist. Ob das stimmt oder nicht, ist unerheblich. Es
ist kein Grund für ein Amtsenthebungsverfahren.
ZEIT: Ihre Interpretation, dass nur ein Verbrechen
ein Impeachment rechtfertigt, wird von nahezu
allen Verfassungsexperten als falsch beurteilt.
Dershowitz: Das sind alles parteiliche Leute, und
sie sind Heuchler. Würde Hillary Clinton heute
angeklagt, würden die alle meinen Standpunkt
einnehmen. Auch ich würde natürlich gegen Hil
lary Clintons Impeachment argumentieren, und
dann würden sie mir eine Statue in Martha’s Vine
yard bauen (Urlaubsort der demokratischen Elite,
lange auch der von Dershowitz. Seit seinem En
gagement für Trump ist er dort jedoch nicht mehr
gern gesehen, Anm. d. Red.). Ich bin überzeugt,
dass Wissenschaftler sehr stark von Politik beein
flusst sind. Das trifft auch zu, wenn es um die In
terpretation der Verfassung geht.
ZEIT: Sie haben 1998 gesagt, als Sie sich im Fern
sehen zu Präsident Bill Clintons Amtsenthebung
geäußert haben, dass man keine Straftat verübt
haben muss, um des Amtes enthoben zu werden.
Dershowitz: Damals dachte ich, dass einige For
men des Missbrauchs ein Impeachment tatsäch
lich rechtfertigen. Seitdem habe ich historische
Unterlagen studiert und meine Meinung über die
Gründe für ein Impeachment geändert.
ZEIT: Welche historischen Unterlagen haben Ihre
Meinung geändert?
Dershowitz: Vor allem die Argumente von Präsi
dent Andrew Johnsons Anwalt Benjamin Curtis.
Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit zwischen
staubigen Büchern verbracht.
ZEIT: Was glauben Sie persönlich: War Trumps
Verhalten im Amt richtig?
Dershowitz: Das ist eine wichtige Frage. Eine Fra
ge, die die Wähler im November beantworten
müssen.
ZEIT: Werden Sie Donald Trump wählen?
Dershowitz: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber
ich kann Ihnen sagen, wenn er gegen Bernie San
ders antritt, dass ich auf keinen Fall Bernie Sanders
wählen werde.
Die Fragen stellte Kerstin Kohlenberg
Kurz vor Dershowitz’ Auftritt im Senat wurde
dann bekannt, dass Trumps früherer Sicher-
heitsberater John Bolton dem Präsidenten in
einem noch unveröffentlichten Buch in zentralen
Punkten der Ukraine-Affäre widerspricht (siehe
Text unten). Dershowitz reagierte darauf im
Senat, er erklärte jedoch, selbst wenn Boltons
Version der Ereignisse stimme, reiche das nicht
für eine Amtsenthebung Trumps.
Nachfragen der ZEIT zu Boltons Darstellung
ließ Dershowitz unbeantwortet.
»Jeder Präsident
stellt seine
Interessen vor
die des Volkes«
Donald Trumps Anwalt Alan Dershowitz erzählt, wie er
zu seinem Job kam – und warum Machtmissbrauch für ihn
kein Grund ist, den Präsidenten des Amtes zu entheben
E
rstaunliche Ironie: Ausgerechnet der außen
politische Hardliner John Bolton, bis ver
gangenen Herbst noch Donald Trumps Na
tionaler Sicherheitsberater, facht die Hoffnungen
der Demokraten auf einen Erfolg im Amtsent
hebungsverfahren wieder an.
Die Verteidigung des Präsidenten hat die bishe
rigen Zeugen der Anklage zu diskreditieren ver
sucht, sie stützten sich aufs Hörensagen. Darum
schlug Boltons BuchManuskript mit dem spre
chenden Titel »The Room Where It Happened«
(»Der Raum, in dem es geschah«), über das die
New York Times detailliert berichtete, am Montag
in Washington so heftig ein. Anders als die Diplo
maten und Beamten, die vor dem Kongress gegen
Trump ausgesagt hatten, war der Sicherheitsbera
ter nämlich stets in unmittelbarer Nähe des Präsi
denten gewesen. Und der habe ihm mehrfach per
sönlich gesagt, so zitiert die Times Bolton, dass er
die fast 400 Millionen Dollar Militärhilfe für die
Ukraine zurückhalte, um dort eine Untersuchung
angeblich korrupter Verstrickungen seines demo
kratischen Konkurrenten Joe Biden und dessen
Sohns zu erzwingen.
Das wäre genau das Quidproquo, das Trump
und seine Verteidiger lange bestritten haben – der
Einsatz des Amtes zum persönlichen Vorteil, un
geachtet der amerikanischen Interessen in der
Ukraine und gegen den Beschluss des Kongresses,
der die Mittel für Kiew bewilligt hatte.
Bolton hatte zuvor schon mehrfach seine Be
reitschaft erklärt, im Amtsenthebungsverfahren
auszusagen. Das Weiße Haus hatte dies untersagt.
Eben von dort, noch so eine Ironie, wurde nun
offenbar Boltons Version der Geschichte durchge
stochen, nachdem dieser das Manuskript pflicht
gemäß zum Sicherheitscheck vorgelegt hatte – wo
möglich, wird vermutet, von Mitarbeitern, die
Trumps Verhalten gegenüber der Ukraine genauso
problematisch finden wie Bolton. Durch die Ent
hüllungen steigt nun der Druck auf den Senat,
Bolton als Zeugen zu laden. Die republikanische
Mehrheit dort wollte eigentlich gar keine weiteren
Zeugenaussagen zulassen, um Trump schnell – viel
leicht noch diese Woche – freizusprechen. Nun
signalisieren mehrere Senatoren, dass sie Bolton
hören wollen. Vier republikanische Abweichler
würden genügen, um das zu beschließen.
Boltons Aussage könnte Trump gefährlich wer
den. Bolton ist ein außenpolitischer Falke, der schon
vielen republikanischen Präsidenten gedient und als
Kommentator auf Fox News für einen harten Kurs
gegen den Iran, China, Nordkorea und Russland
getrommelt hatte. Man könnte ihn kaum als Teil
eines demokratischen Putschversuchs abtun.
Ein Grund mehr für die Führung der Republi
kaner, seinen Auftritt zu verhindern. Diesem
Zweck dienten die Drohungen einiger republika
nischer Senatoren, sie würden einen Auftritt des
Zeugen Bolton mit eigenen Zeugenvorladungen
- etwa von Joe Biden und seinem Sohn Hunter –
beantworten.
Die zeitweilige Verlegenheit unter Republika
nern gegenüber John Bolton war ein Erfolg für die
Demokraten. Erstmals zeigten sich zarte Risse in
der republikanischen Einheitsfront.
Dass die Republikaner ihren Präsidenten des
Amtes entheben werden, bleibt trotzdem unwahr
scheinlich. Sie haben sich Trump mit Haut und
Haaren verschrieben und haben sich schon lange
vor dem Prozess auf einen Freispruch festgelegt.
Trumps Verteidiger Dershowitz wurde von den
Demokraten kritisiert, als er Boltons Behauptun
gen am Montag im Senat als irrelevant abtat.
Die Republikaner feierten ihn dafür.
Wie die Enthüllungen eines engen Mitarbeiters des USPräsidenten das Amtsenthebungsverfahren plötzlich wieder spannend machen VON JÖRG LAU
Er war im Raum, in dem es geschah
Alan Dershowitz nach der Verteidigung Donald Trumps im Washingtoner Senat am Montag dieser Woche
Foto: Joshua Roberts/Reuters
- JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6