Die Zeit - 30.01.2020

(Tina Sui) #1

Die große


Ve r s u c h u n g



  1. JANUAR 2020 DIE ZEIT No 6 POLITIK 9


M


anch einen CDU-Ab-
geordneten in Sachsen-
Anhalt kann man schon
in Wallung bringen, in-
dem man ihn einfach
nach seinem derzeitigen
Koa li tions part ner fragt,
den Grünen.
»Die Grünen? Schrecklich. Das sind teils
grün gestrichene Sozialisten und Kommunisten«,
sagt Frank Scheurell, Landtagsabgeordneter aus
Wittenberg. Detlef Gürth, Parlamentarier aus
Aschersleben, antwortet auf dieselbe Frage: »Die
Grünen haben freche, linksautonome Figuren in
ihren Reihen.« Fragten die Grünen, wie im De-
zember, wie viele Rechtsextreme in der CDU
Platz hätten, dann fragten er und seine Partei-
freunde gerne zurück, »für wie viele Pädophile
und Polizistenprügeler Platz bei den Grünen sei«,
so Gürth. Die SPD, das nur nebenbei, kommt
unter CDU-Leuten kaum besser weg.
So viel zur Stimmung zwischen den Regie-
rungsfraktionen in Sachsen-Anhalt, jenem
Land, das seit 2016 von CDU, SPD und Grü-
nen regiert wird, Deutschlands erster »Kenia-
Koalition«. Ein Jahr vor der Landtagswahl 2021
lässt sich hier beobachten, welche Dynamik aus
solch einem Bündnis entstehen kann: Ein wach-
sender Trupp in der CDU-Fraktion hat das Ge-
fühl, man sei gezwungen, besonders links zu re-
gieren – obwohl das Land doch besonders rechts
gewählt habe. Diese Leute, zu denen auch Mit-
glieder der Fraktionsführung gehören, ärgern
sich über die Koa li tions part ner, die Geld für
Gleichstellung und Windkraft ausgeben wollen.
Auch deshalb zieht es manche Abgeordnete wie
in einem Sog in die Nähe der AfD. Und weder
Reiner Haseloff, der Ministerpräsident, noch
Holger Stahlknecht, der Landesparteichef, wa-
ren bisher in der Lage, diesen Prozess tatsächlich
zu be enden.
Ist da im Osten etwas ins Rutschen geraten?
Ist Sachsen-Anhalt das erste Bundesland, in dem
nicht mehr aufzuhalten ist, was die CDU im
Bund und im Land eigentlich per Unvereinbar-
keitsbeschluss auf lange Sicht unmöglich ma-
chen wollte – und was Parteichefin Annegret
Kramp-Karrenbauer ebenso energisch zum Tabu
erklärt hat: eine Zusammenarbeit der CDU mit
der AfD?
Seit Monaten stolpert die Sachsen-Anhalter
CDU von einem Problemfall zum nächsten.
Erst machten im Sommer 2019 die beiden Vize-
Chefs der Landtagsfraktion mit einer »Denk-
schrift« auf sich aufmerksam, die eine AfD-
Kooperation »jedenfalls nicht ausschließen« und
»das Soziale mit dem Nationalen versöhnen«
sollte. Dann verbündete sich die CDU im Mag-
deburger Landtag wiederholt mit der AfD gegen
die eigenen Regierungspartner. Einmal, im Au-
gust, stellte die AfD die staatlichen Gelder für
einen Verein infrage, der gegen Rechtsextremis-
mus kämpft – der aber, aus Sicht der AfD, links-
extremistische Tendenzen aufweist. Die Sitzung

ging auf in einem einzigen Grölen, Schimpfen
und Applaudieren, Seite an Seite kämpften: AfD
und CDU.
Eine Debatte darüber, wie es mit der Abgren-
zung der CDU zum ganz rechten Rand aussieht,
löste aber vor allem ein Fall Ende des vergange-
nen Jahres aus. Einer, an dem die Sachsen-
Anhalter Koa li tion fast zerbrach.
Im Dezember machte ein SPD-Mitglied aus
Halle zunächst auf Twitter öffentlich, dass in
Anhalt-Bitterfeld ein Mann im CDU-Kreisvor-
stand saß, der in der Vergangenheit Kontakte zu
Neonazis pflegte. Auch heute noch trägt der
Mann eine sogenannte Schwarze Sonne als Tat-
too, ein Symbol, das aus mehreren verfremdeten
und über ein an der ge leg ten Hakenkreuzen be-
steht. Das warf und wirft die Frage auf, ob er
nicht immer noch Teil eines rechtsextremen
Milieus ist. Die Grünen wollten das prompt per
Pressemitteilung wissen: »Wie viele Hakenkreuze
haben Platz in der CDU?« Die Union empörte
sich und forderte eine Entschuldigung. Es folgte
eine tagelange Debatte, die erst endete, als der
Mann freiwillig aus der Partei austrat. Da schaute
längst die halbe Republik nach Anhalt-Bitter-
feld: Schaffen die es nicht mal mehr, einen
Rechtsextremen aus der Partei zu werfen?
Nicht nur in Sachsen-Anhalt gibt es CDU-
Politiker, die den Abstand zur AfD gern verklei-
nern würden. In Thüringen plädierte der Vize-
Chef der Landtagsfraktion nach den Wahlen für
Gespräche auch mit der AfD. In Sachsen gab es
vor und nach den Landtagswahlen einflussreiche
CDU-Mitglieder, die sich für eine Minderheits-
regierung auch unter Duldung durch die AfD
aussprachen. In Sachsen-Anhalt sagt der CDU-
Abgeordnete Detlef Gürth, man solle vor der
Wahl zumindest keine »Ausschließeritis« betrei-
ben. Zwar sei die AfD derzeit nicht koalitions-
fähig. Doch wenn die Presse wissen wolle, ob man
ein Bündnis mit ihr ausschließt, solle man eher
antworten: Man verstehe die Frage, aber beant-
worte sie nicht.
Es gibt inzwischen gerade auf dem Land –
dort, wo die AfD stark ist und Dutzende CDU-
Abgeordnete fürchten, ihre Direktmandate zu
verlieren – eine Drift in die Nähe der AfD, die
offensichtlich auch Leute wie Sachsen-Anhalts
CDU-Chef beunruhigt.
Holger Stahlknecht ist 55 Jahre alt, Innen-
minister und eigentlich die Ruhe selbst. Aber das
hat sich seit ein paar Monaten geändert. »Wir
müssen unser Verhältnis zur AfD klären und uns
klar abgrenzen«, sagt Stahlknecht. »Die CDU ist
an einen Punkt gekommen, an dem sich ent-
scheidet, wie es mit ihr weitergeht.«
Stahlknecht gilt als aussichtsreichster Kandi-
dat für die Nachfolge von Reiner Haseloff, dem
65 Jahre alten Ministerpräsidenten, der derzeit
grübelt, ob er 2021 noch einmal antreten soll.
Und Stahlknecht ist einerseits ein Konservativer.
Zugleich aber gehört er im Landtag zu denen, die
der AfD am energischsten und entschlossensten
entgegentreten.

Stahlknecht sagt, man dürfe sich nicht
blenden lassen. Es sei ein kleiner, aber überaus
lauter Teil der CDU, der sich momentan in
den Vordergrund dränge. »Es gibt ein paar
Leute, die gerne den Eindruck erwecken wol-
len, dass diese Partei nach rechts ausbricht.«
Die gelte es einzuhegen.
Der Kampf, der derzeit ausgefochten werde,
sei der zwischen Konservativen und National-
konservativen: Er, Stahlknecht, stehe für einen
gepflegten Konservatismus. »Ich habe gelegent-
lich das Gefühl, dass wir in der CDU Kräfte ha-
ben, die sehr stark nationalkonservativ orien tiert
sind, im Osten wohl stärker als im Westen«, sagt
Stahlknecht. »Aufgrund unserer Geschichte ist
mir diese Tendenz eher fremd. Ich gehöre jeden-
falls nicht zu diesen Kräften.«
Seine Strategie sei eine des Mittelwegs: sich
von der AfD inhaltlich abzugrenzen, aber gleich-
zeitig durchaus den sehr Konservativen Angebote
zu machen.
Damit wäre man dann bei der Sache mit
Rainer Wendt.
Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen
Polizeigewerkschaft, ist vor allem für seine marki-
gen Sprüche zu Mi gra tion und innerer Sicherheit
bekannt. Beim rechten Flügel der CDU ist er
ähnlich beliebt wie Hans-Georg Maaßen, der
frühere Chef des Bundesverfassungsschutzes.
Wendt hätte im Dezember Staatssekretär in
Sachsen-Anhalt werden sollen, auf Betreiben von
Stahlknecht und Ministerpräsident Haseloff.

»Wendt war ein Angebot an die Konservati-
ven, wenn man so will«, sagt Stahlknecht. Wer
Stimmen von der AfD zurückgewinnen wolle,
sagt er, »dem müssen solche Angebote an diese
Zielgruppe erlaubt sein«.
Was offenbar weder Stahlknecht noch Haseloff
vorausgesehen hatten, war der energische Wi-
derstand von Grünen und SPD. Außerdem lief
in Nordrhein-Westfalen eine beamtenrechtliche
Aus ein an der set zung um Wendts Pensionsansprü-
che, die dessen Einstellung verhinderte. Stahl-
knecht sagte Wendt daraufhin wieder ab.
»Im Rückblick weiß ich, dass die Wendt-Idee
ein Fehler war«, sagt Stahlknecht.
Der Innenminister musste sich einer Vertrau-
ensabstimmung in seiner Landtagsfraktion stel-
len, die er nur knapp gewann. Auch dieser Vor-
gang zeigt, wie zerrissen die Partei ist: Die einen
sagen, sie hätten gegen ihn gestimmt, weil sie die
Wendt-Idee hanebüchen fanden. Die anderen
sagen, sie hätten gegen ihn gestimmt, weil sie
fanden, er sei schon wieder vor einem links-
grünen Main stream eingeknickt. Da war es dann
kein großes Wunder mehr, dass die Partei sich,
kurz nach der Wendt-Debatte, auch im Fall des
mutmaßlich rechtsextremen Kreisvorstands von
Anhalt-Bitterfeld in die Bredouille brachte: Die
einen forderten, man müsse sich sofort von die-
sem Mann trennen. Die anderen fanden, von
überregionalen Medien und grünen Politikern
müsse man sich überhaupt nichts sagen lassen.
Stahlknecht findet, seine Partei sei zu stark
unter Druck gesetzt worden. »Wir sind hier
nicht im Circus Maximus, wo einfach der Dau-
men gehoben oder gesenkt wird«, sagt er. Es
gebe Gesetze und Parteistatuten, so ein Fall müs-
se immer verantwortungsbewusst geprüft wer-
den – »und wir müssen in dieser Republik höl-
lisch aufpassen, nicht immer schnellere Ent-
scheidungen zu verlangen«. Auch Ministerprä-
sident Reiner Haseloff klagt im Gespräch mit
der ZEIT, dass eine »Lichtgeschwindigkeit im
politischen Betrieb« Einzug gehalten habe,
durch die es keinerlei Bedenkzeiten mehr gebe.
»Niemand darf zum Nazi-Verharmloser erklärt
werden, nur weil er solch einen Fall zunächst
einmal prüfen will«, sagt Haseloff. Bis heute gibt
es Leute, die Stein und Bein schwören, dass der
betreffende Kreisvorstand der Neonazi-Szene
abgeschworen habe. In der ZEIT erklären wollte
er sich nicht.
Aber ist es wirklich nur die Hektik des Be-
triebs? Oder hätten Haseloff und Stahlknecht
schon einschreiten müssen, als die beiden Abge-
ordneten eine Denkschrift lancierten, die einen
CDU-Grundsatzbeschluss infrage stellt?
Egal, ob nun Stahlknecht oder Haseloff zur
kommenden Landtagswahl antreten – beide
würden in einem strategischen Dilemma ste-
cken. Sie können die AfD noch so vehement als
Koa li tions part ner ausschließen – aber was gilt
ihr Versprechen eigentlich, sobald die zweite
Reihe die Kontrolle übernimmt? »Einen Holger
Stahlknecht, der mit Stimmen der AfD zum

Ministerpräsidenten gewählt wird, wird es de-
finitiv nicht geben«, sagt Stahlknecht. »Punkt.«
Nur weiß er auch: Es gibt Leute, die haben im
Zweifel weniger Skrupel. Er mache sich aller-
größte Sorgen, sagt ein CDU-Parlamentarier.
»Man muss sich schon fragen, was man auslöst
mit Gedankenspielen in Richtung einer Partei,
deren Abgeordnete von ›Ficki-Ficki-Facharbei-
tern‹ reden, von ›Blut an unseren Händen‹ auf-
grund der Flüchtlingspolitik. Wir haben Ultra-
konservative, die zwar nicht in der Mehrzahl
sind, vielleicht ein halbes Dutzend Leute – die
aber in den Debatten eine immense Wucht
entfalten.« Ein einflussreicher Mensch in der
Partei befürchtet gar, für die erste CDU-AfD-
Koalition brauche es am Ende nur jemanden,
der unüberlegt genug ist, der sich um bundes-
politische Folgen keine Gedanken macht. Der
nach dem Bauch entscheidet. Und der im rich-
tigen Moment, nach einem schlechten Wahl-
ergebnis zum Beispiel, Haseloff und Stahl-
knecht überrollt.
Am Mittwoch der vergangenen Woche zeigt
sich, wie sich in der Union einige Mitglieder ihre
Partei im besten Fall vorstellen: Hans-Georg
Maaßen tritt auf, in einem Einkaufscenter-Hotel
in Halle-Peißen, irgendwo im Niemandsland
zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Knapp 200 Zuschauer sitzen da in einem viel
zu kleinen Saal, Dutzende Leute mussten abge-
wiesen werden, weil kein Platz mehr frei ist. Der
örtliche Bundestagsabgeordnete und Sachsen-
Anhalts Kultusminister Marco Tullner, zugleich
CDU-Kreischef von Halle, haben Maaßen gemein-
sam eingeladen, über innere Sicherheit zu sprechen.
Es ist einer dieser Abende, an denen man diese sehr
entschlossene Form des »Jawoll!«-Applauses be-
obachten kann: euphorische Zustimmung, die sich
ausbreitet, wenn das Publikum meint, dass das
Gesagte eigentlich ein bisschen verboten ist, ein
bisschen tabu, aber nun mal die Wahrheit. Wenn
Maaßen zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen
Medien attackiert, wenn er Witze über »Wir schaf-
fen das« macht oder wenn er das Schlepperwesen
geißelt – immer dann ist der Applaus frenetisch.
Und irgendwann wird sehr ernsthaft über die
Frage gesprochen, ob man die Linke nicht ver-
bieten könne. Nur als ein Zuschauer die Kanzlerin
verteidigt, wird es aggressiv im Saal, laut.
Warum lädt der Kultusminister zu so einer
Veranstaltung ein? Auf keinen Fall, sagt Marco
Tullner, wolle er mit der AfD anbändeln. »Da-
von spricht auch Herr Maaßen nicht.« Es gebe
aber Mitglieder, die nicht glücklich mit den der-
zeitigen Bündnissen mit Grünen und SPD sei-
en. »Als Volkspartei«, sagt Tullner, »haben wir
den Anspruch, abgewanderte CDU-Wähler für
die Union zurückzugewinnen.« Am Ende der
Veranstaltung sagt Christoph Bernstiel, der
CDU-Bundestagabgeordnete, der hier Gastgeber
ist, einen sehr fröhlichen Satz ins Mikrofon: »Ich
glaube, das hat heute mal richtig gut getan.«

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Mit Grünen und SPD koalieren, mit der AfD flirten:
Fällt in der ostdeutschen CDU ein Tabu? VON MARTIN MACHOWECZ

Ergebnisse von CDU und AfD bei der
jeweils letzten Landtagswahl, in Prozent

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ZEIT-GRAFIK/Quelle: Landeswahlleiter*innen der Bundesländer

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Fotoillustration: Martin Burgdorff für DIE ZEIT (verwendetes Foto: Getty Images)
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