Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1

Köln, die Fruit Logistica in Berlin sowie die Spielwa-
renmesse in Nürnberg, verzeichnen zahlreiche Absa-
gen von chinesischen Ausstellern.


Fabriken stehen still


Noch kaum abzuschätzen sind die Folgen, sollte sich
das Virus über einen längeren Zeitraum ausbreiten.
Denn neben Absatzproblemen drohen Firmen welt-
weit zunehmend Schwierigkeiten in der Produktion.
Etwa, wenn wichtige Lieferungen aus chinesischen
Fabriken ausbleiben, die wegen der Epidemie ge-
schlossen wurden. So wie jetzt bei Fiat in Serbien.
Deutsche Autobauer beziehen aus China vor allem
Elektronik. Autohersteller wie die VW-Tochter Skoda
haben zwar Taskforces eingerichtet, mit denen die
Teileversorgung aus China für europäische Werke
abgesichert werden soll. Doch völlige Sicherheit lasse
sich kaum erreichen, heißt es bei Skoda. Besonders
sehr kleine Zulieferer, die ein einzelnes, aber wichti-
ges Bauteil produzieren, seien nur schwer zu über-
wachen.
Niemand könne sagen, wie lange die Zulieferkette
noch halte, sagte auch Jaguar-Land-Rover-Chef Ralf
Speth bei einem Branchentreffen. Zudem sei der
Verkauf von Neuwagen in China zum Erliegen ge-
kommen. Speth: „Wer interessiert sich denn jetzt für
ein neues Auto?“ Die Fabrik in China stehe still.
Aber nicht nur für die Autohersteller spielt China
als Produktionsstandort für Elektronik-Bauteile eine
zentrale Rolle. Ob Bildschirme, PCs oder Smart -
phones: kaum ein Unternehmen, das dort nicht fer-
tigt oder Teile ordert. Sollten die Fabriken von Her-
stellern wie BOE und TCL oder von Auftragsfertigern
wie Pegatron länger geschlossen und die Reisebe-
schränkungen für die Arbeiter bestehen bleiben,
dürfte sich das massiv auf die Produktion auswirken.
Wie der Fall Apple verdeutlicht.
„Designed in California, made in China“, druckt
der Konzern auf viele seiner Produkte – die von chi-
nesischen Auftragsproduzenten wie Foxconn mit
Hunderttausenden Mitarbeitern hergestellt werden.
Damit bekommt Apple die Folgen der Epidemie di-
rekt zu spüren. Denn der Betrieb in den beiden
wichtigsten Fabriken läuft laut Nachrichtenagentur
Reuters nach nur langsam an. Das schlägt sich in
Apples Zahlen nieder. Der iPhone-Hersteller gibt in
seiner Prognose für das laufende Quartal mit einem
Umsatz von 63 bis 67 Milliarden Dollar eine unge-
wöhnlich große Spanne an. Konzernchef Tim Cook
verwies als Grund auf die Reiseeinschränkungen in
China. Besonders misslich: Branchenbeobachter er-
warten, dass der Konzern bald ein neues günstiges
Modell vorstellt – die Produktion müsste jetzt anlau-
fen. Apple wollte sich nicht dazu äußern.
Das Problem betrifft nicht nur Apple. Rund 70 Pro-
zent aller Smartphones laufen in China vom Band.
Der Marktforscher Strategy Analytics befürchtet da-
her, dass die Produktion im ersten Quartal um 30
Prozent einbrechen und sich damit die Erholung des
Markts verzögern könnte. Ähnlich dürften die Pro-
bleme bei der Herstellung von PCs und anderen Ge-
räten sein. So hat Nintendo Lieferprobleme bei der
Konsole Switch.
Besonders hohe Einbußen sind bei der Produktion
von Bildschirmen zu erwarten: In der vom Ausbruch
des Virus besonders stark betroffenen Provinz Hubei
betreiben Hersteller wie BOE Technology und TCL
Fabriken für LCD- und OLED-Paneele, die mit gro-
ßen Einschränkungen zu tun haben. Der Marktfor-
scher IHS Markit erwartet kurzfristig einen Rückgang
der Produktion. Die Folgen dürften auf der ganzen
Welt spürbar sein, stellt China doch 55 Prozent aller
Displays her. IHS Markit erwartet, dass die Preise für
PC- und TV-Monitore sowie für Notebooks steigen.


Alle Augen auf China


Vor dem Hintergrund solcher Einzelnachrichten
traut man sich im Bundeswirtschaftsministerium
noch keine konkrete Schadensprognose für die deut-
sche Konjunktur zu. In dem am Freitag veröffentlich-
ten Monatsbericht des Ministeriums heißt es nur, die
außenwirtschaftlichen Risiken hätten sich durch die
Ausbreitung des Coronavirus erhöht. Wirtschaftsmi-
nister Peter Altmaier sagte dem Handelsblatt: „Wir
stehen längst im engen Kontakt mit den betroffenen
Wirtschaftsverbänden und der Wirtschaft.“ Er verfol-
ge die Entwicklung sehr genau und werde gegebe-
nenfalls erforderliche Schritte ergreifen. Aktuell sei
es noch zu früh, die Auswirkungen zu quantifizieren,
denn dies hänge wesentlich von den weiteren Ent-


wicklungen ab. Wirtschaftsexperten sind da direkter.
„Das Coronavirus trifft die deutsche Wirtschaft in ei-
nem denkbar schlechten Augenblick“, sagte DIW-
Präsident Fratzscher. „Ich erwarte, dass sich das
Wirtschaftswachstum in Deutschland in diesem Jahr
noch schwächer entwickeln wird als bisher ange-
nommen.“ Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt Com-
merzbank, sieht seine Prognose eines kleinen
Wachstums in Gefahr. Er geht davon aus, dass das
chinesische Wirtschaftswachstum des ersten Quar-
tals durch das Coronavirus um bis zu drei Prozent-
punkte geringer ausfällt. Das würde die deutschen
Exporte erheblich dämpfen. Krämer weist aber auch
darauf hin, dass in Deutschland wegen des milden
Winters deutlich mehr gebaut werden dürfte. Das
sollte die Belastung der Konjunktur aus dem Außen-
handel zumindest teilweise kompensieren. Und
schon für das zweite Quartal ist Krämer wieder opti-
mistisch: „Die chinesischen Unternehmen werden
die im ersten Quartal ausgefallene Produktion nach-
holen.“ Das zeigten entsprechende Erfahrungen mit
der Sars-Epidemie.
Wie viel Unsicherheit noch in sämtlichen Vorher-
sagen steckt, zeigt eine aktuelle Umfrage von Reuters
unter 40 Ökonomen. Die Spanne ihrer Prognosen
für das chinesische Wirtschaftswachstum 2020
reichte von 2,9 bis 6,5 Prozent. „Ich glaube, dass das
Virus bis April unter Kontrolle gebracht werden
wird“, schreibt etwa Ye Bingnan, Analyst bei der
Bank of China. „Aber im ungünstigsten Fall könnte
das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal zwi-
schen zwei bis drei Prozent liegen und für das Ge-
samtjahr nur auf fünf Prozent kommen.“
Die Führung in Peking selbst schätzt jedenfalls die
Aussichten noch optimistisch ein. So bekräftigte der
stellvertretende Außenminister Qin Gang bei der
Münchner Sicherheitskonferenz Chinas Ziel, 2020
ein Wirtschaftswachstum von sechs Prozent zu erzie-
len. „Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind nur
temporär“, so Qin. Die Regierung versuche, mit Steu-
ererleichterungen für die Unternehmen gegenzu-
steuern. „Außerdem erwarten wir, dass sich die Kon-
sumnachfrage und die Wirtschaft insgesamt nach
dem Ende der Epidemie sehr schnell erholen wer-
den.“ chk, dah, dri, hua, jkn, kte, noh, sig, tor, zel

Gabriel Felbermayr

„ Jeden Tag


größere


Schäden“


Herr Professor Felbermayr, wie dra-
matisch sind die wirtschaftlichen Fol-
gen der Coronaepidemie?
Sie werden jeden Tag dramatischer. Mit
jedem Tag, an dem die Produktionsan-
lagen in China stillstehen, werden
die Schäden überproportional grö-
ßer. Produzenten in Deutschland
und anderen Ländern sind auf
chinesische Vorleistungen ange-
wiesen, und die Vorräte reichen
nicht ewig. Auch der Nachfrage-
ausfall aus China trifft uns natür-
lich, aber die Unterbrechung der
Produktionsketten ist noch wichtiger.
China liefert mehr nach Deutschland
und Europa als umgekehrt.

Welche Branchen trifft das besonders?
Automobilbau, Elektrotechnik und
Pharma. China liefert viele Grundstoffe
für Medikamente. Deutsche Unterneh-
men haben große Niederlassungen in
China, die bisher gute Gewinne ma-
chen. Wenn die einbrechen, wird sich
das ebenfalls bei unserem Bruttoin-
landsprodukt bemerkbar machen.

Die deutsche Wirtschaft stagniert be-
reits seit drei Quartalen. Wie wahr-
scheinlich ist eine Rezession?
Damit muss man rechnen. Schon der
Dezember war ein sehr schlechter Mo-
nat für unsere Industrie. Der schwache
Welthandel kostet uns wohl ein paar
Zehntel Wachstum. Bei der Ausgangsla-
ge ist man da schnell unter null. Unsere
Wachstumsprognose für das Gesamt-
jahr von 1,1 Prozent wird sich nicht hal-
ten lassen. Positiv dürfte der Jahreswert
aber bleiben. Was allerdings immer
schwer zu prognostizieren ist, sind psy-
chologische Faktoren, der Angstfaktor.

Die Börsen scheinen nicht von Angst
geplagt. Wie passen die Höchstkurse
bei Aktien zur trüben Konjunktur?
Das ist ein Rätsel, für das ich keine gute
Antwort habe. Die Börsen haben sich
schon seit Längerem von den realwirt-
schaftlichen Vorgängen abgekoppelt.

Was ist zu tun?
Wir sollten China so gut wie möglich
bei der Eindämmung dieser Epidemie
unterstützen. Notenbank und Regie-
rungen sollten die Psychologie der
Märkte im Auge behalten. Aber ein
Grund für große Konjunkturprogram-
me ist das Coronavirus nicht. Damit
kann man das Problem in China nicht
lösen. Und die Autos, die man in China
nicht mehr absetzen kann, kann man
kaum in Deutschland verkaufen. Inso-
fern würde das wohl verpuffen.

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte K. Knitterscheidt.

Der Präsident des Instituts für
Weltwirtschaft sieht im
Coronavirus keinen Grund für
ein Konjunkturprogramm.

BrauerPhotos / J.Reetz

Starke Wirtschaftspartner

Bruttoinlandsprodukt*
Veränd. zum Vorjahreszeitraum Veränd. zum Vorquartal

Außenhandel mit China in Mrd. Euro
Deutsche Exporte Deutsche Importe Jan. bis Nov.

HANDELSBLATT *Real • Quellen: Destatis, Bloomberg

71,

91,
76,

94,
86, 1

101,
93,

106,

87,

101,

2015 2016 2017 2018 2019

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China

Deutschland

Deutschland

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Der Corona-Schock


MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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