B
odo Ramelow (Linke) re-
giert den Freistaat Thürin-
gen zurzeit vom Telefon
aus. Mit WELT-Reporter
Claus Christian Malzahn
sprach er unter anderem darüber, welche
Folgen das höhere Durchschnittsalter
der Bevölkerung in Ostdeutschland in
der Corona-Krise hat.
VON CLAUS CHRISTIAN MALZAHN
WELT:Herr Ramelow, Sie wurden vor
einem Monat wieder zum Minister-
präsidentenvon Thüringen gewählt.
Ihre Wahl wäre aber damals beinahe
ausgefallen, weil ein CDU-Landtags-
aaabgeordneter im Verdacht stand, sichbgeordneter im Verdacht stand, sich
mit dem Coronavirus infiziert zu ha-
ben. Denken Sie manchmal noch darü-
ber nach, wie knapp das alles war?
BODO RAMELOW:Ich muss ehrlich zu-
geben: nein. Zwischen der Corona-Krise
und der turbulenten Zeit davor steht in-
zzzwischen eine riesige Mauer. Ich musswischen eine riesige Mauer. Ich muss
mich regelrecht zwingen, mich daran zu
erinnern. Die Trennlinie mar-
kiert der 12. März. Noch am
VVVormittag, als ich mich mit denormittag, als ich mich mit den
anderen Ministerpräsidenten
in Berlin auf den Weg ins Kanz-
leramt gemacht habe, dachte
ich: Na ja, wir lassen die Schu-
len noch eine Zeit lang offen
und verlängern vielleicht die
Osterferien. Dann haben die
Virologen uns die Lage geschil-
dert. Danach war mir klar, dass
wir zu drastischen Maßnahmen
greifen müssen. Die Wucht der
Krise wurde immer deutlicher.
Haben Sie seitdem mit Ihrem
KKKurzzeitvorgänger Thomasurzzeitvorgänger Thomas
Kemmerich gesprochen?
Ja, über die künftige Zusam-
menarbeit mit seiner FDP-
Fraktion im Parlament. Und
üüüber die Schließung von Fri-ber die Schließung von Fri-
seurgeschäften. Er ist ja Inha-
ber einer Ladenkette.
Sie sind jetzt komplett im
Krisenmodus?
Ich denke, das geht nicht nur
mir so. Ich merke, wie sich
mein ganzer Körper umstellt.
Ich wache nachts auf und den-
ke über Erlebnisse und Infor-
mationen nach, die mich tags-
über begleitet haben, und grü-
bele über Lösungen für noch
kommende Herausforderun-
gen.
Klingt nach Dauerstress.
Ja, aber es hilft, wenn man im
Leben schon mal andere Krisen
erlebt hat. Hektik nützt gar
nichts. Ich bin froh über mei-
nen Krisenstab. Der tagt 24
Stunden am Tag und wird von
Staatssekretär Udo Götze im
Innenministerium mit ruhiger
Hand geleitet. Er war früher
Seemann. Wer auf hoher See
ein Schiff durch schwere Lagen
bringt, den erschüttert so
schnell nichts mehr.
Ihre Minderheitsregierung
hat mit der CDU-Landtags-
fffraktion Verabredungen überraktion Verabredungen über
parlamentarische Koopera-
tionen getroffen. Wie läuft
das konkret in dieser Zeit?
Mit dem Fraktionschef der CDU, Mario
VVVoigt, bin ich in ständigem Kontakt. Mo-oigt, bin ich in ständigem Kontakt. Mo-
mentan natürlich hauptsächlich telefo-
nisch oder digital. Neue Entscheidungen
werden ihm unmittelbar zugeleitet. Um-
gekehrt landen seine Vorschläge und
Fragen sofort bei mir. Der Chef der
Staatskanzlei Benjamin-Immanuel Hoff,
steht darüber hinaus regelmäßig mit der
CDU-Fraktion in Kontakt.
Die CDU ist in der Krisenzeit also fak-
tisch an Bord der rot-rot-grünen Re-
gierung?
Wir haben den bestehenden Koalitions-
arbeitskreis von Rot-Rot-Grün gerade
um ein Format erweitert, das die CDU
einbezieht. Natürlich bleibt die CDU in
der Opposition. Aber die Zusammenar-
beit läuft auf Grundlage des Stabilitäts-
mechanismus vernünftig und vertrau-
ensvoll. Mit kleinen Abstrichen gilt das
auch für die FDP.
WWWie agiert die AfD-Fraktion aus Ihrerie agiert die AfD-Fraktion aus Ihrer
Sicht?
Ich nehme sie derzeit nicht wahr. Ich re-
gistriere die innerparteiliche Auseinan-
dersetzung um den rechtsextremen Flü-
gel. Das aber ist Lichtjahre von den Pro-
blemen entfernt, mit denen ich zu tun
habe. Mit den Sorgen der Menschen hat
das nichts zu tun. Wir haben eine Tele-
fffonhotline in der Staatskanzlei eingerich-onhotline in der Staatskanzlei eingerich-
tet. Da bin ich ab und zu selbst am Appa-
rat. Die Bürger rufen an, weil sie Angst
vor dem Konkurs haben. Oder weil Pro-
duktionslinien gefährdet sind, wenn Ma-
terial fehlt. Oder weil ein Großhändler
Probleme hat, Krankenhäuser mit Toilet-
tenpapier zu beliefern. Auch solche Pro-
bleme landen auf meinem Schreibtisch.
In diesen Tagen sollten in Buchenwald
und Weimar eigentlich Gedenkfeiern
stattfinden, der Jahrestag der Befrei-
ung des KZ jährt sich zum 75. Mal. Ins-
gesamt 42 KZ-Überlebende hatten
ng des KZ jährt sich zum 75. Mal. Ins-
esamt 42 KZ-Überlebende hatten
ng des KZ jährt sich zum 75. Mal. Ins-
sich angekündigt, fast alle über 90
Jahre alt. Das fällt nun alles aus.
Ich bin mit Naftali Fürst aus Tel Aviv be-
fffreundet. Er hat als Kind Auschwitz undreundet. Er hat als Kind Auschwitz und
Buchenwald überlebt. Vor wenigen Wo-
chen war er noch in Thüringen, hat im
Landtag gesprochen. Aber Volkhard
Knigge, der langjährige Leiter der Ge-
denkstätte, hatte mich schon vor dem 12.
März informiert, dass wir Herrn Fürst
und andere Überlebende nicht zu einer
Gedenkfeier begrüßen können, um sie
nicht einem unvertretbaren Gesund-
heitsrisiko auszusetzen. Wir haben uns
deshalb entschlossen, der Befreiung von
Buchenwald in diesem Jahr in anderer,
vornehmlich digitaler Form zu geden-
ken. Es wird Veranstaltungen und Doku-
mentationen im Internet geben. Ich wer-
de eine Videobotschaft senden. Die Stif-
tung wird zudem Anzeigen in den Tages-
zeitungen schalten. Der Tag der Befrei-
ung darf auch in dieser Krise nicht unter-
gehen. Wir werden im Freistaat im
wahrsten Sinne des Wortes Flagge zei-
gen und uns mit den Hinterbliebenen
und den Überlebenden auch virtuell zu-
sammenschließen und sie aus aller Welt
zuschalten, soweit das geht.
Der Buchenwald-Überlebende Ivan
Ivanji, dem Sie im Januar 2019 in Bel-
grad den Thüringer Verdienstorden
verliehen haben, sollte auch nach Wei-
mar und Buchenwald kommen. Nun
sitzt er in seiner 68 Quadratmeter
großen Wohnung in Belgrad und hat
AAAusgehverbot – wie alle Menschen inusgehverbot – wie alle Menschen in
Serbien, die über 65 Jahre alt sind. In
einem Text für die „taz“ schreibt er:
„Heute befinde ich mich, 91 Jahre alt,
wegen der Coronavirus-Pandemie
wieder im Gefängnis, allerdings in ei-
ner sehr bequemen Einzelhaft“. Er zi-
tiert Hans Fallada: „Jeder stirbt für
sich allein.“ Was würden Sie ihm sa-
gen, wenn Sie ihn treffen könnten?
Ich habe das auch gelesen, und es hat
mich sehr erschüttert. Ich würde Ivan
Ivanji von meiner italienischen Schwie-
germutter erzählen. Auch die sitzt in ih-
rer Wohnung in Parma, wir telefonieren
jeden Tag. Wir machen uns gegenseitig
Mut. Meine Frau geht dabei fast in die
Knie. Die Vorstellung, dass ihrer Mutter
etwas zustößt und sie nicht zu ihr kann,
ist nahezu unerträglich. Meine Schwie-
germutter könnte ihre Wohnung verlas-
sen, aber sie hat Angst davor. Dass die
serbische Regierung Ivanji und den an-
deren Senioren im Land Hausarrest ver-
ordnet hat, finde ich falsch. Wir gehen in
Deutschland einen anderen Weg.
Ostdeutschland ist zurzeit im Ver-
gleich zu Bayern, Baden-Württemberg
und Nordrhein-Westfalen weniger be-
troffen von Corona. Andererseits liegt
im Osten das Durchschnittsalter hö-
her. 47,2 Jahre in Thüringen, der vor-
letzte Platz bei allen Bundesländern.
WWWie kann man Senioren jetzt schüt-ie kann man Senioren jetzt schüt-
zen, die ja bei Ansteckung besonders
gefährdet sind?
Jedenfalls nicht, indem man die älteren
Menschen wegsperrt. Es ist im Moment
richtig, die Schulen zu schließen und
Kinder von ihren Großeltern zu trennen.
AAAber ich will, dass die Senioren weiter inber ich will, dass die Senioren weiter in
ihre Gärten gehen können.
Datschen sind im Osten weitverbrei-
tet. Zum Glück, oder?
Das sind jetzt Oasen des Überlebens. Ich
habe dafür gesorgt, dass die Datschen in
Thüringen geöffnet bleiben.
Die Hygienevorschriften müs-
sen natürlich strikt eingehalten
werden. Die Aufsicht über die
Märkte haben wir radikal ver-
schärft. Aber wir werden doch
die Kleingärtner, und das sind
vor allem ältere Thüringer,
jetzt nicht daran hindern, dass
sie in ihren Parzellen herum-
werkeln und sich dafür das nö-
tige Material besorgen. Wir
müssen darauf achten, dass un-
sere Schutzmaßnahmen ange-
messen bleiben.
Es werden immer wieder
Stimmen laut, die eine Exit-
strategie fordern. Eine Idee
dabei: Jüngere Menschen
dürfen nach und nach wieder
raus, Ältere bleiben zu Hau-
se. Ist so etwas für Sie vor-
stellbar?
Diese Debatte kommt zur Un-
zeit. Wir sind noch nicht auf
dem Höhepunkt der Infekti-
onswelle. Wer jetzt öffentlich
schnelle Lockerungen fordert,
nimmt in Kauf, dass die Sterbe-
rate steigen könnte. Es ist fahr-
lässig, Möglichkeiten in den
Raum zu stellen, die derzeit ob-
jektiv einfach noch nicht gege-
ben sind.
AAAber man muss doch darüberber man muss doch darüber
nachdenken dürfen, wie wir
aus dem Lockdown wieder
rauskommen.
Das ist doch selbstverständ-
lich. Das haben wir auch im
Blick. Aber das diskutiere ich
doch jetzt nicht vor den Fern-
sehkameras, um kein falsches
Signal zu senden. Im Moment
mache ich mir mehr Gedan-
ken, wie wir eine sinnvolle
VVVerteilung der Intensivbettenerteilung der Intensivbetten
in Deutschland organisieren.
Im Süden sind manche Kran-
kenhäuser wegen des Virus be-
reits an der Kapazitätsgrenze.
Im Norden droht in einigen
Kliniken dagegen Kurzarbeit,
weil dort die Zahl der Patien-
ten vergleichsweise gering ist.
Wir wollen das zwischen den
Ländern ausgleichen. Ich habe
fffür Thüringen angeordnet, dass Bußgel-ür Thüringen angeordnet, dass Bußgel-
der verhängt werden, wenn Kliniken
sich nicht an diese föderalen Verabre-
dungen halten.
In Jena und in Nordhausen wurde von
den Bürgermeistern Mundschutz in
der Öffentlichkeit angeordnet. Was
en Bürgermeistern Mundschutz in
er Öffentlichkeit angeordnet. Was
en Bürgermeistern Mundschutz in
halten Sie von der Maßnahme?
Ich kann die Intention verstehen. Aber
solche Anordnungen mit Zwang und
Bußgeld machen hier nur Sinn, wenn
man den Bürgern auch die entspre-
chenden Mundschutzmasken zur Ver-
fffügung stellen kann. Das können wirügung stellen kann. Das können wir
aber noch nicht in den dann anfallen-
den Größenordnungen. Eine allgemei-
ne Empfehlung hätte ich deshalb für
besser gehalten. Wenn alle freiwillig
sich ein Tuch oder eine selbstgeschnei-
derten Mundschutz vor Nase und
Mund ziehen, dann ist das eine Art
Spuckschutz. Das ist in Ordnung, aber
kein wirksamer Corona-Schutz. Und es
ist schon gar kein Ersatz für körperli-
che Distanz zum Gegenüber. Die bleibt
aber am wichtigsten.
VVVor uns liegt das Osterwochenende.or uns liegt das Osterwochenende.
In Mecklenburg-Vorpommern wurden
die Ausgangsbeschränkungen von
Karfreitag bis Ostermontag noch ein-
mal verschärft. Planen Sie Ähnliches?
arfreitag bis Ostermontag noch ein-
al verschärft. Planen Sie Ähnliches?
arfreitag bis Ostermontag noch ein-
Ich verstehe die Sorgen meiner Kollegin
Manuela Schwesig gut und habe die
Thüringer aufgerufen, jetzt auf keinen
Fall an die Küste zu fahren. Es hilft
nichts: Wir müssen auf Abstand blei-
ben. Das Coronavirus macht über
Ostern keine Ferien.
„Datschen sind
die Oasen des
ÜÜÜberlebens“ berlebens“
Bodo Ramelow, Ministerpräsident in
Thüringen, warnt vor einer schnellen
Exit-Strategie. Er erklärt, warum der
Freistaat beim Schutz von Senioren
einen besonderen Kurs fährt. Mit Sorge
blickt er auf die Osterfeiertage
MARTIN U. K. LENGEMANN/ WELT
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) steht in
der Staatskanzlei in Erfurt: „Wir müssen darauf achten, dass
unsere Schutzmaßnahmen angemessen bleiben“
4
07.04.20 Dienstag, 7. April 2020DWBE-HP
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Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:
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07.04.2007.04.2007.04.20/1/1/1/1/Pol1/Pol1 KFISCHE2 5% 25% 50% 75% 95%
4 POLITIK *DIE WELT DIENSTAG,7.APRIL
D
ie Kanzlerin lehnt eine vorzeiti-
ge Lockerung der Corona-Maß-
nahmen ab. „Wir haben jetzt
erst einmal bis einschließlich 19. April
unsere Maßnahmen getroffen, daran
wird sich auch nichts ändern“, legte sich
Angela Merkel (CDU) am Montagnach-
mittag auf einer Pressekonferenz fest.
VON ROBIN ALEXANDER
UND MARCEL LEUBECHER
Damit reagierte Merkel auf eine öf-
fffentliche Debatte um eine vorzeitigeentliche Debatte um eine vorzeitige
AAAufhebung einzelner Verbote, die zu-ufhebung einzelner Verbote, die zu-
letzt an Breite gewonnen hatte. Am
Morgen erst hatte Österreichs Bundes-
kanzler Sebastian Kurz in Wien ver-
kündet, dass in der Alpenrepublik
schon ab dem 14. April kleine Geschäfte
und Baumärkte öffnen dürfen. Im Ge-
genzug wird in Österreich die Pflicht,
Mund und Nase zu bedecken, auf öf-
fffentliche Verkehrsmittel ausgeweitet –entliche Verkehrsmittel ausgeweitet –
in Supermärkten gilt sie bereits. Ab
dem 1. Mai öffnen dann in Österreich
auch größere Geschäfte, Einkaufszen-
tren und Friseure.
Anders als Kurz lehnte es Merkel ab,
Daten zu nennen oder auch nur Krite-
rien für eine Lockerung. Es gebe aller-
dings interne Überlegungen: „Wir wä-
ren ja eine schlechte Bundesregierung,
wenn wir nicht intensiv, ich sage sogar
Tag und Nacht, darüber nachdenken
würden.“ Aber noch sei es nicht mög-
lich, konkrete Versprechen zu machen:
„Es ist nicht geraten, über ein Datum
für Deutschland zu sprechen.“ Die Öff-
nung würde zudem nur „schrittweise“
erfolgen, und auch danach werde der
Gesundheitsschutz über allem stehen:
„Wir leben weiter in der Pandemie, das
Virus wird nicht verschwunden sein“,
betonte Merkel.
Auf einen im Bundesinnenministeri-
um entworfenen Plan für Lockerungen,
der an die Öffentlichkeit gedrungen
war, antwortete Merkel nicht konkret.
Nach Ostern werde dazu eine Studie
der Leopoldina, Deutschlands Nationa-
ler Akademie der Wissenschaften, er-
scheinen. „Welche Schlüsse wir daraus
ziehen, können wir Ihnen heute noch
nicht sagen. Aber nachdenken tun wir“,
versprach Merkel.
Den vom nordrhein-westfälischen
Ministerpräsidenten Armin Laschet be-
rufenen Expertenrat, der eine Exit-Stra-
tegie diskutieren soll, nannte Merkel
nicht. Denn hier gibt es eine Meinungs-
verschiedenheit zwischen den beiden
CDU-Politikern: Merkel will die Krite-
rien für eine Lockerung vor allem in
Gremien debattieren. Sie fürchtet, dass
Merkels Furcht bei der
Frage nach Lockerungen
Die Corona-Maßnahmen bleiben vollständig in Kraft.
Wie es danach weitergeht, sei noch nicht entschieden
KKKanzlerin Angela Merkel (CDU) willanzlerin Angela Merkel (CDU) will
keine Kriterien für Lockerungen nennen
AFP
/MARKUS SCHREIBER
WIR LEBEN WEITER
IN DER PANDEMIE,
DAS VIRUS WIRD
NICHT
VERSCHWUNDEN
SEIN
ANGELA MERKEL (CDU)
Bundeskanzlerin
,,
ein öffentliches Wägen der Argumente
die Bürger verunsichern könnte, ob sie
die Abstandsregeln und andere Ein-
schränkungen noch einhalten müssen.
Laschet hingegen hält die öffentliche
Auseinandersetzung sogar für eine Vo-
raussetzung, um die Akzeptanz für wei-
tere Maßnahmen zu erhalten.
Merkel warnte in ihrer Pressekonfe-
renz: „Viele wünschen sich, dass es jetzt
schnell vorangeht. Doch die Diskussion
wird, sobald die ersten Menschen ster-
ben, weil wir zu schnell gehandelt ha-
ben und unser Gesundheitssystem den
Belastungen nicht mehr standhalten
wird, sich sofort ins Gegenteil verkeh-
ren.“ Es wäre „ganz schlecht“, wenn die
Bundesregierung vorschnelle Locke-
rungen anschließend wieder zurück-
nehmen müsste.
Es deutet sich an, dass die obligatori-
sche Verwendung von Atemmasken
auch in Deutschland eine Rolle spielen
wird, wenn das öffentliche Leben wie-
der beginnt. Bisher stand Merkel den
Masken skeptisch gegenüber. Die von
Merkel erwähnte Leopoldina empfiehlt
jedoch jetzt eine „Mund-und-Nasen-
schutzpflicht“. Dazu bekannte sich
Merkel noch nicht, sagte aber: „Jetzt
wandelt sich die Meinung der Experten,
und da werden wir uns nicht entgegen-
stellen.“ Selbstgemachte Masken müsse
man jedoch regelmäßig „waschen, heiß
bügeln, in den Backofen oder in die Mi-
krowelle stecken“.
Zuvor hatte das sogenannte Corona-
Kabinett eine Entscheidung zur unter-
schiedlichen Situation an Deutschlands
Grenzen getroffen. „Wir haben zum
Teil Wünsche der Ministerpräsidenten
gehabt“, führte Merkel aus. Bayern, aber
auch das Saarland, Rheinland-Pfalz und
Baden-Württemberg hätten zu einem
frühen Zeitpunkt der Krise um Grenz-
kontrollen gebeten, weil damals die
Maßnahmen in den anderen europäi-
schen Staaten noch sehr unterschied-
lich waren. NRW und Niedersachsen
hingegen hätten „einen anderen Weg
gewählt“ und sich eng mit Belgien und
den Niederlanden abgestimmt. „Sie ha-
ben darum gebeten, dass dieses Grenz-
management jetzt so beibehalten wer-
den kann“, berichtete Merkel.
Tatsächlich hatte es um diese Frage
einen Streit gegeben. Bayerns Minister-
präsident Markus Söder und Bundesin-
nenminister Horst Seehofer (beide
CSU) hatten von Beginn der Krise an
für eine entschiedene Grenzschließung
plädiert. Und zwar nicht nur für Besu-
cher und Pendler, sondern auch für
Migranten. Tatsächlich werden an den
Grenzabschnitten zu Frankreich, Öster-
reich, Dänemark, Luxemburg und der
Schweiz aufgegriffene Ausländer ohne
triftigen Einreisegrund von der Bundes-
polizei zurückgewiesen. Dem Wunsch
von Seehofer, diese Grenzkontrollen
auf alle Grenzabschnitte auszuweiten,
erteilte das Corona-Kabinett am Mon-
tagvormittag jedoch eine Absage. So
bleiben die Grenzen zu Belgien, den
Niederlanden, Tschechien und Polen
weiterhin „offen“.
Damit hat sich vor allem Laschet
durchgesetzt, der sich seit Wochen ge-
gen die Pläne Seehofers wehrt. Laschet
feierte seinen politischen Sieg mit einer
Videobotschaft, die er an der deutsch-
niederländischen Grenze in Venlo auf-
nahm und den Kernsatz hatte: „Ge-
sundheitsschutz gelingt nur grenzüber-
schreitend.“
Merkel, die seit Beginn der Krise in
internen Runden wie Laschet argumen-
tiert hatte, vermied, öffentlich in die-
sem Streit Partei zu ergreifen. Aller-
dings nannte sie nicht einmal den
Trostpreis, den Seehofer in seinem
Kampf gegen „grenzüberschreitende
Infektionswege“ immerhin erringen
konnte. Die Bundesregierung will näm-
lich nun den Ländern vorschlagen, alle
Einreisenden, die mehrere Tage im Aus-
land waren, vorsorglich in eine zweiwö-
chige Quarantäne zu schicken. Ausnah-
men sollten für Berufspendler, Ge-
schäftsreisende mit dringenden Termi-
nen, den Güterverkehr und Transitrei-
sende gelten.
Mit Blick auf die am Dienstag bera-
tenden Euro-Finanzminister stellte sich
Merkel hinter den Plan ihres Vizekanz-
lers Olaf Scholz (SPD), der auf eine
Kombination von Mitteln aus der euro-
päischen Förderbank EIB, des Rettungs-
fonds ESM und Regelungen zur Kurzar-
beit setzt. Weitergehende Vorschläge
wie Euro-Bonds nannte Merkel nicht,
machte aber deutlich, für wie drama-
tisch sie die Wirtschaftslage der Wäh-
rungsgemeinschaft hält: „Europa
braucht eine Wiederbelebung.“
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