Berliner Zeitung - 18.03.2020

(Axel Boer) #1

B e rlin


12 * Berliner Zeitung·Nummer 66·Mittwoch, 18. März 2020 ·························································································································································································································································································


EinsatztruppeCorona


NeueSpezialeinheitderPolizeischließt41trotzVerbot sgeöffneteLokaleundlöstVersammlungenauf


VonPhilippe Debionne

K


neipen, Bars und Clubs
dürfen in Berlin der zeit
nicht öffnen. Doch nicht
alle Wirteund Event-Ver-
anstalter halten sich an dasVerbot.
Dasbedeutet viel zusätzliche Arbeit
fürdie Polizei,diedieEinhaltungder
Schließung kontrollieren muss.Da-
fürwurdeeineeigeneEinsatztruppe
gebildet.In der Nacht zu Dienstag
hatten dierund 100 Männer und
FrauendieserneugebildetenEinheit
alleHändevollzutun.

22Strafverfahreneingeleitet
Um18UhrrücktendieEinsatzkräfte
ausundkontrolliertenbissechsUhr
morgensvorallem in Bezirken wie
Friedrichshain oder Kreuzbergdie
Einhaltung derVerordnung.„Unsere
Kollegenmussten41Objekteschlie-
ßen,dietrotzderVerordnunggeöff-
net hatten“, sagte einePolizeispre-
cherin derBerliner Zeitung. Dazu
kamen „fünf Ansammlungen“ grö-
ßerer Menschenmengen,die„aufge-
löstwurden“,sodieSprecherin.
Insgesamtwurden22Strafverfah-
renwegen desVerstoßes gegen das
Infektionsschutzgesetzgeschrieben.
Hier drohen je nach Schweredes
VerstoßesGeldstrafen vonbis zu
25000 Euro.Sollten durch denVer-
stoß zudemErreger verbreitet oder
Menschen nachweislich infiziert
werden,drohtunterUmständenso-
gar eine mehrjährige Haftstrafe.
DassnichtinallenFällenAnzeigeer-
stattet wurde,liegt nach Angaben

derPolizeidaran,dass„glaubhaftge-
macht wurde,oder nachgewiesen
werdenkonnte,dassdie Verantwort-
lichen nicht wussten, dass sievon
der neuen Verordnung betroffen
sind“.
In anderen Fällen hingegen sei
„offensichtlich gewesen, dass die
Verordnungbewusstignoriert“wor-
densei.AlsBeispielnanntedieSpre-
cherineineLokalität,dienachaußen

hin geschlossen gewirkt habe.Erst
beigenaueremHinsehenhättendie
Einsatzkräfte festgestellt, dass hier
„Kundschaft heimlich durch einen
Hintereingangeingelassenwurde“.
IndemGroßteilderFälleausder
Nacht zu Dienstag seien alle durch-
geführten polizeilichen Maßnah-
men „auf Akzeptanz“ gestoßen,
ohnedassesWiderständeoder„un-
nötigeDiskussionen“gegebenhabe.
Es gehörezum„Kernbereich des
polizeilichen Handelns,auch die
Durchsetzung der Rechtsverord-
nung sicherzustellen“, sagte Chris-
tianSteiof,ChefdesLandeskriminal-
amtesimInnenausschuss.Dahersei

die nun eingesetzte„Abschnittsfüh-
rungsgruppemitunterstelltenHun-
dertschaften“eingerichtetworden.
Koordinier twerden dieseEin-
satzkräfte im Wechsel durch ver-
schiedene Abschnitte.Dabei sieht
dieder zeitigeOrganisationsstruktur
der Polizei einen Zwölf-Stunden-
Takt vor. „Dazu kommen natürlich
dieohnehinimEinsatzbefindlichen
Polizeistreifen“, so einePolizeispre-

Fahrzeug der BerlinerPolizei auf derFahrtzum Einsatzort. IMAGO IMAGES

„Die Durchsetzung derRechtsverordnung


gehörtzum Kernbereich des


polizeilichenHandelns.“


Christian Steiof,Chef des Landeskriminalamtes

cherin. Je nach Bedarfkönne die
neue Truppe zudem jederzeit „auf-
gestockt oder heruntergefahren“
werden“.Dazuwerde„dieLagetäg-
lichneubewertet“.
Grundsätzlich müssen die Be-
amtennichtnurKneipenundClubs
im Auge haben.Denn vonderVer-
ordnung sind auch Spielhallen,
Spielbanken,Messen, Wettannah-
mestellen und ähnlicheUnterneh-
men betroffen.Ebenfalls geschlos-
senbleibenmüssenKinos,Theater,
Konzerthäuser,Museen, Ausstel-
lungen sowie ähnlicheEinrichtun-
gen und Vergnügungsstätten wie
Bordelle oder Massagesalons mit

erotischem Angebot.Auch nichtöf-
fentlicheVeranstaltungenmitmehr
als50 Teilnehmernsinduntersagt.
Vorallem in Szene-Hotspots in
Bezirken wie Kreuzbergwurden in
den vergangenen Nächten zudem
größereGruppen meist jugendli-
cher Teilnehmer beobachtet, die
sich in und um die dortigenSpätis
versammeltenundTrinkgelagever-
anstalteten. Nach derzeitiger
RechtslagefallenSpätisnichtunter
die Verordnung und dürfen dem-
nachgeöffnethaben.Obdiebeste-
hende Verordnung hier möglicher-
weisegeändertwird,waramDiens-
tagnochunklar.

MeldungenviaNotruf
AmWochenendehattediePolizeivia
Twitter-T weet zwischenzeitlich zu-
dem darum gebeten, trotz desVer-
botes geöffnete Kneipen oder Clubs
nicht überNotruf zu melden.„Wir
haben festgestellt, dass derNotruf
überlief“, so LKA-ChefSteiof im In-
nenausschuss.Allerdings sei besag-
ter Tweet„zwei Stunden, nachdem
wirunsereMaßnahmenangefangen
haben“gepostetworden.
Steiofweiter:„JetztindieserForm
würde der Tweetwahrscheinlich
nichtmehrgelten,jeumfangreicher
wirmitKräftenandieEinhaltungder
Verordnungrangehen.“

Philippe Debionne
ärger tsich
über Corona-Ignoranten.

EineUnterkunftdankdesVirus


UnsereAutorindarfdieWohnungnichtverlassenunddenktdarübernach,wasQuarantänefürObdachlosebedeutet


VonEleonoraRoldán Mendívil

A


nTagsiebenderQuarantänebin
ich nachdenklich. Wirhaben
keineSymptome(mehr),nurdürfen
wirnachwievornichtraus.Okay.
Aber sonst?Wirhaben deutlich
mehr Raum, unsereZeit eigenstän-
digzugestaltenundLiegengebliebe-
nes endlich anzugehen.Dies sind
unteranderemUnikram,überfällige
Lektüren oder Bürokratisches bei
meinemMitbewohnerundbeimei-
nemPartner.Ichmussvorallemdie
formellenBewe rbungen für einen
Promotionsplatz fertig machen und
BeiträgezueinemBuchüber Rassis-
mus in Deutschland schreiben.Ich
bin in denverg angenenTagen mit
der Mitherausgeberin desSammel-
bandes,Bafta Sarbo,mehr im Kon-
takt. Auch sie befindet sich seit kur-
zeminS elbstquarantäne.Sicher ist
sicher.WirwollendieQuarantäneje-
dochproduktivnutzen,indieTasten
hauen und mit unserenBeiträgen

vorankommen.Dies haben wir in
denverg angenenWochennebenun-
serer regulärenArbeiteinfachkaum
geschafft.DieQuarantäneistalsofür
uns recht harmlos.Auch wenn es
sich komisch und gruselig anfühlt,
einenVirusins ichzutragen,derbis
jetzt Tausende Menschenleben ge-
kostethat.

MenscheneigentlichQuarantäne?In
Hamburgmüssen 300 Obdachlose
amMontagineinerNotunterkunftin
Quarantäne bleiben, besser gesagt:
Siedürfen. Denn normalerweise
müssendieBesucherdieUnterkunft
tagsüberverlassen. Erst das Corona-
virus gibt denBetroffenen also für
zwei Wochen eine trockene,warme
Unterkunft. In Artikel 25 derMen-
schenrechtserklärungvon1948steht,
dassjederMenschAnspruchaufan-
gemessene Lebenshaltung,Gesund-
heitund Wohlbefindeneinschließlich
Nahrung,Kleidung,Wohnung,ärztli-
cheBetreuun gunddernotwendigen
LeistungendersozialenFürsorgehat.
Wo könnenobdachloseMenschen
diesesRechtnuneinklagen?
In Berlin stehen 0,8Proz entaller
einzugsfertigenWohnungenleer.Ein
zentrales Register mit konkreten
Zahlengibtesnicht.Stehtauchjetzt
derProfit vorder Gesundheitvon
Berlinerinnen und Berlinern? Ich
bleibenachdenklich.

Zu Hause bleiben hat nochwei-
tereVorzüge: Ichkannden ganzen
TagimS chlafanzugverbringen, du-
schen istweniger wichtig.Aber was
machen dieM enschen, die aktuell
garkein Zuhausehaben?
Mindestens2000 Menschen ha-
benin BerlinkeinreguläresObdach.
Wo und wie machen obdachlose

ADOBE STOCK

In


Quarantäne


Tag


7


KURZ&KNAPP


Aufschub fürVerurteilte.
Verurt eilteStraftätermitkürzeren
Gefängnisstrafen,dienochnichtin
Haftsind,habenwegenderCorona-
kriseAufschuberhalten.Siemüssen
ihreStrafenerstnachdem15.Julian-
treten,teiltedieSenatsjustizverwal-
tungamDienstagmit.Dasgiltnur,
wenndie Strafekür zeralsdrei Jahre
ist,derTätersichnichtbereitsinUn-
tersuchungshaftbefindetundes
keinesonstigenGründedagegen
gibt.SowillmandieGefängnisse
vorsorglichentlasten,fallsbeiInsas-
senoderWärternInfizierungenauf-
treten. NachUrteilenwerdendieTä-
teroftnichtsoforteingesperrt,son-
dernerhalteneinenbestimmten
Terminzum Strafantritt. (dpa)


Anwälte bitten um mehr Zeit.
AngesichtsderCoronavirus-Kriseap-
pelliertdieAnwaltschaftandieGe-
richte,allenichteilbedürftigenTer-
minezu verschieben.„Wirallesind
aktuellmiteinerAusnahmesituation
konfrontiert,dieunsvielabverlangt“,
erklärtederPräsidentderBundes-
rechtsanwaltskammer,Ulrich Wes-
sels.DiegesamteAnwaltschaftstehe
vorerheblichenorganisatorischen
undauchwirtschaftlichenHerausfor-
derungen.„NatürlichdarfCorona
nichtzueinemStillstandderRechts-
pflegeführen.Gleichwohlwünsche
ichmirfüralleKolleginnenundKolle-
gengrößtmöglicheFlexibilitätund
UnterstützungdurchdieJustiz“.Er
batdeshalbdarum,Fristenmöglichst
großzügigzusetzenundAnträgezur
VerlängerungvonFristenwohlwol-
lendzubehandeln. (dpa)


Mieterverein setzt Beratung aus.
BeimMietervereingibtesvondie-
semMittwochanbismindestens
zum4. Aprilkeinepersönliche
Rechtsberatungmehr.DieGe-
schäftsstellenbleibengeschlossen,
alsVorsichtsmaßnahme,wieder Ver-
einam Dienstagmitteilte.Mitglieder
könneneinenTerminvereinbaren,
umsichtelefonischberatenzulas-
sen.AnliegenwürdenauchperMail
undPostbeantwortet,wennUnter-
lageneinzusehenseien. (dpa)


Spargelbauer fordernPassierschein.
DerBeelitzer Spargelvereinbefürch-
tetindiesemJahrgroßeErnteeinbu-
ßen.Wegender Coronakrisekönn-
tenhunderteErntehelferausRumä-
niennichtnachBrandenburgreisen,
sagteJürgenJakobs,Vorsitzenderdes
Spargelvereins.Vonetwaeingeplan-
ten2300Helfernsollten85Proz ent
ausRumänien,derRestaus Polen
kommen.Stündlicherreichtenihn
undseineKollegenAbsagenausRu-
mänien.JakobsforderteeineArt
„Passierschein“fürdiegebuchten
Erntehelfer.SiesolltenfreiesGeleit
bisnachBrandenburgbekommen.
Bislangseienerst20Proz entderer-
wartetenHelferangereist. (dpa)


Handwerker werden weggeschickt.
MitderFurchtvordemCoronavirus
müssensichauchHandwerkeraus-
einandersetzen.ZweiAngestellteei-
nerFirmafürBetriebskostenabrech-
nungenberichteten,dasssiebeiih-
rerTourzumAustauschvonWasser-
zählernnichtüberalleingelassen
würden.„EinigeLeutesagtenheute,
wirdürftennichtinihreWohnung,
siehättenzuvielAngstvordemVi-
rus“,sagteeinerderMänneram
DienstaginFriedrichshain.„Manche
sindebenetwaspanisch.“Dassei
nichtsoschlimm.„Dannkommen
wireinandermalwieder.“ (dpa)


Ausländische Arbeitskräfte bedecken
Beelitzer Spargelfeld mitFolie. DPA/P. PLEUL


Wissenfürdie


Kids–Ruhefür


dieEltern


DieseAppsundSendungen
bildenspielerischweiter

F


ünfWochenohneSchulekönnen
für Elternganz schön langwer-
den –und keinKind will sich den
ganzen Tagmit den vonder Schule
mitgegebenenAufgaben beschäfti-
gen.MitdiesenMedienkönnensich
SchülerinnenundSchülertrotzdem
weiterbilden.UnddieElternbekom-
menetwasRuhefürdasHomeoffice:

Sehen:ARD-Alphasendetseitdieser
WochejedenTagvon9bis12 Uhrdas
Programm „Schule daheim“, ein
buntes Programm für Schülerinnen
und Schüler aus allen Schulformen
abderfünftenKlasse,ind emUnter-
richtsstoffinfantasievollenKurzbei-
trägenerklärtwird. Berliner,dieden
Sender nicht empfangen, können
denLivestreamimNetzverfolgen.In
derMediathekdesBRfindetmandie
InhaltenachFächernsortiert.
AuchderKinderkanaländertwe-
genderSchulschließungenseinPro-
gramm undzeigt jedenWochentag
um13.30UhreinSpezialseinerSen-
dung „Die beste Klasse Deutsc h-
lands“ mitQuizfragen undExperi-
mentenzumMitratenzuHause.Da-
vorlaufenverschiedeneWissen sma-
gazine imWechsel. Die„Sendung
mit derMaus“zeigt der WDR ab
Mittwoch jedenVormittag. Undauf
Youtub esinddie aufwendig ani-
mierten, oft philosophisch ange-
hauchten Erklärvideos desKanals
„Dinge Erklärt–Kurzgesagt“toll.

Noch bis mindestens 19. April bleiben die
Klassenräume leer. AFP

Hören:DasCoronavirusverunsichert
alle.VieleErwachsenehörendentäg-
lichenPodcastdesChefvirologender
Charité ChristianDrosten, um auf
dem Laufenden zu bleiben.Etwas
Ähnlichesbietetauchder„Kinderra-
diokanal“vonWDR 5an: Tägliche,
kurze Corona-Updates voneinem
Kinderarzt, die man auf derHome-
page herunterladen kann. Dortwird
etwa dieFrage „Warum machen die
Schulen dicht?“ beantwortet. „Ki-
raka“produziertauch Kinder-Hör-
spiele,die sich über dieMediathek
oderauchSpotifystreamenlassen.
Auch die Kindersendung „Mi-
kado“hataufdieSchulschließungen
reagiertund produziertunter der
Woche täglich eineExtrasendung,
dievon9bis13 Uhraufdem Digital-
kanal NDRInfo Spezial läuft und
auchzumRunterladenerhältlichist.

Mitmachen: „Learnattack“, eine
NachhilfeappvonDuden, bietetIn-
halte für die Klassen5bis 8anu nd
arbeitet mitErklärvideos und Klas-
senarbeiten zum Selbstkontrollie-
ren. Wegen der Schulschließungen
könnendiePremium-Inhaltegerade
zwei Monatelanggratisgenutztwer-
den.
DieApp„Anton“isthingegenge-
nerell kostenlos und hat auchIn-
halte für die Kleineren parat:
Deutsch,Mathe,Sachun terrichtund
MusikfürdieKlassen1bis8,auchfür
Kinder mit Leserechtschreibschwä-
che,Legasthenie undDyskalkulie.
DieApp Sco yo bietet Lernspiele an.
Genau wie vieleweitereLernapps
sind auch sie über denWebbrowser
zugänglich.Vorsichtaber:Weilesg e-
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