Dienstag, 18. Februar 2020 WIRTSCHAFT 21
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Bombardier verkauft das Eisenbahngeschäft
Der kanadische Konzern will sich auf die Produktion von Business-Flugzeugen konzentrieren
KARL FELDER,VANCOUVER
Im internationalen Eisenbahngeschäft
kommt es zu einer tiefgreifenden Um-
wälzung, die auch für die kanadische
WirtschaftFolgen haben wird.Der fran-
zösischeTGV-Hersteller Alstom erwirbt
die Zugsparte des kanadischen Produ-
zenten und bisherigen Rivalen Bom-
bardier. Bombardier ist seit einiger Zeit
in Bedrängnis, weil sich dieFirma mit
ihrem Flugzeugprogramm übernommen
hat. BeideFirmen bestätigten am Mon-
tag eine entsprechende Absichtserklä-
rung. Der Kaufpreis soll demgemäss
zwischen 5,8 und 6,2 Mrd. € liegen und
teils in Aktien, teils aber auch in bar er-
legt werden. Der genaue Preis soll erst
nach erfolgterTransaktion festgesetzt
werden, diesich imersten Halbjahr des
nächstenJahres abspielen wird.
Zugsystemesind das Herzstück
Die Zugsparte zählt unbestritten zu den
wertvollsten Bestandteilen von Bombar-
dier. Das gilt,obwohl dieFirma mit ihren
LieferungeninvielenFällen–unterande-
rem auch in der Schweiz – mit Schwierig-
keiten kämpft. ZumVerkauf der Sparte
mit Hauptsitz in Berlin ist es indessen
gekommen, weil sich das Unternehmen
mit der Entwicklungeines neuen Flug-
zeuges, der sogenannten C-Serie, über-
nommen hat.Dabei stand nie die Qua-
lität des Flugzeuges zur Diskussion, son-
dern der Umstand, dass dieLancierung
der Serie wiederholt verschoben werden
musste. Insgesamt hat die Entwicklung
der C-Serie mehrals 6 Mrd. $ gekostet,
womit derKonzern in eine bedenkliche
Schieflage gerutscht ist.Da die USA in
der Folge damit drohten, das Flugzeug
aus kanadischer Produktion mit massi-
ven Zöllen zu belegen, hat Bombardier
die Flucht nach vorne angetreten und ist
beiAirbus vorstellig geworden.
Airbus hat sodann die C-Serie, die im
Übrigen auch von derSwiss eingesetzt
wird, unter ihreFittiche genommen. Die
Maschine trägt nunmehr die Bezeich-
nungA220.Bombardier hat sich im Zuge
ihrer finanziellen Neuorientierung schon
in derVorwoche gänzlich vom Projekt
gelöst, da derVertrag mit Airbuswei-
tere Verpflichtungen nach sich gezogen
hätte. Der Erlös ist jedoch verhältnis-
mässig gering, so dass sich Bombardier
gezwungen sah,entweder die Zugsparte
oder aber das Geschäft mit Business-
Flugzeugen zu verkaufen. DemVerneh-
men nach war Bombardier mit amerika-
nischen Interessenten für das Geschäft
mit Businessjets inKontakt.Vorderhand
ist unklar, ob sich die Situation desKon-
zerns derart stabilisiert hat, dass einVer-
kauf unterbleiben kann.Bombardier sel-
ber gibt zu verstehen, dass man das Ge-
schäft weiterführen wolle.
Der Kauf von BombardierTranspor-
tation durch Alstom dürfte eineVer-
doppelung der französischen Kapazi-
tät mit sich bringen. Gleichzeitig rückt
Alstom damit auf Platz zwei der inter-
nationalenRangliste vor, hinter der chi-
nesischen CRRC, welchesich nicht zu-
letzt dank günstigen Preisen und der
angebotenenFinanzierung stets wei-
ter vorarbeitet und erst vor kurzem
offeriert hat, dasbritische Eisenbahn-
system aufVordermann zu bringen.
Selbstverständlich wird aber auch Brüs-
sel einWort zur beabsichtigten Integra-
tion von Bombardier in Alstom mitzu-
reden haben. Beobachterräumen die-
ser Transaktion aber mehr Chancen ein
als der imVorjahr vorgeschlagenenVer-
einigung von Alstom mit Siemens, wel-
che von Brüssel abgelehnt worden ist.
DemVernehmen nach finden Gesprä-
che zwischenAlstom und den EU-Wett-
bewerbsbehörden in Brüssel unter der
Leitung von MargretheVestager bereits
am Dienstag statt.
9 Milliarden DollarSchulden
Mit dem Verkauf der Bombardier-Zug-
sparte wird die QuebecerPensionskasse
Caisse de dépôt et placement, die sich
bis anhin alsFinanzquelle für Bombar-
dierbewährthatte,unvermitteltzueinem
de r grössten Aktionäre von Alstom. Die
Caisse hatte nämlich im Zuge des stets
grösser werdendenFinanzbedarfs von
Bombardierzuletzt einen Anteil von
32,5% an BombardierTransportation.
Bei der Beurteilung des gesamtenVer-
kaufspreises gilt es deshalb zu berück-
sichtigen, dass derselbe Prozentanteil
nichtanBombardiergeht,sondernandie
Pensionskasse. Manrechnet damit, dass
Bombardier selber zwischen 4,2 und4,5
Mrd. $ für sich beanspruchen kann. Im
Blick auf die gesamteVerschuldung von
mehr als 9 Mrd. $ ist dies zweifellos ein
willkommener Zustupf. Ob Bombardier
bzw. BombardierAviation – so heisst die
AbteilungderBusinessjets–damitleben
kann,wird sich weisen müssen.
«Reflexe», Seite 32
Das Fertigungswerk im deutschenBautzen soll schon baldnicht mehr in kanadischer, sondern in französischer Hand sein. FILIP SINGER/EPA
Kanadas Aushängeschild schrumpft zum Rumpfunternehmen
Das grösste kanadische Unternehmen verliert an internationaler Bedeutung
KARL FELDER,VANCOUVER
Wie sich doch die Zeiten ändern. Nur
wenigeJahre ist es her, dass sich sowohl
die kanadischeRegierung alsauch di e
Regierung der Provinz Quebec durch
nichts davon abhalten liessen, Bom-
bardier mit noch mehr Geld unter die
Arme zu greifen. Nun ist die Blase ge-
platzt; innert wenigerTage hat sich die
Firma Bombardier von der Produktion
vonkommerziellenFlugzeugenundauch
von ihrem in Berlin stationierten Stand-
bein Bahnsektor (BombardierTrans-
portation, BT) verabschiedet.Was übrig
bleibt, ist imWesentlichen eine leereFir-
menhülse, bestehend aus der Produktion
von Businessjets (BombardierAviation),
und auch dort ist nicht sicher, ob diese
LösungaufdieDauerBestandhat.Damit
sche itert einmal mehr eines der wenigen
multinationalen Unternehmen Kanadas.
Was imJahr 1934 mit Schneemobi-
len seinenAnfang nahm,hatte sich über
die Jahre hinweg zu einem stark diversi-
fizierten Unternehmen entwickelt. Der
Ankauf von Flugzeugproduzenten wie
Canadair, Shorts Brothers, Learjet und
de Havilland führte zu einer weltweit
respektierten Flugzeugsparte, die sich
mit ihrenRegionalflugzeugen und Bu-
sinessjets einen Namen machte und die
mit Unternehmen wie der japanischen
Mitsubishi und Brasiliens Embraer mit-
zuziehen vermochte. In den1970er Jah-
ren begann man sodann mitdemBau
von Eisenbahnkomponenten für die
Metro in Montreal.Firmen wie Budd,
Pullman undAdtranz wurden übernom-
men, und es folgtenAufträge aus dem
nahen und fernenAusland, unter ande-
rem auch aus der Schweiz. Noch heute
sind dieAuftragsbücher dieser 36 000
Angestellte umfassenden Unterneh-
menssparte prallvoll.
Später, vor rund zwanzigJahren, be-
gann sich Bombardier mit dem Entwurf
eines neuen Flugzeuges zu beschäfti-
gen, der sogenannten C-Serie. Dazu
brauchte man jedoch Geld, und so kam
es 2003 zum erstenVerkauf eines weni-
ger zentralen Unternehmensteils, jenem
der Abteilung BombardierRecreatio-
nal Products (BRP), die noch heute un-
abhängig und erfolgreich Schneemobile
herstellt. Paul Tellier, Bombardier-Chef
bis 2014, bezeichnete den neuen Flug-
zeugtraum schon damals als Kamikaze-
Idee. Er sollte leiderrecht bekommen.
Zwar ist das Flugzeug technisch ge-
sehen zweifellos ein Erfolg, sonst wäre
Airbus wohl kaum eingestiegen; indes-
sen überforderte die C-Serie, heute als
Airbus A220 bekannt, die finanziellen
Möglichkeiten von Bombardierdeut-
lich. Bald musste man deshalb auch die
SparteRegionalflugzeuge an Mitsubi-
shi Heavy verkaufen; dieWasserbom-
ber und dieTurboprops der Q-400-
Serie stiess man schon früher eben-
falls ab, wie auch das Zulieferwerk in
Nordirland.
All dies erwies sich letztlich alsTrop-
fen auf den heissen Stein.Vor Wochen-
fr isttratBombardierihreBeteiligungam
Airbus A220 ab; das Unternehmener-
hält dafür mickrige 600 Mio. $, muss da-
für aber auchkeine weiterenVerpflich-
tungen übernehmen. Indes sind die
Träume, mit den Grossen der Branche
(Airbus und Boeing) mitspielen zukön-
nen,definitivausgeträumt.DieEntwick-
lungskosten für die C-Serie von mehr als
6 Mrd. $ sind derweil weiterhin abzutra-
gen, und in diese Lücke springt nun die
französische Alstom, die 5,8 Mrd. bis
6,2 Mrd. € für BombardierTransporta-
tion entrichten will, wobei einTeil da-
von allerdings Quebecs Caisse de dépôt
et placement zusteht, welche an BT mit
rund 33% beteiligt ist.
Was bleibt, ist einRumpfunterneh-
men. DieKonsequenzen für die Be-
troffenen imBahnsektor sind vorerst
unklar. Möglicherweise ist das Unter-
nehmen noch zurett en; vom multi-
nationalen Charakter bliebe allerdings
wenig. Die Gründe für denKollaps die-
ser lange Zeit als Vorzeigeunterneh-
men gepriesenenFirma sind zweifel-
los vielfältig. Unzweifelhaft ist jedoch
der Versuch, sich vom internationalen
Flugzeugmarkt ein grösseres Stück zu
sichern, deutlich fehlgeschlagen. Nicht
wenige Beobachter machen für diese
Entwicklung letztlich die Besitzerfami-
lien Bombardier und Beaudoin verant-
wortlich, die gegen alleRatschläge und
Widerstände viaVorzugsaktien nach wie
vor alleskontrollieren und dominieren,
einschliesslich derPersonalpolitik auf
höchster Ebene. Ein zeitgerechtes Ab-
treten der Besitzerfamilien bzw. die Ein-
führung einer zeitgemässen Besitzstruk-
tur hätte aus dieser Sicht einenVerzicht
auf die C-Serie bzw. einen frühzeitigen
Abbruch deskostspieligen Experimen-
tes zurFolge gehabt, dafür höchstwahr-
scheinlich aber anderePerspektiven er-
öffnet. Diese Chance ist vertan.