Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

Dienstag, 18. Februar 2020 SPORT 39


Die guten Zeiten sind noch nicht vorbei

An den Laureus World Sports Awards merken die Legenden des Sports: Der Wettkampf hört einfach nie auf


SAMUELTANNER, BERLIN


Das Leben desWindsurfersRobby
Naish ist angenehmer geworden, seit
er nicht mehr für das bezahlt wird, was
er macht, sondern für das, was er ist.
Unddochkann er sich den unsenti-
mentalen Gesetzen des Sports nicht
entziehen.Das merkt Naish,als er am
Sonntagabend in Berlin in dieKulissen
vonLaureus tritt. Am Abend vor den
LaureusWorld SportsAwards emp-
fangen Legenden des Sports dieWelt-
presse, um die guten Botschaften der
Stiftung auszusenden. MichaelJohn-
son, KatarinaWitt oder LuisFigo sit-
zen jeweils vor einem überlebensgros-
sen Plakat, auf dem ihr Name steht.
Sie wirken wie ihre eigenenAussen-
dienstmitarbeiter.
Robby Naish wurde lange als mehr-
facherWeltmeister bezeichnet, bis das
nicht mehr gross genug klang. Jetzt gilt
er als Legende. Naish ist 56Jahre alt,
aber dieDächlikappe trägt er immer
noch verkehrt. Die Haare und das Ge-
sicht sehen aus, als sei er gerade aus dem
Meergestiegen. Erkönnte sich zurück-
lehnen in seinem Stuhl, aber da hat er
schon festgestellt, wiekompetitiv die-
ses Umfeld hier ist.Wo Sportler sind, ist
ein Wettkampf – nicht umgekehrt.Das
ganze Leben lang.


Im Fitn ess mit Boris Becker


Je mehr Journalisten sich um einen
Sportler gruppieren, desto grösser er-
scheint die Legende. So sind heute die
Regeln.Als das Interview mitRobby
Naish zu Ende geht, merkt er, dass ge-
rade kein nächster Interviewer wartet.
Also stellt er jetzt auch Gegenfragen.
Wokommen Sie her? Ah, sehr schön.
Naish sagt: «Das Interessean denein-
zelnen Sportlern hängt natürlich mit
derPopularität ihrer jeweiligen Sport-
art zusammen.» Man muss immer auch
die Umstände sehen.Dann erzählt er
davon, wie er am Nachmittag den Bus
verpasst hat, weil er noch einigeAuto-
gramme geben musste. Sowieso sehe er
aber alles sehr entspannt.
Am Morgen, sagt Naish, habe er
im Fitnesscenter seines Hotels Boris
Becker getroffen und ihn gefragt, ob er
bereit sei für die Interviews. Er glaube,
Becker mache eine solcheVeranstaltung
nicht wirklichFreude, sagt Naish.
Boris Becker sitzt imRücken von
Naish und wirkt ganz bei sich.Vor ihm


stehenso vieleJournalisten wie vorkei-
nem anderen Sportler, immer wieder
ruft ein anderer eineFrage herein: Herr
Becker, was sagen Sie zuLaureus und
was zu Zverev, und, Herr Becker, kön-
nen Sie etwas zu den vielenTalenten im
deutschenFrauentennis sagen?
AktuelleFragen sind guteFragen
für eine Legende. Sie sagen ihm, dass

die guten Zeiten noch nicht vorbei
sind. Boris Becker ist der ewig17-jäh-
rigeWimbledon-Sieger, aber er ist nie
stehengeblieben: Er wurdeTennis-
experte undTennistrainer, Pokerspie-
ler, Schuldenbekämpfer, Patchwork-
Familiengründer. Heute ist er 52Jahre
alt. Aus der zweitenReihe sind von
ihm nurWortfetzen zu hören: «Wir fei-

ern unsgerne selbst, aber mit gutem
Grund... Laureus isteine tolle Be-
wegung... sechs Millionen Kinder...
Zverev ist erwachsener geworden, viel-
leicht auch?... Es muss immer weiter-
gehen.»
Der Druck darf nie nachlassen, das
betonen Legenden an allenTischen.
DerWindsurferRobbyNaish hat ge-
rade gesagt, ja, er fürchte sich vor dem
Tag, an dem er nicht mehr surfen
könne – denn dieserTag müsse gleich-
zeitig seinTodestag sein.

Grösser als der Sport


Sportler wissen, dass mit der Karriere
auch ihr altes Leben endet. Und sie ah-
nen zumindest, dass sie im neuen Le-
ben nicht noch einmal so erfolgreich
sein werden. AnVeranstaltungen wie
jener vonLaureus fühlen sie noch ein-
mal die alte Bedeutung: überall Mikro-
fone und diese dunklen Mercedes-
Busse mit den getönten Scheiben, die
auf der ganzenWelt wichtige Leute an
wichtige Orte fahren.
Aber am Ende ist so ein Abend für
einen Sportler nicht derDank für die
ve rgangenen Leistungen, sondern nur
ein neuerlicher Leistungscheck:Wo
stehe ich heute? Boris Becker humpelt
inzwischen so heftig, dass man in ihm
auch mit viel PhantasiekeinenTennis-
spieler mehr erkennt – das passt: Er ist
längst grösser als sein Sport.
Noch bedeutender als Legenden, die
bedrängt werden, wirken nurLegenden,
die nicht greifbar sind.Tony Hawk ist
so etwas wie der Erfinder des moder-
nen Skateboardens, einer Sportart, die
in diesem Sommer erstmals olympisch
sein wird. SeinTisch ist leer. Einmal
stellt eine Mitarbeiterin vonLaureus
eineWasserflasche auf, dannräumt sie
die Flasche wieder ab. «He’s doingTV»,
sagt eine andereFrau, er sei an einem
anderen Ort mitFernsehaufnahmen
beschäftigt.
Als Hawk schliesslichkommt, hat
er nur noch ein paar Minuten Zeit, die
Aufregung ist gross, es gibtFragen zur
japanischen Skaterszene und in irgend-
eine Kamera soll er noch sagen: «Hi,
this isTony Hawk for Brütt!»Dann
bricht seine Assistentin dieFragerunde
ab. Tony Hawk lächelt entspannt, be-
vor sie ihn weiter schleust, immer wei-
ter, bis an denRand desRaums. Dort
steht er dann kurz und wartet und weiss
nicht wohin.

SurflegendeRobby Naish:Dächlikappe immer noch verkehrt rum. SIMONHOFMANN / GETTY/ LAUREUS

Die Frustration der Tiger


Interne Unruhen könnten das Eishockey-Team der SCL Tigers di e Play-off-Teilnahme kosten


NICOLA BERGER, LANGNAU I. E.


Heinz Ehlers sitzt imTrainerbüro der
Ilfishalle, neben ihm steht ein Klapp-
bett, das er für Nickerchen nachTrai-
nings oder vor Spielen braucht. Doch
demTrainer der SCLTigers bleibt im
Momentkeine Zeit zur Erholung, es
gilt, dieses schlingerndeTeam wieder
auf Kurs zu bringen.
Gerade hat Ehlers dasVormittags-
training hinter sich gebracht. Er schiebt
sich einen Beutel Snus unter die Ober-
lippe, ehe er die ihm gestellteFrage ver-
handelt: Ob 2019/20 eine gute Saison
war für die SCLTigers, nach 44Run-
den? Ehlers sagt: «Siewar lange sehr
gut, zuletzt nicht mehr.» Sechs der letz-
ten sieben Spiele hat dasTeam ver-
loren,die Negativserie dürfte denKlub
die Play-off-Teilnahmekosten. Aber er
ist immer noch Zehnter, was ein Erfolg
ist, eigentlich, weil das Kader aus dem
klassischen Mix einesVerliererteams be-
steht: aus Desperados, ewigenTalenten,
Billigarbeitern undRomantikern.
Seit Ehlers die SCLTigers im Herbst
2016 nachderen schlechtestem Saison-
start der Klubgeschichte übernahm, hat
derDäne dasPotenzial dieser Mann-
schaft fast immer ausreizenkönnen.
Dank hingebungsvollem Defensivspiel


schafften es dieLangnauer imVorjahr
erstmals seit achtJahren wieder in die
Play-offs. Die Qualifikation war vor
allem dasVerdienst des perfektionisti-
schen und etwas schrulligenTrainers.
Bis Dezember schien es, als könnte
Langnau die Kadenz halten und das
System noch einmal austricksen, indem
eiserne Disziplin dasTalent derKonkur-
renz schlägt. Doch die Dinge sind zuletzt
ins Wanken geraten. Es fragt sich, ob es
Zufall ist, dass derVerein just dann in die
Kriserasselte, als die Irritationen um den
pflegeintensiven Kanadier Chris DiDo-
menico begannen. Der ebenso begabte
wie aufrührerische Stürmer ist imWe-
sen eineReinkarnationdesLangnauer
Jahrzehntspielers Todd Elik und fühlte
sich im Stolz verletzt, als der Sportchef
MarcoBayer der «Berner Zeitung» im
Dezember sagte, es sei ungewiss, ob man
denVertrag verlängern werde.
So harmlos das Zitat, so gross die
Aufregung. Am Ende drehte DiDome-
nico den Spiess um und unterschrieb
bei Fribourg-Gottéron. Wenn man
Ehlers fragt,ob dieUnruheim Klub
ein Grund für dieBaisse gewesen sei,
sagt er: «Es gab schon Unruhe, aber das
wurde medial aufgebauscht.Inzwischen
ist es lange vergessen.»Wie lange? Ein
paarWochen? «Eher einigeTage», sagt

Ehlers. Es sagt viel aus über den Mikro-
kosmosLangnau, dass die Zukunft eines
Einzelnen denVerein derart aufwühlen
kann. Nun fragt sich, ob die Probleme
diesesTeams behebbar sind.Wenn nicht,
ist sogar der Ligaerhalt in Gefahr.
DerFrustpegel ist hoch im Klub, das
lässt sich invielerlei Hinsicht erkennen.

An der Disziplin etwa: Langnau hat
hinter Ambri am zweitmeisten Zwei-
minutenstrafen erhalten. An denDar-
bietungen DiDomenicos, dessenAuf-
tritt gegen die ZSC Lions vom Samstag
von der Lokalzeitung als «Ärgernis» be-
zeichnet wurde. Und ein bisschen auch
am Coach.«Was soll ich machen, wenn
die besten Spieler unnötige Strafen neh-
men? Ich kann sie nicht mit weniger
Eiszeit bestrafen, ich brauche sie», sagt
Ehlers. DieAussageoffenbart eine ge-

wisse Ohnmacht, die dem sehr schwa-
chen Kader geschuldet ist.Langnau hat
die schwächste Offensive und das ineffi-
zientestePowerplay. Es gibtkeinen ein-
zigen Schweizer Spieler mit mindestens
zehn Saisontoren.
Es spricht für denTrainer, dass sich
Langnau trotzdemnoch im Rennen
um die Play-off-Qualifikation befindet.
Auch wenn Ehlers kaum glauben mag,
dass dieAusgangslage so gut ist. Auf die
Frage, ob es auch etwas gebe, was sein
Team besser mache als imVorjahr, ant-
wortet er:«Nichts.» Und er fügtan: «Gar
nichts.» Ein bisschen scheint der Coach
in diesenTagen an diesemTeam zu ver-
zweifeln.Das schürt im Dorf die Angst
vor einem vorzeitigen Abgang desTrai-
ners, der auch die dänische National-
mannschaft führt.
Es ist eine der grossen unbeantwor-
tetenFragen des Schweizer Eishockeys:
was Ehlers mit einem begabtenTeam an-
stellenkönnte. Es gibt Leute inLangnau,
die befürchten, Ehlers wolle sich bald an
die Auflösung desRätsels machen. Auf
die Frage danach sagt er nur:«Ich habe
hier nächste Saison noch einenVer-
trag.»Wie eine Liebeserklärung klingt
das nicht. Aber wahrscheinlich ist der
derzeitige Schwall an Niederlagen auch
nicht die richtige Staffage dafür.

«Ich habe hier
nächste Saison
noch einen
Vertrag.»

Heinz Ehlers
Trainer
PD der SCL Tigers

Die ZSC Lions


sichern sich ab


Engagement des schwedischen
Torhüters PetterssonWentzel

nbr.· Kurz vor der Schliessung des
Transferfensters haben die ZSC Lions
am Montag erneut einen ausländischen
Torhüter verpflichtet:FredrikPetters-
son trägt denselben Namen wie der
ZSC-Stürmer, sein Nachname ist aber
mit dem ZusatzWentzel versehen.Pet-
tersonWentzel, 28, stösst vom schwe-
dischen Erstligisten Oskarshamn zu
den Zürchern; der ZSC-Trainer Rikard
Grönborgkennt ihn aus der schwedi-
schen Nationalmannschaft. Er ist nach
demFinnenJoni Ortio der zweite aus-
ländischeTorhüter auf der ZSC-Lohn-
liste, was ein Novum darstellt. Doch Or-
tio ist verletzt, und es ist nicht klar, ob
er zumPlay-off-Beginn einsatzfähig sein
wird. Die bei Blessuren sehrgeheimnis-
krämerischen Zürcher sprechen davon,
dass dieLage «vonWoche zuWoche»
evaluiert werde. Weil auch der Gesund-
heitszustand von Lukas Flüeler fragil
ist , entschied sich der SportchefSven
Leuenberger für eine Absicherung. Zu-
mal mit den GCK Lions und den Elite-
Junioren zwei weitere Equipen aus der
ZSC-Organisation Play-offs bestreiten
werden und somit ebenfalls aufTorhüter
angewiesen sind. Leuenberger sagt: «Wir
wollenkeine Risiken eingehen.»

Rassistische


Beleidigungen


in Portugal


Marega verlässt das Fussballfeld


clr.· In der 60. Minute schiesst Moussa
Marega vom FCPorto am Sonntag aus-
wärts gegenVitória Guimarães dasTor
zum 2:1. Neun Minuten später läuft Ma-
rega mitten im Spiel vom Platz. Ein Mit-
spieler versucht ihn am Arm zurückzu-
ziehen, ein andererreisst ihn am Leib-
chen. Der eigeneTorhüter zeigt Marega
den Vogel. Mitspieler und derTrainerre-
den auf ihn ein, umklammern ihn. Ma-
rega zeigt mitbeiden Daumen gegen
den Boden,reisst sich los, deutet mit der
Hand an, dass er ausgewechselt werden
will.Dann verschwindet erin der Kabine.
Der Schiedsrichter zeigt die gelbe Karte.
DerGrund für Maregas wutent-
brannten Abgang warenrassistische Be-
leidigungen.Anhänger vonVitória Gui-
marães hatten denStürmer aus Mali aus-
gebuht,Affenlaute gemacht.Laut portu-
giesischen Medien hatten Zuschauer gar
eine Sitzschale nach Marega geworfen.
Sie hatte ihn knapp verfehlt.
Portos Trainer Sérgio Conceição
sagte nach dem Spiel, Marega sei schon
beim Aufwärmen von gegnerischen
Fans beleidigt worden:«Wir sind völ-
lig empört über das, was passiert ist.Ich
weiss um die Leidenschaft, die für den
Verein besteht, und ich denke, dass die
meistenFans nicht die Haltung einiger
Leute teilen, die hier aufgefallen sind.
Wir verdienenRespekt.Was hier pas-
siert ist, ist unglücklich.» Die obligate
Pressekonferenz liess Conceição aus
Protest ausfallen.Portos Spieler wei-
gerten sich nach derPartie, Interviews
zu geben. Marega schrieb am Sonntag-
abend auf Instagram: «Den Idioten, die
ins Stadionkommen, umrassistische
Rufe von sich zu geben, möchte ich sa-
gen:Verpissteuch!»
Dann wandte sich Marega an die
Schiedsrichter: «Ich danke auch den
Schiedsrichtern, dafür, dass sie mich
nicht verteidigt haben. Und mir eine
gelbe Karte zeigten, dafür, dass ich
meine Hautfarbe verteidigt habe. Ich
hoffe, ich sehe euch nie wieder auf dem
Fussballplatz. Ihr seideine Schande!»
SportlicheKonsequenzen hatte der
Vorfall bisher nicht.Nach Maregas Ab-
gang setzte der Schiedsrichter diePartie
fort.Für Marega wurdeWilson Manafá
eingewechselt.Porto siegte 2:1.
Brisant ist: Marega spielte in der Sai-
son 2016/17 selber fürVitória Guimarães,
Porto hatte ihn damals an denKonkur-
renten ausgeliehen. Marega erzielte da-
mals14 Tore für Vitória Guimarães.
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