Süddeutsche Zeitung - 19.03.2020

(Nancy Kaufman) #1
Das Leben der religiösen Gemeinden, sei-
en sie christlich oder muslimisch, verla-
gert sich immer mehr ins Internet. So ver-
suchen Bischöfe, Pfarrer und Imame, Kon-
takt zu ihren Gläubigen zu halten und der
Verunsicherung in der Coronakrise zu be-
gegnen, jetzt, da Gottesdienste nicht mehr
stattfinden, zumindest keine gewöhnli-
chen. Ungewöhnliche aber sehr wohl.
Kardinal Reinhard Marx etwa will am
kommenden Sonntag um zehn Uhr einen
Gottesdienst in der Sakramentskapelle
des Doms feiern und ihn live auf der Seite
des Erzbistums übertragen. Zudem sollen
alle Pfarreien im Erzbistum am Sonntag
um zehn Uhr die Kirchenglocken läuten,
um an die Gebetszeit zu erinnern. Katholi-
ken seien eingeladen, daheim einen Haus-
gottesdienst zu feiern. Das notwendige Ma-
terial werde die Diözese am Wochenende
online zur Verfügung stellen.
Jeweils mittwochs wollen sich Marx
und die Weihbischöfe mit einem Videoim-
puls an die Gläubigen wenden. Begonnen
mit den „Mittwochsminuten“ hat Bern-
hard Haßlberger: „Wir stehen in einer Kri-
se, in einer globalen Krise, und davon ist
auch die Kirche erfasst“, sagte der Weihbi-
schof. „Schon oft war das Volk Gottes am
Abgrund gestanden. Schon oft hatte es den
Eindruck, es geht nicht mehr weiter.“ Gott
aber habe immer geholfen. Zusätzlich bie-
ten die Telefonseelsorge (0800/111 0 222)
sowie die Krisen- und Lebensberatung
„Münchner Insel“ (www.muenchner-in-
sel.de) Beratung an. Katholische Pfarreien
bereiten zudem unterschiedliche Angebo-
te für die Corona-Zeit vor.
Ähnlich verfahren die Verantwortlichen
im evangelischen Dekanat München: In

vielen Gemeinden werde gerade an Not-
Angeboten via Internet gearbeitet. Ein
Überblick darüber soll sich demnächst auf
der Seite des Dekanats finden unter
http://www.muenchen-evangelisch.de. Stadtde-
kanin Barbara Kittelberger sagt, dass alle
Gemeinden aufgerufen seien, ihre Kirchen
offen zu lassen, um einen Ort der Stille und
des Gebets zu erhalten. Dort könnten zum
Beispiel Zettelkästen aufgestellt werden.
In ihnen können Protestanten ihre Telefon-
nummer hinterlassen, verbunden mit der
Bitte, angerufen zu werden. In vielen Ge-
meinden werde versucht, die Nachbar-
schaftshilfe zu unterstützen.
Landesbischof Heinrich Bedford-
Strohm schlägt vor, die ungewohnte Lage
sinnvoll zu nutzen: „Wenn wir jetzt uner-
wartet mehr Zeit haben durch abgesagte
Veranstaltungen oder weil wir zu Hause
bleiben müssen, dann können wir sie nut-
zen für Besinnung, Gebet, Psalmenmedita-
tion, Auftanken und Gemeinschaft mit lie-
ben Menschen.“ Er selbst stelle fortan re-
gelmäßig morgens ein Ermutigungsvideo
auf seine Facebookseite.
Während die Israelitische Kultusge-
meinde derzeit online nichts anbietet, hat
Imam Benjamin Idriz, Vorsitzender des
Münchner Forums für Islam, seinen Kolle-
gen in München vorgeschlagen, via Inter-
net Kontakt zu Gläubigen zu halten. Er
selbst wolle sich diesen Freitag mit einer Vi-
deobotschaft an Muslime wenden. Es gel-
te, die Menschen in dieser Zeit zu trösten,
zu ermutigen und sie an die von den Behör-
den vorgegebenen Regeln zu erinnern.
Auch sollen so Jugendliche motiviert wer-
den, sich in der Nachbarschaftshilfe zu en-
gagieren. bernd kastner

Prüfungen werden verschoben, Kitas sind
geschlossen, Schulunterricht gibt es bis zu
den Osterferien nur noch zu Hause – aber
die Einschreibung in die ersten Klassen für
das Schuljahr 2020/21 findet statt. Sie ste-
he „in keinem unmittelbaren Zusammen-
hang zum Unterrichtsbetrieb“, heißt es in
einem Schreiben des Kultusministeriums
an alle Grundschulen von Anfang dieser
Woche. In München bleibe es daher beim
vorgesehenen Termin, dem 25. März, gab
das Bildungsreferat bekannt. Wegen des
Coronavirus gelten aber spezielle Regeln:
Bisher sollten die Erziehungsberechtigten
persönlich mit ihrem Kind in die jeweilige
Schule kommen; alternativ konnte das ein
Dritter mit schriftlicher Vollmacht über-
nehmen. Nun entfällt diese Präsenzpflicht:
Die Eltern sollen ihr Kind stattdessen tele-
fonisch oder per Email anmelden und die
nötigen Unterlagen entweder persönlich
abgeben oder mit der Post oder per Email
schicken. Nähere Informationen kann
man bei den Grundschulen erhalten.
Eltern, die vor der Einschreibung Bera-
tung suchen, erhalten diese ebenfalls am
Telefon oder per Email sowie auf Wunsch
auch in einem persönlichen Gespräch. Das
gilt auch, wenn ein Kind im Juli, August
oder September 2020 sechs Jahre alt wird
und Eltern überlegen, den „Einschulungs-
korridor“ zu nutzen, ihr Kind also erst 2021
einzuschulen. An sogenannten Schulspie-
len oder anderen Verfahren, die klären sol-
len, ob ein Kind schulreif ist oder ob es son-
derpädagogischen Förderbedarf gibt, müs-
sen Kinder 2020 nicht teilnehmen. Hier sol-
len Schulen und Eltern im Einzelfall Lösun-
gen finden, die dem Infektionsschutz ge-
recht werden. wet

Netz Gottes


Kirchen sprechen Gläubige mit Botschaften im Internet an


Die Technische Universität (TU) und die
Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)
haben ihren Betrieb extrem einge-
schränkt. Die Gebäude der Universitäten
dürfen seit Mittwoch nur noch von Perso-
nen betreten werden, die helfen, das Not-
wendige für den Grundbetrieb aufrechtzu-
halten. Dies gilt an der TU vorerst bis zum


  1. März, bei der LMU bis auf Weiteres. Nie-
    mand solle aufgrund der Einschränkun-
    gen im Studium benachteiligt werden, ver-
    sichert ein Sprecher der TU. Man versuche,
    mit Augenmaß zu reagieren. Sowohl an TU
    als auch an LMU werde man sich bemü-
    hen, individuell angemessene Lösungen
    zu ermöglichen. Ein Ausfall des Sommerse-
    mesters sei derzeit nicht geplant. bub


Nun sitzt man also zu Hause und bearbei-
tet seinen Laptop oder versucht, die Kin-
der zu bespaßen. Vielleicht sogar beides.
Die Mahlzeiten aus den gehorteten Vorrä-
ten von Dosentomaten und Nudeln wer-
den langsam eintönig, man sehnt sich
nach Alternativen. Normalerweise sorgen
Restaurants für Abwechslung, aber in der
Corona-Krise geht das kaum. Was tun?
Zeit, einen Fachmann zu fragen. Der
Koch Karl Ederer bietet in seinem Restau-
rant Ederer in der Lindwurmstraße 48 von
diesem Donnerstag an erstmals einen Mit-
tagstisch unter dem Titel „Saisonales & So-
ziales“ an. Zwischen 11.30 und 15 Uhr gibt

es dort „frische Gerichte zu zivilen Prei-
sen“, und das jeweils nach Marktlage. Weil
er in seinem Lokal neuerdings laut behörd-
licher Anordnung aber nur 30 Leute gleich-
zeitig – und das in gebührendem Abstand
von eineinhalb Metern – versorgen kann,
hat er für jene, die zu Hause bleiben müs-
sen, ein Rezept aufgeschrieben.
Ederers Reispfanne für zwei Personen
Zutaten: Acht Esslöffel Basmatireis, ei-
ne halbe Zwiebel, eine kleine Karotte, eine
kleine Petersilienwurzel, 5-10 Zentimeter
Lauch, zwei bis vier Stück Trockenwurst
(zum Beispiel Polnische, Debrecziner, Ka-
minwurzn), Petersilie, etwas Butter.
Zubereitung: Den Reis in einer Pfanne
mit etwas Butter anschwitzen, salzen und
pfeffern. Nach etwa drei Minuten mit Was-
ser aufgießen, bis er gut bedeckt ist, und
mit dem Pfannendeckel abdecken. Lang-
sam köcheln lassen und nach sieben Minu-
ten das inzwischen geschälte und in Schei-
ben geschnittene Gemüse dazu geben.
Nochmals würzen. Wieder abdecken und,
wenn nötig, etwas Wasser abgießen, weite-
re fünf Minuten kochen. Würstl enthäu-
ten, in feine Scheiben schneiden und über
den Reis streuen. Weiter köcheln lassen
und vorsichtig umrühren. Der Reis sollte
weich sein, das Gemüse noch etwas Biss ha-
ben. Geschnittene Petersilie drüber streu-
en und servieren. Das Gericht kann man be-
liebig verändern, es kann rein vegetarisch
bleiben oder auch mit Fisch statt Wurst zu-
bereitet werden. franz kotteder

von heiner effern

C


hina und seine Schreckensmeldun-
gen schienen noch immer sehr weit
entfernt, als Deutschland seine ers-
ten Corona-Fälle registrierte. Die neun infi-
zierten Patienten behandelten erfolgreich
Ärzte der städtischen München Klinik in
der Abteilung für Infektiologie im Schwa-
binger Krankenhaus. Nur wenige Wochen
später bereiten sich die Ärzte dort wie alle
anderen Mitarbeiter der städtischen Kran-
kenhäuser auf eine Krise vor, von der sie
selbst nicht wissen, wann sie kommt und
wie groß sie sein wird. Sie ahnen nur mit
Blick auf Italien, dass sie sehr groß werden
könnte. „Wir haben mehr oder weniger alle
Projekte eingestellt und konzentrieren uns
auf die eine Sache“, sagt Klinik-Chef Axel
Fischer. Corona.
Die München Klinik mit ihren insge-
samt 7000 Mitarbeitern habe einen Vor-
teil. „Wir sind die ersten, die Erfahrung da-
mit gemacht haben. Wir kennen die Her-
ausforderung.“ Das veranlasste Fischer
und sein Team, seit Wochen alle Kräfte auf
das Coronavirus auszurichten. Krisenstä-
be und Arbeitsgruppen arbeiten auf Hoch-
touren, massive Einschnitte im Alltag sind
schon spürbar. Der medizinische Betrieb


an den vier großen Klinik-Standorten
Schwabing, Bogenhausen, Neuperlach
und Harlaching wird systematisch herun-
tergefahren. Nur noch die absolute Da-
seinsvorsorge läuft weiter: Notfallmedizin
zum Beispiel, Geriatrie, Geburten und le-
benswichtige Operationen. Alle planbaren
und nicht sofort nötigen Eingriffe werden
verschoben, Betten und Mitarbeiter wer-
den für die Behandlung von Covid-19 frei-
geschaufelt. So heißt die Krankheit, die
das Virus auslöst.
Derzeit behandelt die München Klinik
14 Patienten. Zehn davon liegen auf einer
Isolierstation, vier auf der Intensivstation.
Das dafür nötige Personal, Material und
die Technik habe man zur Verfügung, sagt
Clemens Wendtner, ärztlicher Leiter der In-
fektiologie. Doch mit Blick auf China und
Italien weiß er, dass die Herausforderun-
gen wachsen werden, und zwar gewaltig.
„Die Dimension die wir jetzt erleben, ist
einmalig.“ Das zeigt auch der Blick in die
Statistik. Die Stadt meldete am Mittwoch-
mittag 150 neu Infizierte, an einem einzi-
gen Tag erhöht sich dadurch die Gesamt-
zahl in München fast um ein Drittel.
Derzeit könnte die München Klinik an
all ihren Standorten auf etwa 120 Beat-
mungsgeräte zurückgreifen, um schwer Er-
krankte zu behandeln. 200 zusätzliche
sind bestellt. Diese werden kurzfristig
nicht eintreffen, sollen aber mittel- und
langfristig die Lage entspannen. Schließ-
lich weiß niemand, wann der Höhepunkt
kommen und wie lange diese Situation an-


halten wird. Schutzausrüstung wie Anzüge
oder Masken sind schon länger rationiert.
Das heißt, dass der Verbrauch kontrolliert
und auf das Mindestmaß reduziert wird,
das nach den Hygienevorschriften möglich
ist. „Diese werden unbedingt eingehalten“,
sagt Klinik-Chef Fischer.

Neben Betten, technischen Geräten und
Schutzausrüstung könnte es trotz der
schon laufenden Umschichtung beim Per-
sonal zu Engpässen kommen. Nicht jeder
Pfleger und nicht jede Schwester, und auch
nicht jeder Arzt ist automatisch versiert im
Umgang mit hoch ansteckenden Viren. Die

München-Klinik schult deshalb gerade in
Crash-Kursen so viel Personal wie mög-
lich. Unter anderem gehe es um die wichti-
gen Hygienemaßnahmen, also das An-
und Ablegen von Schutzmasken und Anzü-
gen, sagt Clemens Wendtner, Leiter der In-
fektiologie. Daneben ist eine eigene Ar-

beitsgruppe damit beschäftigt, frühere Kol-
legen, Fachkräfte im Ruhestand und ausge-
bildete Mitarbeiter abzutelefonieren, die
gerade in Verwaltungs- oder Management-
positionen beschäftigt sind. Ein Polster ist
auch deshalb wichtig, weil die Behandlung
in anderen Ländern gezeigt hat, dass sich
auch Mitarbeiter trotz aller Schutzmaßnah-
men angesteckt haben.
Das Personal will Klinikchef Fischer für
den erwarteten Ansturm noch weiter ent-
lasten. Derzeit seien Pflegepersonal und
Ärzte 20 bis 30 Prozent ihrer Arbeitszeit
mit rein bürokratischen Arbeiten und Do-
kumentation beschäftigt. Davon müsse
man wegkommen, hemdsärmelig und
pragmatisch müsste im Ernstfall reagiert
werden. In Schwabing wird derzeit ein
zweites Gebäude bereit gemacht, momen-
tan werden hier die meisten Patienten be-
handelt. Laufen diese Kapazitäten voll,
wird an alle Standorte verteilt. An allen gro-
ßen Häusern werden Isolierstationen ein-
gerichtet, die bei Bedarf sukzessive erwei-
tert werden können. Dort werden Patien-
ten behandelt, die deutliche Symptome zei-
gen, aber nicht intensivmedizinisch be-
treut werden müssen. Doch ein großer Ver-
sorger wie die München-Klinik muss noch
viel weiter denken. Neben der Arbeitsgrup-
pe für den Einkauf, die möglichst viel Aus-
rüstung ranschaffen und dann mit Be-
dacht verteilen soll, machen sich Mitarbei-
ter auch ganz banale Gedanken. Wer rei-
nigt die Isolierstationen, wer kann das und
ist dazu bereit? Wer garantiert genug fri-
sche Wäsche? Der jetzige Dienstleister
sitzt in Österreich.

Klinik-Chef Fischer und sein Stab wol-
len im Vorfeld möglichst viel organisieren,
damit auch bei einem Ansturm von Patien-
ten diese bestmöglich betreut werden. Der
Kampf gegen das Coronavirus, davon ist Fi-
scher überzeugt, wird „sich in den Klini-
ken abspielen“. München sei mit etwa
50 Krankenhäusern dafür gut gerüstet.
Die Vernetzung der großen Häuser laufe
sehr gut, die Zusammenarbeit gestalte
sich sehr solidarisch, bestätigt Wendtner,
der ärztliche Leiter der Infektiologie.
Jeder Tag, den sich die Klinik länger vor-
bereiten kann, hilft. Deshalb appelliert
Chef Fischer an die Bürger und die Politik,
dafür alles zu tun. „Wenn Maßnahmen grei-
fen und eingehalten werden, bin ich zuver-
sichtlich, dass wir es schaffen, die Verbrei-
tung abzubremsen. Das würde die Wucht
für die Kliniken abfedern. Wir tun das Bes-
te, um uns gut vorzubereiten.“ Behandelt
werden künftig nur noch Patienten, die tat-
sächlich krank sind. Alle Infizierten ohne
Symptome werden in häuslicher Isolation
bleiben müssen. Dass sieben von neun Pati-
enten, die infiziert sind, ohne Symptome
nur darauf warten, entlassen zu werden,
diesen Luxus wird es nicht mehr geben.

Eine Frau steht vor dem Eingang des Cari-
tas-Altenheims St. Franziskus in Giesing,
ihr Blick geht hoch zum Balkon im ersten
Stock. Vier Pfleger stehen dort hinter ge-
schlossenen Glasscheiben. „Ich komm’
nicht rein“, ruft die Frau den Pflegern zu.
„Darf ich?“ Es herrscht allgemeine Verwir-
rung. Sie nähert sich der Eingangstür, die
sich normalerweise in dem Moment auto-
matisch öffnen sollte. Aber sie bleibt ver-
schlossen. An der Scheibe klebt ein Zettel:
„Bitte haben Sie Geduld, es dauert einen
Moment, bis ein Pflegemitarbeiter runter-
kommt, um aufzusperren.“ Sie komme ein-
mal die Woche für die Fußpflege – jetzt wis-
se sie aber gar nicht, ob sie überhaupt noch
kommen dürfe, erzählt die Frau.
Eine Szene, wie sie sich zur Zeit vor fast
jedem Altenheim der Republik abspielen
könnte. Denn vor und in den Altenheimen
herrscht Verunsicherung. Die Zahl der Co-
vid-19-Fälle steigt von Tag zu Tag, und im
gleichen Takt beschließen Regierung und
Behörden neue Regelungen, die die Kon-
takte immer weiter einschränken, um die
besonders gefährdeten Gruppen vor dem
Coronavirus zu schützen. Doch was bedeu-
tet das für die Alten und Pflegebedürftigen
dieser Stadt, die zur Risikogruppe gehö-
ren? Die überwiegende Mehrzahl aller Men-
schen, die im Zusammenhang mit einer Co-
vid-19-Erkrankung sterben, sind im Ren-
tenalter. Bereits am Wochenende hat der
Freistaat Bayern das Besuchsrecht in Alten-
heimen und Krankenhäusern wegen der
Corona-Pandemie deutlich eingeschränkt.


„Jeder Patient oder Betreute darf jetzt nur
noch einen Besucher pro Tag für je eine
Stunde empfangen“, heißt es in der Allge-
meinverfügung. Mit der Umsetzung sind
die unterschiedlichen Träger und Heimlei-
tungen nun täglich beschäftigt.
Münchenstift, der städtische Träger
von insgesamt dreizehn Alten- und Pflege-
heimen in der Stadt, hat die Regelung für
sich sogar noch strenger ausgelegt. „Eine
Stunde, das reicht zum Anstecken“, sagt Ge-
schäftsführer Siegfried Benker. Deshalb
ist der Besuch seit dem 14. März komplett
untersagt. Ausnahmen gebe es nur für the-
rapeutisch oder medizinisch notwendige

Besuche, für Angehörige von Bewohnern
in palliativer Versorgung oder für solche,
die das Zimmer bei Neubezug gern besich-
tigen würden und für unaufschiebbare
handwerkliche Maßnahmen.
Für die meisten Bewohner heißt das:
vorerst kein Besuch. Viele der etwa 800 Eh-
renamtlichen gestalten normalerweise
das Freizeitprogramm in den Häusern. Die
hat Benker nun nach Hause geschickt –
das Risiko sei im Moment einfach zu groß,
sagt er. Auch Veranstaltungen, Vorträge
oder Seminare von der Volkshochschule,
die „sehr zum Leben beigetragen haben“,
sind abgesagt. Eine Vereinsamung drohe

den Altenheimbewohnern aber nicht, beru-
higt Geschäftsführer Benker. Man treffe
sich weiterhin in den Heim-Cafés und in
den Wohnküchen und habe Gelegenheit
zum Austausch. Von den meisten komme
ohnehin großes Verständnis, sie fühlten
sich gut geschützt, versichert Benker. Alle
getesteten Verdachtsfälle bei Bewohnern
und Personal seien bislang negativ ausge-
fallen. Zwei warten derzeit noch auf ihr Er-
gebnis.
Im Caritas-Verband verzeichnet man
bisher keine Verdachtsfälle in den Einrich-
tungen. Die Weisung des Freistaats – eine
Stunde pro Tag pro Bewohner – wird hier
wörtlich verstanden. Am Empfang würden
die Besucher seit dieser Woche angehalten
und befragt, ob sie in einem Risikogebiet
waren oder anderweitig die Gefahr be-
steht, das Coronavirus ins Heim zu tragen,
erzählt die Sprecherin Bettina Bäumlisber-
ger. „Wir dürfen Besucher abweisen, wenn
wir nicht sichergehen können, dass das Vi-
rus nicht eingeschleppt wird.“ Außerdem
werde der Besuch angewiesen, sich die
Hände zu desinfizieren. Bei Bewohnern,
die dement sind oder nicht mehr lange zu
leben haben, werden jedoch Ausnahmen
gemacht.
Auch eine andere Säule des sozialen Le-
bens für die ältere Bevölkerung Münchens
fällt mit den strengen Sicherheitsvorkeh-
rungen fast vollständig weg: Die sozialen
Mittagstische in den insgesamt 32 Alten-
und Service-Zentren (ASZ) sind bis auf wei-
teres abgesagt. Genauso wie der gesamte
Besucherverkehr dort. Dafür werde zur
Zeit die Versorgung mit günstigem oder
kostenlosem Essen durch Bringdienste or-
ganisiert, erzählt Karl Weber, Leiter des
ASZ in Sendling. Die Ehrenamtlichen achte-
ten auf minimalen Kontakt, reichten das
Essen mit Handschuhen in Einwegge-
schirr an der Tür und kassierten gerade
auch kein Geld, sondern notierten sich die
Summe für später.
Die Vorkehrungen klingen so sicher wie
möglich – aber auch so einsam wie mög-
lich. „Unsere Hauptaufgabe ist es eigent-
lich, Menschen zusammenzubringen und
soziale Kontakte zu fördern“, sagt Weber.
Das sei jetzt ins absolute Gegenteil ver-
kehrt. Alte Menschen mit Essen zu versor-
gen, sei ja nur die eine Sache, so Weber. Da-
hinter stecke eigentlich die Idee, ein sozia-
les Miteinander zu stärken: Man führt Ge-
spräche, baut eine Beziehung auf, ver-
treibt die Einsamkeit. Weber und seine Mit-
arbeiter bauen deshalb auf eine andere alt-
bewährte Methode: das Telefonieren. In
diesen Tagen ist Weber dabei, alle eingetra-
genen Senioren aus seiner Kartei abzutele-
fonieren. Er will Kontakt halten, wenn
auch nur aus der Ferne. ekaterina kel

Verändertes Vorgehen


bei Schuleinschreibung


Die Frauenkirche und andere Münchner Gotteshäuser werden wegen des Coronavi-
rus in nächster Zeit leer bleiben. FOTO: FLORIAN PELJAK

Universitäten schränken


Betrieb massiv ein


Jeder Tag zählt


Die städtischen Kliniken bereiten sich mit allen Kräften auf den Ansturm
von Patienten vor – doch die Zeit ist ebenso knapp wie Personal und Material

Karl Ederer steht für
regionale Küche, die
behutsam veredelt
wird. Der ehemalige
Sternekoch (Glocken-
bach, Ederer in den
Fünf Höfen) hat da-
für den Begriff „Hei-
mat Food“ erfunden.
FOTO: STEPHAN RUMPF

Der Besuch bleibt aus


Für Senioren und Heimbewohner sind soziale Kontakte wichtig – aber derzeit gefährlich


Der Kampf gegen das Virus
werde „sich in den Kliniken
abspielen“, sagt Axel Fischer

Eigentlich ist die Hauptaufgabe,
Menschen zusammenzubringen,
doch das geht im Moment nicht

Die Senioren werden nicht mehr im Alten- und Service-Zentrum versorgt, stattdes-
sen organisieren die Betreiber einen Bringdienst. FOTO: ALESSANDRA SCHELLNEGGER


Im Klinikum Schwabing, wo derzeit die meisten mit dem Coronavirus infizierten Münchner Patienten liegen, wird der-
zeit ein zweites Gebäude bereit gemacht, um die Kapazitäten zu erhöhen. FOTO: IMAGO/ALEXANDER POHL

Schutzausrüstung wie Anzüge


oder Masken sind


schon länger rationiert


Der Reis


ist heiß!


Karl Ederer empfiehlt ein einfaches
Gericht fürs Home-Office

KÜCHENHILFE


DEFGH Nr. 66, Donnerstag, 19. März 2020 (^) MÜNCHEN R3

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