Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
Dieselvergleich

Volkswagen gegen


Verbraucheranwälte


I

m Streit um den geplatzten Die-
selvergleich überziehen sich
Volkswagen und die Anwälte des
Bundesverbands der Verbraucher-
schützer (VZBV) gegenseitig mit Vor-
würfen. VW hatte das Scheitern des
Vergleichs damit begründet, die Ho-
norarforderungen seien intranspa-
rent und zu hoch gewesen.
„Die Prozessanwälte des VZBV be-
standen bis zum Schluss auf eine
Pauschalzahlung von 50 Millionen
Euro“, teilte ein Sprecher von VW
mit. Ausreichende Nachweise, für
welche Leistungen diese 50 Millio-
nen Euro an die Klägeranwälte ge-
zahlt werden sollten, hätten die Ver-
treter des Verbraucherverbandes nie
geliefert. „Einer unabhängigen recht-
lichen Prüfung ihrer Gebührenforde-
rungen haben sie sich verweigert“,
sagte der Sprecher. Aus Kreisen von
Volkswagen war zu hören, ein Ver-
gleich zu diesen Bedingungen sei wo-
möglich sogar strafrechtlich kritisch
gewesen. Man habe sich nicht dem
Verdacht aussetzen wollen, Unter-
nehmensvermögen zu veruntreuen.
Marco Rogert, einer der Anwälte
der Kanzlei RUSS, die den VZBV ver-
tritt, hält dagegen: „Die Vorwürfe
sind unerhört. Wir konnten über-
haupt nicht mit dem Abbruch der
Vergleichsverhandlungen rechnen.
Noch wenige Minuten vor der Presse-
mitteilung hatte VW erklärt, mit den
wesentlichen Bedingungen inklusive
der Honorarregelung einverstanden
zu sein.“ Der Anwalt betonte gegen-
über dem Handelsblatt, dass mit
dem Bruttobetrag von 50 Millionen
Euro alles abgedeckt werden sollte:
die technische Plattform, das benö-
tigte Personal, Raummiete, die recht-
liche Beratung und anderes. „Wir
wollten allerdings die Kontrolle über
die Abwicklung behalten, darauf
wollte sich VW nicht einlassen. Nach
unseren Erfahrungen war das für uns
nicht verhandelbar“, sagte Rogert.
Volkswagen geht jetzt seinen eige-
nen Weg. Als technischer Dienstleis-
ter wurde bereits die Bertelsmann-
Tochter Arvato verpflichtet, sie soll
sich dem Vernehmen nach für 17
Millionen Euro um die Abwicklung
der Fälle kümmern. Der VW-Vor-
stand hat bereits beschlossen, den
Kunden von sich aus das mit dem
VZBV ausgehandelte Vergleichspaket
über insgesamt 830 Millionen Euro
anzubieten. „Wir haben von Beginn
an gesagt, dass eine faire und prakti-
kable Lösung für die Kunden im Vor-
dergrund der Verhandlungen steht.
Deshalb werden wir den Kunden
den bereits ausgehandelten Ver-
gleich anbieten“, sagte VW-Rechts-
vorstand Hiltrud Werner. Die Wolfs-

burger hoffen, auf diese Weise den
Streit mit den Kunden möglichst
schnell lösen zu können.
Am Ende geht es um 260 000
deutsche Dieselkunden des Volkswa-
gen-Konzerns, die sich wirksam an
der Musterklage beteiligt haben. Von
den zunächst 445 000 Anmeldern
hatten sich mehr als 50 000 wieder
abgemeldet. Außerdem gibt es zahl-
reiche Dubletten, Kunden anderer
Hersteller, Fantasieanmelder und an-
dere Unberechtigte, um die die Liste
inzwischen bereinigt wurde. Die
durchschnittliche Entschädigung
läuft auf einen Betrag von 3 200 Euro
hinaus, allerdings variiert der Betrag
je nach Modell, Kaufpreis und Alter.
Als Faustregel gilt: Wer sich nun mit
VW einigt, kann mit einer Zahlung
von 14,9 Prozent des Bruttokaufprei-
ses rechnen.
Wie viele Anmelder sich darauf
einlassen, ist allerdings offen. Ver-
braucheranwalt Rogert rät jeden-
falls von diesem Schritt ab: „Nach
unseren Erfahrungen in den Einzel-
klagen kommt es immer wieder zu
Problemen. Selbst nach abgeschlos-
senen Vergleichen zahlt VW oftmals
nicht. Das zwingt uns zu neuen Kla-
gen“, sagt Rogert.

Streit weiter vor Gericht
Klar ist, dass die Musterfeststellungs-
klage nun weiter vor Gericht ausge-
tragen wird. Laut VZBV gibt es nun
kein Zurück an den Verhandlungs-
tisch. Acht Verhandlungsrunden hat-
te es bis zum Scheitern des Deals ge-
geben. Wenn er zustande gekommen
wäre, hätte das zu einer Rücknahme
der Klage geführt, die am Oberlan-
desgericht Braunschweig geführt
wird. Der Vorsitzende Richter Micha-
el Neef hatte am zweiten Verhand-
lungstag im November 2019 einen
Vergleich angeregt. „Vielleicht wer-
den sie sich dann auch wieder für ei-
ne Konzernmarke entscheiden“, sag-
te Neef in der Verhandlung. Damals
bezeichnete VW einen Vergleich
noch als „kaum vorstellbar“.
Ende des Jahres ging Volkswagen
dann dennoch auf den VZBV zu.
Noch vor Weihnachten gab es die
ersten Gespräche. Anfang 2020 er-
klärten die beiden Parteien dann of-
fiziell, einen Vergleich anzustreben.
Gemeinsames Ziel sei eine „pragma-
tische Lösung im Sinne der Kun-
den“, erklärten die Parteien am 2.
Januar 2020.
Jetzt ist das Tischtuch zerschnit-
ten. Viele Augen richten sich nun
nach Karlsruhe: Am 5. Mai 2020
wird erstmals ein VW-Fall vor dem
Bundesgerichtshof verhandelt.
S. Menzel, V. Votsmeier

gen. Dieses Mal uns, denn offensicht-
lich war das alles eine vorbereitete Ak-
tion. Volkswagen war überhaupt nicht
mehr ernstlich an einem Vergleich in-
teressiert, das ist schade. Dass VW
jetzt mit Schlamm auf unsere Anwälte
wirft, ist erneut ein Zeichen von mie-
sem, peinlichem Stil.


Hatten Sie seit Freitag noch einmal
Kontakt mit Volkswagen?

Nein. Wir haben lange überlegt, wer
jetzt einen ersten Schritt machen soll-
te. Nachdem wir jetzt so derbe gefoult
worden sind, sollte eine Entschuldi-
gung von Volkswagen kommen. Wir
sehen uns jetzt vor Gericht wieder,
die Musterfeststellungsklage läuft nor-
mal weiter. Nach dem BGH-Urteil, von
dem wir alle nicht wissen, wie es aus-
gehen wird, könnte es neue Gesprä-
che geben. Dann nämlich, wenn
Volkswagen nach einem verbraucher-
freundlichen Urteil neuen Gesprächs-
bedarf mit uns sieht. Auf den Mo-
ment, wenn dann bei uns das Telefon
klingelt, freue ich mich. Denn das
dürfte sicherlich andere Konditionen
geben.


Haben Sie eine Erklärung für die Vor-
gehensweise von Volkswagen?

Der Konzern setzt natürlich darauf,
dass viele Autofahrer dieses Angebot
mit der Gesamtsumme von 830 Mil-
lionen Euro annehmen werden. Wie
viele es am Ende tatsächlich werden,
müssen wir sehen. Wer von Volkswa-
gen einen Geldbetrag annimmt, der
weiß nicht, ob es die Summe aus un-
serem ausgehandelten Vergleichsvor-
schlag gewesen wäre. Denn es hätte
auch einen Korrekturbetrag gegeben,
wenn die Summe mit 830 Millionen
Euro zu niedrig ausgefallen wäre. Da-
von lese ich nichts bei Volkswagen.


Sind Sie trotzdem zufrieden?
Wir freuen uns über jeden Euro, den
Volkswagen zahlt. Der Konzern er-
kennt endlich an, dass auch deutsche
Dieselkunden einen Anspruch auf


Entschädigungszahlungen besitzen.
Aber Schutzfaktoren, die wir für die
Verbraucher ausgehandelt hätten,
sind jetzt verloren gegangen. So wird
das eine Solonummer von Volkswa-
gen. Jeder betroffene Autofahrer muss
sich jetzt selbst überlegen, ob er dem
Konzern vertraut.

Sehen Sie weiter gehende juristische
Konsequenzen?
Volkswagen verlässt mit dem jetzt vor-
gelegten eigenständigen Vergleichs-
vorschlag den Rahmen der Muster-
feststellungsklage. VW muss sich jetzt
die Frage gefallen lassen, ob der Kon-
zern nicht allen betroffenen Diesel-
kunden in Deutschland eine Entschä-
digung zahlen sollte. Warum nicht,
wenn Volkswagen den eigenen Vor-
schlag jetzt ernst nimmt? Dann reden
wir aber nicht über einige 100 000
Musterkläger, sondern über Millionen
Betroffene.

Die Musterfeststellungsklage ist sehr
schnell eingeführt worden – mit etli-
chen Konstruktionsmängeln. Ist das
ein Thema für Sie?
Das ist ein Problem. Gemeinsam mit
Volkswagen hatten wir überlegt, der
Justizministerin einen Brief zu schrei-
ben, der auf die Mängel im Verfahren
hinweist. Ja, alle wissen, dass das Ge-
setz Neuland ist. Die Frage, wie ein
gerichtlicher oder außergerichtlicher
Vergleich aussehen könnte, ist dort
nicht praxistauglich geregelt. Wir ha-
ben natürlich mit VW anfangs über ei-
nen gerichtlichen Vergleich geredet.
Aber es war sehr schnell klar, dass das
wegen der engen zeitlichen Fristen
nicht umsetzbar war. Für 400 000
Menschen hätte man keine gerichtli-
che Zustellung der Unterlagen recht-
zeitig organisieren können.

Was fehlt im Gesetz?
Etwa die Fragen nach den Gebühren,
die im Rahmen eines solchen Verfah-
rens verlangt werden können. Gäbe
es eine solche Regelung, hätten wir
jetzt nicht diese unsägliche und von
VW betriebene Schlammschlacht ge-
genüber unseren Anwälten.

Zur Klarstellung: Wenn Sie sich mit
VW geeinigt hätten, dann wäre das
wegen der Mängel der Musterfest-
stellungsklage ein außergerichtli-
cher Vergleich gewesen?
Vor Gericht wäre ein Vergleich in der
Zeit nicht möglich gewesen. Wir hät-
ten uns nur sehr stark am gerichtli-
chen Verfahren orientiert. Es wäre
auch vollkommen klar gewesen, dass
wir unsere Klage bei einem außerge-
richtlichen Vergleich zurückgezogen
hätten. Trotz des engen Zeitrahmens
hätte es klappen können.

Was wird Volkswagen jetzt machen?
Wir werden in den kommenden Wo-
chen eine riesige Kampagne sehen,
mit dem der Konzern für seinen Ver-
gleichsvorschlag wirbt. Denn aus VW-
Sicht sollen natürlich viele Autofahrer
diesen Vorschlag annehmen. Prozess-
finanzierer werden auch verstärkt mit
eigenen Angeboten antreten, die über
den von Volkswagen angebotenen
Summen liegen werden.

Herr Müller, vielen Dank für das In-
terview.

Die Fragen stellten Volker
Votsmeier und Stefan Menzel.

Ökonom Der gebür-
tige Wuppertaler stu-
dierte Volkswirt-
schaftslehre in Kiel.
1997 erwarb er das
VWL-Diplom. Danach
arbeitete er bei der
Investitionsbank
Schleswig-Holstein.

Politiker Müller ist
Mitglied der Partei
Bündnis 90/Die Grü-
nen und war von
2000 bis 2005
Umwelt- und Land-
wirtschaftsminister
des Landes Schles-
wig-Holstein. Einige
Jahre lang gehörte er
auch dem Parteirat
der Bundespartei an.

Lobbyist Von 2006
bis 2014 war Müller
Vorstand der Verbrau-
cherzentrale Nord-
rhein-Westfalen, seine
politischen Ämter gab
er dafür auf. Seit 20 14
ist der 49-Jährige
Vorstand des Ver-
braucherzentrale-
Bundesverbands
(VZBV) in Berlin.

Vita
Klaus Müller

Lea Ricking/Handelsblatt

Volkswagen-Werk:
Das Unternehmen
will Kunden von
sich aus Vergleich
anbieten.

imago images/Jan Huebner

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
17

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