Berliner Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1
Entwicklung der Berliner
Corona-Fälleseit 1. März 2020

BLZ/GALANTY; QUELLE: SENATSVERW. FÜR GESUNDHEIT

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Berliner Zeitung·Nummer 72·Mittwoch, 25. März 2020–Seite 11*
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Berlin



  1. März 24. März


Stand: 24. März, 16.30 Uhr

NeueRegeln:WiesichdieStadtaufdenCorona-RhythmuseinstelltSeite 12


NeueGefahren:WarumPolizistendringendeinen„Drive-in-Schnelltest“bräuchtenSeite 14


NACHRICHTEN


Erster Corona-Fall
in der SPD-Fraktion

InderBerlinerSPD-Fraktiongibtes
einenerstenInfiziertenmitdemneu-
artigen Coronavirus .Dashabeeine
ärztlicheUntersuchungamDienstag
bestätigt,teilteeinSprecherder Frak-
tionim Abgeord-
netenhausmit.
Dabeihandlees
sichumdenAb-
geordneten
FrankZimmer-
mann,derauch
zumFraktions-
vorstandgehört
undinnenpoliti-
scherSprecher
ist.„Ichbinposi-
tivauf Covid19getestetworden“,
sagteZimmermann.„DasErgebnis
habeichheuteerhalten.Mirgehtes
sehrgut,ichbinabervorläufigin
häuslicherQuarantä ne.“(dpa)

Senat:Keine Kündigungen
und keine Räumungen

InBerlinwerdenwegender Corona-
krisenachAngabenvonJustizsenator
DirkBe hrendt(Grüne)keineWoh-
nungengeräumt.AuchSperren we-
genoffenerRechnungenfürGas,
WasseroderStromseienausgesetzt,
teiltederGrünen-PolitikeramDiens-
tagmit.Wiemit Vollstreckungenum-
gegangenwird,entscheidenlautJus-
tizverwaltungdieAmtsgerichte.
WennMenscheninderjetzigenKri-
sensituationaufderStraßelanden
würdenoderohneHeizungleben
müssten,wäredasei neunzumutbare
Härte ,soB ehrendt.DerSenatkün-
digtezudeman,erwerdebeiden
städtischenWohnungsbaugesell-
schaftenundbeiderberlinovodafür
Sorgetragen,dassdiesebeiMietrück-
stän denkulante Lösu ngenvereinbar-
ten,keineKündigungenwegenZah-
lungsrückständenaussprächenund
auchkeineRäumungenbewohnter
Wohnungendurchführten.(dpa)

Berlkönig soll medizinisches
Personal zur Arbeit fahren

VondiesemMittwochbiszu19.April
willder FahrdienstBerlkönigkeine
regulären Aufträgemehrannehmen.
SolangesollendieLimousinenBe-
schäftigtedesGesundheitswesens
kostenloszurArbeitundwiederzu-
rückbringen–täglichzwischen
21und5.30Uhr.DasgabendieBerli-
nerVerkehrsbetriebe(BVG),dieden
BerlkönigzusammenmitViaVanbe-
treiben,jetztbekannt.Angekündigt
wurdeauch,dasEinsatzgebietdeut-
lichauszuweiten.WerdasGratisan-
gebotnutzenwill,meldetsichaufder
Berlkönig-Appan.DerSPD-Abgeord-
neteTinoSchopf(SPD)forderte,den
FahrdienstaufdasganzeStadtgebiet
auszuweiten.(pn.)

Frank
Zimmermann

SPD

AppellandieAlten


Sena trätRentnernzurSelbstquarantäne.ObdachlosesollenvonderStraßeundinUnterkünftegebrachtwerden


VonElmar Schütze

N


ach Wochen der ein-
schneidendenMaßnah-
menfürdiegesamteBe-
völkerungwegendes Co-
ronavirus nimmt diePolitik zuneh-
menddiejenigenindenBlick,denen
seitBeginnderKrisediegrößteSorge
gilt:denSenioren.AmMontaghatte
GesundheitssenatorinDilek Kalayci
(SPD) imGesundheitsausschuss im
Abgeordnetenhaus speziell ältere
Menschenangesprochenundsiege-
beten, konsequent daheim zu blei-
ben. „AlleBerlinerinnen undBerli-
ner über 70Jahren sollten sich zu
Hause in Selbstquarantäne bege-
ben.“SchließlichseiAbstand„dersi-
cherste Schutzvoreiner Infektion
mitdemCoronavirus“.
WievielÜber zeugungsarbeitKa-
layci noch leisten muss,zeigen die
Reaktionen.„AuchältereMenschen
über70müsseneinkaufen,mitdem
Hund Gassi gehen und sich an der
frischen Luft bewegen,wenn sie
sich dabei an dieRegeln halten“,
sagte Verena Bentele,Präsidentin
desSozialverbandsVDK,amDiens-
tagder BerlinerZeitung.DerSozial-
verbandistmitzweiMillionenMit-
gliederndie größte sozialpolitische
InteressenvertretungdesLandes.

Es passt nur gemeinsam
„AusgangssperrenfürÄlteresinddas
falsche Mittel“, sagteBentele.„Für
unsistklar:WirmüsseninderKrise
denen helfen, die sich nicht selbst
helfenkönnen.Redenwirlieberüber
Nachbarschaftshilfe,zeigen wir uns
solidarisch mit den Schwächsten
und organisieren wirHilfe.Esgeht
nurgemeinsam.“
Dazupasst,wieLinken-ChefinKa-
tina Schubertdie jüngstenMaßnah-
men desrot-rot-grünenSenats ein-
schätzt, wonach dieBerliner grund-
sätzlichdasHausnicht verlassensol-
len.„WirmüssendieBalancehalten.
Mankann auch anBroken Hearter-
kranken“,sagteSchubertderBerliner
Zeitung.DeshalbseienjadieAusnah-
men in derVerordnung so entschei-
dend.„EsistzumBeispielsehrwich-
tig,dassesmöglichbleibt,Menschen
inPflegeheimenzubesuchen.“
AuchdasKrisenmanagementvon
GesundheitssenatorinKalayci wird

zunehmendkritischgesehen.Sofor-
dertderPräsidentderBerlinerÄrzte-
kammer,Günther Jonitz, eine bes-
sereKoordinierung.Esseibeispiels-
weise der zeit unklar,wog enau die
160ÄrztinnenundÄrzte,diebislang
ihreHilfezur BehandlungvonCoro-
navirus-Patientenangebotenhaben,
tatsächlich gebrauchtwerden, kriti-
sierte Jonitzam Dienstagimrbb-In-
foradio .„DasProblem ist, dass wir
auf der politischen Ebene leider
keine Stelle haben, die uns sagen
kann, inwelchen Häusern, inwel-
chenEinrichtungenwelcheÄrztege-
braucht werden–undauf welcheBe-
dingungen die da stoßen.“ Hier
müsse organisatorisch nachgebes-
sertwerden. Trotz seines eigenen
Kontakts zur Gesundheitsverwal-
tungfehleihmselbstderÜberblick.
Erwissemomentannochnichtein-
mal,werdiezuständigenAnsprech-
partner bei derSenatsverwaltung
oderimKrisenstabsind.
Jonitzsagte,erh abezwarKontakt
zur Senatorin, aber wünschenswert

wäreeine konzertierte Aktion der
politisch und auch konkretverant-
wortlichen Akteure: „InHamburg
gibteszweimalinderWocheeine Te-
lefonkonferenz, an der selbstver-
ständlich auch die Ärztekammer
und die Krankenhausgesellschaft
unddie KassenärztlicheVereinigung
mitbeteiligt sind, um zusammenzu-
arbeiten,inBerlingibtesdasnicht.“
DieSituation sorge fürIrritatio-
nen,sagteJonitz. So habeerseriöse
AngeboteüberSchutzmaterialienin
Millionen Stückzahl erhalten.Aber
erhabe„übereineWochegebraucht,
um herauszufinden, werder An-
sprechpartner in derSenatsverwal-
tungimKrisenstabist“.
Ausder Gesundheitsverwaltung
heißtesdagegen,eswerde„mitallen
an der Bewältigung der KriseBetei-
ligten täglich und stündlich zusam-
men gearbeitet“.Nursoh abe man
die mittlerweile acht Untersu-
chun gsstelle nanKlinikenoderauch
dasCovid-19-Krankenhausaufdem
Messegelände auf denWegbringen

können.In der Krise wartet keiner
aufeine Einladungdesanderen.Alle
legten los und stimmten sich ab,
hießesineinerMitteilung.
Außerdem habe Senatorin Ka-
layci Ärztekammerpräsident Jonitz
persönlich gebeten, schnelle und
Online-Schulungen zum Thema
Covid-19 auf denWegzub ringen.
DerBedarfseigroß. Ebenso,dassdie
Ärztekammer einenAufruf an die
pensionierten Ärzte und Ärztinnen
zur Bewältigung der Aufgaben
macht.DieRückmeldungandieSe-
natorinwarpositiv,hießes.

BeiBedarfweitereUnterkünfte
DerSenat lenkt unterdessen den
Blick auch auf die Obdachlosen in
derCoronakrise .Fürsi esollenmehr
Unterkünfte geschaffen werden.
„Wir können die Obdachlosen in
dieserSituationnichteinfachaufder
Straßelassen“,sagteSozialsenatorin
Elke Breitenbach (Linke) amDiens-
tag im Anschluss an dieSenatssit-
zung. Zunächst sollePlatz für 350
Menschen bereitstehen. In einem
ersten Schritt soll eineJugendher-
berge mit 200Plätzen in der Kluck-
straße in Tiergarten hergerichtet
werden. Als zweiterStandortist die
bisherige Kältehilfeeinrichtung in
derStorko werStraßein Pankowmit
biszu150Plätzengeplant.BeiBedarf
werdeesw eitereUnterkünftegeben.
Zudem wir ddie Berliner Tafel in
der KrisevomTechnischen Hilfs-
werk unters tützt. DasTHW stelle
zwei Lastwagen nebstFahrer nzur
Verfügung, um Lebensmittel auch
aus Läden abzuholen und zurTafel
zu bringen, sagteBreitenbach.So
solle die Versorgung bedürftiger
Menschensichergestelltwerden.
Im Zuge der Coronakrise hatten
Tafeln bundesweit darüber geklagt,
dassSpendenzurückgehen.DieUn-
terstützungBedürftiger auf diesem
Wegeseiaber„extremwichtig“,sagte
Breitenbach. DieKooperation mit
demTHWsollnachihrenWortenzu-
nächst zwei bis vierWochen laufen
undetwa30000Eurokosten.

Die Sehnsucht nach draußenkennen wohl viele Menschen in diesenTagen. IMAGO IMAGES

Elmar Schütze
versteht, dass dieVerwal-
tung amAnschlag arbeitet.

Sozialsenatorin ElkeBreitenbach (Linke) will die Obdachlosen von der Straße holen. DPA

„Es sind ausgesprochen schwierige


Bedingungen fürMenschen mitgerin gem


oder gar keinemEinkommen.


Wirmüssen ihnen helfen.“


ElkeBreitenbach,
Sozialsenatorin

Gute


Nachrichten


I


chmachemirSorgenummeine
FreundininNewYork.DieCo-
rona-Zahlendortgehendurchdie
Decke.AußerdemhatsieeineCater-
ingfirma,dienichtmehrsogutläuft
und jetzt bestimmt keineAufträge
mehrhat.Weilihr eMieteständiger-
höhtwird,ziehtmeineFreundinoft
um. Immer weiter wegvom Stadt-
zentrum. Als ich sie das letzteMal
besuchte,lief ich durchSozialbau-
siedlungen.AufdemRückwegnahm
ich ein Taxi. Nachts solle man hier
liebernichtmehralleinelanggehen,
sagtemeineFreundinundlächelte.
Sieist die tapfersteFrau, die ich
kenne.MitAnfang20zogsieausih-
rerschwedischenHeimatstadt nach
NewYork,gingaufeineModeschule,
heiratete,bekam einenSohn, ihr
Mannbetrogsie,siekämpftesichal-
leinedurch.Alswirunskennenlern-
ten, gründete sie gerade ihreFirma.
An mir probierte sie ihreGerichte
aus.Die Fotos für ihreWebsite
machte ich auf demWochenmarkt
aufdemUnionSquare. Eineblonde
Frau zwischen Kräuternund Ge-
müse,eine Europäerin inNewYork.
SiearbeiteteTagund Nacht, kochte
fürRobertdeN iroundMattDamon,
versorgte an schwülenSommera-
benden dieReichen in denHamp-
tons mit Häppchen undCocktails.
Wenn ich schlafen ging, schrieb sie
noch Angebote fürKunden, wenn
ichaufstand,standsieschonwieder
in ihrer Küche.Ihr Plan war ,den
Durchbruchzuschaffen,genugGeld
zuverdienen,umeinesTagesin Eu-
ropa ein sorgloses Leben zu führen.
DeramerikanischeTraum.
Ihre zweite Ehe scheiterte nach
einemJahr,ihrSohnwurdeabgezo-
genundgingnichtmehrohneMes-
ser auf dieStraße,von der Finanz-
krise erholte sich ihreFirma nie,
meineFreundinkündigteihreKran-
kenversicherung,weil sie zu teuer
war.Manchmal fragte ich sie,obes
nicht besser sei zurückzukehren,
nachHause.Auchim September,als
ich sie besuchte,redeten wir dar-
über.Sie sagte ,Schweden sei ihr zu
eng, und außerdem müsse sie erst
noch ihreFirma aufVordermann
bringen, um sie dann zuverk aufen.
Siehatte gerade einenBandschei-
benvorfallundkonntesichkaumbe-
wegen. Aber sie kochte so wunder-
barwieimmer.
Ichstellemirvor,wiesiealleinein
ihrer WohnungsitztundaufAufträge
wartet. Ichschreibe eineNachricht.
Eine Minute später klingelt mein
Handy.
„Ich ziehe um“, sagt meine
Freundin.
„Schonwieder?“,frageich.
„Nein,nichthierinNewYork,zu-
rück nach Schweden.Heute.Die
Wohnungistschonleer.Coronahat
mirden Restgegeben.Esistvorbei.“
Ichweißnicht,obichlachenoder
weinensoll.30Jahrelanghatmeine
Freundin inNewYorkgelebt, ich
kann mir dieStadt ohne sie nicht
vorstellen, und sie nicht ohne die
Stadt.AberesistdiebesteNachricht,
die ich seit langem höre, und plötz-
lich denke ich, dass die Krise viel-
leichtaucheinpaarguteDingeher-
vorbringenwird.


MorgenimHomeoffice:RuthHerzbergistge-
radefroh, alleinerziehend zu sein.


Homeoffice


AnjaReich
telefoniertmitihrer
FreundininNewYork.

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