Dienstag, 18. Februar 2020 INTERNATIONAL 3
Von beiden Mannschaften unter Beschuss
Griechenlands Minister präsident Mitsotakis mischt sich in den Streit zwischen zwei Fussba llvereinen ein und verbrennt sich dabei die Finger
VOLKERPABST, ATHEN
Die scharfeKonkurrenz zwischen Grie-
chenlandserfolgreichstenFussballklubs,
Olympiakos Piräus undPaokThessa-
loniki, war immer mehr als ein sport-
licherWettbewerb. Es geht um die his-
torische Animosität zwischen der Gross-
region Athen, zu der auch die Hafen-
stadt Piräus zählt,und dem kulturell so
andersartigen Norden desLandes mit
seiner grössten StadtThessaloniki.
Und seit bald einemJahrzehnt geht
es auch um die persönlicheFeindschaft
der beidenVereinsbesitzer. Die Oligar-
chen Evangelos Marinakis (Piräus) und
Ivan Savvidis(Thessaloniki)gehören zu
den einflussreichsten Geschäftsleuten
Griechenlands, auch dank ihren jewei-
ligenFussballklubs.
Ein Oligarch, zweiKlubs
Vor diesem Hintergrund wurde in den
vergangenenWochen besonders deut-
lich, wie politischFussball in Griechen-
land ist. Ministerpräsident Kyriakos
Mitsotakis hatte sich in einen Streitfall
eingemischt und schaffte es mit seinem
unglücklichen Manöver, innert kürzes-
ter Zeit beideLager gegen sich aufzu-
bringen. KommendeWoche wird auf
Einladung derRegierung eine hoch-
rangige Delegation vonFifa und Uefa
in Athen erwartet, um die Affäre zu
untersuchen.
Ein Fernsehsender, der zu Mari-
nakis’ Medienimperium gehört, hatte
Ende letztenJahres aufgedeckt, dass
Savvidis über eine Holding auf Zypern
nebenPaokThessaloniki auch an einem
zweitenVerein der griechischen Super
League Anteile hält, dem Xanthi FC.
Dies ist laut hiesigen Bestimmungen
unzulässig. DerFussballbund entschied
imJanuar darauf, dass Xanthi und der
TabellenerstePaokzur Strafe in die
zweite Liga zwangsversetzt würden.
Dieslöste im Norden desLandes
einen Sturm der Empörung aus. Der
Erfolg vonPaok ist für die gesamte
Region, die sich traditionellvom Macht-
zentrum in Athen vernachlässigt fühlt,
identitätsstiftend.Dererste Meister-
schaftstitel nach dreieinhalbJahrzehn-
ten war im vergangenenJahr weit über
die sportliche Dimension hinaus von
Bedeutung gewesen.Dasselbe gilt für
Savvidis’ Investition inPaok, die diesen
Erfolg erst möglich gemacht hat. Der
Kauf desFussballvereins war aber auch
derTüröffner für ein weitreichendes ge-
schäftliches Engagement in Nordgrie-
chenland, das den russischstämmigen
Oligarchen zur wohl einflussreichsten
Person vonThessaloniki gemacht hatte.
Der AthenerJournalist Nassos Brat-
sos, der kürzlich ein Buch überFussball
in Griechenland im 20.Jahrhundert ver-
öffentlicht hat, erklärt im Gespräch, dass
Investitionen in denFussball in Grie-
chenland meistens strategischer Natur
seien. Geschäftsleute erwürben einen
Verein, um politischen und gesellschaft-
lichen Einfluss zu erlangen, der letztlich
den Geschäftsinteressen diene. Bei den
Stadtratswahlen in der Hafenstadt Piräus
erhielt derReeder Evangelos Marinakis,
der Besitzer von Olympiakos, 20 14 und
2019 jeweils am meisten Stimmen.
DieRegierung vonKyriakos Mitsota-
kis stellte sich anfänglich hinter den Ent-
scheid desFussballbundes, denRegel-
verstoss mit einer Zwangsversetzung zu
ahnden. Der nordgriechische Europa-
abgeordnete und ehemaligeFussball-
starThodoris Sagorakis, der daran Kri-
tik geäussert hatte, wurde umgehend aus
derRegierungspartei Nea Dimokratia
ausgeschlossen. Doch dann wurde der
Druck aus dem Norden zu hoch. Mili-
tanteFans kündigten an, dieAutobahn
zwischen Athen undThessaloniki zu
blockieren, Ministerwurden bedroht.
Daraufhin änderte dieRegierung eiligst
das Gesetz, so dass denVereinen von
Ivan Savvidis nur noch ein Punktabzug
statt des Zwangsabstiegs droht.
Mitsotakis’konservative Nea Dimo-
kratia ist seit dem Machtwechsel vergan-
genesJahr im Norden ohnehin in der
Defensive. ImWahlkampf hatte Mit-
sotakis das vor allem in Nordgriechen-
land bekämpfte Abkommen von Prespa,
das den Namensstreit mit Nordmazedo-
nien beilegte, aufs Schärfste verurteilt.
AlsRegierungschef setzt er den histo-
rischenKompromiss, der Griechenland
aussenpolitisch grosseVorteile bringt,
aber umstandslos um.
Mit Pistole auf demSpielfeld
Dennoch hat sich die Empörung inThes-
saloniki nicht gelegt. Sollte es zu dem
Punktabzugkommen, dürfte derVerein
zum zweiten Mal in dreiJahren wegen
einerSanktion denTitel verpassen.Vor
zweiJahren büsstePaok seinenVor-
sprung ein, als ihm Punkte aberkannt
wurden, weil der Besitzer Ivan Savvidis
aus Empörung über einen Schiedsrich-
terentscheid mit einer Pistole im Halfter
aufs Spielfeld gerannt war.
Die jüngste Affäre wird im Norden
als Manöver dargestellt, um dem Erz-
rivalen Olympiakos den Sieg in der
Meisterschaft zu ermöglichen. Dessen
Besitzer Evangelos Marinakis steht,
wie der Grossteil der griechischen
Geschäftselite, traditionell der Nea
Dimokratia nahe. An der Hochzeit der
Schwester von Ministerpräsident Mit-
sotakis, der früherenAussenministerin
DoraBakoyanni, war erTr auzeuge. Der
Besitzer vonPaokThessaloniki, Sav-
vidis, pflegte demgegenüber lange die
Nähe zumLinksbündnisSyriza des frü-
herenRegierungschefs Alexis Tsipras.
Doch auch in Piräus ist man unzufrie-
den über die plötzliche Milde, die dem
Rivalen inThessaloniki von derRegie-
rung entgegengebrachtwird. Entspre-
chendkommt Ministerpräsident Mitso-
takis von beiden Seiten unter Beschuss.
Sowohl Savvidisals auch Marinakis be-
sitzen in Griechenland einflussreiche
Medientitel.Auch von unabhängiger
Seite gibt es Kritik über die staatliche
Intervention in einen sportlichen Streit-
fall. Sie zeuge nicht gerade von der Ent-
schlossenheit desReformers Mitsotakis,
sich gegen den Einfluss des Geldadels
zu stellen.
In den sozialen Netzwerken wurde
derMinisterpräsident verspottet, weil
er auf die nationaleKohäsion verwiesen
hatte, um das Eilgesetz zurechtfertigen:
NachJahren härtester Spargesetze solle
ausgerechnet der Streit zweierFussball-
vereine den Zusammenhalt desLandes
gefährden. Der Oppositionsführer Tsi-
pras fragte imParlament maliziös, wie
Ministerpräsident Mitsotakis mit einem
Machtpolitiker vom Schlage des türki-
schen Präsidenten Erdogan fertigwer-
den wolle,wenn er sich nicht einmal
gegenüber zwei streitenden Oligarchen
durchsetzenkönne. Fussball ist in Grie-
chenland auch ein politisches Instru-
ment. Man kann sich daran leicht die
Finger verbrennen.
DieVerein Paok Thessaloniki (hier im Spiel gegen LokalrivaleAris) drohtwegen einer Sanktion denTitel zu verpassen. DIMITRIS TOSIDIS / EPA
Die Marinen der EU werden wieder patrouillieren
Zur Durchsetzung des Waffenem bargos gege n Libyen wird die Europäische Union Kriegsschiffe ins Mittelmeer schicken
ANDREAS ERNST
Das Uno-Waffenembargo gegen
Libyen sei «ein Witz», hatte die stell-
vertretende Uno-Beauftragte für das
Land amWochenende an der Münch-
ner Sicherheitskonferenz gesagt. In
derTat: Libyen wirdvonWaffen über-
schwemmt. Das droht auch die Krisen-
länderSyrien und Mali in derRegion
weiter zu destabilisieren.
AlsAusgangspunkt einer wichtigen
Migrationsroute an der Mittelmeer-
küste ist Libyen für die EU strategisch
wichtig. Doch weil sich aus dem Bür-
gerkrieg 20 14 ein Stellvertreterkrieg
entwickelt hat, in den Nachbarn,Regio-
nalmächte und selbst EU-Mitgliedstaa-
ten involviert sind, wird eine Lösung
desKonflikts immer schwieriger.Die
Amerikaner geben demKonflikt seit
langemkeine Priorität mehr,und so
fälltermit seinem ganzen Gewicht der
EU vor dieFüsse.
Am Montag sind die EU-Aussen-
minister in Brüssel zusammengetreten,
um ihre Optionen zu diskutieren. Nach
anfänglichemWiderstand von Öster-
reich wurde ein Grundsatzentscheid
getroffen: Es gibt eine Marineopera-
tion, die das Embargo durchsetzen soll.
Wien hatte befürchtet, dass die Präsenz
von Kriegsschiffen vor der libyschen
Küste die Zahl der ablegenden Boote
vervielfachen würde. Die Schlepper
würdenMigranten auf seeuntüchti-
gen Gummibooten losschicken, die
dann von denMarineschiffen gerettet
würden. Der erzeugte «Sog» führe zu
noch mehr Migranten und Opfern im
Mittelmeer.
Befürworter wie der deutscheAus-
senminister Heiko Maas argumentieren
dagegen, dieFrage der Seenotrettung sei
von derDurchsetzung des Embargos zu
trennen: Die Überwachung des Meeres
könne weiteröstlich, abseits der Migra-
tionsroute, durchgeführt werden. Die
Regierung inTr ipolis ist gegen einerein
maritime Operation der EU. Sie erhält
militärische Unterstützung von derTür-
kei auf dem Seeweg, während der ab-
trünnige General Khalifa Haftar aus der
Luft und auf demLandweg mitWaffen
und Soldaten versorgt wird.
Folgenlose Berliner Konferenz
Die EU möchte die Operationen später
ausweiten, um eine möglichst lücken-
lose Überwachung zur See, in der Luft
aber auch am Boden zu gewährleis-
ten. Bis dahin ist es ein weiterWeg, und
ob ihn die Union wirklichgeht, ist an-
gesichts der unterschiedlichen Interes-
sen und der mangelnden militärischen
Mittel unwahrscheinlich. Doch ein
erster Schritt ist getan.
Eine hochrangig besetzteKonferenz
hatte sich imJanuar in Berlin mit den
lokalen Kriegsparteien auf drei Punkte
geeinigt. Der Plan sieht einen anhalten-
denWaffenstillstand vor, verbietet die
Unterstützung der Kriegsparteien durch
Verbündete aus demAusland und ruft
dazu auf, das Uno-Waffenembargo von
2011 effektiv zu überwachen.
Doch kaum waren die Diplomaten
abgereist, setzten sich die Kämpfe fort,
angeheizt durch immer neueWaffen-
lieferungen undTr uppenverstärkungen
durch die ausländischen Sponsoren der
Kriegsherren.
Die deutsche Bundeskanzlerin
Angela Merkel hatte nach der Berliner
Konferenz gefordert, die imFrühling
eingestellte Operation Sophia mit aus-
reichend Schiffen zu versorgen, um das
Waffenembargo wenigstens zuWasser
durchsetzen zukönnen. Der EU-Aus-
senbeauftragteJosep Borrell möchte
dagegen die maritim Operation in eine
umfangreichere EU-Militärmission ein-
betten. Markus Kaim undRené Schulz
von der Berliner StiftungWissenschaft
undPolitik schätzen, dass der Einsatz
von drei bis vierFregatten notwendig
wäre, um die 1700 Kilometer langeKüs-
tenlinie zu überwachen.
Für dieKontrolle des Embargos in
der Luft, wäre die EU auf die Unter-
stützung der Nato angewiesen, weil sie
keine eigenen Mittel zur Luftraumüber-
wachung hat. Um dieAwacs-Maschinen
(fliegendesRadarsystem) zu sichern, so
die Experten der SWP, müsste auf lange
FristeineFlugverbotszone durchgesetzt
werden, was einen ausserordentlichen
Kraftakt der beteiligten Streitkräfte be-
deutete. Zudem bestünde das Risiko
einerKonfrontation von EU-Staaten
mit ihrem türkischen Nato-Partner. Der
politischeWille, sich darauf einzulassen,
ist jedenfalls nicht erkennbar.
Gefahr der reinen Symbolpolitik
Dasselbe gilt auch für dieDurchsetzung
eines Embargos am Boden. Die 430 0
Kilometer langeLandgrenze zu den
sechs Nachbarländern Libyens müsste
mit einigen zehntausend europäischen
Soldatengesichert werden. Ein sol-
chesEngagementwäre nur dann sinn-
voll, wenn dieseTr uppe willens und in
derLage wäre, gegenWaffenlieferungen
aus Nachbarländern, aber auch aus
Russland oderder Türkei energisch
vorzugehen.
Es sei wohl möglich,dass die be-
drängteRegierung inTr ipolis einem sol-
chen Mandat zustimmen würde, schrei-
ben die Experten. Aber Haftar würde
das kaum tun. Ohnehin wäre für einen
solchen Einsatz einrobusteres Man-
dat des Uno-Sicherheitsrats notwendig.
Dass Moskau undWashington dem ge-
meinsam zustimmen würden, sei ange-
sichts ihrer je spezifischen Interessen
undVerbündetenausgeschlossen. Aber
auch die Angst derLänder, dann für
Jahre oder garJahrzehnte in Libyen ge-
bunden zu sein, macht dieses Szenario
unwahrscheinlich.
Angesichts der vielen schlechten
Optionen besteht die Gefahr, dass die
wahrscheinlichste, nämlich Nichthan-
deln oderreineSymbolpolitik, in ihrer
Tr agweite unterschätzt werden.Das be-
deutete, so dieAutoren, eine weitere
Destabilisierung Nordafrikas, die Stär-
kung terroristischer Gruppen und un-
kontrollierte Migrationsbewegungen.
Damit aber gäbe die EU auch den
Anspruch preis, in ihrer unmittelbaren
Nachbarschaft als Ordnungsmacht auf-
zutreten. Der EU-Aussenbeauftragte
Josep Borrell hatte bei seinem Antritt
gesagt, die EU müsse sich entscheiden,
ob sie das Spielfeld anderer Mächte
sein wolle oder ob sie imKonzert der
Mächtigen ihre eigeneRolle spielen
wolle. In Libyen werden die Europäer
bald eine Antwort auf das Dilemma
geben müssen.
BILDER REUTERS
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