Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
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tung Ihrer datenschutzrechtlichen Betroffenen-
rechte ist die Gruner + Jahr GmbH, Am Baumwall 11,
20459 Hamburg auf der Grundlage von Art. 9 (2) a
DS-GVO. Eine Verarbeitung außerhalb der EU/EWR
erfolgt ausschließlich weisungsgebunden durch
Dienst leister (zum Beispiel zur Bereitstellung gängiger
Office-Anwendungen wie E-Mail). Informationen
über Ihre Rechte als Betroffener und weitere Infor-
mationen zur Datenverarbeitung erhalten Sie
auf https://www.stern.de/datenschutz-seelsorge

Die Psychotherapeutin


Michaela Huber über die


Auswirkungen der Krise


auf die Seele – und über


die stern-Hilfsaktion


„VIELE FÜHLEN SICH


AUS GELIEFERT“


GESELLSCHAFT


Für die Aktion „stern-Seelsorge“ haben
sich mehr als 30 Fachleute bereit erklärt,
mit Lesern persönlich über deren Ängste
und Probleme zu sprechen. Zu unserem
Team gehören Psychiater, Psychologen,
Sozialarbeiter, Familientherapeutinnen,
Seelsorger und berufliche Coaches. Rufen
Sie an, oder schreiben Sie uns eine E-Mail
mit Ihrem Problem oder Anliegen. Wir
suchen für Sie einen unserer Experten aus

und stellen den Kontakt her. Es handelt sich
um stützende und beratende Gespräche
und keinen Ersatz für eine Psychotherapie.
Alles bleibt anonym und ist kostenlos.
Telefonnummer: 0172/139 01 73 (besetzt
jeweils dienstags, donnerstags und sonntags
zwischen 16 und 18 Uhr, auch Ostersonntag),
E-Mail: [email protected] (Mails
werden täglich von 9 bis 20 Uhr bear beitet).
Weitere Informationen auf stern.de

EXPERTEN AM TELEFON


Situationen wichtig. Manchmal braucht es
auch weitere professionelle Unterstüt-
zung. Ich vermittele gern die Kontakte.
Sie haben als Traumaexpertin Menschen
nach extremen Ereignissen begleitet und
dazu Untersuchungen angestellt. Glau-
ben Sie, dass es langfristige psychische
Probleme geben kann – auch wenn die
Welt nach der Corona-Krise zu einer Art
Normalität zurückgekehrt ist?
Die Wucht, mit der viele Menschen aus
ihrem Leben herausgeschleudert wurden,
ähnelt Ereignissen wie 9/11 oder Fukushi-
ma. Unmittelbar in und nach existen-
ziellen Krisen sind die meisten mit dem
Überleben beschäftigt und damit, ihren
Alltag an die Situation anzupassen. In die-
ser Zeit gibt es auch eine Woge der Solida-
rität. Viele denken noch: Ich werde damit
fertig. Tatsächlich lässt die Solidarität bald
nach, der Verteilungskampf beginnt. Es
geht dann darum, wer möglichst schnell
wieder auf die Beine kommt – und vorn ist.
Die psychologische Soforthilfe reicht
nicht aus?
Die Erfahrung zeigt, dass zwei bis drei Jah-
re später ein großer Bedarf an seelischer
Aufarbeitung besteht, weil sich dann mas-
sivere Symptome wie Depressionen oder
Angststörungen eingestellt haben. Des-
halb müssen wir – gerade bei den Leuten
mit seelischen Vorbelastungen – jetzt
schon viel auffangen, um Schlimmeres zu
verhüten.
Worauf kommt es an, um psychisch für
die Zeit nach Corona stabil zu bleiben?
Niemanden zurücklassen – nicht nur
kurzfristig, sondern über die kommenden
Monate hinweg. Das ist die Chance jetzt:
zu lernen, nach einander zu schauen und
sich umeinander zu kümmern – nicht nur
unter Familienmitgliedern oder im Freun-
deskreis, sondern auch in der Nachbar-
schaft und darüber hinaus. 2
Interview: Nina Poelchau

S


eit einer Woche gibt es die
„stern-Seelsorge“. Sie gehören
zu den Therapeutinnen, die in
Abendstunden und am Wo-
chenende Hilfe anbieten. Was
fällt Ihnen bei den Menschen
auf, die sich melden?
Es sind tapfere Menschen, die
sich, bevor diese Krise kam, meist lange gut
stabil gehalten haben, auch wenn sie im
Leben einige Schicksalsschläge verkraften
mussten. Jetzt aber sitzen sie daheim, ihre
gewohnte Alltagsstruktur ist dahin, sie
können Kolleginnen, Freunde und Ver-
wandte nicht empfangen. Zudem ist ihre
Bewegungsfreiheit eingeschränkt, und das
verstärkt ihr Gefühl, dass keiner da ist.
Die einen verfallen dann in Starre oder
Depression und gehen gar nicht mehr raus;
die anderen tigern unruhig herum, haben
große Angst, aber auch Wutanfälle – und
fühlen sich allein damit überfordert.
Was können Sie da raten?
Erst einmal höre ich respektvoll und wert-
schätzend zu. Das allein erleben viele als
wohltuend. Dann frage ich vorsichtig, ob
das, wovor sie die größte Angst haben,
vielleicht etwas ist, das sie schon kennen,
vielleicht schon aus der Kindheit: in einer
hilflosen Situation zu sein, die existenziell
bedrohlich ist.
Zur Corona-Krise gehört, dass niemand
wirklich die Kontrolle hat.
Das ist ein Aspekt, der große Angst macht
und typisch für Situationen ist, die trau-
matisieren können. Viele fühlen sich aus-
geliefert. Ich arbeite mit den Menschen he-
raus, was sie im Leben bereits alles erreicht
haben. Was manchmal geholfen hat. Und
was sie jetzt noch brauchen, um sich sou-
veräner und handlungsfähig zu fühlen.
Manchmal ist es gut, die persönlichen
Strategien, schwierige Zeiten zu meistern,
deutlich zu machen. Ich rege zum Aus-
tausch mit anderen an – der ist in solchen

AKTION STERN-SEELSORGE


Michaela Huber ist eine der Expertinnen bei der
stern-Aktion. Sie arbeitet als Psychothera peutin
und Traumaexpertin in Göttingen, leitet dort
ein Ausbildungsinstitut. Und sie ist Autorin vieler
Bücher, darunter „Trauma und die Folgen“


58 8.4.2020
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