Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

32 REFLEXE Dienstag, 18. Februar 2020


Christoph G. Schmutz, Brüssel· Ursulavon der
Leyen scheint sich vom Schweizer Bundesrat in-
spirieren zu lassen.Sie übernimmt in einem heiklen
Dossier nichtFührungsverantwortung, sondern lei-
tet eineVernehmlassung ein. DieRede ist von der
Reform der finanz- und wirtschaftspolitischenKo-
ordination der EU, die am Montagabend auch auf
der Agenda der EU-Finanzminister stand.
Zwei Zahlen in diesemKontext sind einem brei-
teren Publikum bekannt: 60% und 3%. Die Schul-
denderEuro-Mitgliedstaatendürfennichtmehrals
60% des Bruttoinlandproduktes betragen, und der
AusgabenüberschussineinemJahrmaximal3%.Im
Verlauf der Zeit wurden dieseRegeln stetig ausge-
baut; man gewährteAusnahmen und richtete Präzi-
sierungenein. Selbst die EU-Kommission bezeich-
netdasRegelwerkheuteals«übermässigkomplex».
Die Idee hinter derKoordination ist, dass zu
einer einheitlichenWährung mit zumindest teil-
weise vergemeinschaftetenVerpflichtungen eigent-
lich auch eine einheitlicheWirtschaftspolitik ge-
hört. Da es diese in der Euro-Zone nichtgibt, will
man sich freiwillig abstimmen und so eine einheit-

lichePolitik «simulieren». Die Vergangenheit hat
jedoch gezeigt,dass es derKommission schwerfällt,
die Regeln durchzusetzen.
Von der Leyen will nun auch hier «grünes» Han-
deln belohnen. ImVernehmlassungsdokument
fragt die EU-Kommission, wie man Anreize setzen
kann, damit die Mitgliedstaaten im Bereich Um-
welt nötige Investitionen tätigen. Kritiker befürch-
ten, dass «grüne» Schulden aus der Gleichung her-
ausgerechnet werden könnten.Damit wäre man auf
dem Holzweg. Denn ein Gläubiger will sein Geld
zurückerhalten, unabhängig davon, wofür es aus-
gegeben worden ist. W äre es anders, würden wohl
plötzlich viel mehrAusgaben «grün».
Mitgliedstaatenwiedieaufeine sorgfältigeHaus-
haltspolitik bedachten Niederlande finden schon
heute,dassdieKommissiongegenüberLändernwie
Italien zu nachlässig ist.Von der Leyen schiebt die
Diskussion nun auf die langeBank und vermeidet
damitvorersteineweitereGrundsatzdiskussionmit
Sp altpotenzial. Davon hat sie mit den Brexit-Ge-
sprächen und dem dieseWoche anstehenden Streit
um das Mittelfristbudget schon mindestens zwei.

Wirtschaftspolitische Steuerungin der EU


«Grüne» Schulden

sind auch Schulden

DominikFeldges· Es ist erst einJahr her seit dem
Entscheid der EU-Kommission, die Fusion zwi-
schen den beidenRollmaterialherstellern Alstom
und Siemens zu untersagen. Doch bereits gibt es
einen neuen Anlauf zu einer Elefantenhochzeit
in der Branche: Erneut ist der französischeKon-
zern Alstom beteiligt, dieses Mal möchte er mit
der Eisenbahnsparte der kanadischen Bombardier-
Gruppe zusammengehen.
Alstom hat am Montag die Unterzeichnung
einer entsprechenden Absichtserklärung mitge-
teilt. Man sei bereit, Bombardier 5,8 bis 6,2 Mrd.€
für die Übernahme zu zahlen.Einiges deutet darauf
hin,dass dieser Zusammenschluss bessere Chancen
auf eineRealisierung hat – selbst bei den strengen
Wettbewerbshütern in Brüssel.
Die Fusion von Alstom und der Eisenbahn-
sparte des deutschen Industriekonzerns Siemens
scheiterte vor allem daran, dass die EU-Kommis-
sion eine übermächtige Marktstellung der beiden
Anbieter bei der Signaltechnik befürchtete. Auch
im Geschäft mitRollmaterial hätte ihrer Meinung
nach derWettbewerb in Europa nicht mehr aus-
reichend funktioniert.Analytiker der UBS halten
die Überlappungen in diesen Tätigkeitsfeldern bei
Alstom und Bombardier für weniger ausgeprägt.
Bedeutender wäre die Dominanz im Geschäft mit
Hochgeschwindigkeitszügen sowie elektrischen
Triebzügen. Doch hier drücken die Kartellwächter
vielleicht eher einAuge zu.
Doch auch Alstom und Bombardier droht eine
langwierige wettbewerbsrechtliche Prüfung. Im Fall
vonAlstom und Siemens Mobility dauertendieAb-
klärungen fast einJahr. Allerdings steht Alstom

nicht unter Zeitdruck. DerKonzern erfreut sich
angesichts einesVolumens von 43 Mrd. € des bran-
chenweit grösstenAuftragsbestands. Gut gefüllt
sind auch die Orderbücher von Bombardier mit
einemVolumen von knapp 36 Mrd. $, doch hat die
Ertragskraft der Kanadier im Schienenfahrzeug-
bereich zuletzt gelitten.Das Unternehmen kämpft
nicht nur bei den neuen doppelstöckigenTrieb-
zügen für die SBB (FV-Dosto) mit Problemen.
Vor diesem Hintergrund scheint der Zeitpunkt
für die Alstom-Gruppe günstig, sich einen der
Hauptkonkurrenten einzuverleiben. Die organi-
satorischen Probleme bei Bombardier sollten sich
innert nützlicherFrist beheben lassen – auch Als-
tom war vor wenigenJahren mit einer Delle in der
Gewinnentwicklungkonfrontiert. Zudem bietet
sich den beiden Anbietern die Chance, auf Basis
eineskombinierten Pro-forma-Umsatzes von fast
16 Mrd.€ näher an den globalen Marktführer, den
chinesischenKonzern CRRC, heranzurücken, des-
sen Einnahmen 27 Mrd. € erreichen.
Ungemütlich droht dieLage für die verbleiben-
den mittelgrossen Anbieter zu werden, zu denen
nebenSiemensunddemjapanischenAnbieterHita-
chi auch StadlerRail gehört. Sie bringen nicht das-
selbe Gewicht beim Einkaufvon Komponenten auf
die Waage. Auch in derForschung und Entwick-
lung haben sie weniger Mittel. Allerdings hat sich
auch Stadler in den letztenJahren in der Akquisi-
tion vonAufträgen ausgezeichnet geschlagen und
ist in Europa hinter Bombardier und Alstom zum
drittgrössten Anbieter aufgestiegen. Zudem dürf-
tenAlstom und Bombardier nach einerFusion eine
Weile vorwiegend mit sich selbst beschäftigt sein.

Fusionspläne zweier Schienenfahrzeughersteller


Dieses Mal hat Alstom

bessere Karten

«Dank der


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