Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.02.2020

(Jacob Rumans) #1

SEITE 6·DIENSTAG, 18.FEBRUAR2020·NR.41 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Wirschreibe ndas Jahr 1980. Es istdas
Jahr der deutschen Wiedervereinigung.
Nein, es handelt sichnicht um einen
Druckfehler,sondernumdas Ende eines
Planspiels, wie es Egon Bahr Mitteder
sechziger Jahre entwarf. „Ichwünschte“,
schrieb er,„es gäbe einePolitik,die das
Ziel schneller erreicht .Aber sie istnir-
gendwozusehen.“
Deutlicher als an andererStelle tritt in
der nun erstmals vollständig veröffentlich-
tenSchrift „Was nun?“ aus dem Jahr 1966
sein zentrales Ziel hervor: die deutsche
Einheit.Sie sei, davonwar er überzeugt,
nicht mehr als einzelner Akt denkbar,son-
dernerforder eeinen längeren histori-
schen Prozessder kleinen Schritte, den er
skizzierte und in Ganggesetzt sehenwoll-
te.Inseinem ausgeklügelten Mehrstufen-
plan, der mal leichtfüßig, mal im Duktus
eines Sicherheitsexperten daherkommt,
sah er dafür unter anderem die De-facto-
Anerkennung der DDR, die Herauslösung
der beiden deutschenStaaten aus den
Bündnissystemen und ihreEinbindung in
ein neues europäisches Sicherheitssystem
vor. So sei einZustand der Sicherheit für
und vorDeutschland erreichbar.Indiesen
Thesen, ob der temporären Akzeptanz
deutscher Zweistaatlichkeit oder der Her-
auslösung der Bundesrepublik aus der
Nato,lag politischer Sprengstoff.
Bahr selbstspricht eingangsvoneiner
„positiven politischen Utopie“, die nach


der Ära Adenauer „unentbehrlich“ er-
scheine, um „die ungeheuren Geröllhal-
den der deutschen Teilung wegzuräu-
men“ und die „immergrößereKluftzwi-
schen denWorten und derWirklichkeit“
zu schließen. SeinVorgesetzter,der Berli-
ner Regierende BürgermeisterWilly
Brandt, als dessen Senatspressechef Bahr
wirkte, befürchtete, dassmit einer sol-
chen Veröffentlichung zu vielStaub aufge-
wirbeltwerde. „Er hattewohl recht“,
meinteBahr noch1991 und beließ es bei
einer kleinen Spur des Zweifels.
Umso mehr hätteihn die Publikation
im dreißigstenJahr der Einheitgefreut,
wie siePeterBrandt und JörgPache nun
in gelungenerWeise besorgt haben. In ih-
rerEinleitung ebenso wie in den Einzel-
kommentaren liefernsie vielfältigeHin-
tergrundinformationen zur Geschichte
des Kalten Krieges, zur Entspannungspo-
litik und zu BahrsBiographie. Wasdarin
steht, istsachlichgehalten und dochmit
einiger Sympathie für den Protagonisten
der Schriftverfasst. PeterBrandt istein
nüchternargumentierender Historiker,
aber auchder älteste Sohn vonBahrszen-
traler politischer Bezugsperson.Zudem
sind die zeitweiligen Affinitäten des „lin-
kenPatrio ten“ zu BahrsÜberlegungen ei-
ner alternativen Deutschland- undSicher-
heitspolitikkaum zu übersehen.
Gewissist die vorrangigeAufgabe einer
Edition nicht, Kritik zu üben, sondernein

Dokument in seinen zeitlichenKontexten
erkennbarwerden zu lassen. Diesewert-
volle Grundlagenarbeit liefernBrandt
und Pache. In welchscharfesKreuzfeuer
der Kritik der eigenwillige Denker und
Stratege Bahr mit seinen Ideen wiederholt
geriet,deuten sie indes nur an.
„Was nun?“ lag zwar jahrzehntelang
verschlossen in der Schublade, ein ande-
resPlanungspapier Bahrsaus dem Jahre
1968 wurde aber fünf Jahre spätervon
der Illustrierten„Quick“, wie es heute
wohl hieße,geleakt.Unter derreißeri-
schen Überschrift„WieEgon Bahr
Deutschland neutralisieren will“ präsen-
tierte die auflagenstarkeZeitschriftseine
Überlegungen zurÜberwindung der Blö-
cke, zur Schaffung eines europäischen Si-
cherheitssystems und zurWiedervereini-
gung.Wieschon früherbrachte ih mdas
den dreifachenVorwurfein, er sei natio-
nalistisch, neutralistischund antiwestlich
gestimmt.Auchinspäteren Jahren wie-
derholten so unterschiedliche Kritiker
wie Arnulf Baring, Gesine Schwan und
HenryKissinger die Klage. Der einstige
amerikanische Außenministernannte
Bahr einen „deutschen Nationalisten“,
der „kein überzeugter Anhänger derwest-
lichen Gemeinschaft“ und „freivonallen
gefühlsmäßigen Bindungen an dieVerei-
nigtenStaaten“ sei.
Wiesehr Bahr nochnachdem Vollzug
der deutschen Einheitvorallzu großer

„Amerika-Beflissenheit“warnte,unter-
strich er 2003 mit seiner Streitschrift
„Der deutscheWeg“, in der er unterVer-
wendung dieseshistorischhöchs taufgela-
denen Begriffs die Normalisierung eines
allzu vergangenheitsfixiertenNationsver-
ständnisses anregte. Nursokönne
Deutschland eineFührungsrolle imRah-
men europäischer Sicherheitsstrukturen
einnehmen. „Hätteein CDU-Vordenker
solche Sätze publiziert“, lauteteein spit-

zer Kommentar in dieserZeitung, „hätten
die Jusos früher Mahnwachen vordem
Konrad- Adenauer-Haus aufgestellt.“
Ob sichvon Egon Bahr für die interna-
tionalen Herausforderungen der Gegen-
wartnochetwas lernen lä sst, magmanbe-
zweifeln. Mit seiner Schrift„Wasnun?“
sind aber die ebenso zeitgebundenen wie
provokativen Thesen eines der letzten
großen Intellektuellen undStrategen der
deuts chen Sozialdemokratie wiederzuent-
decken. ALEXANDERGALLUS

PeterBrandt /JörgPache
(Hrsg.): Egon Bahr.Was
nun? EinWegzur
deutschen Einheit.
Suhrkamp Verlag, Berlin


  1. 222 S., 24,– €.


Wenn es nicht Ergebnis einergediegenen
Analysedes Historikers RonnyHeiden-
reich wäre,würde man seine Quintessenz
im „Neuen Deutschland“verorten: „Die
DDR-Spionageblieb in der AmtszeitRein-
hardGehlensweitgehend dysfunktional
und defizitär.“ Sie habe sichinden Jahren
von1949 an bis 1968 in einer „desolaten
Verfassung“ befunden. Bis zum Jahre
1953 sei es demVorläufer des Bundes-
nachrichtendienstes(BND) zwargelun-
gen, ein mehrerehundertV-Personen um-
fassendes undwahrscheinlichflächende-
ckendesNetz für die Beobachtung der
sowjetischenTruppenaufzubauen–von
in der Summeetwa 1000 V-Personen in
der DDR.Aber:Das reicht ezwarfür einfa-
cheBeobachtungsoperationen, nicht je-
dochfür Quellen in Spitzenpositionen
vonWirtschaftund Verwalt ung oder des
Militär-und Sicherheitsapparates.
Mehr noch: „In dieserFrühphase wur-
den die eigenen Mitarbeiterregelrechtver-
heizt“, konstatiertHeidenreich. Dabei
stand der BND-Vorläufer in direkterKon-
kurrenz zum Bundesamt fürVerfassungs-
schutz sowie dem Berliner Landesamt für
Verfassungsschutz, die jeweils eigene
DDR-Spionagebetrieben. Durchaus er-
folgreicher als derBND: DasBerliner Lan-
desamt erhielt beispielsweise durch eine
Innenquelle beim Ministerium fürStaatssi-
cherheit (MfS) bereits ab Juli 1953 zeitnah
Vernehmungsprotokolle–sowie auchzu-
letzt aus dem MfS-Auslandsnachrichten-
dienstHauptverwaltung AQuellenmel-
dungen, die das inoffizielleNetz in der
Bundesrepublik empfindlichberührten.
Deren Quelleetwa im BND, Alfred Spuh-
ler,wurde durchdas Berliner Landesamt
enttarnt;operativeLeistungen in der
DDR-Spionage, an die der BND zukeiner
Zeit hat anknüpfenkönnen. Daskonsta-
tiertauchHeidenreich:„Abweichendvon
einer in derForschung teilweisevertrete-
nen Meinung,welche dieFähigkeit der
westlichen Dienste,sichZugängeindie
Entscheidungszirkeldes Ostblocks zu ver-
schaf fen, als sehrgering einschätzt“–was


die geringeoperativeAusbeutedes BND
als Normalfall erklärenkönnte–,„liefern
die BND-Aktenreichlic hHinweise, dass
die amerikanischen Dienste,aber auch
der Verfassungsschutz über Quellen und
Methoden der Informationsverarbeitung
sowie über das analytischePotentialver-
fügten, um an belastbareInformationen
aus dem SED-Parteiapparat zugelangen.“
Die Verhaftungswellen vonV-Perso-
nen des BND in der DDR in den Jahren
1953 und 1955, die damitverbundenen
Schauprozesse, schreckten nichtwenige
potentiell Interessierte ab, für denNach-
richtendienstinPullachzuarbeiten. Bis
zum Mauerbau schmolz die Anzahlvon
V-Personen des BND auf 250, bis zum Jah-
re 1968 warsie auf „weniger als 20gesun-
ken“. Heidenreichmacht für diese „Läh-
mung“ operativer Arbeitvorallem die „al-
tenKameraden“verantwortlich, dievon
einem angenommenen Nimbus zehrten
und erkannteSicherheitsmängel nicht be-
reinigt hätten, sowie die Qualitäten der
Spionageabwehr des MfS. Die Enttar-
nung des Leitersder BND-Spionageab-
wehr,Heinz Felfe, alsKGB-Maulwurfim
November 1961 unterstreicht das.
Mithin gibt es nun durch die Analyse
Heidenreichs einen Mythosweniger :Seit
Oktober 2016 legt dieUnabhängigeKom-
mission zur Erforschung der Geschichte
des Bundesnachrichtendiensteseinen
Band nachdem anderenvor. Mit Heiden-
reich also den elftenBand, den er als wis-
senschaftlicher Mitarbeiter derKommissi-
on in den Jahren bis 2017 erstellt hat.
Das Erfreuliche an dieser Analyse–
teils imUnterschied zu anderen Arbeiten

der UnabhängigenKommission–ist die
Nutzung eines breiten Quellenfundus –
der amerikanische wie britische Akten
ebenso einbezieht wie einen entspannte-
renUmgang mit anderen Historike rn
pflegt wieetwa zu ErichSchmidt-Een-
boom, dem Heidenreich„kenntnisreiche
Arbeiten“zuschreibt,die ihm wichtigeAn-
knüpfungspunktegeboten hätten.Wasge-
fällt, is tüberdies das harmonische Inein-
andergleitenvonMikroebene–teils recht
umfassend–und Makroebene.
Im Sommer 1961 stand mit Blickauf die
„Republikflucht“ aus der DDR allein die
FrageimRaum, wann es zu einer Grenz-
schließungkommen würde. Eine Äuße-
rung desStaatsratsvorsitzenden der DDR,
Walter Ulbricht, im März1961 beflügelte
das, wassicherlichAnfang August1961 –
nachlängerenVorbereitungen–mit sowje-
tischem Segen beschlossen wurde. Heiden-
reichklopftdie Aktenlageabund regis-
trier tfür den BND über den möglichen
Zeitpunkt eine glatteFehlbewertung.
AufBasisvon Angabeneinervermutlich
vorsätzlic hfalsc hinformierenden, vom
KGBgesteuerten Quelleging dieBND-
Auswertungvon einer Entspannungder Si-
tuationaus, e rwartete direkteVerhandlun-
gen, wieesimBND-„Wochenber icht“
dennauchhieß; die SED habe sichdiesem
sowjetischenWillen zu unterwerfen.
Das Bundesamt fürVerfassungsschutz
gelangteauf Basis seiner Quellenauswer-
tungen zu einem anderen Schluss,wo-
nachesder SEDgegenwärtig nur darauf
ankomme, „denZugang nachWest-Ber-
lin zuversperren“. Der bisher gültigen Be-
wertung der HistorikerArmin Wagner
oder KlausWiegrefe,die auf eine Quellen-
meldungvom11. August1961 abstellen,
nachder mit einer baldigen Grenzschlie-
ßung zurechnen sei,beruhe nach Heiden-
reich auf einer „falschen Interpretation
des Dokuments“. DaskönnteStoff für ei-
nen veritablen Deutungsstreit werden.
Unbeschadetdavongab estatsächlich
präzise Informationen zum Mauerbau:
Nicht der BND, sonderndas Ostbüroder

SPD verfügteinGestalt seiner Quelle
V-610 über einenPotsdamerArzt, der in
einem KrisenstabinunmittelbareVorbe-
reitungen zum Mauerbau eingebunden
war. Er informierte am 5.August1961:
Ulbricht habe sich„mit Plänen bei
Chruschtschowdurchsetzen“können und
sei mit seiner „Forderung bezüglicheiner
AbriegelungderSektorengrenzeinWest-
berlin aufgroßes Verständnisgestoßen“.
Das zu einemZeitpunkt, als der BND
nochvon einemstrikten Nein der sowjeti-
schen Seiteausgegangenwar.
Der BNDgeriet mit seiner DDR-Spio-
nageam13. August1961 in Erklärungsnö-
te. In einer Lageunterrichtung in den spä-
tenAbendstunden unterstrich er,wie Hei-
denreich ausführt, „wiewenig der BND
die mit der Grenzsicherung befassten Ein-
heitenvonPolizei undKampfgruppen im
Blickhatte“. Selbstdie am Brandenbur-
gerTor für die Berliner unübersehbar
agierenden Kampfgruppen konnte der
BND „noch nicht“ bestätigen. Sieben Jah-
re später allerdingsgestand der BND in-
tern ein, dass„der Bau der Mauer nur
eine der Möglichkeiten und insbesondere
hinsichtlichdes Termins nicht zu erfas-
sen“ gewesen sei. Defactowaren die mili-
tärischen Vorbereitungen in der DDR
vomBND nicht erfasstworden, was
durchaus als defizitär zuwerten is t. Und
es wirdals dysfunktional anzusehen sein,
durch sowjetische Desinformation auf die
„falsche Spurgelockt“worden zu sein.
Nicht die Bundesregierungwarauf Höhe
der Lagegesetztworden, sondernder Re-
gierende BürgermeisterWillyBrandt.
Der kanntedie InformationvonV-610 –
vordem Mauerbau.
RonnyHeidenreichhat ein Grundla-
genwerkzur DDR-Spionagedes BNDder
Jahr ebis 1961vorgelegt,auchwenndar-
in einige Operationenfehlen,die sich
aufdie DDR bezogen,aber über andere
Staaten und auchandereStruktureinhei-
tendes BNDrealisiertworde nsind.Das
ände rt jedoc hnichts am Gesamtergeb-
nis. HELMUTMÜLLER-ENBERGS

RonnyHeidenreich: Die
DDR-Spionagedes BND.
Vonden Anfängen bis zum
Mauerbau.
Ch. LinksVerlag, Berlin


  1. 704 S., 50,– €.


POLITISCHE BÜCHER


Vertraute:Egon Bahr und seine zentrale politische BezugspersonWillyBrandt FotoPictureAlliance


AlteKameraden


Ein vernichtendesUrteil über die DDR-Spionagedes frühen Bundesnachrichtendienstes


Viele kleine Schritte


Nach Jahrzehnten in der Schublade: Egon BahrsPläne für eineWiedervereinigung Deutschlands


BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER


Über die skandalösenVorgängeimZu-
sammenhangmit der Wahl eines Minis-
terpräsidenten in Thüringen haben Sie
in dergewohnten Qualität berichtet:
vorzüglic hrecher chierte,faktenreiche
Reportagenund Berichte. Allerdings ist
ein Aspekt deskomplexenGeschehens
sehr im Hintergrund geblieben und al-
lenfalls, zuletzt in der GlossevonRein-
hardMüller (F.A.Z.vom12. Februar)
gestreiftworden: dierechtli cheQuali-
tätder vonSüdafrikaaus er folgten In-
terventionder Bundeskanzlerin,wel-
chedie Wahl als „unverzeihlich“ be-
zeichnetund geford erthat, sie müsse
„rückgängig“gemachtwerden.
Nun, eine unverzeihlicheTorheit der
beteiligten Hauptakteure, der Herren
Mohring undKemmerich,warsie je-
denfalls. Hier haben dieTrojaner das
Pfer dhöchstselbstvor dieTürder AfD
gerollt und (ausdrücklichoder implizit)
zum Betreten eingeladen. Die AfD hat
sicherwartungsgemäß die Chance
nicht entgehen lassen, durch die Wahl
Kemmerichs erstmals in denKernbe-
reichdes ihr bislang so eisernverschlos-
senen parlamentarischen Gestaltungs-
raums einzudringen.
Frau Merkelhat durch ihremassive
Reaktion das Gewicht dieses schweren
Fehlersnochmals erhöht.Politischwar
das meines Erachtens zumindestun-
klug. Aber hat dasVerhalten der Bun-
deskanzlerin aucheine rechtli cheDi-
mension?
Natürlic hist es Unfug, wenn die AfD
hier vonNötigung imstrafrechtlichen
Sinne spricht.Nicht dasStrafrecht, son-
derndas Verfassungsrecht isttangiert.
Frau Merkelhat dieseÄußerung in ih-
rerFunktion als Bundeskanzleringetä-
tigt.Mit derFormulierung „unverzeih-
lich“ mag sie nur eine politische Bewer-
tung ausgesprochen haben. DieForde-
rung der Bundeskanzlerin nachunbe-
dingterRück gängigmachung derWahl
hat indeseine andereQualität.Denn
dieWahldes thüringischenMinisterprä-
sidenten istein Rechtsakt, der unmittel-
bar nur dem thüringischen Landes(ver-
fasungs)rechtunterliegt.Sie is tAus-
druc kder grundgesetzlichgarantierten

Eigenstaatlichkeit Thüringens als Glied-
staat der Bundesrepublik Deutschland
(Art. 20 Abs. 1GG). DieAusübung der
Thüringen insoweit zus tehendenstaat-
lichen Befugnisse ist (vorbehaltlichaus-
drücklichanderweitiger Regelung
durch das Grundgesetz) allein seine Sa-
che(Art. 30 GG).
In diesesKompetenzgefügeund das
verfassungsrechtlichverbriefte Recht
Thüringens aufstaatliche Selbstorgani-
sation hat die Bundeskanzlerin mit der
zitiertenÄußerung eingegriff en. Wenn
Sie öffentlichund inAusübung ihres
Amtes als Spitze der Bundesregierung
(Art. 62, Art. 65 Satz1GG) dieRück-
gängigmachung eines außerhalb ihrer
Zuständigkeit liegendenStaatsorganisa-
tionsaktsfordert, liegt hierin einVer-
stoß gegenein Strukturelement desVer-
fassungsstaates: dievertikale Gewalten-
teilung.Zudem dürftedie Äußerung
der Bundeskanzlerin schwerlichmit
dem imRechtsstaatsprinzip angesiedel-
tenGrundsatz der Bundestreueverein-
bar sein, denn dieserverlangt vonallen
Gliederndes Bundesstaatesgegenseiti-
ge Rück sichtnahmeund Respektierung
der je weiligenKompetenzen.

DIETRICHHÖLZ,VORS. RICHTER AMVER-
WALTUNGSGERICHT,HAMBURG

ZurDiskussion um dieWindkraft: Da
kann man ja langeargumentieren, dass
die Windräder neben der Autobahn
oder an den Deichen derNordsee die
Landschaftnicht „verschandeln“,wenn
es den Gegnerndarumgarnicht geht!
Ichbin LeserRoderic hKammerer dank-
bar,dasserins einem Leserbrief (F.A.Z.
vom31. Januar) endlich„des Pudels
wahren Kern“nennt:Esgeht ums Geld.
Jetzt verstehe ich,warumdie Leuteauf
dem Lande gegenStromtrassen und
Windmühlen auf die Barrikaden gehen.
Das hat sichmir als Städter bisher nicht
erschlossen. Aber übertreibt LeserKam-
merer nicht ebensomaßlos wie diejeni-
gen, die er kritisiert?Kann es wahr sein,
dassein Haus in derNähe einerWind-
mühle oder einerStr omtrasse, das viel-
leicht zwischen 50 000 und 100 000
Eurowertist,einen „Wertverlustin
sechs stelliger Höhe“ erleidet?Würden
sichwirklich Schneisenkomplett wertlo-
ser Immobilien (oder solcher mit negati-
vemWert) entlang derStr omtrassen
durch das ländliche Deutschland zie-
hen? Mirfehlt da die Phantasie.
Der Gedanke, die ernsthaftund mess-
bar negativ Betroffenen angemessen zu
entschädigen, hat viel für sich.Werfür
die Gemeinschaft, die die Energiewen-

de will, ein Sonderopfer bringt, hat im
Prinzip Anspruchauf Entschädigung.
Aber sechsstellig wirddie Entschädi-
gung nur in den seltenstenFällen sein
müssen.Fürunbegründete Ängste und
Hyste riesollteeskein Geldgeben, und
irgendwomussder Stromjaerzeugt wer-
den.
Ichfinde, dassman die 40 Milliarden
Eurofür das„Abfedern“ derFolgen der
Energiewende für die Braunkohlewirt-
schaf tund die in ihr Beschäftigten bes-
serfür dieZukunftals für dieVergangen-
heit ausgeben sollte, oder jedenfalls ei-
nen erheblichen Teil. Diese Zukunft
sind nun mal die „erneuerbarenEner-
gien“ und nachmeinem Dafürhalten
eine KombinationvonOffshore- und
Onshore-Windstrom mit Photovoltaik
und Biogas.Wenn die Bauernund die
Beschäftigten der Braunkohleindustrie
mit GeldvomStaat überschüttetwer-
den, damit sie die Klappe halten und
nicht die AfDwählen (zweifelhaft, ob
das gelingt),kann man dochvon den
Windradbetreibernerwarten, dasssie
den negativ betroffenen Anliegernet-
wasvon derKohle abgeben–beispiels-
weise, indem sieWertverluste entschädi-
gen.

WILFRIEDBECKER, HAMBURG

Zu „Monopol derVerhaltenstherapeu-
ten“ (F.A.Z.vom6.Februar): Ichteile
die Befürchtungen derAutorin, Marian-
ne Leuzinger-Bohleber.Die Approbati-
onsordnung im Zugedes neuenStudien-
gangs Psychot herapie wirddie Monopol-
stellung derVerhaltenstherapie als Psy-
chotherapieansatz weiter ausbauen.
Unddies geschieht aufKosten der Psy-
choanalyse. Es wirdalso in Zukunftzu
einerweiterenVerengung der Psycho-
therapielandschaftinDeutschland füh-
ren, vonVielfalt der fundiertenpsycho-
therapeutischen Angebotekann dann
im Rahmen der universitären Approbati-
onslaufbahnwirklic hnicht mehrgespro-
chen werden.
Vielfalt, wie sie derRealität der mo-
dernenkassenfinanziertenPsychothera-
pie in vielen Ländernder EU längstent-
spricht,findetbei uns nichtstatt.Das
liegt zum einen daran, dassder Staat
der Psychotherapie seit Jahrzehnten ei-
nen Selbstverwaltungsstatus zubilligt
und das darüber installierte Entschei-
dungsgremiumWissenschaftlicher Bei-
rat Psychotherapie im Laufeder Jahre
zu einem Lobbyinstrument mutiertist,
welches der Sicherung der Pfründe der
frühzeitigvertretenen Therapieansätze
dient und nicht zur sinnvollen Entwick-
lung der sichständigverändernden The-
rapielandschaft.
Ähnlichesvollzieht sichanden Uni-
versitäten. Die Einrichtung eines Appro-
bationsstudiums Psychotherapie folgt
seitens der entscheidenden Politiker
nicht so sehr fachlichen Erwägungen
(dafürfehlt ihnen das nötigeFachwis-
sen) sonderndem gängigenTrend, Stu-

diengängezukreieren, deren Sofortver-
wertbarkeit auf dem jeweiligen Berufs-
marktgesichertist.Inwieweit es über-
hauptsinnvoll ist, damit immer jüngere
PsychotherapeutInnen zu rekrutieren,
isteine ganz andereFrage.Auf alleFäl-
le existieren an denUniversitätenkeine
Gremien, die allparteiischeine Lehr-
stuhlbesetzung im Sinne dervorhande-
nen Vielfalt der Psychotherapiekontrol-
lieren würde. Alsowerden dievorwie-
gend verhaltenstherapeutischausgerich-
tete nProfessoren darauf achten, dass
ihreRichtunggenerativgesichertbleibt.
Interessant an den Ausführungenvon
Leuzinger-Bohleber istallerdings, dass
sie er st jetzt,da es der Psychoanalysean
den Kragengeht, zu bemerkenscheint,
wasseit Jahrzehnten imKontextder uni-
versitärenAusbildung und derkassenge-
stützten Psychotherapie stattfindet,
nämlichungebremstesVerhindernkon-
kurrierender Psychotherapieansätze. Es
sei daran erinnert, bis in die achtziger
Jahrehinein wurden auchandereKon-
zeptionengelehrt, Gesprächstherapie,
Gestalttherapie,körperorientierte The-
rapien, Psychodrama und andereFor-
men derHumanistischen Therapie.Mitt-
lerweile haben die lobbyistischenWür-
denträger es in Zusammenarbeit mit ah-
nungslosenPolitikerngeschafft,die ehe-
mals reichhaltigeWiese in eine Mono-
kultur zuverwandeln. Davonspricht die
Autorinkeine Silbe.Verständlich, die
Psychoanalysewar kräftig an diesem
Aussonderungs- undVerhinderungspro-
zessbeteiligt.Nun droht sie unter die ei-
genen Räder zugeraten.
DETLEFKLÖCKNER,FRANKFURT AMMAIN

ZumBeitrag „DieZerstörung der CDU“
(F.A.Z.vom11. Februar): Die Merkel-
Strategie derSozialdemokratisierung
der CDU,welche zu einer Schrumpfung
der SPD führte, hätteaufgehenkönnen,
wenn es die FDPverstanden hätte, in
die Lückezustoßen. Hat sie aber nicht!
WelchGlücksfal lfür die AfD! Die FDP
isteine mit dem Menschenbild des hedo-
nistischorientierten Individualismus
liebäugelnde Ein-Mann-Partei, der es
an wirtschafts- undgesellschaftspoliti-
scher Glaubwürdigkeitfehlt.Statt bei 15
Prozentsteht sie nun bei fünf Prozent.
Die FDP istleider,leider diegroße Ver-
sagerin in diesemTrauerspiel.

DR.CHRISTOPH BERGLAR, KÖLN

Verstoßgegen vertikale Gewaltenteilung


Monopolstellungder Psychotherapie


Versagerin FDP


Sonderopfer für die Energiewende

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