Delegierten umgarnt. Erst wenn die in ihren Heimat-
verbänden Stimmung gemacht haben, stellt die Partei-
führung ihren Kandidaten auf. Schließlich wäre es
höchst peinlich für alle Beteiligten, wenn der auf dem
Parteitag durchfallen würde.
Mein Wille geschehe: drei weitere Schachzüge. Der
wohl bekannteste für alle Verhandlungen, in denen es
(auch) um Geld geht, ist das Ankern. Roman Trötschel
sagt: »Ankern ist eine wett be werbs orien tier te Strategie,
bei der es darum geht, den eigenen Nutzen zu maxi-
mieren gegen den Widerstand der anderen Seite.« Ein
Anker ist der erste (Preis-)Vorschlag, der in einer Ver-
handlung gemacht wird. An diesem Vorschlag orien tie-
ren sich danach oft alle anderen Vorschläge. Dabei wird
ausgenutzt, dass sich Menschen gern an Bekanntem
orien tie ren. Man verankert also eine Zahl oder Vor-
stellung im Gehirn des Gegenübers. Auch Geisteranker
können wirkmächtige Instrumente sein – »Eigentlich
wollte ich ja das ganze Wochenende mit dir zu Hause
verbringen. Aber wenn das für dich schwierig ist, können
wir auch nur am Samstag hierbleiben«. Oder: »Eigent-
lich verkaufe ich den Mantel für 200 Euro, aber für Sie
kann ich 130 Euro anbieten.« Obwohl über die erste
Möglichkeit gar nicht diskutiert wird, steht sie doch im
Raum und »ankert« das Gegenüber. Roman Trötschel
sagt: »Das funktioniert nur, wenn ich auf der Gegen-
seite Personen habe, die beim Thema keine Experten
sind.« Vor allem, wenn es um Zahlen und Preise geht,
ist das entscheidend. Einen Unwissenden kann man
ankern, einen Experten eher nicht.
Ähnlich wirkungsvoll ist es zweitens, eine Spann-
weite zu nennen. Das gibt der Gegenseite das Gefühl,
innerhalb des gebotenen Rahmens frei entscheiden zu
können. In einer Studie der New Yorker Columbia-Uni-
versität erzielten diejenigen Gruppen, die ehrgeizige
Spannweiten nannten, das beste Ergebnis (»Als Ein-
stiegsgehalt stelle ich mir 70.000 bis 75.000 Euro vor«).
Und: Wer möglichst präzise Zahlen nennt – 365 Euro
statt 400 Euro –, erzeugt den Anschein von Expertise.
Allerdings zeigt eine im Journal of Experimental Social
Psycholog y veröffentlichte Studie von David Loschelder,
dass Menschen, die krumme Beiträge nennen, dazu
neigen, defensiver zu agieren.
Der dritte Kniff: Wer in Verhandlungen die Inte-
ressen der Gegenseite betont, erreicht mehr. Das konnte
ein Forscherteam in Lüneburg in Studien mit insgesamt
650 Probanden zeigen. Schon die Rhetorik macht einen
Unterschied. »Ich biete dir einen romantischen Abend
in deinem Lieblingsrestaurant« klingt viel besser als »Ich
möchte nicht zu deinen Eltern fahren«. Psychologen
nennen das »Framing«, deutsch: Einrahmen, weil das
Gesagte in einen Assoziationsrahmen gespannt wird.
Am Ende der Schachstunde habe ich Dirk Sebastians
schwarze Figuren übrigens geschlagen. Unter seiner An-
leitung natürlich. Nach der Partie steht Dirk auf und
reicht mir seine Hand: »Die Schach-Etikette verlangt,
dass sich beide Parteien nach dem Spiel die Hand schüt-
teln. Erst dann darf man sich ärgern – oder jubilieren.«
Selbst das Schachspiel also, bei dem ich dem Gegner
meinen Willen aufzwingen und ihn »schlagen« soll,
endet mit einem Zeichen der Kooperation.
Roman Trötschel fasst die Erkenntnisse mit einem
Akronym zusammen: HANSE-Strategieführung. Eine
Anspielung auf die erfolgreiche Geschichte der Hanse-
Kaufleute in Nordeuropa. Gegründet als lose Handels-
vereinigung – Kaufleute standen in der Gesellschaft
zunächst weit unter den Fürsten, Rittern und Kirchen-
leuten –, wurde die Hanse bis zur Mitte des 15. Jahr-
hunderts so mächtig, dass sie sogar Wirtschaftsblockaden
gegen Königreiche und Fürstentümer verhängte, um
ihre Interessen durchzusetzen. Noch bevor es den Namen
»Hanse« gab, war ihr Leitspruch bekannt: »Ere ind
geloven« – Ehre und Glaubwürdigkeit. Diese Grund-
prinzipien gelten noch heute, sagt Trötschel: »H steht
für Hartnäckigkeit. A ist Aufrichtigkeit. N ist Nach-
haltigkeit für die Zukunft und für andere Personen. S
ist Sachlichkeit, vor allem in Interessenkonflikten, und
E ist Einfallsreichtum und die Kreativität.«
Was bleibt also: Fahren Sie nun zu den Eltern Ihres
Partners, weil seine Schwester auch kommt? Es gibt ver-
schiedene Möglichkeiten. Sie fahren nur für einen Tag
hin, statten dort aber auch dem Wellnessbad einen Besuch
ab. Oder Sie gewinnen die Schwester als Verbündete,
damit sie Sonntag zum Kaffee auch bei Ihnen vorbei-
kommt. Und sagen Ihrem Partner: Wir helfen den El-
tern an einem anderen Wochenende. Damit vergrößern
Sie den »Kuchen«. Sie betonen dabei den Nutzen für
Ihren Partner: Sie haben den Tisch extra in seinem
Lieblingsrestaurant reserviert, und er wird seine
Schwester trotzdem sehen. Falls es doch zum Streit
kommt, überhören Sie, dass er Ihnen vorwirft, Sie
würden seine Familie nicht mögen. Und betonen, wie
sehr es Sie freuen würde, seine Schwester zu bewirten.
Und bei alldem – bleiben Sie freundlich. Ein deutscher
Botschafter sagte einmal: »Sie können alles an den Mann
bringen, wenn es in der richtigen Form geschieht.« —
Wer in der Gehalts-
verhandlung eine
breite Spannweite
nennt, geht mit mehr
Geld nach Hause
Filipa Lessing pendelt mit der Bahn und hat inzwischen
Verhandlungsgeschick darin, lärmende Mitreisende im Ruhe-
wagen zum Schweigen zu bringen. Sie empfiehlt die FKU-
Methode: Freundlich bleiben, kombiniert mit Unnachgiebigkeit.